Urteil vom Oberlandesgericht Rostock (5. Zivilsenat) - 5 U 48/08

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 01.02.2007 - Az.: 7 O 19/04- wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 237.932,67 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schmerzensgeld und Schadensersatz aufgrund eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers. Er hat erstinstanzlich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihm ein angemessenes Schmerzensgeld von 200.000 DM (= 102.258,00 €) nebst Zinsen, Schadensersatzansprüche in Höhe von 51.467,87 € für den bisherigen Verdienstausfall, eine monatliche Rente ab dem 01.11.2002 in Höhe von 659,02 € für den zukünftigen Verdienstausfall sowie eine weitere Rente ab diesem Zeitraum in Höhe von 577,76 € als Haushaltshilfeschadensersatz zu zahlen sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihm sämtliche künftigen immateriellen und materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung zu ersetzen.

2

Nachdem der Kläger im Mai 1998 eine Schwellung der rechten Halsseite bemerkt hatte, stellte er sich zunächst bei seinem Hausarzt Dr. xxx vor, der eine Ultraschalluntersuchung und eine am 11.06.1998 durch Dr. med. xxx durchgeführte Computertomographie veranlasste. Dr. xxx erstellte folgende Differenzialdiagnose: "1. laterale Halszyste, 2. einschmelzende Lymphknoten, 3. zentral nekrotische Metastasen." Der Hausarzt überwies den Kläger an den Beklagten, der Facharzt für HNO ist.

3

Bei der Erstbehandlung des Klägers durch den Beklagten am 15.06.1998 stellte der Beklagte mit Tastbefund einen pflaumengroßen Lymphknoten rechts fest. Er riet dem Kläger, den Tumor entfernen zu lassen. Der Beklagte vereinbarte mit Dr. xxx, xxx- Klinik xxx, die stationäre Einweisung zu dieser Operation am 06.07.1998, bei der der Beklagte assistieren wollte. Geplant war eine Gefäßscheidenrevision rechts. Bei der Zweitvorstellung des Klägers am 22.06.1998 ist in den Krankenunterlagen des Beklagten vermerkt:

4

"subjektiv Rückgang der Schwellung...
Lymphknotenschwellung anhaltend".

5

Nach erneut eingeholtem Ultraschallbild heißt es in der Karteikarte für den nächsten Besuch des Klägers in der Arztpraxis des Beklagten am 02.07.1998 :

6

"Laut Sonographie Zunahme der Lymphknotenschwellung rechts kaudal...
Lymphknotenschwellung untere Gefäßscheide rechts anhaltend.
- Exstirpation in Intubationsnarkose!....."

7

Für den 06.07.1998, dem Tag der geplanten Operation ist in den Unterlagen eine telefonische Beratung verzeichnet:

8

"Tonsillen nicht Ursache für Lymphknotenschwellung,
Patient wartet Antibiose ab - wünscht noch keine Operation."

9

Der nächste Besuch des Klägers in der Praxis des Beklagten erfolgte am 20.08.1998. Hierbei stellte der Beklagte fest, dass die Lymphknotenschwellung der rechten Halsseite anhaltend sei und die Antibiose nicht angeschlagen habe. Für den folgenden Praxis-Besuch des Klägers am 03.09.1998 ist folgendes eingetragen:

10

"Chronische Tonsillitis nach meiner Einschätzung keine Ursache für Lymphknotenschwellung. ...
- Stationäre Einweisung zur Tonsillektomie."

11

Die Mandelentfernung ließ der Kläger zunächst nicht durchführen. Am 09.11.1998 meldete sich der Internist Dr. xxx, zu dem sich der Kläger zwischenzeitlich in Behandlung begeben hatte, telefonisch beim Beklagten und teilte eine anhaltende Lymphknotenschwellung am rechten Hals des Klägers mit. Laut Sonographie sei die dringende Entfernung vorgesehen. Daraufhin ließ sich der Kläger am 12.11.1998 erneut in der Praxis des Beklagten untersuchen. Der Beklagte stellte eine weiterhin bestehende Schwellung an der mittleren Gefäßscheide fest. In der Karteikarte ist für diesen Tag eingetragen:

12

"- Erörterung der dringenden Exstirpation
Patient jetzt mit Entfernung einverstanden, Kopie sämtlicher Befunde
- stationäre Einweisung - operative Einrichtung sucht Patient selbst
Diagnose: Lymphadenitis colli."

