Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 11 U 185/21
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 04.10.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 975,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
61. Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG für die Hälfte des ihm anlässlich des Regenereignisses vom 15.10.2019 entstandenen Schadens, da der Einlaufbereich des Seitengrabens in die Rohrleitung nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprochen hat und dies für die Überschwemmung des klägerischen Grundstücks mitursächlich war.
7a) Die Beklagte hat durch ihre Mitarbeiter eine gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht zur Verhinderung von Überschwemmungen verletzt.
8aa) Der Anwendungsbereich von § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG ist eröffnet. Denn die mit Planung, Herstellung und Betrieb der Entwässerungsanlagen auf dem Gebiet der Beklagten befassten Mitarbeiter haben bei dieser Tätigkeit ein öffentliches Amt im Sinne von Art. 34 S. 1 GG ausgeübt. Ein solches übt jeder aus, der mit öffentlicher Gewalt ausgestattet ist, unabhängig davon, ob ihm staatsrechtliche Beamteneigenschaft zukommt (BGH, Urteil vom 14.10.2004 - III ZR 169/04, juris Rn. 13, sogenannter haftungsrechtlicher Beamtenbegriff). Nach dieser Maßgabe sind die bezeichneten Mitarbeiter der Beklagten als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne einzustufen. Denn die Sammlung und Beseitigung der Abwässer in einer Gemeinde ist eine öffentliche Einrichtung und obliegt der Gemeinde als hoheitliche Aufgabe. Für Fehler bei Planung, Herstellung und Betrieb einer solchen Anlage haftet die Gemeinde daher nach Amtshaftungsgrundsätzen (BGH, Urteil vom 11.12.1997 – III ZR 52/97, juris Rn. 7). Auch unter dem Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes und der Verkehrssicherung ist die Gemeinde verpflichtet, Wohngrundstücke im Rahmen des Zumutbaren vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können, wenn etwa ein Graben oder ein Rohrdurchlass unter einem Feldweg anfallendes Wasser nicht mehr fasst und es dadurch zur Überschwemmung anliegender bebauter Grundstücke kommt (BGH, Urteil vom 18.02.1999 – III ZR 272/96, juris Rn. 12; BGH, Urteil vom 11.10.1990 – III ZR 134/88, juris Rn. 11).
9bb) Die Beklagte hat diese ihr obliegende Amtspflicht auch verletzt.
10(1) Keine Amtspflichtverletzung der Beklagten ist allerdings darin zu sehen, dass der Seitengraben und die anschließende Rohrleitung im Zeitpunkt des Regenereignisses nicht hinreichend dimensioniert und damit grundsätzlich nicht in der Lage gewesen sein sollen, das von der durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen A als Einzugsgebiet A 1 bezeichneten Fläche abfließende Oberflächenwasser aufzunehmen.
11Grundsätzlich hat die Gemeinde ein ausreichend dimensioniertes Abwassersystem zu errichten und zu unterhalten, um den Schutz der Anlieger vor Hochwasserschäden in ausreichendem Maße zu gewährleisten. Allerdings ist eine Gemeinde nicht verpflichtet, eine Regenwasserkanalisation einzurichten und zu unterhalten, die alle denkbaren Niederschlagsmengen bewältigen kann. Denn bereits aus wirtschaftlichen Gründen sind die Gemeinden gezwungen, das Fassungsvermögen einer Regenwasserkanalisation nicht so groß zu bemessen, dass es auch für ganz selten auftretende, außergewöhnlich heftige Regenfälle ausreicht (BGH, Urteil vom 30.09.1982 – III ZR 110/81, juris Rn. 9). Insbesondere eine Dimensionierung im Hinblick auf katastrophenartige Unwetter, wie sie erfahrungsgemäß nur in sehr großen Zeitabständen vorkommen, ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 11.07.1991 – III ZR 177/90, juris Rn. 18; BGH, Urteil vom 05.10.1989 – III ZR 66/88, juris Rn. 11 f.).
12Nach den durch das Landgericht getroffenen Feststellungen, die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vom Senat zugrunde zu legen sind, waren im vorliegenden Fall der Seitengraben und die anschließende Rohrleitung ausreichend dimensioniert, um das anlässlich des streitgegenständlichen Regenereignisses vom Einzugsgebiet A 1 in den Seitengraben fließende Oberflächenwasser abzuführen. Diese Fähigkeit war auch nicht durch den Bewuchs im Seitengraben derart eingeschränkt, dass das Oberflächenwasser nicht vollständig hätte aufgenommen werden können, wie der Kläger noch in erster Instanz geltend gemacht hat. Diese auf der Einschätzung des Sachverständigen A beruhende Feststellung des Landgerichts greift der Kläger mit der Berufung auch nicht an.
