Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ss 121/02

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts U. vom 23. Mai 2002 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts U. zurückverwiesen.

Gründe

 
I.
Das Amtsgericht U. hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je EUR 35 verurteilt, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und der Verwaltungsbehörde auferlegt, ihm vor Ablauf von fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte am 26.01.2002 gegen 3.05 Uhr mit seinem Kraftfahrzeug in L. am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen, obwohl er nicht mehr fahrtüchtig gewesen sei. Die ihm um 3.40 Uhr entnommene Blutprobe habe eine BAK von 1,81 Promille im Mittel ergeben, wohingegen die um 3,25 Uhr vorgenommene Atemalkoholmessung eine AAK von 0,64 mg/l aufgewiesen habe.
Hiergegen wendet sich das Rechtsmittel des Angeklagten, mit welchem er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet.
II.
Die Revision hat mit der Rüge der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrags Erfolg.
Der Verteidiger hat im Rahmen seines Schlussvortrags die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass die BAK des Angeklagten um 3.40 Uhr nicht (gemeint: weniger als) 1,81 %o betragen habe. Er bestritt damit die Zuverlässigkeit des Ergebnisses des in der Hauptverhandlung verlesenen Blutalkoholgutachtens und berief sich hierzu darauf, dass eine Atemalkoholmessung um 3.25 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 0,64 mg/l ergeben habe. Beide Ergebnisse seien miteinander unvereinbar.
Das Amtsgericht hat diesen Antrag im Urteil - unter Hinweis auf § 244 Abs. 4 S. 2 StPO - abgelehnt, weil das Gegenteil der Beweisbehauptung bereits durch das Blutalkoholgutachten bewiesen sei und - unter Heranziehung eigener Sachkunde - ein Widerspruch zwischen gemessener     Atemalkoholkonzentration und Blutalkoholkonzentration nicht bestehe.
Diese Behandlung des Beweisantrags begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Amtsgericht durfte ohne nähere Abklärung durch Nachfrage beim Antragsteller nicht davon ausgehen, dass der Verteidiger mit seinem Hinweis auf die Atemalkoholkonzentration den Beweiswert der Blutalkoholmessung generell zu Gunsten einer Atemalkoholmessung in Zweifel ziehen wollte. Das erschiene im Hinblick auf den Diskussionsstand zur Verlässlichkeit beider Messmethoden auch wenig sinnvoll. Es ist daher davon auszugehen, dass der Hinweis allein dazu dienen sollte, den Zweifel am Ergebnis des Blutalkoholgutachtens zu erklären, um nicht bloß eine ins Blaue hinein aufgestellte Vermutung zu äußern. Die Behauptung des Verteidigers, die im verlesenen Blutalkoholgutachten festgestellte Blutalkoholkonzentration könne nicht zutreffen, zielte somit in erster Linie darauf, die Unvereinbarkeit beider Messergebnisse unter Zugrundelegung der Umstände des Falles sachverständig belegen zu lassen und - gegebenenfalls - auf eine Überprüfung, ob das Blut, das dem Gutachten zugrunde lag, mit dem des Angeklagten identisch war oder ob bei der Blutprobenauswertung etwaige Fehler aufgetreten waren.
Die so zu verstehenden Beweisbehauptungen konnten mit der amts-gerichtlichen Begründung nicht abgelehnt werden. Zur Frage der Vereinbarkeit mit einer Atemalkoholmessung und zur Identität des untersuchten Blutes äußert sich das Blutalkoholgutachten nicht. Durch das Gutachten konnte das Gegenteil der Beweisbehauptung somit nicht erwiesen sein.
Die Vereinbarkeit der Ergebnisse der Blut- und Atemalkoholmessungen miteinander bedurfte sachverständiger Beurteilung. Ob die Sachkenntnis eines Gerichts zur Beurteilung einer Beweisfrage ausreicht, richtet sich grundsätzlich nach deren Schwierigkeit sowie der Art und dem Ausmaß der auf fremden Wissensgebiet beanspruchten Sachkunde (BGHSt 12, 18, 20; KG, Beschluss vom 29.01.1997, 1 Ss 304/96). Die Vereinbarkeit der Messergebnisse von Blut- und Atemalkohol bei Abweichungen von mehr als umgerechnet 0,4 Promille (vgl. Iffland DAR 2000, 9 ff.) beinhaltet schwierige medizinische Fragen, die im Regelfalle die Sachkunde eines Richters übersteigen und nur durch einen ausgebildeten Experten zutreffend beurteilt werden können. In einer solchen Situation kann das Gericht einen Beweisantrag nicht im Hinblick auf die eigene Sachkunde zurückweisen, ohne die Quellen seiner Erkenntnis näher mitzuteilen (BGH NStZ-RR 2001, 332; Meyer-Goßner, a.a.O., § 244 Rn. 73). Auch wenn eine direkte Konvertierbarkeit der Atemalkoholkonzentration in BAK-Werte nicht möglich ist (BGH NJW 2001, 1952 ff.; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, a.a.O., § 316 Rn 52 a), ergäbe sich bei einem Umrechnungsfaktor von 1:2100 (BGH a.a.O) aus der gemessenen Atemalkoholkonzentration von 0,64 mg/l ein umgerechneter BAK-Wert von 1,34 Promille, was im Hinblick auf den tatsächlich gemessenen