Beschluss vom Oberlandesgericht Rostock (2. Zivilsenat) - 2 U 12/19

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 08.08.2019, Az.: 5a HK O 115/18, gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

1

Die – form- und fristgerecht eingelegte und begründete – Berufung stützt sich auf einen vermeintlichen Verstoß gegen den ne-ultra-petita-Grundsatz des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO, auf einen vermeintlichen Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 313 Abs. 3 ZPO sowie auf eine aus Sicht der Beklagten unzureichende Auseinandersetzung des Landgerichts mit der einschlägigen wissenschaftlichen Quellenlage.

2

Alle drei Monierungen dringen im Ergebnis nicht durch:

1.

3

Ob der von der Beklagten angenommene Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorliegt, indem das Landgericht ausdrücklich die gesamte Publikation einschließlich der im Klageantrag bewusst nicht erwähnten Passagen untersagt hat, was im Prinzip – selbst ohne dahingehenden Antrag – zu einer Aufhebung und Zurückverweisung führen müsste (BGH, Urteil vom 18.06.2015 – I ZR 26/14, WRP 2016, 193 = MDR 2016, 291 [Juris; Tz. 15]; Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 308 Rn. 6 m.w.N.), kann auf sich beruhen.

4

Im vorliegenden Fall nämlich hatte sich der Kläger mit seinem vorbehalt- und einschränkungslosen Antrag vom 25.09.2019 auf Zurückweisung der – gesamten – Berufung zunächst stillschweigend die etwaige überschießende Verurteilung in der Form zu Eigen gemacht, dass er seinen Klageantrag – ohne dass es hierzu nach h.M. der Einlegung einer Anschlussberufung bedurft hätte – konkludent um die ggf. gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßenden weiteren Publikationspassagen erweitert und damit den etwaigen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO geheilt hat (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 308 Rn. 6; MüKoZPO/Musielak, 05. Aufl. 2016, § 308 Rn. 21). Anders läge der Fall nur, wenn der Kläger von vornherein durch seine Antragstellung gegenüber dem Berufungsgericht deutlich gemacht hätte, er wolle die überschießende Verurteilung der Beklagten – obschon ihm günstig – nicht (MüKoZPO/Musielak, 05. Aufl. 2016, § 308 Rn. 21). Hier ist aber eine entsprechende Einschränkung erst später, nämlich erstmals mit der Berufungserwiderungsschrift vom 20.12.2019, erfolgt.

5

Bei dieser Sachlage stellt sich die Prozesserklärung aus dem Schriftsatz vom 20.12.2019 der Sache nach als Rücknahme (§§ 269 Abs. 1, 525 Satz 1 ZPO) dar, mit der die durch den Schriftsatz vom 25.09.2019 sinngemäß erweiterte Klage wieder auf den erstinstanzlichen Antragsumfang zurückgeführt und damit der prozessuale status quo ante wiederhergestellt worden ist. Ungeachtet der im Grundsatz gesetzlich angeordneten ex-tunc-Wirkung der Rücknahme (§ 269 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbs. ZPO) hat dies auch nicht zu einem für die Entscheidung des Senats relevanten rückwirkenden Wiederaufleben des etwaigen Verstoßes gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO geführt. Vielmehr ist das Urteil des Landgerichts jedenfalls nunmehr – nach h. M. war das Urteil hinsichtlich seiner vermeintlich überschießenden Anteile trotz insoweit fehlender Rechtshängigkeit nicht nichtig (vgl. MüKoZPO/Musielak, 05. Aufl. 2016, § 308 Rn. 18 m.w.N.) – in dem ggf. überschießenden Umfang kraft Gesetzes wirkungslos (§ 269 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbs. ZPO). Deshalb besteht hier für eine konstitutive Aufhebung durch den Senat weder Anlass noch Raum. Der Senat behält sich allerdings vor, deklaratorisch in der Beschlussformel klarzustellen (vgl. § 269 Abs. 4 ZPO), dass die Verurteilung der Beklagten sich auf den Umfang beschränkt, der sich aus dem klägerischen Schriftsatz vom 20.12.2019 ergibt.

6

Im Umfang der Teilrücknahme wäre zwar grundsätzlich der Kläger kostenpflichtig (§§ 269 Abs. 3 Satz 2, 525 Satz 1 ZPO); nachdem aber der Kläger schon in der Klage (…) deutlich gemacht hatte, dass gerade an den nicht in den Klageantrag übernommenen Publikationspassagen bzw. deren Untersagung und damit letztlich an dem späteren vermeintlichen Mehrumfang der erstinstanzlichen Verurteilung kein relevantes wirtschaftliches Interesse besteht, fällt die Teilrücknahme im Ergebnis kostenmäßig nicht ins Gewicht (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

2.

