Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 U 6/19

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 18.12.2018, Az. 2 O 104/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Heidelberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger streitet mit dem beklagten Versicherer über Ansprüche nach Widerspruch gegen eine Berufsunfähigkeitsversicherung aufgrund folgenden Sachverhalts:
Mit Versicherungsbeginn am 01.12.1997 schlossen die Parteien die Berufsunfähigkeitsversicherung Nr. ... nach Maßgabe des Versicherungsscheins vom 18.11.1997, der folgende Widerspruchsbelehrung enthält:
„Nach § 5a VVG steht ihnen ein 14-tägiges Widerspruchsrecht zu. Die Versicherung gilt auf Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation abgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von 14 Tagen nach Erhalt dieser Unterlagen widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung.“
Die Versicherung war über die M Finanzdienstleistungs AG als Versicherungsmaklerin im Rahmen des „M Vorsorgemanagements“ beantragt wurden. Dieses „M Vorsorgemanagement“ umfasste auch den Abschluss von zwei kapitalbildenden Lebensversicherungen.
In der Folge wurde die Versicherung durchgeführt. Mit Schreiben vom 11.07.2017 erklärte der Kläger den Widerspruch, den die Beklagte mit Schreiben vom 18.07.2017 zurückwies.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Widerspruch sei wirksam. Die Widerspruchsbelehrung sei nicht ordnungsgemäß. Der Rückgewähranspruch sei wie folgt zu berechnen (Klageschrift, S. 5):
Beiträge
24.965,72 EUR
./. Risikokosten
11.487,01 EUR
gesamt:
13.478,71 EUR
Die Nutzungshöhe sei in Höhe der Verzugszinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz mit 8.190,27 EUR zu schätzen.
Der Kläger hat beantragt:
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.478,71 EUR zuzüglich 8.190,27 EUR Nutzungsersatz zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat behauptet, die Beiträge seien, da es sich um eine reine Risikoversicherung handele, insgesamt für den Versicherungsschutz aufgewandt worden.
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Mit Urteil vom 18.12.2018 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Eine Rückgewähr der Beiträge komme nicht in Betracht. Bei der streitgegenständlichen Versicherung handele es sich um eine reine Berufsunfähigkeitsversicherung, weshalb sich die Beklagte in Höhe der gezahlten Beiträge als Risikokosten auf den Wegfall der Bereicherung berufen könne. Warum die von der Beklagten zugrunde gelegten Prämien zu hoch seien oder der vertraglichen Gegenleistung nicht entsprechen sollten, sei weder dargetan noch ersichtlich. Mangels eines Anspruchs auf Rückerstattung der geleisteten Beiträge bestehe auch kein Anspruch auf Nutzungen. Aus Risikokosten, die der Versicherer einbehalten dürfe, habe er dem Versicherungsnehmer keine Nutzungen herauszugeben.
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Hiergegen hat der Kläger nach Zustellung am 03.01.2019 mit Schriftsatz vom 21.01.2019, hier eingegangen am selben Tage, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.02.2019, eingegangen am 20.02.2019, begründet.
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Er verfolgt sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter.
17 
Der Kläger und Berufungskläger beantragt nach mehrfacher Klageerweiterung zuletzt:
18 
Die Beklagte wird zur Zahlung von 13.478,71 EUR zuzüglich eines Nutzungsersatzes in Höhe von 23.638,84 EUR bis zum 30.09.2020 sowie Zinsen aus 13.478,71 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz der EZB ab 01.10.2020 verurteilt.
19 
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
21 
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist ergänzend darauf, dass es sich bei der streitgegenständlichen Versicherung um eine selbständige Berufsunfähigkeitsversicherung handele, weshalb § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. Anwendung finde.
II.
22 
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
23 
Das Landgericht hat die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche im Ergebnis zu Recht verneint. Eine Rückgewähr der vom Kläger geleisteten Prämien einschließlich der gezogenen Nutzungen kommt nicht in Betracht, weil die Beklagte diese aufgrund des Versicherungsvertrags behalten darf. Dessen Wirksamkeit wird durch den Widerspruch des Klägers mit Schreiben vom 11.07.2017 nicht berührt, weil das Widerspruchsrecht in diesem Zeitpunkt bereits erloschen war.
24 
1. Maßstab für das Erlöschen des Widerspruchsrechts ist § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG in der bis zum 31.07.2001 gültigen Fassung vom 21.07.1994; denn der Vertrag wurde Ende 1997 unstreitig im Policenmodell geschlossen. Danach erlischt das Recht zum Widerspruch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.
