Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Strafsenat) - 1 Ws 591/13
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Vorsitzenden der kleinen Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal vom 04. Juli 2013 aufgehoben.
2. Dem Verurteilten wird Rechtsanwalt F. aus B. als Pflichtverteidiger für das Verfahren über die Reststrafenaussetzung beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe
I.
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Mit Beschluss vom 04. Juli 2013 (508 StVK 304/13) hat die Vorsitzende der kleinen Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung des Verteidigers Rechtsanwalt F. für die anstehende Entscheidung nach § 57 StGB als unbegründet zurückgewiesen.
- 2
Der gegen den die Pflichtverteidigerbestellung ablehnenden Beschluss vom 04. Juli 2013 mit Schriftsatz des Verteidigers vom 25. Juli 2013 eingelegten Beschwerde hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 08. August 2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Naumburg zur Entscheidung vorgelegt.
- 3
Am 22. August 2013 hat die Sachverständige Dipl.-Psych. W. das mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 19. Juli 2013 gemäß § 454 Abs. 2 StPO in Auftrag gegebene kriminalprognostisch-rechtspsychologische Gutachten erstellt und zur Akte gereicht.
II.
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Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache auch Erfolg. Der Beschluss vom 04. Juli 2013 ist ermessensfehlerhaft und daher aufzuheben.
- 5
Dem Verurteilten ist Rechtsanwalt F. im Verfahren über die Reststrafenaussetzung beizuordnen.
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Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat hierzu mit Zuschrift vom 19. September 2013 u. a. ausgeführt:
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"Zwar hat die Strafvollstreckungskammer seinerzeit zu Recht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt.
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Allerdings ist die Entscheidung angesichts des inzwischen gemäß § 454 Abs. 2 StPO erstatteten Prognosegutachtens überholt; bedarf mithin der Korrektur.
1.
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Im Rahmen der gemäß §§ 454 StPO, 57 StGB zu treffenden Entscheidung kommt eine Beiordnung in entsprechender Anwendung von § 140 Abs. 2 StPO in Betracht. Danach ist dem Verurteilten ein Verteidiger zu bestellen, wenn dessen Mitwirkung wegen der Schwere des Vollstreckungsfalles oder der besonderen Schwierigkeit der Sach-und Rechtslage im Vollstreckungsverfahren geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Verurteilte nicht selbst verteidigen kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 140 Rn. 33).
2.
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Zwar lagen weder zum Zeitpunkt der Anordnung der Vorsitzenden noch der Nichtabhilfeentscheidung die Voraussetzungen für eine Beiordnung vor. Insbesondere war nicht ersichtlich, dass der Verurteilte aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur seine Belange nicht hinreichend darstellen konnte und so nicht in der Lage war, selbst für seine angemessene Verteidigung zu sorgen, insbesondere sich im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 17.07.2013, zu der sein Verteidiger trotz Ladung nicht erschienen ist, weshalb wohl auch er von der Fähigkeit seines Mandanten zur Selbstverteidigung ausging, über sein bisheriges Verhalten im Strafvollzug und seine Zukunftspläne zu äußern.
3.
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Jedoch ist nunmehr vorliegend von einer schwierigen Sach-und Rechtslage auszugehen.
- 12
Das Vollstreckungsverfahren wirft nun in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht Fragen auf, die über die Probleme hinausgehen, die in einem die Aussetzung einer Rest-strafe betreffenden Verfahren regelmäßig zu beurteilen sind. Von erheblicher Bedeutung für die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Reststrafenaussetzung sind jetzt die Ergebnisse des von ihr eingeholten und inzwischen auch erstatteten kriminologischen Gutachtens zur Frage einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten.
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Für die notwendige Auseinandersetzung eines Verurteilten mit einem derartigen Gutachten ist dann von der Erforderlichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung auszugehen, wenn das Gutachten etwa psychiatrisch-neurologische, psychoanalytische oder auch kriminologische Fragestellungen aufwirft, mit deren fachlicher Beurteilung ein Verurteilter überfordert ist (vgl. KG Berlin, NStZ-RR 2006, 284 f.; OLG Hamm, StraFo 2005, 391 f.). Abzustellen ist insoweit auf die Verständnismöglichkeiten des konkreten Verurteilten, wobei bei der erwähnten Art von Gutachten dessen Überforderung zunächst typischerweise zu vermuten ist (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 24.10.2007 - 2 Ws 450/07 (244/07) -, juris).
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Das vorliegende Gutachten, das einen Umfang von 51 Seiten aufweist, enthält zahlreiche psychiatrisch-neurologische Fachbegriffe (S. 33 ff.) und setzt sich detailliert mit den für eine Gefährlichkeitsprognose maßgebenden Gesichtspunkten, namentlich psychoanalytischen Fragen, auseinander. Ein derartiges Gutachten aber wirft rechtlich und tatsächlich schwierige Fragestellungen auf, die das Verständnis des Verurteilten und seine Fähigkeit übersteigen, sich damit angemessen auseinanderzusetzen (vgl. auch KG, StraFo 2006, 342). Hinzu kommt, dass der Verurteilte durch den Inhalt des Gutachtens tatsächlich beschwert ist, weil dessen Ausführungen eine vorzeitige Haftentlassung gerade nicht nahelegen.
- 15
Aus diesen Gründen ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers vorliegend geboten.
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Auch erscheint die Bestellung des nicht ortsansässigen Verteidigers Rechtsanwalt J. F. geboten, weil es verfahrensdienlich ist, den mit der Sache vertrauten, sachkundigen bisherigen Wahlverteidiger beizuordnen (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 142 Rn. 12), auch wenn er dem Verurteilten zuletzt nicht durch Anwesenheit im Anhörungstermin beigestanden hat."
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Dem schließt sich der Senat an.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.
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Referenzen
- 508 StVK 304/13 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 454 StPO, 57 StGB 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 140 Notwendige Verteidigung 1x
- StGB § 57 Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe 2x
- StPO § 454 Aussetzung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung 2x
- 2 Ws 450/07 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 304 Zulässigkeit 1x
- StPO § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung 1x