7

Einen Verstoß gegen die Begründungsmaßgabe des § 313 Abs. 3 ZPO vermag der Senat nicht zu erkennen. Ein solcher Verstoß ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Landgericht nicht jede einzelne Äußerungspassage im Detail einer näheren Würdigung unterzogen hat. Weder die Vorschrift des § 313 Abs. 3 ZPO noch Art. 103 Abs. 1 GG verlangen, dass das Gericht jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich bescheidet (Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 313 Rn. 19 m.w.N.).

8

Aber auch materiell-inhaltlich begegnet die Untersagung sämtlicher im Klageantrag genannter Publikationspassagen keinen durchgreifenden Bedenken. Dabei kann der Senat offenlassen, ob im Allgemeinen eine differenzierende Entscheidung unter „Ausklammerung“ einzelner – bei isolierter Betrachtung rechtlich unbedenklicher – Passagen der streitbegriffenen Publikation statthaft bzw. geboten ist (dagegen das Landgericht unter Bezug u.a. auf BGH, Urteil vom 26.10.2000 – I ZR 180/98, WRP 2001, 400 [Juris; Tz. 29]; ebenso etwa KG, Urteil vom 18.09.2018 – 5 U 15/17, Magazindienst 2019, 50 [Juris; Tz. 20]; LG Frankfurt a.M., Urteil vom 05.03.2015 – 2-3 O 188/14, RDV 2015, 201 [Juris; Tz. 49]; dafür hingegen OLG Oldenburg, Urteil vom 01.09.2005 – 1 U 51/05, GRUR-RR 2006, 243 [Juris; Tz. 64 ff.]; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 22.12.2015 – 16 U 71/15 [Juris; Tz. 29]). Jedenfalls vorliegend sind die im Klageantrag genannten Passagen derart eng miteinander verknüpft und verwoben, dass für eine Differenzierung kein Raum bleiben kann. Die ggf. isoliert betrachtet „neutralen“ Passagen rein deskriptiven Inhalts stehen dergestalt in unmittelbarem funktionalen Kontext mit den werblichen Anpreisungen, dass der durchschnittliche Adressatenkreis sie als deren integralen Bestandteil wahrnehmen wird. Dass sich eine trennscharfe Abgrenzung letztlich kaum realisieren lässt, zeigt sich auch an der potentiell bestehenden Möglichkeit einer stets noch weitergehenden textlichen „Zerlegung“ einzelner Aussagegehalte. So beinhaltet beispielsweise die unter Ziffer 1.3 angegriffene Formulierung (“In unserem zertifizierten Labor wird ihre Probe auf [...] untersucht [...]“) auch die – unbestritten wahre – Information, dass ein Labor erstens überhaupt existiert, zweitens zertifiziert ist und dass drittens (irgend-) eine Untersuchung stattfindet. Dass dieser Umstand nicht zu einer teilweisen Klageabweisung führt, zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel.

3.

9

Soweit die Beklagte beanstandet, das Landgericht sei bei der Frage nach dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion von der Situation der 2000er Jahre ausgegangen und mittlerweile sei der Stand des Diskurses ein anderer (…), hat der Kläger dies ausdrücklich bestritten (…) und die Beklagte ihren Vortrag weder spezifiziert noch unter Beweis gestellt. Der diesbezügliche Vortrag der Beklagten ist insgesamt substanzlos. Hieran ändert auch der ergänzende Hinweis der Beklagten darauf, dass sie ein besonderes kombiniertes Schnelltestverfahren verwende, nichts.

10

Für den Senat ist – auch anhand des Berufungsvorbringens – nicht erkennbar, dass die Testverfahren der Beklagten mittlerweile bzw. im hier maßgeblichen Zeitpunkt der angegriffenen Publikation wissenschaftlich unbestritten und insbesondere (schul-) medizinisch nunmehr allgemein anerkannt wären (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 08.06.2017 – 2 U 154/16, GRUR-RR 2017, 448 [Juris; Tz. 69]; OLG Saarbrücken, Urteil vom 19.12.2018 – 1 U 41/18, GRUR-RR 2019, 184 [Juris; Tz. 48 ff.]); das behauptet letztlich die Beklagte selbst – auch im Berufungsrechtszug – nicht.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen