Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 3 Rv 10 Ss 892/18

Gründe

 
I.
Mit Urteil vom 12.9.2018 sprach das Amtsgericht den Angeklagten vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis aus rechtlichen Gründen frei. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 4.4.2015 einen PKW auf öffentlichen Straßen in K. geführt habe und dabei nicht im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis gewesen sei. Er habe allerdings als französischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich am 23.3.2015 in Frankreich die praktische Prüfung für den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse B bestanden, worüber ihm eine Bescheinigung ausgestellt worden sei, die er bei der Fahrt bei sich getragen habe. Der französische Führerschein sei ihm am 30.4.2015 ausgestellt worden.
Damit sei zwar der Tatbestand des § 21 StVG erfüllt, ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehensweise dennoch nicht zulässig, weil ein solcher Schuldspruch im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig sei.
III.
Auf die zulässige (Sprung-)Revision (§ 335 Abs. 1 StPO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Freispruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Im rechtlichen Ausgangspunkt geht das Amtsgericht zwar zutreffend davon aus, dass der Angeklagte gemäß dem festgestellten Sachverhalt den objektiven Tatbestand das § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG erfüllt hat, unzutreffend ist jedoch die Annahme, dass eine strafrechtliche Verurteilung im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig sei.
1. Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis erfüllen dann den objektiven Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, wenn sie im Inland ein Kraftfahrzeug führen, ohne dass die Voraussetzungen des § 29 FeV vorliegenoder wenn diese Berechtigungen nach § 29 FeV nicht mehr gelten (vgl. BHHJ-Hühnermann, StVG, 25. Aufl., Rdn. 6 zu § 21). Gemäß § 29 Abs. 1 FeV dürfen Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Ausland im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 FeV gilt dies jedoch nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse, die lediglich im Besitz eines vorläufig ausgestellten Führerscheins sind.
Nach diesen Maßgaben hat der Angeklagte vorliegend den objektiven Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG erfüllt. Er hat als französischer Staatsangehöriger, der in Frankreich aufgrund der erteilten Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung in Frankreich (Certificat d´examen du permis de conduire) grundsätzlich zum Führen eines Kraftfahrzeugs berechtigt war, in der Bundesrepublik Deutschland ein Kraftfahrzeug geführt. Dabei handelt es sich bei der dem Angeklagten erteilten Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung lediglich um einen vorläufig ausgestellten Führerschein im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV, nachdem ihm diese lediglich zeitlich beschränkt für vier Monate als Legitimationspapier zur Teilnahme am Straßenverkehr in Frankreich diente (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., Rdn. 13 zu § 29 FeV).
2. Anders, als dies das Amtsgericht im angefochtenen Urteil vertreten hat, ist eine strafrechtliche Sanktionierung grundsätzlich auch nicht im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Gegenteil im Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des Amtsgerichts Kehl in anderer Sache bei vergleichbarer Sachlage explizit festgestellt, dass es nicht gegen europarechtliche Vorgaben, insbesondere nicht gegen Art. 21, 45, 49 und 56 AEUV verstößt, wenn einem Fahrzeugführer, der bei einer Fahrt in der Bundesrepublik Deutschland mit seinem PKW lediglich eine Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung in Frankreich vorweisen kann, eine Sanktion auferlegt wird. Bei der Bemessung der Sanktion sei zwar zu beachten, dass in dieser Konstellation der Unrechtsgehalt im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie 2006/126, zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beizutragen, erheblich geringer als der Unrechtsgehalt der Führung eines Fahrzeugs ohne jede Fahrerlaubnis erscheine und deshalb eine harte - straf- oder verwaltungsrechtliche - Sanktion wie eine Freiheitsstrafe oder eine hohe Geldstrafe die in Art. 21 AEUV gewährte Freizügigkeit oder die besonderen Grundfreiheiten der Art. 45, 49, 56 AEUV beeinträchtigen würde, die Auferlegung einer milden Sanktion wie einer Geldbuße in angemessener Höhe aber nicht unverhältnismäßig sei (vgl. EuGH [2. Kammer], Urt. v. 26.10.2017 - C-195/16 -, juris = DAR 2018, 435).
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Der EuGH hat - und dies in Abweichung des Antrags des Generalanwalts am EuGH, der der Auffassung war, dass Art. 18 und 21 AEUV einen Mitgliedstaat daran hindere, das Führen eines Kraftfahrzeugs in diesen Fällen als Straftat zu verfolgen, - mithin klargestellt, dass in der vorliegenden Fallkonstellation lediglich die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder einer hohen Geldstrafe mit den europarechtlichen Vorgaben unvereinbar, im Übrigen die Verhängung straf- oder verwaltungsrechtlicher Sanktionen aber europarechtskonform ist (so auch LG Offenburg, B. v. 27.3.2019 - 3 Qs 29/18). Die im zitierten Urteil des EuGH explizit für verhältnismäßig erachtete „Geldbuße in angemessener Höhe“ ist hingegen lediglich exemplarisch angeführt, selbst wenn man das Wort „Geldbuße“ im Sinne eines Bußgeldes gemäß dem Ordnungswidrigkeitengesetz zu verstehen hätte (so auch Dauer/König, DAR 2018, 459).
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Das materielle Strafrecht bietet auch genügend Möglichkeiten, keine Freiheitsstrafen und nicht hohe Geldstrafen bei einem Verstoß gegen § 21 StVG zu verhängen. So besteht die Möglichkeit, eine Geldstrafe in Höhe (von nicht wesentlich mehr als) der Mindestanzahl an Tagessätzen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 StGB festzusetzen oder unter bestimmten weiteren Voraussetzungen eine Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 StGB auszusprechen, bei der es gemäß § 59b Abs. 2 StGB im Falle erfolgreicher Bewährung bei der bloßen Verwarnung sein Bewenden haben kann. In nicht zur Gänze auszuschließenden Einzelfällen, dass Personen betroffen sind, die in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, ließe sich gegebenenfalls aus Verhältnismäßigkeitsgründen auch die Tagessatzhöhe angemessen herabsetzen, um eine Verhängung einer zu hohen Geldstrafe im Sinne der Rechtsprechung des EuGH zu vermeiden.
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Unabhängig davon bietet zudem das Strafprozessrecht die Möglichkeit, aus Opportunitätsgründen von einer strafrechtlichen Sanktionierung, gegebenenfalls gegen Auflagen oder Weisungen, zur Gänze abzusehen.
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3. Gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ist das Urteil daher mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsmittels an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kehl zurückzuverweisen. Falls eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 Abs. 2 StPO ausscheidet, wobei anzumerken ist, dass die Staatsanwaltschaft bereits vor Beginn der Hauptverhandlung insoweit ihre Zustimmung erteilt hatte, wird das Amtsgericht auch aufzuklären haben, in Ausübung welcher Grundfreiheiten (Art. 18, 21, 45, 59 und 56 AEUV) der Angeklagte - vorausgesetzt es handelt sich um einen Unionsbürger - durch die Verhängung einer Sanktion berührt sein könnte (EuGH, a.a.O. Rdnr. 70 bis 72).

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