Beschluss vom Oberlandesgericht Köln - 7 U 53/20
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Aachen (12 O 350/19) vom 25.02.2020 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Kläger.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert des gesamten Rechtsstreits wird auf 3.246,40 EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Beschluss ergeht gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.
3Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss vom 12.11.2020 Bezug genommen. Dort hat der Senat folgendes ausgeführt:
4"1.
5Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung ist die vom Kläger erhobene Feststellungsklage bereits unzulässig.
6a.
7Das für die Zulässigkeit der Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse fehlt in der Regel zum einen, wenn der Kläger sein Leistungsziel bereits genau benennen und deshalb auf Leistung oder Unterlassung klagen kann (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 256 Rn. 54). Das war vorliegend schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers in Bezug auf den von ihm zur Begründung eines möglichen Schadenseintritts in der Klageschrift angeführten merkantilen Mindertwert der Fall.
8Unabhängig von der Tatsache, dass Rechtsfolge eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen die Beklagte nur der Ersatz des negativen, nicht jedoch des positiven Interesses sein kann [vergleiche hierzu nachstehende Ausführungen unter c)] galt hinsichtlich eines vom Kläger dort behaupteten merkantilen Minderwerts, dass der Kläger diesen bereits ohne weiteres beziffern konnte. Der Kläger selbst hat einen merkantilen Minderwert von mindestens 10 % des Kaufpreises behauptet, der sich auch durch eine technisch einwandfreie Nachbesserung nicht beseitigen lasse (Bl. 205 GA). Der vom Kläger behauptete merkantile Minderwert unterläge auch keiner für den Kläger nicht absehbaren zukünftigen Entwicklung.
9Wegen des Vorrangs der grundsätzlich möglichen Leistungsklage reichte auch eine drohende Verjährung entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht zur Begründung des besonderen Feststellungsinteresses gemäß § 256 ZPO.
10Nachdem der Kläger ausweislich S.2 ff der Berufungsbegründung (Bl. 446 ff. GA) zudem zwischenzeitlich einen Vergleich mit dem von ihm gesondert im Verfahren LG Aachen, 7 O 244/19 auf Schadensersatz verklagten Hersteller geschlossen hat, besteht im Hinblick auf einen behaupteten Minderwert als Schaden ohnehin kein Feststellungsinteresse gegen die Beklagte mehr; ein solches wird vom Kläger auch nicht mehr zur Begründung der Zulässigkeit der Klage herangezogen (vgl. Bl. 447 GA).
11b.
12Der Kläger kann das besondere Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO auch nicht mit einem von ihm befürchteten Steuerschaden hinreichend darlegen.
13Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt der Erlaß eines Feststellungsurteils lediglich voraus, dass aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Ansprüche entstanden sind oder entstehen können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 1997 – VI ZR 184/96 –, Rn. 7, juris).
14Hinsichtlich des vom Kläger zur Begründung für ein Feststellungsinteresse angeführten Risikos eines zukünftigen Steuerschadens fehlt jedoch für die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung der Kraftfahrzeugsteuerfestsetzung zulasten des Klägers jeglicher Anhaltspunkt und nachvollziehbare Vortrag des Klägers, so dass die Behauptung aus der Luft gegriffen erscheint. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass Bemessungsgrundlage für die Kraftfahrzeugsteuer für Pkw mit erstmaliger Zulassung ab dem 01.07.2009 gemäß § 8 Nr. 1b) KraftStG die Kohlendioxidemission und der Hubraum, nicht aber der Stickoxidausstoß sind, um welchen es bei dem streitgegenständlichen Manipulationsvorwurf des Motors geht. In Anbetracht des seit Bekanntwerden des Dieselabgasskandals verstrichenen Zeitraums von mehr als 4 Jahren ist als sicher davon auszugehen, dass die zuständigen Finanzbehörden für den Fall, dass sie eine Nachbesteuerung in Erwägung ziehen würden, bereits entsprechende Schritte zulasten von Kraftfahrzeughaltern unternommen hätten. Hierfür fehlen jedoch jegliche Anhaltspunkte, obwohl in Anbetracht des großen medialen Interesses entsprechende Schritte der Finanzbehörden nach Auffassung des Senates umgehend Gegenstand der Presseberichterstattung oder Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen geworden wären. Soweit der Kläger zum Beleg für eine mögliche Nachforderung auf eine Berichterstattung in der A vom 24.11.2015 (Bl. 206 GA, Anl. K 20) verweist, lässt sich diesem unschwer entnehmen, dass sich der bereits fünf Jahre zurückliegende Artikel auf ein – neues – Ermittlungsverfahren wegen falscher Angaben zum Kohlendioxidausstoß bestimmter Fahrzeuge durch die Herstellerin bezog, mithin auf einen neuen strafrechtlichen Vorwurf und nicht im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf der Installation einer Manipulationssoftware stand. Ob bzw. dass gerade bezüglich des klägerischen Fahrzeugs ebenfalls falsche Angaben gemacht wurden, trägt der Kläger schon nicht vor; solches ist auch in keiner Weise ersichtlich.