BAK-Wert von 1,81 Promille eine signifikante und außerhalb der üblichen Bandbreite liegende Abweichung von mehr als 0,4 Promille ergäbe (vgl. Iffland DAR 2000, 9 ff.). Soweit das Amtsgericht zur Klärung dieser Differenz in den Urteilsgründen davon ausgeht, der Angeklagte habe sich zum Zeitpunkt der Blutabnahme noch in der Anflutungsphase befunden, erklärt dies den Widerspruch nicht hinlänglich. Zwar haben Untersuchungen (vgl. Bilzer/Hatz, BA 1998, 321 ff., 323, Abb. 1) ergeben, dass bei Probanden, bei denen der Alkohol auf dem Weg vom Magendarmtrakt bis zur Lunge und nach der Lungenpassage normal in das umliegende Gewebe diffundiert und sich danach verteilen kann, innerhalb eines Zeitintervalls von 60 bis 100 Minuten nach Trinkbeginn die Atemalkoholkonzentration durchaus unterhalb der Blutalkoholkonzentration liegen kann. Entsprechende Feststellungen zum Ablauf der Alkoholaufnahme des Angeklagten oder zu dessen persönlicher Disposition hat das Amtsgericht aber nicht getroffen, so dass eine verlässliche Beurteilung nicht möglich ist. Zudem erscheint die Annahme des Amtsgerichts, dass sich der Angeklagte während aller drei Messungen in der Anflutungsphase befand, nicht abgesichert. Aus dem Ansteigen der beiden festgestellten Atemalkoholwerte ergibt sich das nicht zweifelsfrei, weil zwischen beiden Werten das Maximum der Atemalkoholkurve und die zweite Messung somit bereits im abfallenden Bereich liegen kann. Ob für diesen Fall die Blutalkoholkonzentration noch erklärbar ist, bedurfte ebenfalls sachverständigen Beurteilung.
III.
Das Urteil war daher insgesamt aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts U., die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird, zurückzuverweisen.
10 
Der neue Tatrichter wird auch über die vom Angeklagten angestrebte Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis zu befinden haben, da der Senat nicht endgültig über die Rechtmäßigkeit der vom Amtsgericht angeordneten Maßregel entschieden hat (OLG Naumburg DAR 1999, 420.; BayObLG NZV 1993, 239 f.; OLG Koblenz OLGSt StPO, § 111a Nr. 3; OLG Schleswig SchlHA 1984, 99; Meyer-Goßner, a.a.O., § 111 a Rn. 11 und 12; vgl. hierzu auch jüngst: BVerfG NStZ-RR 2002, 377).
11 
Insoweit weist der Senat aber darauf hin, dass der zwischenzeitlich eingetretene Ablauf der vom Amtsgericht vorgesehenen Sperrfrist von fünf Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis einer erneuten Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis und damit auch einer Fortdauer der vorläufigen Entziehung nach § 111a StPO nicht entgegenstünde, wenn der Angeklagte weiterhin als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeuges anzusehen wäre (Senat DAR 2001, 469; Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage 2003, 69 a Rn. 9 a ; zum Ablauf der Sperrfrist während des Rechtsmittelverfahrens: OLG Düsseldorf NZV 1999, 389 f.; OLG Dresden OLG-Nl 1997, 71; KG, Beschluss vom 30.10.1998, 3 Ws 620/08; Meyer-Goßner, a.a.O., § 69 Rn. 17 a).
12 
Sollte sich in der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,5 Promille aufgewiesen hat, so spricht dies jedenfalls dann für eine erhebliche Alkoholgewöhnung, wenn er zum Zeitpunkt der Kontrolle keine deutlichen Ausfallerscheinungen aufwies (OLG Naumburg DAR 2001, 379 f.). Der Gesetzgeber geht überdies davon aus, dass ein Fahrer, der im Straßenverkehr ein Fahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr führt, erst wieder als zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet angesehen werden kann, wenn er durch ein medizinisch-psychologische Gutachten nachweist, dass er seinen Alkoholmissbrauch beendet hat und die Änderung seines Trinkverhaltens gefestigt ist (§ 13 Nr. 2 c FeV i.V.m. Anlage 4 FeV Ziffer 8 „Alkohol“). Diese gesetzgeberische Wertung kann bei der Beurteilung der Eignungsfrage nicht außer Betracht bleiben, wenn eine derart erhebliche Alkoholaufnahme im Raume steht, was auch der in § 69 a Abs. 4 Satz 2 StGB vorgesehenen Mindestsperrfrist Rechnung trägt. In solchen Fällen wird deshalb die Indizwirkung des § 69 Abs.2 Nr. 2 StGB auch nach Ablauf der ursprünglichen Sperrfrist fortdauern und Rechtswirkungen erzeugen können, wenn nicht die Feststellungen in der neuen Hauptverhandlung ergeben, dass der Eignungsmangel zwischenzeitlich entfallen ist, etwa weil der Angeklagte eine Beendigung oder wesentliche Veränderung seines Alkoholkonsums nachweist (OLG Naumburg a.a.O.), die Anlasstat besondere entlastende Umstände aufweist (Senat a.a.O.; OLG Düsseldorf StV 1991, 21 f.; Tröndle/Fischer, a.a.O., § 69 Rn. 10), eine sich auf seinen Alkholkonsum tatsächlich auswirkende Nachschulung vorgenommen wurde oder eine Fortdauer des Entziehung der Fahrerlaubnis wegen deren Dauer oder aus sonstigen Umständen als unverhältnismäßig anzusehen wäre.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen