Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 211/04

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts X. vom 19. Mai 2004 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

 
I.
Das Landgericht Y. verurteilte S... 10.04.2003 - rechtskräftig seit 09.09.2003 - wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten, weil er am 22.07.2002 die Nebenklägerin und ehemalige angehende Mitarbeiterin seines Friseursalons F. in die Wohnung seines Onkels in Y. gelockt und dort mit dieser gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen hatte. Ihre Überzeugung von der Täterschaft des Verurteilten stützte die Strafkammer dabei im wesentlichen auf die in der Hauptverhandlung erfolgte Aussage der Nebenklägerin F., die Bekundungen der Zeugin S. über die ihr gegenüber erfolgte Offenbarung der Geschädigten und auf von Zeugen beschriebene Verletzungsfolgen (Hämatome) der Vergewaltigung, wobei sie auch das Verhalten der Nebenklägerin nach der Tat, insbesondere deren Ablehnung der Arbeitsaufnahme im Betrieb des Verurteilten, sowie die Umstände der Anzeigenerstattung bzw. deren Rücknahme berücksichtigte.
Mit Verteidigerschriftsatz vom 21.01.2004 beantragte der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens. Diese begründete er damit, dass sich die Nebenklägerin am 18./19.11.2003 zu der Rechtsanwältin B. in U. begeben und gegenüber dieser unter Befreiung von ihrer Schweigepflicht und Übergabe einer schriftlichen Erklärung sinngemäß bekundet hatte, den Angeklagten in der Hauptverhandlung zu Unrecht der Vergewaltigung bezichtigt zu haben. Mit Beschluss vom 19.05.2004 verwarf das Landgericht X. den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig, da die mitgeteilten neuen Tatsachen und Beweismittel nicht zur Begründung der Freisprechung des Verurteilten geeignet seien. Hiergegen wendet sich dieser mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde.
Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Frau Rechtsanwältin B. eingeholt und diese dem Verteidiger zur Kenntnis gebracht. Dieser hat sich mit Schriftsatz vom 20.12.2004 geäußert. Danach geht der Senat unter Auswertung der vorliegenden Schriftstücke davon aus, dass die Zeugin F. nach Beauftragung der Rechtsanwältin und Übergabe der schriftlichen Erklärung die Bundesrepublik Deutschland mit unbekanntem Ziel verlassen hat und ihre ladungsfähige Anschrift nicht bekannt ist.
II.
Die gemäß § 372 Satz 1 StPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben. Das Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht X. hat den Wiederaufnahmeantrag zu Recht gemäß § 368 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen.
1. Nach § 359 Abs. 1 Nr. 5 StPO kann die Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens beantragt werden, wenn der Verurteilte neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die geeignet sind, für sich genommen oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen zu seinem Freispruch oder jedenfalls einer milderen Bestrafung oder einer anderen Entscheidung über eine Maßregel zu führen. Dabei genügt es nicht, dass die im Antrag genannten Tatsachen und Beweismittel neu sind, d.h. dem Gericht zum Zeitpunkt seiner Entscheidung noch nicht bekannt waren; hinzukommen muss vielmehr, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel auch geeignet sind, den Freispruch des Angeklagten oder doch seine mildere Bestrafung zu erreichen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl. 2004, § 359, Rn. 37).
Der Antragsteller muss diese Voraussetzungen in seinem Antragsvorbringen vorbringen. Eine erweiterte Darlegungspflicht trifft ihn vor allem dann, wenn er seinen Wiederaufnahmeantrag auf Beweismittel stützt, die ihm bereits zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bekannt gewesen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Wiederaufnahmeantrag auf den nunmehrigen Widerruf einer früheren Einlassung des Angeklagten oder der Aussage eines Belastungszeugen gestützt wird. In einem solchen Fall muss dargelegt werden, unter welchen Umständen und mit welcher Begründung die frühere Aussage für unrichtig erklärt wird (KG, Beschluss vom 12.02.2001, 3 Ws 82/01 m.w.N.; Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 49). Hierzu gehört auch die Anführung eines einleuchtenden Motivs für die behauptete Falschaussage und einer plausiblen, mit den nach Aktenlage erkennbaren Umständen zu vereinbarenden Begründung für die wahrheitswidrige Belastung (vgl. z.B. KG, Beschlüsse vom 05.11.2001, 5 Ws 651/01 und 31.01.2001, 3 Ws 514/00; dass. NJW 1992, 450; BVerfG NJW 1994, 510; BGH NJW 1977, 59; BGHR StPO § 359 neue Tatsachen 5; OLG Köln NStZ 1991, 96 ff.).
Auch ist das angerufene Gericht dabei nicht auf eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung beschränkt, sondern kann das im Antragsvorbringen benannte neue Beweismittel bereits im Zulässigkeitsverfahren auf seinen konkreten Beweiswert - nicht jedoch auf die inhaltliche Richtigkeit - hin überprüfen, soweit dies ohne förmliche Beweisaufnahme möglich ist (vgl. BGH NStZ 2000, 218; NJW 1977, 59; BGHSt 17, 303 f. BVerfG, NJW 1995, 2024 f.; StV 2003, S. 225 f.; Senat, Beschluss vom 08.12.2004, 1 Ws 351/04).
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Wiederaufnahmeantrag des Verurteilten vom 21.01.2004 unzulässig.
a. Die vorgetragenen Beweisumstände können schon aufgrund des ihnen zukommenden konkreten Beweiswertes das Urteil nicht erschüttern. Zwar handelt es sich bei dem vom Antragsteller mitgeteilten und im Schreiben vom 18.11.2003 enthaltenen Widerruf der früheren Zeugenaussage um eine i.S.d. § 359 Nr. 5 StGB neue Tatsache und bei Frau Rechtsanwältin B. um ein neues Beweismittel i.S. dieser Vorschrift. Bei der Prüfung des Beweiswerts dieser Umstände ist das Wiederaufnahmegericht jedoch nicht auf eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung beschränkt, sondern es hat den konkreten Beweiswert seiner Prüfung zugrunde zu legen, denn es kann nicht angehen, eine Beweiserhebung nach § 370 StPO durchzuführen, obwohl deren Durchführung nutzlos (BGH NJW 1977, 59) oder die begehrte Beweiserhebung offensichtlich unbegründet (OLG Düsseldorf VRS 88, 48 ff.) oder ersichtlich aus der Luft gegriffen erscheint (OLG Schleswig SchlHA 2000, 146).
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So liegt der Fall hier, denn den behaupteten Umständen fehlt eine ausreichende Beweiseignung.
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Die vorgetragene neue Tatsache des Widerrufs der Aussage der Nebenklägerin L. G. in der Hauptverhandlung kann vorliegend nämlich lediglich durch deren schriftliche Erklärung vom 18.11.2003 belegt werden. Für eine richterliche Vernehmung steht die Zeugin nicht zur Verfügung, ihr Aufenthalt ist unbekannt. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts der in der Erklärung vom 18.11.2003 mitgeteilten Umstände ist daher nicht möglich. Eine solche Klärung wäre vorliegend aber dringend geboten, zumal die Nebenklägerin schon nach der Anzeigenerstattung erheblich von Anverwandten des Angeklagten und ihrem eigenen Verlobten bedrängt worden war und deshalb ihre Anzeige aus „Angst“ bei der Polizei „zurückgenommen“ hatte. Ohne eine derartige unmittelbare Befragung der Zeugin lässt sich der Wahrheitsgehalt ihrer schriftlichen Erklärung deshalb nicht zureichend beurteilen. Steht aber das eigentliche Beweismittel für das Probationsverfahren nicht zur Verfügung, so kann einer hiervon lediglich abgeleiteten Beweistatsache - wie hier einer schriftlichen Erklärung - die konkrete Beweiseignung fehlen. Gleiches gilt für den Beweiswert der Aussage von Frau Rechtsanwältin B., da diese nur als mittelbares Beweismittel über die ihr gegenüber erfolgten Bekundungen der Nebenklägerin und nicht aus eigenem Erleben über das Tatgeschehen berichten könnte. Ob daneben der Erklärung vom 18.11.2003 - wie die Generalstaatsanwaltschaft X. in ihrer Stellungnahme vom 31.08.2004 meint - auch entnommen werden kann, dass die Nebenklägerin überhaupt nicht mehr für eine Aussage zur Verfügung stehen will, kann offen bleiben.
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b. Auch ist der Verurteilte seiner besonderen Darlegungspflicht nicht nachgekommen. Zwar erwähnt er in seiner Antragsschrift vom 21.01.2004, dass die Nebenklägerin bereits früher versucht habe, „ihre Falschbezichtigung des Verurteilten rückgängig“ zu machen, offen bleibt jedoch, aus welchem Grund die Nebenklägerin auch gegenüber anderen Zeugen ursprünglich „gelogen“ haben und nunmehr die „Wahrheit“ sagen sollte. So kann die vom Verurteilten angeführte „Angst vor Strafverfolgung“ zwar - wenn auch wegen der wirklichen „Anzeigenrücknahme“ bei der Polizei am 09.08.2002 wenig nachvollziehbar - einen Grund darstellen, warum die Nebenklägerin an ihrer ursprünglichen belastenden Aussage des Verurteilten bei ihrer gerichtlichen Vernehmung festgehalten haben will; unberücksichtigt lässt die Antragsschrift aber, warum sich die Nebenklägerin bei einer „erfundenen Vergewaltigung“ aber etwa am 30.07.2002 und damit vor der Anzeigenerstattung am 09.08.2002 gegenüber ihrer Cousine, der Zeugin S., offenbart haben sollte. Ein einleuchtendes und nachvollziehbares Motiv hierfür wird nicht dargetan.
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c. Auch unabhängig hiervon sind die neu angeführten Umstände nicht geeignet, aus Sicht der Strafkammer des Landgerichts Mannheim einen Freispruch der Verurteilten begründen zu können. Insoweit nimmt der Senat vollumfänglich auf die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräften sorgfältigen Gründe der angefochtene Entscheidung der Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 19.05.2004 sowie die ausführliche Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft X. vom 31.08.2004 Bezug.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO

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