13(2) Eine Amtspflichtverletzung ist allerdings darin zu erblicken, dass die Beklagte den Einlauf vom Seitengraben in die Rohrleitung nicht entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik ausgeführt hat.
14Hiervon ist der Senat überzeugt aufgrund des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen A und der ergänzenden mündlichen Erläuterung dieses Gutachtens durch den Sachverständigen vor dem Senat. Danach weist das unmittelbar am Einlauf der Rohrleitung angebrachte Einlaufgitter, wie es durch das Lichtbild auf Seite 8 des schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 06.07.2021 dokumentiert ist, aus hydraulischer Sicht eine Vielzahl von Mängeln auf. Insbesondere ist der Einlaufbereich unbefestigt und ein Notüberlauf in die Rohrleitung von oben unmöglich. Ferner hält der Einlaufrechen keinen Abstand von den Rohrkanten und weist eine geringere Breite auf als der Seitengraben. Diese Feststellungen des Sachverständigen sind nicht zu beanstanden. Seine Folgerungen und Wertungen sind verständlich, plausibel und stehen im Einklang mit Denkgesetzen und Erfahrungssätzen. Erhebliche Einwendungen gegen die Ausführungen des Sachverständigen sind weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Zur Veranschaulichung eines den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechenden Einlaufrostes hat der Sachverständige bereits anlässlich der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2021 vor dem Landgericht Lichtbilder zweier Modelle vorgelegt.
15Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Einschätzung des Sachverständigen in diesem Punkt uneingeschränkt an. Die Gestaltung des Einlaufgitters war im vorliegenden Fall ungeeignet, um bei starkem Regen eine Verlegung des Einlaufgitters und in der Folge ein Heraustreten des aufgenommenen Oberflächenwassers aus dem Seitengraben zu verhindern. Der Senat teilt insoweit die Einschätzung des Sachverständigen, wonach bereits geringe Mengen von Laub und/oder Ästen im Sohlebereich des Einlaufs zu einer Verlegung des Gitters mit anschließendem Aufstauen des Wassers vor dem Gitter und einem entsprechenden Leistungsrückgang bis hin zur vollständigen Verlegung des Gitters führen können. Im Rahmen der mündlichen Erläuterung vor dem Senat hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass ein den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Einlaufgitter unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten geplant und ausgeführt werden müsse. Insbesondere sei ein Notüberlauf erforderlich, der einen Einlauf in die Rohrleitung von oben ermögliche und sich nicht so schnell verlege wie ein seitlicher Zufluss, gegen den das Wasser Schwemmmaterial drücke. Dieser müsse oberhalb der oberen Kante des Rohres und zugleich unterhalb der Oberkante des Seitengrabens liegen.
16Bei Montage eines solchen Einlaufgitters wäre das vom Einzugsgebiet A 1 abfließende Oberflächenwasser vollständig durch die Rohrleitung abgeleitet worden. Zwar wäre das Einspülen von Schlamm in die Rohrleitung nicht verhindert worden. Dies hätte sich allerdings nicht negativ ausgewirkt, da der Schlamm in die Rohrleitung eingespült und mitgezogen worden wäre. Die Rohrleitung wäre ausreichend dimensioniert gewesen, das Oberflächenwasser nebst eingespültem Schlamm abzuführen.
17Entgegen der Auffassung der Beklagten dient der Seitengraben auch nicht lediglich der Entwässerung des Wirtschaftsweges, sondern auch der Entwässerung der an diesen angrenzenden landwirtschaftlichen Fläche (Einzugsgebiet A 1). Die gegenteilige Auffassung der Beklagten lässt sich nicht mit deren Verpflichtung zum Schutz vor Hochwasserschäden in Einklang bringen. Grundsätzlich darf sich die Planung und Erstellung einer für ein Baugebiet notwendigen Entwässerungsmaßnahme nicht auf dessen Grenzen beschränken. Bei Planung und Dimensionierung eines Entwässerungssystems ist entscheidend auf die tatsächlichen Verhältnisse, namentlich in abwasserwirtschaftlicher und abwassertechnischer sowie topographischer Hinsicht, abzustellen. Es muss daher von der Gesamtmenge des im Baugebiet abzuführenden Wassers ausgegangen werden. Hierzu gehört auch das aus den außerhalb des Baugebiets gelegenen Flächen herrührende Niederschlagswasser, dass angesichts der örtlichen Gegebenheiten zwangsläufig auf das Baugebiet zufließt, sich mit dem dort anfallenden Oberflächenwasser untrennbar vermischt und daher insgesamt so zu beseitigen ist, dass die Bewohner des Baugebiets mit ihrem Eigentum keinen Schaden nehmen (BGH, Urteil vom 18.02.1999 – III ZR 272/96, juris Rn. 16).
18cc) Diese verletzte Amtspflicht bestand gegenüber dem Kläger.
19Denn die Pflicht zur Abwehr von Hochwassergefahren ist mit Rücksicht auf die konkrete Gefährdung von Leben, Gesundheit, Eigentum und sonstigen Rechten und Rechtsgüter einzelner Bürger auch als drittgerichtet anzusehen (BGH, Urteil vom 05.06.2008 – III ZR 137/07, juris Rn. 9).
20b) Der unterbliebene Einbau eines fachgerechten Einlaufgitters ist auch für den vom Kläger geltend gemachten Schaden in Gestalt einer Überschwemmung seines Grundstücks kausal geworden.
21Insoweit kommt es maßgeblich darauf an, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie sich in diesem Fall die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde (BGH, Urteil vom 14.06.2016 – III ZR 265/15, juris Rn. 29 m. w. N.), wobei die Darlegungs- und Beweislast dem Kläger als Anspruchsteller obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2004 – III ZR 154/03, juris Rn. 9). Besteht die Amtspflichtverletzung – wie hier – in einem Unterlassen, nämlich dem unterbliebenen Einbau eines den allgemein anerkannten Regeln der Technik genügenden Einlaufgitters, kommt dem Geschädigten § 287 ZPO nicht zugute; eine Kausalität liegt nur dann vor, wenn der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.1994 – III ZR 109/92, juris Rn. 33; Senatsurteil vom 29.09.2021 – 11 U 54/16, juris Rn. 29; Senatsurteil vom 13.03.2013 – 11 U 198/10, juris Rn. 35; Senatsurteil vom 26.05.2010 – 11 U 129/08, juris Rn. 43).
22Der Senat geht nach der Beweisaufnahme davon aus, dass der unterbliebene Einbau eines fachgerechten Einlaufgitters zur Überschwemmung des klägerischen Grundstücks beigetragen hat. Der Seitengraben und die anschließende Rohrleitung waren zunächst so dimensioniert, dass sie – mit einem fachgerechten Einlaufgitter versehen – das gesamte Oberflächenwasser des streitgegenständlichen Regenereignisses hätten abführen können. Tatsächlich kam es als Folge der Verlegung des unzureichend gestalteten Einlaufgitters zu einem Übertreten von Oberflächenwasser aus dem Seitengraben, welches wiederum auf das klägerische Grundstück gelangte. Hiervon ist aufgrund der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme auszugehen.
23Maßgeblich sind insoweit die vom Kläger am Tag nach dem Regenereignis gefertigten Lichtbilder, die den Zustand nach dem Regenereignis dokumentieren, was auch der Vertreter der Beklagten im Senatstermin bestätigt hat, sowie die Erläuterungen des Sachverständigen, der zudem im Rahmen der Gutachtenerstattung selbst vor Ort war und daher die örtlichen Verhältnisse sicher beurteilen kann.