13

Der Kläger begab sich in die Behandlung von Dr. xxx, xxx-Krankenhaus in xxx, sowie von Frau Dr. xxx, die HNO-Ärztin in der Praxis des Beklagten ist. Am 17.03.1999 wurden dem Kläger in der xxx-Klinik die Tonsillen entfernt. Bei einem erneuten dortigen stationären Aufenthalt vom 31.05. bis 04.06.1999 wurden beim Kläger Probeentnahmen durchgeführt, deren histologische Diagnostik ein fortgeschrittenes Hypopharynxcarcinom rechts mit regionärer Metastasierung in die gesamte rechte Gefäßscheide und ein beginnendes Mundbodencarcinom rechts erbrachte (Band I, Bl. 153, 154, Anlage K 29).

14

Der Tumor wurde am 23.06.1999 in der xxxklinik in xxx durch eine Pharyngo-/Laryngoskopie, eine modifizierte radikale neck dissection rechts, totale Laryngektomie und partielle Pharyngektomie entfernt. Der Kläger erhielt eine Provox-Stimmprothese (Band I, Bl. 157, Anlage K 31). Es wurde ein Hypopharynxkarzinom rechts pT4 pN3 M0 (mäßig differenziertes, nicht verhornendes Plattenepithelkarzinom) und ein Karzinom in situ des Mundbodens diagnostiziert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Behandlungsverlaufs wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

15

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe den Kehlkopfkrebs nicht erkannt, sondern ihn auf eine Mandelentzündung hin behandelt. Dadurch sei die Operation um 1 Jahr hinausgezögert worden. Auch sei er nicht über die Dringlichkeit der Operation aufgeklärt worden. Der Kläger stützt sich auf zwei von ihm eingeholte Privatgutachten nebst ergänzenden Stellungnahmen (Prof. Dr. xxx, Band I, Bl. 50, Anlage K 1 mit Band III, Bl. 522, Anlage K 56; PD Dr. med. xxx, Chirurg, Band I, Bl. 59, Anlage K 2 mit Band III, Bl. 516, Anlage K 55).

16

Der Beklagte hat das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers bestritten und behauptet, der Kläger habe einer Lymphknotenentfernung nicht zugestimmt, sondern das Ergebnis der Antibiose abwarten wollen, da nach seiner Einschätzung der Lymphknoten kleiner geworden sei.

17

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der gestellten Anträge wird Bezug genommen auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils.

18

Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen. Es sei nicht festzustellen, dass der Beklagte die Diagnose verzögert habe. Der Kläger sei für den Vorwurf, der Beklagte habe seine therapeutische Aufklärungspflicht verletzt, beweispflichtig. Diesen Beweis habe der Kläger nicht geführt. Die Kammer habe den Ausführungen der Ehefrau und des Bruders des Klägers nicht mehr geglaubt als den Bekundungen der anderen Zeugen. Zudem spreche die Festlegung des Termins für die operative Entfernung des Lymphknotens auf den 06.07.1998 gegen den Klägervortrag. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils.

19

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, die form- und fristgerecht eingereicht und begründet worden ist.

20

Er rügt, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen. Dem Beklagten seien schadensursächliche Aufklärungsversäumnisse und grobe Verstöße vorzuwerfen. Aufgrund des bekannten Alkohol- und Nikotinabusus habe der Beklagte mit einem bösartigen Tumor rechnen und eine weitere Befunderhebung dringend und kurzfristig durchführen müssen (Bd. V, Bl. 18 d.A.). Er hätte den Kläger, nachdem die Extirpation des Lymphknotens am 06.07.1998 nicht erfolgt sei, erneut in der gebotenen Weise aufklären müssen (Bd. V, Bl. 21 d.A.). Bei entsprechender Aufklärung hätte der Kläger dem Eingriff auch zugestimmt. An die Bestätigung der Lymphknotenmetastase hätte sich sodann eine konsequente Suche nach dem Primärtumor anschließen müssen (Bd. V, Bl. 18 d.A.).Durch die Verzögerung habe eine Tumorvergrößerung um ein Vielfaches stattgefunden. Die Verdopplungszeit betrage 12 Wochen. Eine frühzeitigere Operation hätte nicht zu den erheblichen Folgen geführt (Bd. V, Bl. 19 d.A.).

