Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 101/13
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 17.07.2013 – 25 O 379/10 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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G r ü n d e
2I.
3Die am xx.xx.1949 geborene Klägerin, von Beruf Lehrerin, befand sich seit 1980 bei dem Beklagten in gynäkologischer Behandlung. Im Jahr 1997 äußerte sie gegenüber dem Beklagten erstmals ihre Angst vor einer Krebserkrankung, nachdem viele ihrer Lehrerkolleginnen an Brustkrebs erkrankt waren. Eine daraufhin durch den Beklagten veranlasste Mammographie ergab keinen auffälligen Befund. Im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung im Jahr 1998 fiel dem Beklagten erstmals beim Abtasten der Brust ein etwa erbsengroßer Knoten in der linken Axilla der Klägerin auf, den er als entzündeten Lymphknoten einordnete. Für die folgenden Untersuchungen am 17.08.1998, 11.05.1999 und 24.03.2000 notierte der Beklagte in der Patientenkarte den gleichen Tastbefund. Im August 2000 sowie im September 2005 durchgeführte Mammographien zeigten keine Auffälligkeiten. Am 02.08.2007 stellte der Beklagte einen circa 1,5 cm großen, derb verschieblichen Knoten fest, den er laut Eintrag in der Patientenkarte in der linken Axilla verortete. Eine noch am selben Tag durchgeführte Mammographie ergab laut Befundbericht der Gemeinschaftpraxis Radiologie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin in L vom 03.08.2007 ein haselnussgroßes Karzinom in der vorderen Axillarfalte links sowie zwei in der Axilla hinter dem Karzinom befindliche, kleine rundliche Verdichtungen, die als Lymphknoten eingestuft wurden. Die Klägerin stellte sich am 06.08.2007 in der Uniklinik L2 vor. Die dort durchgeführte klinische Untersuchung ergab einen auffälligen Tastbefund im Bereich der vorderen Axillarlinie, die daraufhin vorgenommene Stanzbiopsie ein invasiv-duktales Mammakarzinom des gradings G 2 bis G 3. Die Klägerin wurde brusterhaltend operiert. Laut Operationsbericht vom 10.08.2007 wurden Lymphknoten bis Bohnengröße entdeckt und zwei Sentinel-Lymphknoten entfernt, die sich als tumorfrei herausstellten. Im Anschluss an die Operation erfolgten eine adjuvante Chemotherapie, eine Strahlentherapie und eine Hormonbehandlung.
4Die Klägerin hat behauptet, der erstmals im Jahr 1998 festgestellte Tastbefund in der linken Axilla sei identisch mit dem im Jahr 2007 festgestellten Mammakarzinom gewesen. Dies habe der Beklagte aufgrund falscher Diagnose und unzureichender Befunderhebung verkannt. Durch die zeitlich verzögerte Diagnose und Therapie seien ihre Heilungschancen verschlechtert worden.
5Die Klägerin hat beantragt,
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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie aus der fehlerhaften Behandlung ab 1997 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Betrag in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz – mindestens verzinslich mit 8 % Zinsen - seit dem 16.06.2009;
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2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 28.794,26 EUR zu zahlen, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz - mindestens verzinslich mit 8 % Zinsen- seit dem 16.06.2009;
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3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche künftige immateriellen und alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung seit 1997 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Der Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er hat behauptet, das im Jahr 2007 festgestellte Karzinom in der linken Axillarlinie sei nicht identisch mit dem erstmals 1998 festgestellten Befund in der linken Axilla. Die Befunderhebung sei ausreichend erfolgt.
15Wegen der Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Parteien und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 228 ff d. A.) Bezug genommen.
16Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. O vom 15.09.2011, schriftlich ergänzt durch Gutachten vom 24.04.2012, und durch mündliche Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 30.01.2013. Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin sei der Nachweis eines Behandlungsfehlers nicht gelungen. Die Beweisaufnahme habe nicht bestätigt, dass der im Jahr 1998 in der linken Axilla erhobene Tastbefund mit dem im Jahr 2007 diagnostizierten Tumor identisch gewesen sei. Der Sachverständige habe vielmehr festgestellt, dass sich das Mammakarzinom nicht in der linken Axilla, sondern in der vorderen Axillarlinie befunden habe. Die von der Klägerin beigebrachten Privatgutachten stünden dem Beweisergebnis nicht entgegen, denn diese hätten sich mit der Frage der Identität zwischen dem im Jahr 1998 getasteten Lymphknoten und dem im Jahr 2007 diagnostizierten Karzinom nicht auseinander gesetzt. Aufgrund des nicht erbrachten Beweises der Identität der beiden Befunde könne nicht angenommen werden, dass eine frühere Biopsie oder Entfernung des Knotens in der Axilla die Entwicklung des Karzinoms in der Axillarlinie hätte verhindern können. Auch sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, den Hinweis auf einen abklärungsbedürftigen Befund in der linken Axilla in die Überweisung zur Mammographie aufzunehmen, da nach Ausführungen des Sachverständigen jede Mammographie nach geltendem europäischen Standard durchgeführt werde und somit automatisch die vordere Axillarlinie sowie die Axilla mit erfasst würden. Auf die Einhaltung dieses Standards habe sich der Beklagte verlassen dürfen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsbegründung wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
18Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Das Gutachten des Gerichtssachverständigen sei eindeutig arztfreundlich orientiert und umgehe die entscheidenden Fragen zur fachgerechten Befunderhebung und Diagnosestellung. Darüber hinaus stehe es im Widerspruch zu den Privatgutachten von Dr. E und Prof. I sowie zu dem Bescheid der Gutachterkommission. Das Landgericht habe ein Obergutachten einholen sowie die Zeugin H vernehmen müssen. Der Beklagte habe Behandlungsfehler begangen, indem er bei den Überweisungen zur Mammographie nicht auf den zu untersuchenden Befund hingewiesen habe und indem er falsche Tumormarker eingesetzt habe. Die Theorie eines zweiten Knotens habe der Sachverständige aufgrund nicht aussagekräftiger Sonographie-Abbildungen entwickelt. Die Klägerin ist der Auffassung, es läge ein grober Behandlungsfehler vor, der zu einer Beweislastumkehr führe.
19Die Klägerin beantragt,
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1. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie aus der fehlerhaften Behandlung ab 1997 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Betrag in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 50.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem seit dem 18.06.2009;
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2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 28.794,26 EUR zu zahlen, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2009;
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3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche immateriellen und alle weiteren künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung seit 1997 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
Hilfsweise beantragt sie,
27die Klage zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.
28Der Beklagte beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
32Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin H und durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. O. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28.05.2014 (Bl. 215 ff d.A.) Bezug genommen.
33II.
34Die Berufung ist unbegründet.
35Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgelds und auf Ersatz materieller Schäden, denn sie hat schadensursächliche Behandlungsfehler des Beklagten nicht bewiesen.
361.) Eine Haftung des Beklagten kommt nicht unter dem Gesichtspunkt des Diagnosefehlers in Betracht, weil der Beklagte den bereits im Jahr 1998 erhobenen Tastbefund als unauffälligen Lymphknoten und nicht als Tumor bewertet hat.
37Es steht nicht fest, dass der im Jahr 2007 diagnostizierte Tumor in der Brust mit dem bereits im Jahr 1998 erhobenen und als Lymphknoten eingeordneten Tastbefund identisch war. Nach den überzeugenden Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof Dr. O, von dessen Sachkunde sich der Senat im Rahmen der Anhörung am 28.05.2013 überzeugen konnte, spricht vielmehr einiges dafür, dass der erstmals im Jahr 1998 festgestellte, erbsengroße Knoten in der linken Brust und das im Jahr 2007 diagnostizierte Mammakarzinom unterschiedliche Befunde darstellten. Der Sachverständige hat bereits in erster Instanz darauf hingewiesen, dass sich der bereits im Jahr 1998 getastete Knoten nach der Dokumentation des Beklagten in der linken Axilla befand, während das im Jahr 2007 festgestellte Karzinom in der vorderen Axilliarfalte lokalisiert wurde und aufgrund dieser unterschiedlichen Lage von zwei unterschiedlichen Befunde auszugehen ist. Diese Einschätzung hat der Sachverständige während seiner Anhörung vor dem Senat am 28.05.2014 wiederholt.