24Bereits aufgrund der vom Kläger gefertigten Lichtbilder, von denen ein Teil im Anhang 2 des Gutachtens des Sachverständigen abgedruckt ist, ist davon auszugehen, dass Wasser aus dem Seitengraben herausgetreten und anschließend über den Wirtschaftsweg, den alten Friedhof und den auf derselben Grünfläche befindlichen Spielplatz in die Hofeinfahrt des Klägers gelangt ist. Insbesondere auf dem Lichtbild Nr. 3 im Anhang 2 zum schriftlichen Gutachten ist der Einlaufbereich in die Rohrleitung zu sehen, wobei die Rohröffnung selbst nicht zu erkennen ist, da sich vor dieser Laub, Gräser und anderes Material befindet. Bereits dieses Lichtbild macht deutlich, dass eine (jedenfalls teilweise) Verlegung des Einlaufs in die Rohrleitung infolge des Regens erfolgt ist. Auch der Sachverständige hat bestätigt, dass es im Bereich des Einlaufs in die Rohrleitung eine Störung gegeben hat, auch wenn er nicht mit Bestimmtheit zu sagen vermochte, ob der Einlauf vollständig verlegt war und dies auch nicht auf dem vorgenannten Lichtbild zu erkennen ist. Für ein Heraustreten von Wasser aus dem Seitengraben und dessen Überlauf spricht ferner das Lichtbild Nr. 4 im Anhang 2 des Gutachtens, auf dem das unterhalb des Einlaufs in die Rohrleitung an den Wirtschaftsweg grenzende Grundstück des Zeugen B zu erkennen ist. Der in dessen Vorgarten ausgebrachte Rindenmulch ist im an den Wirtschaftsweg grenzenden Bereich teilweise nicht mehr vorhanden; stattdessen ist die darunter verlegte Folie auf dem Bild deutlich zu erkennen. Insoweit haben der Kläger und der Sachverständige im Senatstermin angegeben, dass der Rindenmulch teilweise weggespült worden sei. Auch dies spricht dafür, dass Wasser aufgrund der jedenfalls teilweise verlegten Rohrleitung aus dem Seitengraben hinausgetreten und sodann über den Wirtschaftsweg Richtung Friedhof und Spielplatz geflossen ist und hierbei auch einen Teil des Rindenmulchs weggespült hat.
25Der Senat ist schließlich davon überzeugt, dass nicht allein vom Einzugsgebiet A 2 stammendes Oberflächenwasser in die Hofeinfahrt des klägerischen Grundstücks gelangt ist, sondern gerade auch solches vom Einzugsgebiet A 1. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar erläutert, das Oberflächenwasser von beiden Einzugsgebieten über die Grünfläche bzw. die Straße geflossen ist und sich am tiefsten Geländepunkt in der klägerischen Hofeinfahrt gesammelt hat. Der Sachverständige hat ferner dargelegt, das Oberflächenwasser, welches über die Straße geflossen sei, auch nicht durch dort vorhandene Gullys aufgenommen worden ist, da dies aufgrund der Menge des Niederschlags unmöglich war.
26Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass vom Einzugsgebiet A 1 stammendes Oberflächenwasser für den beim Kläger entstandenen Schaden jedenfalls mitursächlich ist. Diese Mitursächlichkeit genügt für die Annahme einer haftungsbegründenden Kausalität. Denn im Sinne der Kausalitätslehre sind alle im Bereich adäquater Kausalität und des Schutzbereichs der Norm liegenden Bedingungen gleichwertig, weshalb ein Schädiger der Schadenszurechnung nicht entgegenhalten kann, dass außer der von ihm gesetzten Ursache noch andere, außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegende Gründe, zum Schaden geführt haben, gleich, ob jede Ursache für sich allein oder nur einige oder alle gemeinsam den Schaden herbeigeführt haben. Im Kausalbereich findet auch keine wertende Abwägung von Verursachungsanteilen statt (BGH, Urteil vom 10.05.1990 – IX ZR 113/89, juris Rn. 22).
27c) Es steht nicht fest, dass der Schaden auch bei Einbau eines fachgerechten Einlaufgitters durch die Beklagte eingetreten wäre.
28Mit ihrem diesbezüglichen Einwand, der Schaden beim Kläger wäre auch eingetreten, wenn man eine vermeintliche Pflichtverletzung der Beklagten im Hinblick auf die Beschaffenheit des Einlaufgitters hinwegdenke (Einwand des hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten), dringt die Beklagte nicht durch. Dieser Einwand betrifft die Frage, ob die auf der Pflichtverletzung beruhende Folge dem Schädiger billigerweise auch zugerechnet werden kann (BGH, Urteil vom 07.02.2012 – VI ZR 63/11, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 17.10.2002 – IX ZR 3/01, juris Rn. 12). Die Beweislast dafür, dass der Schaden auf jeden Fall eingetreten wäre, trifft dabei den Schädiger (BGH, Urteil vom 25.11.1992 – VIII ZR 170/91, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 26.06.1990 – X ZR 19/89, juris Rn. 23). Diesen Beweis hat die Beklagte nicht zu führen vermocht. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 04.10.2021 vor dem Landgericht hat der Sachverständige zwar bekundet, die Verschlammung auf dem klägerischen Grundstück hätte auch ausschließlich aus dem Oberflächenwasser vom Einzugsgebiet A 2 stammen können. Auf entsprechendes Befragen im Senatstermin hat der Sachverständige indes erklärt, dies zwar für möglich zu halten, aber nicht sicher sagen zu können, dass dies der Fall gewesen wäre, so dass der der Beklagten obliegende Beweis zur Überzeugung des Senats nicht geführt ist.