21

Der Kläger beantragt,

22

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stralsund vom 01.02.2007 - Az.: 7 O 19/04 - nach den in erster Instanz gestellten Anträgen des Klägers zu erkennen,

23

hilfsweise,

24

das Verfahren an das Landgericht zurückzuverweisen.

25

Der Beklagte beantragt,

26

die Berufung zurückzuweisen.

27

Er rechtfertigt im Wesentlichen das landgerichtliche Urteil. Er meint, der Kläger habe eine Pflichtverletzung nicht hinreichend nachgewiesen (Bd. V, Bl. 28 d.A.). Er habe den Kläger hinreichend über seine Erkrankung belehrt. Wegen der bei dem Kläger bereits bestehenden Ängste habe es sich für ihn verboten, Worte wie "Tod" oder "Krebs" zu verwenden (Bd. V, Bl. 31 d.A.). Auch habe Herr Dipl. med. xxx den Kläger auf die Notwendigkeit der vollständigen Entnahme des Lymphknotens belehrt; er habe weiter bestätigt, dass der Kläger über die Bedeutung der Exstirpation umfassend informiert gewesen sei (Bd. V, Bl. 31 d.A.). Der Kläger habe vielmehr die Augen vor dem denkbar lebensbedrohlichen Befund verschlossen und ihn nicht wahrhaben wollen. Er, der Beklagte, habe den Kläger mehrfach darauf hingewiesen, dass die Tonsillen nicht die Ursache der Lymphknotenschwellung gewesen sein konnten (Bd. V, Bl. 32 d.A.). Auch hätte sich bei einer frühzeitigeren Operation am schicksalhaften Verlauf der Erkrankung und ihren Folgen nichts geändert (Bd. V, Bl. 39 d.A.).

28

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten, bei der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle und den Hinweisbeschluss des Senats vom 14.03.2008 (Bd. V, Bl. 51 ff. d.A.).

29

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Frau Prof. Dr. xxx. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten vom 12.01.2009 (Bd. V, Bl. 92 ff. d.A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2009.

II.

30

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

31

Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz aus §§ 823, 847 BGB a.F. bzw. im Hinblick auf die materiellen Schäden aus positiver Vertragsverletzung des Behandlungsvertrages besteht nicht. Dabei kann eine nähere Differenzierung zwischen vertraglichen und deliktischen Ansprüchen unterbleiben, weil nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Anforderungen an den behandelnden Arzt in beiden Bereichen gleich hoch sind.

32

Zwar hat der Beklagte einen Behandlungsfehler begangen, indem er den Kläger nicht mit dem erforderlichen Nachdruck auf die Notwendigkeit der Tumorentfernung hingewiesen hat (1.). Dies stellt sich nach Auffassung des Senats als einfacher Behandlungsfehler dar (2.). Der Kläger trägt dementsprechend die Beweislast dafür, dass sich der Behandlungsfehler auf die erlittenen Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgewirkt haben. Dieser Beweis ist ihm nicht gelungen. Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger auch bei einer frühzeitigeren Operation die gleichen Beeinträchtigungen erlitten hätte (3.).

1.)

