Endurteil vom Oberlandesgericht München - 10 U 6767/19

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin vom 28.11.2019 gegen das Endurteil des LG Landshut vom 22.11.2019 (Az. 44 O 2866/18) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Das Landgericht hat zu Recht einen weitergehenden Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz verneint.

1. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Dies ist vorliegend beim Parkhaus P6 der Fall, zumal es nicht nur von Mitarbeitern der Autovermietfirmen, sondern, wie der vorliegende Fall zeigt, auch von Fahrzeugmietern, welche die von Ihnen angemieteten Fahrzeuge abholen oder zurückbringen, benutzt wird. Die Geltung der StVO gilt unabhängig davon, ob diese durch eine Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist. Dies ist vorliegend nach den Feststellungen der Sachverständigen, deren hervorragende Sachkunde dem Senat aus einer Vielzahl erholter Gutachten und Anhörungen vor dem Senat bekannt ist, hinsichtlich der Parkhäuser P5 und P6 nicht der Fall. Das peripher außerhalb des Flughafengeländes an unauffälliger Stelle aufgestellte Hinweisschild (Bilder 38/40 der Fotoanlage der Sachverständigen) genügt insoweit nicht und vor der Einfahrt zum Parkhaus P5 wie auch zum Parkhaus P6 befinden sich keine Hinweisschilder.

2. Inwieweit die Vorfahrtregel des § 8 I StVO auf einem Parkplatz Anwendung findet, hängt davon ab, ob die Fahrspuren dem ruhenden Verkehr, d. h. dem Suchverkehr dienen, oder ob sie darüber hinaus Straßencharakter besitzen. Die Funktion des § 8 I StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, muss deutlich im Vordergrund stehen. Auf allein dem Ein- oder Ausfahren aus einem Parkhaus dienenden, äußerlich vergleichbaren Fahrbahnen gilt grundsätzlich “rechts vor links” (vgl. KG, Beschluss v. 09.07.2018, Az. 25 U 159/17[Juris]). Vorliegend besteht die Besonderheit, dass die Fahrgasse, die vom Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten zu 2) benutzt wurde, die Einfahrspur kreuzt.

a) Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen bildet keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zumindest auch zweckbestimmend ist. Dies ist vorliegend bei der vom Fahrer des Fahrzeugs der Beklagten zu 2) benutzten Fahrgasse der Fall. Unmittelbar links und rechts der Fahrgasse befanden sich die einzelnen Parkbuchten/boxen. Aus diesen erfolgt regelmäßig ein Ein- als auch Ausparken. Die aufgebrachten Fahrbahnmarkierungen in Form von Richtungspfeilen ändern an dieser Betrachtungsweise nichts, da sie letztlich dazu dienen, den Verkehrsfluss im Parkhaus zu steuern. Die markierte Fahrspur dient zusätzlich der Erschließung der auf beiden Seiten jeweils befindlichen Parkplätze.