15c.
16Ein Feststellungsinteresse des Klägers ergab sich auch nicht aus den ebenfalls lediglich pauschal behaupteten drohenden Schäden nach dem Aufspielen der von der Herstellerin ab KW 09/16 bereit gestellten Software-Updates. Das besondere rechtliche Interesse an dem Feststellen des Bestehens einer Schadensersatzverpflichtung kann nur mit solchen Schäden begründet werden, deren Ersatz auch zumindest mögliche Rechtsfolge der vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlage ist. Mögliche Schäden durch das Aufspielen eines Software-Updates wären aber nur in dem Falle ersatzfähig gewesen, wenn der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch darauf hätte, so gestellt zu werden, als ob der Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Der vom Kläger zur Begründung der Klage herangezogene unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch ist allerdings von vornherein grundsätzlich nur auf das sogenannte negative Interesse gerichtet. Der Geschädigte kann also nicht mehr verlangen, als er gehabt hätte, wenn die verletzte Norm ordnungsgemäß angewendet worden wäre (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 15. Teil. Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch, beck-online). Nach dem Vortrag des Klägers hätte die Beklagte durch abschreckendere Sanktionen die Installation der Manipulationssoftware verhindern müssen. In diesem Falle wäre keine Täuschung der die Typengenehmigung ausstellenden Stelle erfolgt, in der Folge aber auch keine Typgenehmigung erteilt worden. Das Fahrzeug wäre so nicht veräußerungsfähig gewesen. Der Kläger hätte mithin vor Vergleichsabschluss gegen die Beklagte allenfalls einen Anspruch darauf gehabt, so gestellt zu werden, als hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Hätte der Kläger jedoch den Vertrag über das von ihm erworbene Kraftfahrzeug nicht abgeschlossen, hätte er auch durch das Aufspielen eines Software-Updates keinen Schaden erleiden können. Hierdurch entstehende Schäden waren daher schon vom Grundsatz im Verhältnis zur Beklagten nicht, schon gar nicht nach Abschluss eines Vergleichs mit dem Hersteller, erstattungsfähig.
17d.
18Das Feststellungsinteresse ist vorliegend auch nicht ausnahmsweise deshalb zu bejahen, weil trotz möglicher Leistungsklage bereits das Feststellungsurteil zu einer endgültigen Streitbeilegung führt, weil die Person der Beklagten erwarten lässt, dass sie bereits auf das Feststellungsurteil hin leisten werde (vergleiche Greger in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 256 Rn. 8). Denn der für diese Rechtsprechung entscheidende Gesichtspunkt, dass eine erneute Inanspruchnahme der Gerichte zur Durchsetzung des Anspruchs ausgeschlossen werden kann, ist vorliegend nicht gegeben. Nach Auffassung des Senats steht es nicht zu erwarten, dass die Parteien in Anbetracht der von ihnen zu den streitigen Gesichtspunkten vertretenen völlig unterschiedlichen Rechtsstandpunkte - auch zur Höhe eines etwaigen Schadensersatzanspruchs - allein aufgrund eines stattgebenden Feststellungsurteils über die Höhe eines möglichen Schadensersatzanspruchs des Klägers abschließend Einigkeit erzielen würden.
192.
20Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob das für die Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse gegeben ist. Die Berufung des Klägers hat auch bereits deshalb keinen Erfolg, weil das Landgericht die Klage in der Sache mit zutreffender Begründung abgewiesen hat. Der Senat schließt sich insoweit der sorgfältigen und umfassenden Begründung des erstinstanzlichen Urteils an, auf die vorab zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird.
21Im Hinblick auf die dagegen erhobenen Einwendungen des Klägers in der Berufungsbegründung sind insoweit nur noch folgende Ergänzungen veranlasst:
22Insofern der Kläger Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte aus der Erteilung der Typgenehmigung gem. Art. 8 Abs.1 i.V.m. Art 12 der RL 46/2007 herleiten will, scheiden derartige Ansprüche bereits deshalb aus, weil die maßgebliche EG-Emissionstypgenehmigung für das streitgegenständliche Kraftfahrzeug AUDI B Avant nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten nicht vom Kraftfahrtbundesamt (KBA), sondern von der luxemburgischen Typgenehmigungsbehörde, der SNCH, erteilt wurde (Bl. 142 GA).
23Entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung liegen die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gegen die Beklagte aber unabhängig davon auch aus weiteren Erwägungen nicht vor.