33

Der Beklagte hat einen ärztlichen Behandlungsfehler begangen, indem er den Kläger nicht hinreichend nachdrücklich auf die Klärungsbedürftigkeit des Tumors hingewiesen hat.

a)

34

Dabei war der Vortrag des Klägers, der Beklagte habe ihn fehlerhaft (allein) auf eine Mandelentzündung hin behandelt, nicht zugrundezulegen, weil er bereits anhand der Behandlungsunterlagen des Beklagten widerlegt war. Denn aus den - insoweit unstreitigen - Behandlungsunterlagen ergibt sich eindeutig, dass der Beklagte bereits am 02.07.1998 eine Exstirpation des Tumors plante und einen Termin für die Operation bereits am 06.07.1998 angesetzt hatte. Dies ergibt sich aus der durch den Beklagten veranlassten Krankenhauseinweisung, in der als Diagnose "Lymphadenitis colli, Gefäßscheidenrevision in ITN rechts" (Bd. II, Bl. 296, Anlage B 4) und nicht etwa die Mandelentfernung (Tonsillektomie) angegeben wird.

35

Dies widerspricht der Behauptung des Klägers, der Beklagte habe ihn zunächst auf eine Tonsillektomie verwiesen, weil die Entfernung des Tumors zu schwierig gewesen sei. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch der Zeuge xxx in seiner Vernehmung vor dem Landgericht keinerlei derartige Erklärungen als Ohrenzeuge der Berichte des Klägers bekunden konnte. Es kann im übrigen dahinstehen, welche Erklärungen der Kläger Dritten - insbesondere seinen Arbeitskollegen - gegenüber gemacht hat; diese stimmen jedenfalls nicht mit dem unstreitig dokumentierten Befund des Beklagten überein. Hätte eine solch schwierige Situation bestanden, hätte der Beklagte auch nicht bereits bei der Erstvorstellung des Klägers einen von Dr. xxx vorzunehmenden Operationstermin angesetzt, bei dem er habe assistieren wollen.

b)

36

Der Beklagte war gehalten, den Kläger jedenfalls nach dem 06.07.1998, an dem dieser die Durchführung der Operation zunächst verweigerte, auf die Notwendigkeit dieser Operation zur Abklärung des Krebsverdachtes nachdrücklich - ggf. auch schriftlich - hinzuweisen. Dies ist erst am 12.11.1998 mit der hinreichenden Deutlichkeit erfolgt.

aa)

37

Dabei geht der Senat davon aus, dass der Kläger die Operation, die für den 06.07.1998 geplant war, am gleichen Tag auf eigene Veranlassung abgesagt hat. Im Krankenblatt des Beklagten findet sich hierzu die Eintragung, dass der Patient noch keine Operation wünsche und die Antibiose abwarten wolle. Diese Annahme wird bestätigt durch die Erklärung der Ehefrau des Klägers, die in ihrer Vernehmung in der ersten Instanz bekundete, der Kläger sei am Operationstag von der Klinik angerufen und gefragt worden, warum er zum Termin nicht erschienen sei.

bb)

38

Diese Verweigerung führt nicht dazu, dass eine Haftung des Beklagten ausgeschlossen ist, weil ihn insoweit der Vorwurf trifft, den Patienten nicht hinreichend aufgeklärt zu haben. Eine Mitwirkungsverweigerung des Patienten im Hinblick auf die Durchführung von Maßnahmen, die der Arzt für eine Behandlung für erforderlich hält - sog. non-compliance -, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann beachtlich, wenn der Arzt den Patienten auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen hat (BGH, MDR 1997, 940; Schellenberg, VersR 2005, 1620, 1621). Der Bundesgerichtshof hat seine Entscheidung ausdrücklich für den Fall einer Untersuchung getroffen, die - wie hier - zur Abklärung einer Verdachtsdiagnose erforderlich war. Aufgrund des durch die Computertomographie festgestellten Metastasenverdachtes war die Feingewebsuntersuchung des Lymphknotens (Histologie) dringend erforderlich, um den Krebsverdacht bestätigen oder ausräumen zu können. Das Gewebematerial konnte durch eine zumindest teilweise Lymphknotenentfernung gewonnen werden. Es wird von dem Kläger nicht angegriffen, dass der Beklagte eine Feingewebsbiopsie nicht für hinreichend hielt.

cc)

39

Der Beklagte war von der ihn treffenden o.g. Aufklärungspflicht auch nicht deshalb befreit, weil es sich über einen allgemein bekannten drohenden Krankheitsverlauf handelt (vgl. zu einem solchen Fall OLG Schleswig, VersR 2001, 1516). Zwar ist in der medizinischen Laiensphäre der Begriff der "Metastase" allgemein bekannt, auch wird dieser Begriff regelmäßig mit einer Krebserkrankung assoziiert. Weiter ist bekannt, dass eine unbehandelte Krebserkrankung mit weiterem Fortschreiten zunehmend lebensbedrohlicher wird und letztlich zum Tode führen kann; deshalb ist auch allgemein bekannt, dass eine Behandlung schnellstmöglich erfolgen sollte. Gleichwohl kann angesichts der Vielzahl von möglichen Krebserkrankungen und der damit verbundenen sehr unterschiedlichen Behandlungsmethoden und Heilungschancen von einem Laien nicht erwartet werden, dass er die konkreten Gefahren der spezifischen Erkrankung ohne weitere Aufklärung einzuschätzen vermag. Gerade angesichts des komplexen Körpersystems der Lymphen kann nicht unterstellt werden, dass der Patient selbständig abzuschätzen vermag, in welcher Reihenfolge welche Untersuchungen notwendig oder vorrangig sind. Auf die besondere hier vorliegende Dringlichkeit hat der Facharzt deshalb hinzuweisen. Das gilt umso mehr, als aus dem Metastasenverdacht bereits begrifflich hervorgeht, dass bereits eine Streuung vom Primärtumor ausgegangen ist und zudem die Lage des Primärtumors unklar war. Der Hinweis hätte deshalb auch umfassen müssen, dass die Gewebsuntersuchung zur Auffindung des Primärtumors erforderlich ist. Darauf weist auch der vom Kläger privat beauftragte Gutachter Prof. Dr. xxx hin (Bd. I, Bl. 57; Bd. III, Bl. 523).

dd)

40

Ob es solche Hinweise gegeben hat, ist ebenfalls zwischen den Parteien streitig. Nach der Rechtsprechung kann dem Patienten, soweit streitig sein sollte, ob der Arzt ihn auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen hat, eine mangelnde Dokumentation des Arztes - soweit sie aus medizinischer Sicht erforderlich war - zur Hilfe kommen (BGH, ebenda, m. w. N.; OLG Bamberg, VersR 2005, 1292). Auch vorliegend war eine weitere Verdachtsabklärung zwar nicht akut, aber dennoch dringlich, weil schnellstmöglich festgestellt werden musste, ob tatsächlich Metastasen vorhanden sind. Würde sich nämlich dieser Verdacht bestätigen, hätte möglicherweise der noch unbekannte Primärtumor schnell gefunden werden und in einem noch frühen Stadium behandelt werden können. Angesichts der Bedeutung der weitergehenden Behandlung ist die Weigerung des Patienten, dringend indizierte Diagnosemaßnahmen durchführen zu lassen, in der Behandlungsdokumentation zu vermerken (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333). Eine lückenhafte Dokumentation führt im Arzthaftungsprozess zu der widerleglichen Vermutung, dass die nicht dokumentierte Maßnahme unterblieben ist (Schellenberg, VersR 2005, 1620, 1622).

ee)

41

Der Beklagte hatte die Dringlichkeit der Operation auch von Anfang an erkannt. Denn er hat bereits bei der Erstvorstellung des Patienten am 15.06.1998 unstreitig sofort einen Operationstermin zur Lymphknotenentfernung fest vereinbart. Soweit der Beklagte behauptet, er habe den Kläger bei diesem Patientengespräch über die Gefährlichkeit der Krankheit beraten, kann dies aus der vorhandenen Dokumentation entnommen werden. Die ausweislich der Krankenunterlagen für den 15.06.1998 verzeichnete Leistungsziffer "17 EBN" umfasst nach dem Gebührenverzeichnis die "intensive ärztliche Beratung und Erörterung zu den therapeutischen, familiären, sozialen und beruflichen Auswirkungen und deren Bewältigung bei nachhaltig lebensverändernder oder lebensbedrohlicher Erkrankung, ggf. unter Einbeziehung von Bezugspersonen und fremdanamnestischen Angaben, Dauer mindestens 10 Minuten". Damit ist eine Beratung ausreichend dokumentiert worden.

