Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 U 27/13

Tenor

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Vorher erhalten die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.

Gründe

 
I.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Haftpflichtversicherung. In diese Versicherung ist als mit versicherte Person einbezogen der am 27.12.1998 geborene C. T., der im Haushalt des Klägers lebt. Der Kläger verlangt im Rechtstreit von der Beklagten Versicherungsschutz im Hinblick auf Schadensersatzansprüche, die von Dritten gegenüber C. T. geltend gemacht werden.
Am 04.03.2011 hielt sich der damals 12-jährige C. T. zusammen mit seinem damals 11-jährigen Freund M. G. in einem Gartengelände in der Nähe von E. auf. In zwei Gartenhütten zündeten C. T. und sein Freund M. G. verschiedene Gegenstände an. Durch die brennenden Gegenstände wurden jeweils die Hütten in Brand gesetzt. Eine Gartenhütte brannte vollständig ab, die andere wurde erheblich beschädigt. Die jeweiligen Eigentümer der Hütten machten in der Folgezeit Schadensersatzansprüche gegen C. T. geltend. In einem Verfahren beim Landgericht Freiburg (6 O 392/11) einigte sich C. T. mit dem Geschädigten B. H. auf eine Abgeltung sämtlicher Schadensersatzansprüche gegen Zahlung eines Betrages von 2.500,00 EUR. Der andere Geschädigte, A. T., hat wegen seiner Hütte von C. T. außergerichtlich die Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 3.645,84 EUR verlangt.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 16.01.2013 entsprechend dem Antrag des Klägers festgestellt, dass die Beklagte dem mit dem Kläger in häuslicher Gemeinschaft lebenden C. T. Versicherungsschutz wegen der am 04.03.2011 an den Gartenhütten des B. H. und des A. T. entstandenen Schäden zu gewähren habe, und für alle hieraus resultierenden Schadensersatzansprüche Dritter sowie für die Kosten der Rechtsverteidigung. Außerdem hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 359,50 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Versicherungsschutz seien gegeben. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, Versicherungsschutz sei wegen vorsätzlichen Handelns von C. T. ausgeschlossen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei nicht nachgewiesen, dass C. T. und M. G. vorsätzlich gehandelt hätten.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie greift die Beweiswürdigung des Landgerichts an. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehe auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass C. T. gewusst und gewollt habe, dass die beiden Hütten in Brand gesetzt wurden. Daher sei die Beklagte nicht zur Leistung verpflichtet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten verwiesen.
II.
Nach Auffassung des Senats dürften die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO vorliegen. Die Einwendungen der Beklagten gegen die Entscheidung des Landgerichts dürften voraussichtlich keinen Erfolg haben. Auch aus anderen Gründen (§ 522 Abs. 2 Ziff. 2, 3, 4 ZPO) erscheint die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten.
1. Der Kläger ist als Versicherungsnehmer berechtigt, Versicherungsschutz für den mitversicherten C. T. geltend zu machen. Unstreitig besteht ein Versicherungsvertrag, in welchem sich die Beklagte verpflichtet hat, Versicherungsschutz für Schadensersatzansprüche Dritter gegen C. T. zu gewähren. Die Beklagte ist zu Leistungen verpflichtet, da nach der fahrlässigen Inbrandsetzung von zwei Gartenhütten durch C. T. Schadensersatzansprüche der Geschädigten B. H. und A. T. gegen C. T. bestehen. Möglicherweise kommen Ansprüche weiterer Dritter, die durch dasselbe Ereignis geschädigt sind, in Betracht. Zu Recht hat das Landgericht daher entsprechend dem Feststellungsantrag des Klägers erkannt.
Die Versicherung umfasst gemäß § 101 Abs. 1 VVG auch die Kosten des Rechtsschutzes, die C. T. durch die Abwehr von Ansprüchen Dritter entstanden sind oder noch entstehen. Hinsichtlich der bereits entstandenen Kosten von C. T. bei der Verteidigung gegen Ansprüche des Geschädigten B. H. (Landgericht Freiburg - 6 O 392/11 -) ist zwischen den Parteien außer Streit, dass die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten war (§ 101 Abs. 1 Satz 1 VVG). Soweit weitere Kosten bei der Verteidigung gegen Ansprüche des Geschädigten A. T. oder anderer Dritter entstehen, ist der Feststellungsausspruch des Landgerichts dahingehend zu verstehen, dass die Einstandspflicht der Beklagten von den Voraussetzungen gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 VVG (Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten) abhängt.
2. Die Beklagte kann sich nicht auf Leistungsfreiheit gemäß § 103 VVG (Herbeiführung des Versicherungsfalles) berufen. Nach dieser Vorschrift ist der Versicherer in der Haftpflichtversicherung nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der bei dem Dritten eingetretene Schaden vorsätzlich herbeigeführt wurde. Dabei schadet nicht nur der Vorsatz des Versicherungsnehmers, sondern auch der Vorsatz der versicherten Person (vgl. Prölss/Martin/Lücke, VVG, 28. Auflage 2010, § 103 VVG, RdNr. 2). Die Beklagte wäre mithin nicht zur Leistung verpflichtet, wenn C. T. die Brandschäden vorsätzlich verursacht hätte. Zutreffend hat das Landgericht jedoch festgestellt, dass sich ein vorsätzliches Handeln des versicherten Kindes nicht feststellen lässt. Die sorgfältige Beweisaufnahme des Landgerichts ist - auch unter Berücksichtigung der Einwendungen der Beklagten im Berufungsverfahren - nicht zu beanstanden.
a) Die Beweislast für ein vorsätzliches Handeln des Kindes liegt im Rahmen von § 103 VVG beim Versicherer. Der Vorsatz muss sich dabei nicht nur auf die unmittelbare Handlung (Inbrandsetzen bestimmter Gegenstände wie Pullover oder Pappbecher) beziehen, sondern auf den eingetretenen Schaden, also das Abbrennen von zwei Gartenhütten (vgl. zur Beweislast Prölss/Martin/Lücke, § 103 VVG, RdNr. 4 ff.). Es reicht nicht aus, wenn ein Vorsatz möglich erscheint. Entscheidend ist, dass ein Vorsatz jedenfalls, wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, nicht nachweisbar ist.
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b) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass keinerlei Anhaltspunkte dafür bestehen, dass C. T. und M. G. die beiden Hütten zielgerichtet abbrennen wollten. Vielmehr stand für die beiden Kinder im Vordergrund ein „Spiel mit Feuer“. Dies ergibt sich aus den verschiedenen „Versuchen“, welche die Kinder mit dem Anzünden von Grillanzündern, Pappbechern und einem Pullover angestellt haben. Allerdings weist die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass diese Vorstellungen einem vorsätzlichen Handeln von C. T. dann nicht entgegenstehen würden, wenn er gleichzeitig eine Inbrandsetzung der Hütten für möglich gehalten hätte, und diese Schadensfolge auch billigend in Kauf genommen hätte. Auch ein solcher bedingter Vorsatz ist jedoch nicht nachgewiesen.
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c) Widersprüche zwischen den Angaben des Zeugen M. G. bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht am 05.12.2012 einerseits und bei seiner polizeilichen Vernehmung am 08.03.2011 andererseits stehen der Beweiswürdigung nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, welche Bedeutung den Angaben des anderen Kindes bei seiner Aussage gegenüber der Polizei für die Feststellung des Sachverhalts letztlich zukommen kann. Denn auch aus den Angaben bei der polizeilichen Vernehmung des Kindes am 08.03.2011 lässt sich die Schlussfolgerung der Beklagten, nämlich eines vorsätzlichen Handelns beider Kinder, nicht herleiten.
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Es ist vor allem darauf hinzuweisen, dass der Zeuge M. G. auf die Frage des Polizeibeamten ausdrücklich gesagt hat, die Kinder hätten „aus Versehen beide Hütten abgebrannt“ (AS. 125 der Beiakte). Damit werden andere Angaben bei der Polizei, aus denen die Beklagte Indizien für ein vorsätzliches Handeln herleiten möchte, relativiert. Insbesondere lässt sich aus den Angaben des Zeugen M. G. bei der Polizei „Wir haben die Spraydose angezündet“ (Beiakte AS. 125) entgegen der Auffassung der Beklagten nichts herleiten. Das Landgericht ist - nachvollziehbar - davon ausgegangen, dass nicht etwa die Spraydose angezündet wurde, sondern dass während des Aufenthalts in der einen Gartenhütte beim Betätigen der Spraydose die austretenden Gase angezündet wurden. Wenn die Spraydose angezündet worden wäre - vorausgesetzt, dass dies gelungen wäre -, hätte sie im Zweifel in der Hand von C. T. bereits explodieren müssen. Dementsprechend hat das Landgericht zwar festgestellt, dass die Spraydose von C. T. in die Hütte geworfen wurde, aber nicht in brennendem Zustand.
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d) Die Beklagte hebt hervor, dass C. T. bei einer bestimmten Gelegenheit in der Vergangenheit einmal vor den Gefahren von Feuer gewarnt wurde, als er mit Streichhölzern gespielt hatte. Die Mutter habe ihm gesagt, „dass das alles kaputt gehen“ könne. Für einen möglichen Vorsatz von C. T. im vorliegenden Fall lässt sich daraus nichts herleiten. Denn es gehört zu den normalen Erfahrungen bei der Kindererziehung, dass Kinder nach einer elterlichen Warnung keineswegs in der Zukunft jederzeit diese Warnung in ihrem Bewusstsein haben.
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e) Aus dem Umstand, dass C. T. Benzin bei der Hütte des Geschädigten B. H. angezündet hat, ergibt sich kein zwingender Schluss auf einen Vorsatz. Zum einen wurde das Benzin außerhalb der Hütte angezündet und nicht innerhalb der Hütte. Die beiden Kinder haben sich zum anderen sowohl bei dem Umgang mit dem Benzin als auch beim Entzünden der Gase aus der Spraydose objektiv einer sehr hohen Eigengefährdung ausgesetzt. Dies spricht dafür, dass sich die Kinder der Eigengefährdung, d. h. der möglichen Folgen beim Anzünden von Benzin, nicht bewusst waren. Dies lässt es in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Landgerichts zumindest nicht fernliegend erscheinen, dass C. T. sich bei dem Geschehen auch nicht bewusst war, welche Folgen das Anzünden von Benzin vor der Hütte für eine eventuelle Inbrandsetzung der Hütte haben konnte.
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f) Die Beklagte weist in der Berufungsbegründung zutreffend darauf hin, dass C. T. und sein Freund vorsätzlich verschiedene Gegenstände angezündet bzw. angekohlt haben (Feueranzünder, Gase aus der Spraydose, Pullover, Pappbecher und Benzin). Aus einem Vorsatz bezüglich dieser einzelnen Gegenstände folgt jedoch aus den vom Landgericht ausgeführten Gründen kein Vorsatz im Hinblick auf ein Inbrandsetzen der beiden Gartenhütten.
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g) Zu Recht hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass aus grundsätzlichen Erwägungen Zurückhaltung geboten ist, wenn es um die Frage geht, welche Vorstellungen Kinder beim Umgang mit Feuer haben, und ob bezüglich eines bestimmten Geschehens Vorsatz anzunehmen ist. Ein vernünftiger erwachsener Mensch wird aus einem objektiv gefährlichen Geschehen vielfach den Schluss ziehen, dass die Realisierung einer bestimmten Gefahr (Inbrandsetzung der gesamten Hütte) möglich ist. Bei einem 12-jährigen Kind, das aus seiner Sicht mit dem Feuer „spielt“, sind solche Schlussfolgerungen hingegen in der Regel nicht ohne Weiteres möglich (ebenso in ähnlichen Fällen BGH, NJW 1983, 1739, 1740 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.12.2002 - 4 U 107/02 -, zitiert nach Juris). Entsprechendes gilt für einen Schluss auf einen bedingten Schädigungswillen (Billigendes Inkaufnehmen des Abbrennens der gesamten Gartenhütte). Auch ein solcher bedingter Wille eines Kindes ist beim „Spiel mit dem Feuer“ nicht ohne Weiteres anzunehmen. (Vgl. BGH a. a. O.; ebenso für den Willen eines Kindes, das durch das Betätigen eines Feuerlöschers einen erheblichen Verschmutzungsschaden auslöst OLG Koblenz, NJW-RR 2008, 45.) Gegen einen bedingten Schädigungswillen der Kinder spricht insbesondere der Umstand, dass sie bei der Hütte des Geschädigten B. H. einen erfolglosen Versuch unternommen haben, das Feuer zu löschen.
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3. Auch die geltend gemachten bezifferten vorgerichtlichen Anwaltskosten nebst Zinsen stehen dem Kläger zu (§ 280 BGB). Die entstandenen Anwaltskosten sind Folge des Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 08.07.2011 (I, 9), mit welchem sie ihre Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt hat.

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