38Die Einschätzung des Sachverständigen beruht auf einer sorgfältigen Auswertung der Behandlungsunterlagen, insbesondere auf den Patientenkarteikarten des Beklagten, dem Bericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis in L vom 03.08.2007, dem Schreiben der Uniklinik L2 vom 07.08.2007 sowie auf dem Operationsbericht der Uniklinik L2 vom 10.08.2007. Sowohl der radiologische Befund als auch der in der Uniklinik L2 erhobene Befund beschreiben die Lage des Karzinoms in der vorderen Axiliarlinie links und nicht – wie vom Beklagten für die Jahre zuvor dokumentiert - in der linken Axilla. Hinzu kommt, dass sowohl nach dem radiologischen Befundbericht vom 03.08.2007 als auch nach dem Operationsbericht der Uniklinik L2 vom 10.08.2007 in unmittelbarer Nähe zum Karzinom zwei Lymphknoten vorhanden waren. Dies legt ebenfalls das Vorliegen von zwei unterschiedlichen Befunden nahe.
39Auch nach Anhörung der Klägerin und Vernehmung der Zeugin H ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Lage des seit dem Jahr 1998 wiederholt getasteten Knotens und des im Jahr 2007 festgestellten Karzinoms identisch war. Sowohl die Klägerin als auch die Zeugin H haben die Stelle, an der sie in den Jahren vor der Krebsdiagnose einen Knoten getastet hatten, am lateralen Rand des musculus pectoralis, jedoch im innenliegenden (dorsalen) Bereich, wenn auch dort etwas abweichend voneinander, gezeigt. Diese von der Klägerin und der Zeugin H gezeigten Bereiche liegen nach Erläuterung des Sachverständigen hinter der Kante des musculus pectoralis. Dort befindet sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen aber grundsätzlich kein Brustdrüsengewebe, so dass sich an dieser Stelle auch kein Mammakarzinom hätte entwickeln können. In dem von der Klägerin und der Zeugin gezeigten Bereich können – so der Sachverständige - nur Lymphknoten liegen. Soweit in dem Mammographie-Befund vom 03.08.2007 von versprengtem Brustdrüsengewebe die Rede sei, könne damit nur Gewebe gemeint sein, welches sich auf dem musculus pectoralis befunden habe und zwar auf der vorderen Axilliarlinie. Hinter der Kante des musculus pectoralis könnten sich kein versprengtes Brustdrüsengewebe, sondern lediglich Lymphknoten befinden.
40Gegen die Annahme, dass sich der erstmals im Jahr 1998 entdeckte Lymphknoten zu dem im Jahr 2007 diagnostizierten Karzinom entwickelte, spricht auch der Umstand, dass der Knoten zunächst kaum gewachsen ist und erst nach einigen Jahren stark an Größe zugenommen hat (1998: erbensgroß, 2006: 1 cm; 2007: 1,5 cm). Es ist aber nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. O nicht vorstellbar, dass ein Karzinom mit dem Grading G 2 bis G 3, wie es bei der Klägerin vorlag, über einen sehr langen Zeitraum von etwa acht Jahren praktisch unverändert bleibt und danach in ein radikales Wachstum übergeht.