ff)

42

Gleichwohl war der Beklagte gehalten, erneut dringend auf die Notwendigkeit der Operation hinzuweisen, nachdem der Kläger die Durchführung abgelehnt hatte. Der Beklagte war verpflichtet, ihm die Folgen der Weigerung im Hinblick auf die Gefährlichkeit des Metastasenverdachtes eindringlich vor Augen zu führen und zu versuchen, den Patienten dadurch von der Notwendigkeit zu überzeugen, das Krankenhaus aufzusuchen (OLG Nürnberg VersR 1995, 1057; BGH NJW 1991, 748). Der Beklagte war gehalten, den Kläger "mit allem Ernst auf dringlich gebotene Untersuchungsmaßnahmen klar und deutlich hinzuweisen" (so OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 258); er hätte ihm "die Situation so drastisch vor Augen führen müssen, dass er der Empfehlung nur aus irrationalen Gründen nicht hätte Folge leisten können" (so OLG Oldenburg, VersR 1998, 1110). Dass die Erstberatung offenbar nicht genügte, musste ihm aufgrund der Weigerung des Patienten, die Operation durchführen zu lassen, bei Anspannung der erforderlichen Sorgfalt erkennbar sein. Er hätte den Patienten erneut in die Praxis bestellen müssen oder die notwendigen Hinweise ggf. schriftlich unterbreiten müssen (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333; BGH NJW 1991, 748).

43

Diese Maßnahme hat der Beklagte unterlassen. Der Kläger hat sich bei ihm von sich aus erst - mehr als sechs Wochen später - am 20.08.1998 vorgestellt. Auch bei diesem Termin ist kein Hinweis auf die Dringlichkeit der Lymphknotenentfernung dokumentiert, obwohl an diesem Tag festgestellt wurde, dass die Antibiose-Behandlung der Mandelentzündung nicht angeschlagen hatte. Diese soll jedoch gerade der Grund für den Patienten gewesen sein, noch keine Operation durchführen zu wollen. Weiter ist bei der Behandlung an diesem Tag festgestellt worden, dass die Lymphknotenschwellung "anhaltend" gewesen sei. Bei der Konsultation am 03.09.1998 in der Praxis des Beklagten, der einen "unveränderten Befund" dokumentierte, hat der Beklagte darüber hinaus noch festgestellt, dass die Chronische Tonsillitis nach seiner Einschätzung keine Ursache für die Lymphknotenschwellung darstelle. Hieraus wird erkennbar, dass der Kläger die Art und Behandlungsbedürftigkeit seiner Erkrankung fehlinterpretierte. Dies hätte dem Beklagten Anlass geben müssen, eine eingehende Beratung zu wiederholen.

44

Auf Grund der fehlenden Dokumentation reicht auch die bestrittene Behauptung des Beklagten nicht aus, der Kläger habe im Gespräch am 03.09.1998 einer Entfernung des Lymphknotens der rechten Halsseite zugestimmt, wenn nach Entfernung der Mandeln die Lymphknotenschwellung nicht zurückgehen würde (Bd. I, Bl. 105 d. A.). Auch für den 17.09.1998, an dem dem Kläger Kopien der Blutwerte und des Blutbildes mitgegeben wurden, fehlt es an einer Hinweisdokumentation.

45

Die Dokumentation eines solchen Hinweises findet sich in den Behandlungsunterlagen erstmalig am 12.11.1998 ("Erörterung der dringenden Exstirpation"). An diesen Tag übergab der Beklagte dem Kläger unstreitig einen Einweisungsschein für die stationäre Lymphknotenentfernung, ohne darin eine Klinik für die Vornahme der Operation einzutragen. Dies bringt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Beklagte mit Nachdruck auf die Notwendigkeit der Operation verwiesen hat.

46

Hingegen war der Beklagte nicht verpflichtet, eine operative Einrichtung zu benennen, da unstreitig in Betracht gezogen war, die Operation in einer Einrichtung in der Nähe des Arbeits- und Wohnortes des Bruders des Klägers, der selbst Arzt ist, durchführen zu lassen (vgl. Bd. I, Bl. 106). Der Beklagte durfte darauf vertrauen, dass der Bruder des Klägers ihm eine Einrichtung seines Vertrauens benennen oder sich jedenfalls an die Universitätskliniken xxx oder xxx wenden würde. Darauf, ob der Bruder des Klägers selbst mit dem Beklagten telefoniert hat oder - wie der Kläger behauptet - nur mit dessen Arzthelferin, kommt es nicht an. Denn der Bruder des Klägers hatte sich nach seinen eigenen Erklärungen in dem Telefonat als Arzt und Bruder des Klägers vorgestellt (Bd. I, Bl. 150 d. A.); in seiner späteren Vernehmung vor der Kammer konnte sich der Zeuge zwar nicht mehr daran erinnern, ob er mitgeteilt habe, dass er Arzt sei (Bd. III, Bl. 460). Das dürfte jedoch an dem Zeitablauf liegen.

2.

47

Das Unterlassen dieses Hinweises stellt sich nach Auffassung des Senats nicht als grober Behandlungsfehler dar mit der Folge der Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden (vgl. BGH, NJW 2004, 2011).

48

Ein solcher Fehler liegt vor, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt "schlechterdings nicht unterlaufen darf". Dabei hat die Beurteilung das ganze Behandlungsgeschehen im Auge und mehrere einfache Fehler können zusammen einen groben Behandlungsfehler darstellen (BGH, NJW 2001, 2792). Die Feststellung grob fehlerhaften Verhaltens ist dann gerechtfertigt, wenn ein Verstoß gegen elementare medizinische Behandlungsstandards und bewährte ärztliche Behandlungsregeln und Erfahrungen vorliegt.

49

Wenngleich der Beklagte nach der hier vorliegenden Dokumentation mehrfache Wiedervorstellungstermine des Klägers nicht dazu genutzt hat, erneut auf die Notwendigkeit der Operation hinzuweisen, konnte er doch zum einen davon ausgehen, dass zumindest die allgemeine Gefährlichkeit einer Krebserkrankung bekannt ist. Darüber hinaus musste dem Kläger aufgrund der unmittelbar nach der ersten Konsultation bereits für den Juli 1998 geplanten Operation zur Exstirpation des Knotens ersichtlich sein, dass kurzfristiges Handeln zur Diagnostik erforderlich war. Auch hat der Beklagte das Verhalten des Klägers dahingehend eingeschätzt, dass dieser die von ihm beschriebenen Ängste und Sorgen gerade deshalb hatte, weil er eine Krebserkrankung befürchtete, diese aber nicht wahrhaben wollte. Auch aufgrund der Tatsache, dass der Kläger sich weiterhin und mehrfach in die Behandlung des Beklagten begab, konnte dieser davon ausgehen, dass er den Kläger zumindest in einem angemessenen Zeitrahmen von der Notwendigkeit der vorgeschlagenen Behandlung würde überzeugen können, zumal er damit rechnen durfte, dass der Kläger nach dem Fehlschlagen der von ihm abgewarteten Antibiose der vom Beklagten vorgeschlagenen Behandlung anders gegenüber stehen würde. Angesichts dessen erscheint die unterlassene nachdrückliche Belehrung in einem milderen Licht, so dass sie nicht schlechterdings unvertretbar erscheint und kein aus ärztlicher Sicht völlig unverständliches Fehlverhalten darstellt (anders etwa OLG Düsseldorf, NJW-RR 2003, 1333, bei der die Patientin keinerlei Aufklärung über den konkreten Verdacht einer Brustkrebserkrankung und die dringende Notwendigkeit einer entsprechenden diagnostischen Abklärung erhielt.).

3.

50

Der Senat hat nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht feststellen können, dass das Verhalten des Beklagten für den dem Kläger eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich geworden ist. Die Darlegungs- und Beweislast für die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und der eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigung trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchssteller; Beweiserleichterungen kommen vorliegend aus den o.g. Gründen nicht in Betracht.

51

Dabei ist zum einen darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten die weitere Verzögerung von 7 Monaten bis zur tatsächlichen Operation erst im Juni 1999 im xxxkrankenhaus xxx nicht angelastet werden kann; betrachtet werden kann deshalb allein der Zeitraum vom Juli bis November 1998.

52

Nach Durchführung der Beweisaufnahme hat der Senat aber nicht feststellen können, dass eine frühere Operation des Klägers - insoweit ein beratungsgerechtes Verhalten des Klägers nach entsprechender erneuter Aufklärung unterstellt - zu einer geringfügigeren Gesundheitsbeeinträchtigung geführt hätte. Denn die Sachverständige Prof. Dr. xxx hat diesbezüglich eindrucksvoll und gut nachvollziehbar dargelegt, dass die Operation in gleicher Weise erfolgt wäre, da die Entfernung des gesamten Kehlkopfes zur Zeit der Operation 1999 (und damit auch zum Zeitpunkt des Unterlassens 1998) dem ärztlichen Standard entsprach ("Golden Standard") und auch nach wie vor die chirurgische Standardtherapie darstellt (vgl. Bd. V, Bl. 130 ff. d.A.). Dass eine geringfügigere Operation - insbesondere eine, die die Stimme hätte erhalten können- hätte durchgeführt werden können, sei nicht ersichtlich. Sie hat bereits in ihrem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass angesichts der vom Kläger geäußerten Beschwerden davon auszugehen war, dass bereits im Sommer 1998 eine fortgeschrittene Tumorerkrankung des Hypopharynx vorlag, wenngleich die vom Beklagten durchgeführten Spiegeluntersuchungen des Larynx und Hypopharynx unauffällig waren (Bd. V, Bl. 129 d.A.).

53

Der Senat hat keine Veranlassung, das Fachwissen der Sachverständigen oder die Richtigkeit ihrer Aussagen in Zweifel zu ziehen. Diese hat die entsprechenden Symptome und Feststellungen für den Senat nachvollziehbar dargestellt.

54

Soweit der Kläger unter Vorlagen eines Privatgutachtens des Chirurgen Dr. med. xxx behauptete, dass sich ein Tumor statistisch in 12 Wochen verdoppele (Bd. I, Bl. 90 d. A.), weshalb im Juli 1998 mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch eine Larynx-erhaltende Operation möglich gewesen wäre, hat sich dies anhand der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Zum einen konnte bereits der vom Kläger beauftragte Privatsachverständige keine konkreten Aussagen zur Größe des Tumors zu diesem Zeitpunkt treffen; darüber hinaus verbieten sich schlichte Rechenexempel nach den Ausführungen der Frau Prof. Dr. xxx. Auch beruhten die Annahmen auf einer Publikation aus dem Jahr 1971, die mittlerweile überholt sei (Bd. V, Bl. 136 d.A.). Ausschlaggebend sei nicht die Größe oder Zahl der Zellen, sondern der Befall bestimmter Kehlkopfregionen (Bd. V, Bl. 133 d.A.). Schließlich verhält sich das Privatgutachten auch nicht zu der Frage, ob auch bei einer Operation im November 1998 schwerwiegende Folgen für den Kläger noch hätten verhindert werden können.

III.

55

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 701 ZPO.

56

Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht.

57

Der Streitwert wird wie folgt festgelegt:

58

1. Schmerzensgeld

        

 =    

 102.258,00 €

2. Schadensersatzansprüche

        

 =    

51.467,87 €

3. Rente ab dem 01.11.2002 (659,02 € x 12x 5 a)

        

 =    

39.541,20 €

4. zünftigen Verdienstausfall (577,76 € x 12 x 5 a)

        

 =    

34.665,60 €

5. Feststellungsantrag

        

 =    

10.000,-- €.

                          

 237.932,67 €

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