24Voraussetzung eines solchen Schadensersatzanspruches ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), dass gegen eine Rechtsnorm verstoßen worden ist, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (vergleiche EuGH Urt. v. 05.03.1996 – C-46/93 u. C-48/93, Slg. 1996, I-1131 Rn. 51 = NJW 1996, 1267 – Brasserie du Pêcheur und Factortame; BeckOGK/Dörr, 1.10.2020, BGB § 839).
25Vorliegend fehlt es bereits an der Voraussetzung einer gerade auch den Kläger individualschützenden Rechtsnorm. Anders als der Kläger meint, dienen weder die von ihm herangezogenen Art. 8 i.V.m. Art. 12 der RL 46/2007 noch deren Art. 46 dem Schutz der von ihm in diesem Rechtsstreit angeführten individuellen Interessen. Die Richtlinie ist vielmehr dem Schutz der Güter der Allgemeinheit verpflichtet, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 3, 14, 17 und 23 der RL 2007/46 auch nach Auffassung des Senates hinreichend ergibt. Die zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union zielen insofern vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz vor unbefugter Benutzung (vergleiche BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 74, beck-online). Sofern der Kläger sich darauf beruft, dass auch die menschliche Gesundheit und die Sicherheit des Einzelnen ganz maßgebliche Gesichtspunkte seien, die von der Richtlinie 46/2007 hervorgehoben würden, verkennt er, dass eine behauptete Beeinträchtigung dieser Interessen nicht Gegenstand seiner Klage ist. Der Kläger verfolgt die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten vielmehr mit der Begründung, er habe einen merkantilen Minderwert bei der Veräußerung des Fahrzeugs, eine rückwirkende Änderung der Kraftfahrzeugsteuer zu seinen Lasten bzw. einen vorzeitigen Verschleiß des Fahrzeugs bzw. dessen Komponenten durch das Aufspielen eines Software-Updates zu befürchten. Dem Schutz dieser (Vermögens-) Interessen des Individuums dient die Richtlinie 46/2007 jedoch nicht (vgl. Senat, Hinweisbeschluss vom 11.11.2020, 7 U 86/20, Hinweisbeschlüsse vom 12.11.2020, 7 U 50/20 und 56/20, sämtlich n.n.v.; so auch OLG München, Beschluss vom 25.08.2020, 1 U 3827/20).
263.
27Die beabsichtigte Streitwertfestsetzung beruht auf § 48 GKG. Der Kläger macht zum einen ihm drohende Schäden wegen eines behaupteten merkantilen Minderwerts in Höhe von 10% des Kaufpreises geltend. Der merkantile Minderwert bemisst sich mithin nach dem Vortrag des Klägers auf 3.658,80 EUR.
28Die vom Kläger weitergehend behaupteten drohenden Steuerschäden aus einer rückwirkenden Neufestsetzung der Kfz-Steuer zu seinen Lasten schätzt der Senat auf maximal 80,00 EUR/Jahr (vgl. auch OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 13.08.2020, 6 U 4/20). Dem Kläger könnte jedoch insoweit nur ein Schadensersatzanspruch für den Zeitraum zustehen, in dem ihm ein Software-Update der Herstellerin noch nicht zur Verfügung stand. Der Zeitraum, in dem dem Kläger ein genehmigtes Software-Update möglich war, er sich jedoch eigenständig entschied, ein solches nicht durchzuführen, ist im Verhältnis zur Beklagten bei der Schadensbemessung nicht zu berücksichtigen. Vorliegend ist daher nur der Zeitraum zwischen Erwerb des Kfz im Jahr 2012 und der Zurverfügungstellung des Software-Updates im Jahr 2016 maßgeblich, mithin ein Zeitraum von maximal 5 Jahren. Es ist daher für den Streitwert im Wege der Schätzung ein behaupteter Steuerschaden von maximal 400,00 EUR zugrunde zu legen.
29Von dem sich ergebenden Gesamtbetrag in Höhe von 4.058,00 EUR ist noch ein Abschlag von 20% vorzunehmen, da der Kläger lediglich im Wege des Feststellungsantrags vorgeht (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 33.Aufl. 2020, § 3 Rn. 16.76). Es ergibt sich danach der Streitwert des Verfahrens in Höhe von 3.246,40 EUR."
30Eine Stellungnahme des Klägers ist hierzu nicht erfolgt, sodass zu einer weitergehenden Begründung kein Anlass besteht.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 544 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 544 Nichtzulassungsbeschwerde 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 256 Feststellungsklage 4x
- § 48 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x
- 12 O 350/19 1x (nicht zugeordnet)
- 7 O 244/19 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 184/96 1x (nicht zugeordnet)
- 12 der RL 46/20 2x (nicht zugeordnet)
- 23 der RL 2007/46 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 252/19 1x (nicht zugeordnet)
- 7 U 86/20 1x (nicht zugeordnet)
- 7 U 50/20 1x (nicht zugeordnet)
- 1 U 3827/20 1x (nicht zugeordnet)
- 6 U 4/20 1x (nicht zugeordnet)