41Der unter dem 02.08.2007 erfolgte Eintrag des Beklagten in der Patientenkarteikarte („Knoten li Axi“) belegt keine identische Lage des seit dem Jahr 1998 durch den Beklagten erhobenen Tastbefundes und des im Jahr 2007 diagnostizierten Karzinoms. Der Beklagte hat vor dem Senat angegeben, der auffällige Befund im August 2007 sei nicht in der Achselhöhle, sondern etwas weiter zur Brust hin im Bereich der vorderen axillaren Linie gewesen. Die Dokumentation „linke Axilla“ sei insoweit sicherlich ungenau gewesen, was er sich heute nicht mehr erklären könne. Die ungenaue Beschreibung des Befundortes mag der in Patientenkarteikarten nicht selten anzutreffenden Kürze der Eintragungen geschuldet sein, beweist jedenfalls unter Berücksichtigung der eindeutigen Lagebeschreibung des Karzinoms durch die radiologische Gemeinschaftspraxis und der Uniklinik eine Identität der Befunde nicht.
42Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. O überzeugen den Senat. Sie beruhen auf einer sorgfältigen Auswertung der Behandlungsunterlagen und sprechen von einer besonderen Sachkunde. Der Sachverständige wird auch nicht durch die von der Klägerin beigebrachten Privatgutachten von Dr. E und Prof. Dr. Dr. I und der Stellungnahme der Gutachterkommission widerlegt. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, hat das Landgericht ausgeführt, dass sich sowohl die Gutachterkommission als auch die Privatgutachter Dr. E und Prof. Dr. Dr. I mit der hier streitentscheidenden Frage einer Identität des erstmals im Jahr 1998 durch den Beklagten erhobenen Befundes eines entzündeten Lymphknotens und des im Jahr 2007 diagnostizierten Karzinoms nicht hinreichend auseinandergesetzt haben. Nicht aufgeklärte Widersprüche zwischen dem Gerichtsgutachten und den Privatgutachten bestehen in Bezug auf die Frage der Identität der Befunde nicht. Die Einholung eines Obergutachtens war nicht veranlasst.
432.) Dem Beklagten kann auch nicht die Verletzung von Befunderhebungspflichten vorgeworfen werden. Der Sachverständige Prof. Dr. O hat die Vorgehensweise des Beklagten insgesamt als sachgerecht bezeichnet. Die gebotene Reihenfolge bei einer Vorsorgeuntersuchung sei das Abtasten der Brust, die Verlaufsbeobachtung, Ultraschall und dann gegebenenfalls die Mammographie. Der Beklagte habe im Verlaufe der Jahre regelmäßig getastet, Sonographien angefertigt und zwischen 1997 und 2007 insgesamt vier Mammographien veranlasst. Die erste Mammographie vor Feststellung des Knotens im Jahr 1997 habe keinen pathologischen Befund ergeben. Auch die durch den Beklagten nach Entdeckung und nach wiederholtem Ertasten des in Größe und Konsistenz unveränderten Knotens veranlassten Kontroll-Mammographien in den Jahren 2000 und 2005 hätten keinen auffälligen Befund ergeben. Dem Beklagten könnte dabei selbst dann kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden, wenn – was nicht feststeht – die radiologischen Bilder den hier interessierenden Bereich nicht abgedeckt hätten. Denn dies hätte dem Beklagten, der nach Ausführung des Sachverständigen Prof. Dr. O lediglich den Befund des Radiologen und nicht die dazu gehörigen Bilder erhalten habe, nicht auffallen können.
443.) Mit zutreffenden Erwägungen hat die Kammer in diesem Zusammenhang eine Pflicht des Beklagten verneint, die Radiologen auf den abzuklärenden Befund in der linken Axilla hinzuweisen. Der Sachverständige Prof. Dr. O hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass eine Mammographie unabhängig von den Angaben des überweisenden Gynäkologen nach den European Guidelines durchzuführen ist. Danach solle immer auch der Pectorialsrand und somit die Region der vorderen Axiliarlinie bzw. der Axilla erfasst werden. Unabhängig von der Frage, ob die Radiologen die Mammographie überhaupt entgegen dieser Vorgaben durchgeführt haben, durfte der Beklagte jedenfalls auf die Einhaltung dieser Standards durch den Facharzt vertrauen (vgl. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Auflage, Rz. 272 ff). Der Beklagte durfte danach auch ohne Erteilung weiterer Hinweise auf den von ihm erhobenen Tastbefund in der linken Axilla im Rahmen der Überweisung an die Radiologen davon ausgehen, dass sowohl die Axilla als auch die vordere Axillarlinie von den Strahlengängen erfasst wurden. Selbst wenn man insoweit aber einen Behandlungsfehler unterstellte, hätte sich dieser jedenfalls nicht ursächlich ausgewirkt, denn es steht – wie ausgeführt - nicht fest, dass der seit dem Jahr 1998 wiederholt festgestellte Knoten und das später diagnostizierte Mammakarzinom identisch waren. Es kann daher auch nicht davon ausgegangen werden, dass auf einen Hinweis des Beklagten an die Radiologen ein auffälliger Befund zutage getreten wäre.
454.) Es stellt schließlich auch keinen Behandlungsfehler dar, dass der Beklagte den seit 1998 über 9 Jahre immer wieder ertasteten Lymphknoten nicht zur Sicherheit entfernen ließ. Der Sachverständige Prof. Dr. O hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass kein Anlass bestehe, einen klinisch und radiologisch unauffälligen Lymphknoten zu entfernen. Doch selbst wenn man davon ausginge, der Beklagten hätte bei einem sich jahrelang immer wieder zeigenden Tastbefund eine Entfernung und pathologische Untersuchung des Knotens vornehmen müssen, begründet dieses Unterlassen keine Haftung des Beklagten. Denn es steht jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass dabei ein auffälliger Befund im Sinne eines tumorbefallenen Lymphknotens zutage getreten wäre. Der Sachverständige hat dies aufgrund der unterschiedlichen Lage der Befunde und dem Umstand, dass die im Rahmen der Entfernung des Karzinoms entdeckten Lymphknoten unauffällig waren, ausgeschlossen.
465.) Soweit die Klägerin geltend macht, der Beklagte habe über Jahre Sonographie-Aufnahmen nachlässig erstellt, da auf den Bildern Angaben zur Lokalisierung des untersuchten Gewebes fehlten, kann sie – unabhängig von der Frage, ob der Vorwurf sachlich berechtigt ist - hieraus keine für sie günstige Rechtsfolge herleiten. Sollte die Klägerin behaupten wollen, der Beklagte habe die linke Axilla trotz des Tastbefundes nicht sonographiert, kann sie dies nicht beweisen. Eine Beweislastumkehr dergestalt, dass der Beklagte nachzuweisen hätte, dass er die linke Axilla sonographiert hat, besteht selbst bei unterstellt unzureichender Beschriftung der Aufnahmebilder nicht.
476.) Schließlich begründet der durch die Klägerin wiederholt vorgetragene Vorwurf, der Beklagte habe den Tumor am 02.08.2007 nicht erkannt und habe sie nicht in die Uniklinik überwiesen, dies sei vielmehr durch die Frauenärztin ihrer Schwester erfolgt, keine Haftung. Da die Klägerin wenige Tage später im Ergebnis erfolgreich operiert wurde, hat sich ein solches Unterlassen jedenfalls nicht schadensursächlich ausgewirkt.
487.) Gleichfalls ohne rechtliche Bedeutung ist der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe ihr eine „Phobie“ und damit eine unbegründete Angst unterstellt. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat glaubhaft dargelegt, dass er mit der in der Behandlungsdokumentation enthaltenen Bezeichnung „Carcinophobie“ lediglich die Angst der Klägerin vor Krebs habe festhalten wollen, was für ihn unter Berücksichtigung des ihm geschilderten Umstands, dass in der Schule mehrere Kolleginnen an Brustkrebs erkrankt waren, durchaus verständlich gewesen wäre. Davon ganz unabhängig begründet die Dokumentation einer Phobie für sich genommen jedoch auch keinen Behandlungsfehler, so dass die Klägerin hieraus eine Haftung des Beklagten nicht herleiten kann.
498.) Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
50Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
51Berufungsstreitwert: |
Klageantrag zu 1): 50.000,- EUR Klageantrag zu 2): 28.794,26 EUR Klageantrag zu 3): 15.000,- EUR Insgesamt: bis 95.000,- EUR |
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