b) Die vom Fahrer des klägerischen Fahrzeugs benutzte Rampe ist die Einfahrt zum Parkhaus, an deren Ende sie die vom Fahrer des Pkw der Beklagten zu 2) benutzte Fahrgasse kreuzt, wo sich aber auch links und rechts der Einfahrt die ersten Parkplätze befinden, welche auch direkt von Zufahrtspur aus angefahren werden können (Bilder 12/13, 61 und 66 der Fotoanlage der Sachverständigen). Zwar wird im Anschluss an die Kreuzung die Einfahrspur fortgeführt und sie erschließt im weiteren Verlauf keine an sie angrenzenden Parkplätze, da durch die eingezeichneten Begrenzungslinien der unmittelbar anschließenden Parkplätze ein ein- oder ausparken in die links und rechts der Fahrspur befindlichen Parkplätze nicht vorgesehen ist. Andererseits ist am Ende der Abfahrt im „Kreuzungsviereck“ durch die auf beiden Seiten der Einfahrt unmittelbar anschließenden ersten Parkplätze bereits mit ein- und ausparkenden Fahrzeugen und damit mit Suchverkehr zu rechnen, was für den einfahrenden Fahrzeugführer auch erkennbar ist. Umgekehrt ist für den Fahrer des Pkw der Beklagten zu 2) nicht ohne weiteres ersichtlich, dass die Einfahrtspur im weiteren Verlauf keine Parkplätze erschließt. Bei der Einfahrt handelt es sich um die Verbindung zwischen den Parkhäusern und der auf Ebene 4 nach P6 Einfahrende erreicht die Rampe nur über das Parkhaus P5 und nicht aus dem fließenden Verkehr der T. straße West (Bilder 46/48 der Fotoanlage der Sachverständigen). Zum Unfallzeitpunkt waren die Parkplätze links und rechts der Einfahrt belegt (Bilder 11/13 der Fotoanlage der Sachverständigen) und für den sich im Parkhaus der Einfahrt nähernden Fahrzeugführer war gerade nicht erkennbar, dass es sich um eine Zufahrt aus dem fließenden Verkehr außerhalb des Parkhausgeländes handelt und dieser fließende Verkehr weiterhin aufrechterhalten werden sollte. Aus der Abgrenzung des Kreuzungsbereichs mittels gelber Linien und aufgestellter Barken (Bilder 61/66 der Fotoanlage der Sachverständigen) kann die Berufung nichts Durchgreifendes zu ihren Gunsten herleiten, da diese Markierungen/baulichen Gegebenheiten nach den Feststellungen des Sachverständigen, die die unmittelbar nach dem Unfall angefertigten Fotos auswertete, damals nicht vorhanden waren. Überdies genügen diese Markierungen und baulichen Linien nicht, um der Einfahrtspur nach der Regel „rechts vor links“ den Vorrang einzuräumen, sondern sind Anlass für die sich nähernden Fahrzeugführer, besondere Vorsicht walten zu lassen. Weiter ist die Zufahrt deutlich schmäler als die vom Fahrer des Pkw der Beklagten zu 2) benutzte Fahrspur.

c) Im Ergebnis ist der Senat daher der Auffassung, dass die vorliegende Zufahrt nicht der Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs dient. Derartiges ist jedenfalls, auch nicht in der jetzigen Ausgestaltung hinreichend deutlich erkennbar, weshalb im Verhältnis zu der vom Fahrer des Pkw der Beklagten zu 2) benutzten Fahrgasse nicht die Regelung des § 8 I StVO gilt.

3. Dem Fahrer des PKW der Beklagten zu 2) ist auch ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des § 10 StVO nicht vorzuhalten. Bei der von ihm befahrenen Fahrspur handelt es sich nicht um einen „anderen Straßenteil“ im Sinne von § 10 StVO. Die Abgrenzung einer im Sinne dieser Vorschrift untergeordneten Verkehrsfläche ist nach dem objektiven Erscheinungsbild vorzunehmen. Nach der äußeren Gestaltung der Fahrbahnen - Breite, Fahrbahnbelag, fehlende bauliche Abgrenzung. - gibt es vorliegend keinen Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der vom Fahrer der Beklagten zu 2) benutzten Fahrbahn um einen untergeordneten Straßenteil handelt. Wenn beide Fahrbahnen vergleichbar gestaltet sind und es auch keine anderen für die Fahrzeugführer erkennbaren Anzeichen für die Unterordnung einer von ihnen gibt, kann nicht von einer untergeordneten Verkehrsfläche ausgegangen werden. Denn der Verkehrsteilnehmer ist auf klare einfache Anhaltspunkte angewiesen und muss in erster Linie auf sichtbare Merkmale zurückgreifen, um aus dem an Ort und Stelle erkennbaren Gesamtbild Schlüsse darauf ziehen zu können, welche Verkehrsregelung eingreift.

4. Die Kollisionsgeschwindigkeiten ermittelte die Sachverständige an Hand der Schäden und Endstellungen für den klägerischen Pkw mit 13 km/h bis 17 km/h und für das Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit 18 km/h bis 22 km/h. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung über die in Parkhäusern allgemein geltenden Regeln hinaus - beide Fahrzeugführer fuhren insoweit zu schnell - ist nicht angeordnet. Die im Parkhaus P5 lediglich an einzelnen Säulen im Wartungsbereich angebrachten Schilder mit der Aufschrift „langsam fahren 7 km/h“ (Bilder 42/45 der Fotoanlage der Sachverständigen) haben für das nachfolgende Parkhaus keine Geltungskraft. Daher verbleibt es im Hinblick auf die vergleichbaren Geschwindigkeiten bei der Schadensteilung. Nachdem der klägerische Schaden zu 50% bereits vorprozessual bezahlt wurde, hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen und die Berufung war zurückzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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