29d) Die Haftung der Beklagten ist nicht durch höhere Gewalt ausgeschlossen.
30Ein solcher Ausschluss setzt voraus, dass das Schadensereignis mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Gemeinde einen ganz außergewöhnlichen Starkregen vorträgt; sie muss ferner darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass sie alle technisch möglichen und mit wirtschaftlich zumutbarem Aufwand realisierbaren Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat, um zu verhindern, dass infolge des Überstaus des Seitengrabens Nachbargrundstücke überschwemmt werden oder dass sich der Schaden auch bei derartigen Maßnahmen ereignet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2006 – III ZR 121/05, juris Rn. 8; Senatsurteil vom 29.09.2021 – 11 U 54/16, juris Rn. 32; Senatsurteil vom 23.07.2010 – 11 U 145/08, juris Rn. 28). Die Beklagte hat aber schon nicht vorgetragen, dass und aus welchem Grund es ihr nicht zumutbar gewesen sein soll, im Einlaufbereich der Rohrleitung ein den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechendes Überlaufgitter zu montieren, wie es der Sachverständige beschrieben hat. Auch steht nicht fest, dass es allein durch den Zufluss von Oberflächenwasser aus dem Einzugsgebiet A 2 bei dem Kläger zu demselben Schaden gekommen wäre.
31e) Die Verletzung der Amtspflicht erfolgte auch schuldhaft.
32Der Beklagten ist jedenfalls Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB vorzuwerfen. Bei Beachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt wäre der Beklagten bzw. ihren hiermit betrauten Mitarbeitern aufgefallen, dass die Ausführung des Einlaufgitters im Falle eines Starkregenereignisses zu einer Verlegung desselben führen musste und in der Folge Oberflächenwasser aus dem Graben nicht mehr in die Rohrleitung weitergeleitet, sondern aus dem Graben heraustreten und anschließend wild abfließen würde. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte über hinreichend qualifizierte Mitarbeiter verfügt, die zu einer entsprechenden Beurteilung in der Lage gewesen wären; jedenfalls aber hätte die Beklagte fachkundigen Rat in Anspruch nehmen müssen, um diesen Planungsfehler zu vermeiden (vgl. Senatsurteil vom 29.09.2021 – 11 U 54/16, juris Rn. 28; Senatsurteil vom 13.03.2013 – 11 U 198/10, juris Rn. 33).
33f) Der Kläger vermag auch nicht auf andere Weise im Sinne von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB Ersatz zu erlangen.
34Eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ist weder erkennbar noch von der Beklagten aufgezeigt.
35g) Der Kläger kann von der Beklagten Ersatz der Hälfte des von ihm geltend gemachten Nettobetrages, mithin 975,00 Euro, beanspruchen.
36Bei der Frage, ob durch eine Amtspflichtverletzung ein Vermögensschaden entstanden ist, handelt es sich im Rahmen von § 839 BGB um eine Beurteilung der haftungsausfüllenden Kausalität, bei der dem Geschädigten die Beweiserleichterungen von § 287 ZPO zugutekommen (BGH, Urteil vom 06.04.1995 – III ZR 183/94, juris Rn. 20)
37aa) Im Rahmen von § 287 ZPO schätzt der Senat den der Beklagten zuzurechnenden Schaden auf die Hälfte des dem Kläger insgesamt entstandenen Schadens.
38Nach Anhörung des Sachverständigen geht der Senat davon aus, dass für den dem Kläger entstandenen Schaden nicht allein das vom Einzugsgebiet A 1 auf das klägerische Grundstück gelangte Oberflächenwasser verantwortlich war, sondern daneben auch Oberflächenwasser vom Einzugsgebiet A 2, wobei der Senat den Anteil beider Ursachen am eingetretenen Schaden auf je 50 Prozent schätzt. Der Sachverständige hat im Senatstermin nachvollziehbar erläutert, dass trotz der unterschiedlichen Größe beider Einzugsgebiete von ihnen jeweils in etwa dieselbe Menge an Oberflächenwasser abgeflossen und auch in etwa zeitgleich im Bereich der Grünfläche mit dem alten Friedhof und dem Spielplatz angekommen ist. Das Mengenverhältnis des aus beiden Einzugsgebieten abgeflossenen Oberflächenwassers hat der Sachverständige mit etwa eins zu eins angegeben und erklärt, dass eine genauere Angabe nicht möglich sei. Der Senat schließt sich der Beurteilung des Sachverständigen an, die eine ausreichende Grundlage für die hier gemäß § 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung ist.
