Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (12. Zivilsenat) - 12 U 865/13

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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 03.06.2013 abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 4.400,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.791,48 € vom 01.08.2011 bis 28.09.2011, aus 4.294,40 € vom 29.09.2011 bis 16.02.2013 und aus 4.346,90 € seit dem 17.02.2013 zu zahlen.

Des weiteren werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 450 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2011 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszugs tragen die Klägerin 37% und die Beklagten als Gesamtschuldner 63%.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 54% und die Beklagten als Gesamtschuldner 46%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen.

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Das Landgericht hat der Klägerin materiellen Schadensersatz in Höhe von 5.867,42 € nebst Zinsen sowie ein Schmerzensgeld von 1.250 € nebst Zinsen zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Es ist von der vollen Haftung der Beklagten ausgegangen.

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Mit der Berufung beantragen die Beklagten,

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das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 03.06.2013 abzuändern, soweit sie verurteilt worden sind, an die Klägerin mehr als 2.933,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 2.527,65 € vom 01.08.2011 bis 28.09.2011, aus 5.725,87 € (richtig wohl: 2.862,94 €) vom 29.09.2011 bis 16.02.2013 und aus 2.897,94 € seit dem 17.02.2013 zu zahlen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz von 75% ihres Schadens, 25% muss sie sich für die von ihrem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr anrechnen lassen.

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Der Senat geht wie das Landgericht davon aus, dass die Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 1. vorfahrtsberechtigt war, weil in dem Kreuzungsbereich für die einmündenden Nebenstraßen rechts vor links gilt (§ 8 Abs. 1 StVO). Aus den in der Akte der Staatsanwaltschaft Koblenz (2020 Js 48908/11) befindlichen Lichtbildern von der Unfallörtlichkeit (Blatt 5, 6 der Beiakte) ergibt sich, dass hier zwei Nebenstraßen (...[X] Straße und ...[Y] Straße) auf die vorfahrtsberechtigte ...[Z] Straße einmünden. Beide Nebenstraßen sind durch eine einheitliche, sich über beide Einmündungen erstreckende gestrichelte Linie von der Vorfahrtsstraße getrennt. Sie münden dicht nebeneinander in die Vorfahrtsstraße ein; zwischen ihnen liegt nur eine Verkehrsinsel. In einem solchen Kreuzungsbereich gilt für die aus den Nebenstraßen auf die Vorfahrtsstraße einbiegenden Kraftfahrer die Regelung "rechts vor links" (OLG Stuttgart NZV 1994, 440 ff.). Es kommt nicht darauf an, wer zuerst auf die Vorfahrtsstraße eingefahren ist. Das bedeutet, dass der Beklagte zu 1. gegenüber der Klägerin, die aus der ...[Y] Straße einfahren wollte, wartepflichtig war.

9

Der Unfall ereignete sich im Kreuzungsbereich. Gegen die Beklagten spricht daher der Anschein schuldhafter Vorfahrtsverletzung (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 8 StVO Rn. 68). Diesen Anschein haben die Beklagten nicht entkräftet. Der Sachverständige ...[A] konnte weder zum Fahrverhalten des Beklagten zu 1. noch zu dem der Klägerin vor der Kollision verlässliche Feststellungen treffen. Er konnte zwar nicht ausschließen, dass die Klägerin, ohne anzuhalten, in den Kreuzungsbereich eingefahren ist und der Beklagte zu 1. sie deshalb erst zu spät wahrnehmen konnte. Andererseits wäre der Unfall für den Beklagten zu 1. vermeidbar gewesen, wenn die Klägerin an der Haltelinie angehalten hat. Dann hätte der Beklagte zu 1. die Klägerin rechtzeitig sehen können und ihr den Vorrang einräumen müssen.

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Die Klägerin wiederum kann nicht beweisen, dass der Unfall für sie unabwendbar war. Wenn der Beklagte zu 1. vor der Kreuzung angehalten hatte, bevor er auf die Vorfahrtsstraße einfuhr, hätte ihn die Klägerin rechtzeitig wahrnehmen und die Kollision vermeiden können. Wenn der Beklagte zu 1. allerdings in einem Zug durchgefahren ist, blieb der Klägerin keine Möglichkeit, den Unfall zu verhindern. Auch hier sind nach den Ausführungen des Sachverständigen ...[A] beide Varianten denkbar und mit den vorhandenen Spuren vereinbar.

11

Der Senat hält es bei der im Rahmen des § 17 StVG gebotenen Abwägung der Verursachungsbeiträge für angemessen, auf Seiten der Klägerin die Betriebsgefahr zu berücksichtigen und sie nicht hinter dem Vorfahrtsverstoß des Beklagten zu 1. zurücktreten zu lassen. Die Verkehrssituation erscheint im Einmündungsbereich der ...[Z] Straße als unübersichtlich. Die Frage, wer Vorfahrt hat, lässt sich, vor allem da eine spontane Reaktion erforderlich ist, nur schwierig beurteilen. Die Klägerin durfte nicht blind auf ihr Vorfahrtsrecht vertrauen oder die Vorfahrt erzwingen. Vielmehr musste sie das Verhalten der Wartepflichtigen beobachten und gegebenenfalls darauf reagieren (OLG Stuttgart a.a.O.). Die Beschilderung im Kreuzungsbereich beider untergeordneten Straßen sagt nichts darüber aus, welchem aus den Nebenstraßen auf die Vorfahrtsstraße einfahrenden Fahrzeugführer der Vorrang zukommt. Deshalb war hier auch der Vorfahrtsberechtigte zu großer Vorsicht verpflichtet und durfte nicht auf sein Vorfahrtsrecht vertrauen (Hentschel/König/Dauer, a. a. O., § 8 StVO Rn. 51). Der Senat hält es daher für gerechtfertigt, auf Seiten der Klägerin die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs mit 25% zu berücksichtigen.

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Der materielle Schaden ist nicht mehr im Streit. Die Beklagten haben ihren im Berufungsverfahren gestellten Antrag an dem vom Landgericht festgestellten materiellen Schaden, den die Klägerin nicht angreift, ausgerichtet. Danach hat die Klägerin Anspruch auf materiellen Schadensersatz in Höhe von 4.400,57 €.

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Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld ist zu hoch angesetzt. Aus dem vorgelegten ärztlichen Attest (Blatt 107 ff. GA) ergibt sich nur, dass die Klägerin bei der Kollision ein leichtes HWS-Schleudertrauma erlitten hat. Eine Commotio labyrinthi konnte hingegen nicht festgestellt werden; hier handelte es sich nur um eine Verdachtsdiagnose. Die Klägerin war vom 27.06.2011 bis 17.07.2011 zu 100% arbeitsunfähig, daran anschließend bis zum 25.08.2011 zu 50% arbeitsunfähig. Über weitere Beeinträchtigungen ist nichts bekannt. Das Vorbringen im Schriftsatz vom 2.04.2014 erfolgte erstmals im Berufungsverfahren und nach der mündlichen Verhandlung vom 24.03.2014. Es ist daher verspätet (§§ 531 Abs. 2, 282 ZPO). Der Senat hält unter Berücksichtigung der Haftungsverteilung ein Schmerzensgeld von 450 € für angemessen und ausreichend.

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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

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Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 4.183,71 €.

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