25 
2. Die Vorschrift ist uneingeschränkt anwendbar. Einschränkungen bestehen lediglich im Anwendungsbereich der Dritten Richtlinie Lebensversicherung, von dem die vorliegende Berufsunfähigkeitsversicherung nicht erfasst wird.
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a) Die Ausschlussfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. gilt für alle Versicherungsarten, die von der Dritten Richtlinie Lebensversicherung nicht erfasst werden (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris Rn. 21 und 27). Nur soweit der in Art. 288 Abs. 3 AEUV verankerte Umsetzungsbefehl der Dritten Richtlinie Lebensversicherung reicht, ist eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts vorzunehmen (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris Rn. 28), die der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19.12.2013 - C-209/12, juris) Rechnung trägt, dass Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung unter Berücksichtigung des Art. 31 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung einer nationalen Regelung wie § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. entgegensteht (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris, Rn. 19). Danach ist die Anwendung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. allein im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris, Rn. 27); denn das ist der Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 a) bis c) der Ersten Richtlinie Lebensversicherung, der in Art. 10 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung und Art. 2 Abs. 1 und 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung in Bezug genommen wird.
27 
Nach diesen Grundsätzen gilt § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. hier ohne Einschränkung, weil streitgegenständlich eine reine Berufsunfähigkeitsversicherung ist, die nicht als Zusatzversicherung zu einer Lebensversicherung abgeschlossen worden ist. Eine Altersvorsorgeleistung beinhaltet die Berufsunfähigkeitsversicherung nicht. Der Versicherungsschein sieht als Versicherungsleistung ausschließlich eine Berufsunfähigkeitsrente vor, die maximal bis zum 01.12.2030, also bis zum 65. Lebensjahr des Klägers gezahlt wird. Soweit in dem Formular für den Maklerauftrag von einer Altersvorsorgeleistung bei Berufsunfähigkeit als „Airbag“ die Rede ist, kann sich dies allein auf die nach dem Maklerauftrag abzuschließenden Lebensversicherungsverträge beziehen, also auf eine Altersvorsorgeleistung, die durch Fortzahlung der Lebensversicherungsbeiträge im Falle der Berufsunfähigkeit erzielt wird. Dementsprechend wird in der vom Kläger vorgelegten Übersicht über Art und Umfang der Einzelverträge der Begriff „Airbag“ lediglich im Rahmen der Beschreibung der kapitalbildenden Lebensversicherung und der fondsgebundenen Lebensversicherung erwähnt.
28 
b) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der Beantragung der Berufsunfähigkeitsversicherung als einen von mehreren „Bausteinen“ im Rahmen des „M Vorsorgemanagements“.
29 
aa) Der Anwendungsbereich der Richtlinie 92/96/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung) ist durch den Verweis in Art. 2 Abs. 1 und 3 auf den Anwendungsbereich der Ersten Richtlinie Lebensversicherung klar definiert. Die Erste Richtlinie Lebensversicherung findet Anwendung auf die Lebensversicherung (Art. 1 Nr. 1 a)), auf die Rentenversicherung (Art. 1 Nr. 1 b)) sowie nach Art. 1 Nr. 1 c) auf „die von den Lebensversicherungsunternehmen betriebenen Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung, d.h. insbesondere die Versicherung gegen Körperverletzung einschließlich der Berufsunfähigkeit, (...) sofern diese Versicherungsarten zusätzlich zur Lebensversicherung abgeschlossen werden.“ Danach kommt eine Anwendung der Richtlinien auf rechtlich selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen nicht in Betracht. Vielmehr muss es sich um sog. „Zusatzversicherungen“ zur Lebensversicherung handeln (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11 aaO Rn. 21 und 27; Urteil vom 29.07.2015 - IV ZR 94/14, juris Rn. 14; Beschluss vom 13.07.2016 - IV ZR 329/15, juris Rn. 2). Kennzeichen einer Zusatzversicherung ist ihre rechtliche Abhängigkeit von der Hauptversicherung, während die Hauptversicherung (Lebensversicherung) ihrerseits in ihrem Bestand unabhängig vom Bestehen der (Berufsunfähigkeits-)Zusatzversicherung ist (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.1989 - IVa ZR 107/88, juris Rn. 15; Urteil vom 18.11.2009 - IV ZR 39/08, juris Rn. 27).
30 
bb) Es sind keine Umstände ersichtlich und vorgetragen, aus denen sich auf eine rechtliche Abhängigkeit der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung vom Fortbestand der fondsgebundenen und der kapitalbildenden Lebensversicherung schließen ließe. Ein dahingehender rechtlicher Zusammenhang ergibt sich weder aus der gemeinsamen Beantragung der drei Bausteine über die M Finanzdienstleistungen AG als Makler aufgrund einer einheitlichen Bedarfsanalyse noch aus der Abbuchung des Gesamtbeitrags für alle drei Bausteine durch die M Finanzdienstleistungen AG. Einer Auslegung im Sinne einer rechtlichen Verknüpfung steht bereits entgegen, dass an den Bausteinen jeweils unterschiedliche Versicherer beteiligt sind. Vertragspartner der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung sind die M Lebensversicherung AG, die A Lebensversicherungsgesellschaft aG und die N Lebensversicherung AG (S. 2 des Versicherungsscheins, Anlage K 2). Demgegenüber wurden ausweislich des Absicherungsvorschlags vom 09.09.2017 die kapitalbildende Lebensversicherung bei der G Lebensversicherung AG und die fondsgebundene Lebensversicherung bei der M Lebensversicherung AG abgeschlossen. Aber auch bei Identität des Versicherers wäre nicht von einer rechtlichen Abhängigkeit des Fortbestands der Berufsunfähigkeitsversicherung von dem Fortbestand der anderen Bausteine auszugehen. Bereits in dem der M Finanzdienstleistungen AG erteilten Maklerauftrag wurde zwischen den einzelnen Versicherungen differenziert und klargestellt, dass drei Versicherungen beantragt werden sollen. Dementsprechend wurden dem Kläger drei Versicherungsscheine übersendet. Aus den vorgelegten Versicherungsscheinen ergibt sich kein Hinweis auf die jeweils anderen „Bausteine“. Hinzu kommt, dass beide Lebensversicherungen jeweils mit einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung abgeschlossen worden sind. Weshalb neben diesen Zusatzversicherungen auch die streitgegenständliche Versicherung als „Zusatzversicherung“ anzusehen sein sollte, hat der Kläger nicht dargetan. Von einem Widerspruch gegen die Lebensversicherungsverträge oder einer Kündigung dieser Verträge wäre der Bestand der streitgegenständlichen Versicherung nicht berührt worden.
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cc) Entgegen der Auffassung der Berufung ergeben sich aus Art. 1 Nr. 1 c) der Richtlinie 79/267/EWG keine Anhaltspunkte für eine Anwendbarkeit auf rechtlich selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen, die im Rahmen eines einheitlichen „Vorsorgemanagements“ aufgrund einer einheitlichen Bedarfsanalyse gleichzeitig mit einer Lebensversicherung abgeschlossen werden. Dem steht bereits der klare Wortlaut der Bestimmung (“Zusatzversicherung“) entgegen. Dieser Wortlaut steht im Einklang mit der primär auf Lebensversicherungsverträge bezogenen Zielsetzung der Ersten, Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung.
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3. Die Voraussetzungen des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. liegen vor. Die Ausschlussfrist von einem Jahr nach Zahlung der ersten Prämie war hier schon Ende 1998 abgelaufen. Laut Klageschrift (S. 4) und ausweislich der eigenen Berechnung des Nutzungsersatzanspruchs (Anlage K 3) hat der Kläger den Beitrag erstmals am 01.12.1997 gezahlt.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
34 
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die von der Klägerseite aufgeworfene Rechtsfrage einer Anwendbarkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf rechtlich selbständige Berufsunfähigkeitsversicherungen, die zusammen mit Lebensversicherungsverträgen im Rahmen eines einheitlichen Versorgungskonzepts abgeschlossen werden, hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie ist bereits nicht klärungsbedürftig. Sowohl durch den klar definierten Anwendungsbereich in Art. 1 Nr. 1 c) der Richtlinie 79/267/EWG als auch durch die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (u.a. Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, juris Rn. 21 und 26) ist klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich der Zweiten und Dritten Lebensversicherungsrichtlinie auf Lebens- und Rentenversicherung sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung beschränkt. Streit über die Reichweite des Begriffs der Zusatzversicherung besteht in Rechtsprechung und Literatur nicht.

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