39bb) In der Höhe ist der vom Kläger geltend gemachte Betrag nicht zu beanstanden.
40Der Kläger hat einen inhaltlich plausiblen Kostenvoranschlag eines lokalen Handwerksbetriebs vorgelegt, der als Grundlage für eine Schätzung im Sinne von § 287 ZPO geeignet ist. Die darin in Ansatz gebrachten Arbeiten, Mengen und Einzelpreise erscheinen dem Senat angemessen. Insbesondere vermag der Senat nachzuvollziehen, dass die neuerliche Verlegung einer Folie zum Schutz vor Wurzeln und Unkraut zur Beseitigung des Schadens erforderlich ist. Dass eine derartige Folie zuvor vorhanden war, steht trotz des Bestreitens der Beklagten zur Überzeugung des Senats fest. Im Rahmen des Senatstermins wurden die vom Beklagten angefertigten und durch den Sachverständigen auf einer CD zur Akte gereichten Lichtbilder (Blatt 146 der Akte) in Augenschein genommen. Auf zwei Lichtbildern, welche die Hofeinfahrt des klägerischen Grundstücks nach dem Unwetter zeigen, sind Teile dieser Folie deutlich erkennbar. Der Senat geht weiter davon aus, dass diese Folie zu ersetzen ist. Denn bei lebensnaher Betrachtung ist der verunreinigte Kies auf einer Fläche von 120 m², wie sie aus dem Kostenvoranschlag hervorgeht, nicht von Hand, sondern durch einen Bagger aufzunehmen. Es liegt auf der Hand, dass hierbei die bereits vorhandene Folie beschädigt werden und ihren Zweck nicht mehr erfüllen würde. Es ist daher sachgerecht, die Folie im Rahmen der Wiederherstellung zu erneuern.
41cc) Ein Abzug neu für alt hat nicht zu erfolgen.
42Maßgebliche Voraussetzung für die Notwendigkeit eines solchen Abzugs ist, ob die neue bzw. reparierte Sache gerade für den Geschädigten einen höheren Wert hat (BGH, Urteil vom 25.10.1996 – V ZR 158/95, juris Rn. 9; Oetker, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 249 Rn. 349). Hieran fehlt es, wenn der ersetzte Gegenstand nicht zu einer messbaren Vermögensmehrung beim Geschädigten führt. Nach dieser Maßgabe kommt hier ein Abzug neu für alt nicht in Betracht. Nach den Angaben des Klägers im Senatstermin wurde die durch zufließendes Oberflächenwasser verschmutzte Hofeinfahrt, im Jahr 2006 oder 2007 hergestellt, sodass sich im Zeitpunkt des Regenereignisses am 15.10.2019 ein Alter von zumindest etwa zwölf Jahren ergibt. Allerdings stellt sich die Hofeinfahrt bzw. deren Belag lediglich als Teil des gesamten klägerischen Grundstücks dar. Zwar mögen eine lose aufliegende Wurzelschutzfolie und der darauf befindliche Kies kein wesentlicher Bestandteil des klägerischen Grundstücks im Sinne von § 94 Abs. 1 S. 1 BGB sein. Im Rahmen einer schadensrechtlichen Betrachtung ist jedoch das klägerische Grundstück als Gesamtheit zu sehen, sodass ein Abzug neu für alt nur in Betracht kommt, sofern die Erneuerung der Hoffläche bzw. des Belags auch zu einer messbaren Wertsteigerung des klägerischen Grundstücks insgesamt führt. Inwieweit eine Erneuerung von Wurzelschutzfolie und Kiesbelag zu einer messbaren Vermögensmehrung im Hinblick auf das Hausgrundstück des Klägers führen sollte, ist indes nicht erkennbar und auch von der Beklagten nicht dargetan. Insbesondere erhöht eine Erneuerung der Hofeinfahrt nicht die Nutzungsdauer des aufstehenden Hauses.
432. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 S. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB.
44Entgegen dem Klageantrag kann der Kläger Zinsen erst seit Rechtshängigkeit beanspruchen, mithin unter Beachtung des Rechtsgedankens von § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf die Zustellung der Klageschrift am 24.01.2020 folgenden Tag. Ein weitergehender Zinsanspruch ist vom Kläger nicht schlüssig dargetan.
45III.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 ZPO.
47Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
48Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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