Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 5 Ws 387/21
Tenor
- 1.
Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht ausgeräumt werden, mit folgenden Maßgaben verworfen:Die bedingte Entlassung des Verurteilten wird zum 20.01.2022 angeordnet.Zusätzlich zu den im angefochtenen Beschluss erteilten Weisungen wird der Verurteilte angewiesen, während der Bewährungszeit keine Spielcasinos, Spielhallen o.ä. aufzusuchen und sich auch sonst nicht an Glücksspiel (auch nicht im Internet) zu beteiligen.
- 2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse (§ 473 Abs. 1 StPO).
1
Zusatz:
2Der Senat sieht mit der Strafvollstreckungskammer, dem Sachverständigen aus dem Erkenntnisverfahren und dem Sachverständigen des Vollstreckungsverfahrens – die Rückfallgefahr wegen einschlägiger, d.h. pädophiler, Sexualdelikte als eher gering an. Während der Strafhaft hat zwar keine „Aufarbeitung“ der Straftaten stattgefunden. Allerdings hat der Verurteilte – wie sich aus der Bescheinigung von A, Bl. 89 VH, deren Inhalt im Wesentlichen aufgrund der Erkenntnisse aus der Handyauswertung des Geschädigten (WhatsApp vom 21.11.2018) und dem Telefonvermerk der Polizei B vom 17.01.2019 (Bl. 122 d.A.) ergibt - bereits ab dem 16.11.2018, also bereits vor Anzeigeerstattung am 21.11.2018, von sich aus ärztliche Hilfe in Anspruch genommen und 16 Sitzungen durchgeführt. Der Verurteilte hat das Unrecht seiner Taten erkannt, was sich schon aus den Gründen des tatrichterlichen Urteils ergibt. Er hat auch – schon vor seiner Inhaftierung – der weiteren persönlichen Kontaktaufnahme zu dem Tatopfer widerstanden, wenngleich er auch gegen ein familienrechtliches Annäherungsverbot verstieß, als er sich in die Wohnung des D begab, die im selben Haus wie die des Tatopfers lag. Soweit zwei SMS des Verurteilten an seinen damaligen Sexualpartner darauf hindeuten, dass dieser noch Ende November bzw. Anfang Dezember 2018 ein Treffen mit dem Geschädigten organisieren sollte, ergibt sich daraus nicht, dass das Treffen der Durchführung sexueller Handlungen dienen sollte. Die angestrebte Dauer eines der Treffen („reichen 5 min“) spricht eher dagegen. Bei dem Verurteilten liegt keine Pädophilie vor. Die Taten waren nach überzeugender Einschätzung der Sachverständigen eher zufällig und von einer gewissen Dominanz des Tatopfers gegenüber dem Verurteilten geprägt. Die ganze übrige Lebensgeschichte des Verurteilten, welchem im Erkenntnisverfahren eine schwere Charakterneurose attestiert wurde, weist keine pädophilen Taten oder Neigungen auf. Der Verurteilte ist haftbeeindruckt. Vor diesem Hintergrund fragt es sich, wie die von der Staatsanwaltschaft geforderte Aufarbeitung der Taten aussehen sollte und was sie noch bringen könnte.
3Am ehesten sieht der Senat noch eine Rückfallgefahr bedingt durch die prekäre finanzielle Situation des Verurteilten als gegeben an. Diese hat – trotz der Unterstützung durch die Familie – bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen Vermögensstraftaten (Leistungserschleichungen) geführt. Angesichts der Entlassungssituation, die auch wieder auf einer Unterstützung durch die Familie aufbaut und eine eigene nachhaltige und finanziell größeren Spielraum erlaubende Erwerbstätigkeit des Verurteilten eher unwahrscheinlich erscheinen lässt, sieht der Senat durchaus eine gewisse Gefahr für Straftaten, welche der finanziellen Situation geschuldet sind. In diesem Zusammenhang ist auch der Vorfall mit dem weiteren minderjährigen „E“ zu sehen. Als dieser Geld brauchte, kam man zunächst auf die Idee der Begehung von Vermögensstraftaten, nahm dann aber hiervon Abstand. Der Verurteilte führte den E dann einem Pädophilen in F zu, der ihn gegen Geld berührt hat. Auch der Verurteilte berührte das nackte Kind. Später gab er ihm dann Geld. Ob die Grenze zu sexuellen Handlungen durch den Verurteilten oder den Dritten bereits überschritten wurde, ist nicht weiter aufgeklärt worden. Gleichwohl hält es der Senat für verantwortbar, den Verurteilten bedingt zu entlassen. Es müssten für eine Wiederholung entsprechender Szenarien gleich mehrere Umstände wieder zusammentreffen, nämlich der Verkehr in entsprechenden pädophilen Kreisen und eine prekäre finanzielle Situation. Letztere ist – vor allem wegen fehlender Erwerbschancen und der Affinität zum Glücksspiel – durchaus nicht fernliegend. Ersteres hingegen schon, denn der Verurteilte ist nach den bisherigen Erkenntnissen nicht pädophil, sondern eher zufällig in die Situation geraten. Anders als zu dem Zeitpunkt der Taten, hat aber bei ihm ein Umdenken (freiwillige Therapiesitzungen, Aufklärungshilfe im Strafverfahren; selbständiges offenbaren von bis dahin nicht bekannten Vorfällen) stattgefunden und er ist haftbeeindruckt. Außerdem steht er jetzt unter dem Bewährungsdruck. Weiter ist auch zu sehen, dass der Verurteilte seit seiner letzten Verurteilung wegen Leistungserschleichung im Jahre 2014 nicht mehr wegen Eigentums- oder Vermögensdelikten in Erscheinung getreten ist. Vor diesem Hintergrund war dem Verurteilten allerdings die weitere Weisung nach § 56c StGB zu erteilen. Bereits in der Vergangenheit war das Glücksspiel häufig Grund für eine prekäre wirtschaftliche Situation des Verurteilten. Diese war wiederum Anlass für frühere Straftaten (Leistungserschleichungen) und für das Geschehen um den weiteren Jungen „E“. Durch die Weisung soll das Risiko des Abrutschens des Verurteilten in finanzielle Notsituationen vermieden werden, so dass der Senat unter ihrer Berücksichtigung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Einschätzung der Strafvollstreckungskammer hat, dass eine bedingte Entlassung verantwortet werden kann. Die zusätzliche Weisung stellt keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Verurteilten.
4Eine erneute mündliche Anhörung des Sachverständigen oder des Verurteilten war nicht geboten (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 14.09.2021 – 4 Ws 149/21 u.a. – juris m.w.N.).
5Der Senat ist befugt, die ergänzende Weisung zu erteilen, auch wenn es sich bei dem vorliegenden Rechtsmittel um eine sofortige Beschwerde gegen die Reststrafenaussetzung zur Bewährung und nicht um eine Beschwerde gegen die Erteilung oder Nichterteilung einzelner Weisungen handelt. Das folgt aus § 309 Abs. 2 StPO, wonach das Beschwerdegericht die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft. Ohne die zusätzlichen Weisungen wäre der sofortigen Beschwerde womöglich ein Erfolg nicht zu versagen gewesen. Wenn aber feststeht, dass – jedenfalls – unter Erteilung weiterer Weisungen eine bedingte Entlassung vertretbar ist, so wäre es mit dem Freiheitsgrundrecht des Verurteilten nicht vereinbar, wenn das Beschwerdegericht gleichwohl die angeordnete Reststrafenaussetzung zur Bewährung aufhöbe und den Verurteilten ggf. auf eine neue Antragstellung vor der Strafvollstreckungskammer verwiese. Es geht vorliegend – auch bei der Erteilung der Weisungen – um die Aussetzungsfrage selbst (vgl. Appl in: KK-StPO, 8. Aufl., § 454 Rdn. 38).
6Um eine geordnete Entlassung des Verurteilten zu gewährleisten, hat der Senat den Entlassungstag auf den 00.00.2022 bestimmt.
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