Urteil vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 4 U 566/04-51/05

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 16. September 2004 - 10 O 271/01 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 864,03 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1.8.2001 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Zwangsvollstreckung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 105.245,26 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Mit der vorliegenden Leistungs- und Feststellungsklage nimmt die Klägerin die Beklagten aus einem Verkehrsunfall auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und Verdienstausfall in Anspruch.

Die Klägerin stand am 28.8.1998 gegen 8.50 Uhr mit dem von ihr gesteuerten PKW vor einer Lichtzeichenanlage in der <straße> in, als der Beklagte zu 2) mit seinem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten PKW, von hinten auf das stehende Fahrzeug der Klägerin auffuhr. Die volle Haftung der Beklagten steht außer Streit.

Die Klägerin erlitt aufgrund des Unfalls Beschwerden im HWS-Bereich mit Nackenschmerzen und Verspannungen. Sie begab sich noch am gleichen Tag in die ärztliche Behandlung von Dr. M., der für die Zeit vom 28.9.1998 bis zum 6.9.1998 Arbeitsunfähigkeit attestierte (GA II Bl. 430) und eine Röntgenuntersuchung bei Dr. G. in Auftrag gab. Die Untersuchung stellte eine Verspannung der Halswirbelsäule, keine Wirbelinstabilität und keine traumatischen Knochenverletzungen fest (GA I Bl. 43). Eine am 17.11.1998 ebenfalls von Dr. M. in Auftrag gegebene Arthroskopie belegte einen Kontrastmittelübertritt aus der Gelenkkapsel. Am 18.3.1999 bestätigte ein Arthro-CT die Diagnose einer Ruptur der rechten Rotatorenmanschette, die am 14.5.1999 operativ versorgt wurde.

Zum Unfallzeitpunkt stand die Klägerin in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der Firma GmbH in und erzielte im Zeitraum 1.1.1998 bis 28.9.1998 ein Gesamtbruttogehalt von 44.761,36 DM. Ab dem 29.9.1998 bezog die Klägerin bis 15.2.2000 ein kalendertägliches Krankengeld von 59,10 DM, ab dem 16.2.2000 in Höhe von 34,42 EUR. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Kündigung seitens des Arbeitgebers zum 15.4.1999 aufgelöst.

Die Beklagten regulierten den am PKW der Klägerin entstandenen Sachschaden in Höhe von insgesamt 1.183,93 DM. Auf den von der Klägerin geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch leisteten die Beklagten vorprozessual lediglich 1.500 DM.

Die Klägerin hat behauptet, die Kollisionsgeschwindigkeit habe deutlich über 10 km/h betragen. Sie habe aufgrund des Aufpralls eine Rotatorenmanschettenruptur im rechten und linken Schulterbereich erlitten. Vorher habe sie keinerlei Beschwerden im Schulterbereich verspürt. Unfallbedingt leide sie noch heute an Brechreiz, Kopfschmerzen und Schwindel. Nachts könne sie wegen Schmerzen im Schulterbereich kaum schlafen. Sie sei unfallbedingt depressiv und arbeitsunfähig geworden und habe infolgedessen ihren Arbeitsplatz verloren.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld nebst fünf Prozent Zinsen hieraus ab Rechtshängigkeit über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG zu zahlen, wobei die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin die nachfolgenden Schadenspositionen zu zahlen:

a) Kostenpauschale 50 DM

b) Kosten, welche von der französischen Krankenkasse nicht übernommen wurden in Höhe von 528 DM

c) Kosten für Arztbesuche etc. in Höhe von 9.608,92 DM

d) Kosten für ein französisches Gutachten in Höhe von 1.639,90 DM

sowie für alle diese Beträge 5 % Zinsen pro Jahr ab Rechtshängigkeit über

dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin den nachfolgenden Erwerbsschaden zu zahlen:

a) für den Zeitraum 29.9.1998 bis 15.2.2000 DM 52.913,28

b) für den Zeitraum 16.2.2000 bis 29.2.2000 DM 1.476,90

c) für den Zeitraum 1.3.2000 bis 31.7.2001 DM 50.222,08

d) zuzüglich auf 104.612,26 DM Zinsen 5% ab Rechtshängigkeit in Höhe von 5% pro Jahr über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG;

4. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an die Klägerin den darüber hinausgehenden immateriellen und materiellen zukünftigen Schaden aus Anlass der am 28.8.1998 zugefügten Verletzung zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte, sei es in Deutschland oder in Frankreich übergegangen sind oder übergehen;

5. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, an die Klägerin den Steuernachteil zu erstatten, der dadurch entsteht, dass der Schmerzensgeldbetrag sowie der Verdienstausfallschaden nicht in dem jeweiligen Jahr versteuert werden kann, sondern nach Zahlung in einer Summe versteuert werden muss, sei es in Deutschland oder in Frankreich;

6. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die - auf die Schadensersatzleistungen und Sozialversicherungsrenten und Leistungen - jeweils zu entrichtenden Steuern und Abgaben aller Art, sei es in Deutschland oder in Frankreich, an die Klägerin zu ersetzen.

Dem sind die Beklagten entgegengetreten.

Das Landgericht hat der Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 EUR zugesprochen und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 53.432,35 EUR Verdienstausfall sowie einen weiteren materiellen Schadensersatz in Höhe von 864,03 EUR zu zahlen. Unter Klageabweisung im Übrigen hat das Landgericht den Feststellungsanträgen zu 5) in vollem Umfang und dem Feststellungsantrag zu 4) insoweit stattgegeben, als sich der Feststellungsantrag auf die Erstattung des materiellen Zukunftsschadens bezieht. Auf die angefochtene Entscheidung wird gem. § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, die Klägerin habe den vollen Beweis dafür, dass die Klägerin aufgrund des Verkehrsunfalls eine Verletzung erlitten habe, nicht erbracht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Begutachtung durch die medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Z./Dr. S. nicht bestätigt, dass die Ruptur der Supraspinatussehne durch den Unfall hervorgerufen worden sei. Zwar seien die Sachverständigen davon ausgegangen, dass aufgrund der degenerativen Vorschäden der Klägerin unter Umständen sogar ein Bagatellunfall hätte ausreichen können, um die Sehne zu verletzen. Allerdings sage diese Aussage nichts darüber aus, ob das konkrete Unfallgeschehen auch tatsächlich die Verletzungen der Klägerin herbeigeführt habe. Im übrigen sei davon auszugehen, dass die starken degenerativen Veränderungen der Klägerin und auch ohne das streitgegenständliche Unfallereignis spätestens Ende 1998 zu einer Ruptur geführt hätten.

Weiterhin habe das Landgericht den erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Unfallschaden und einer eventuellen psychischen Folgewirkungen nicht hinreichend aufgeklärt, da der Schädiger für eine psychische Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens nur dann einzustehen habe, wenn hinreichende Gewissheit dafür bestehe, dass diese Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre.

Die Berufung wendet sich gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldes und rügt, der Beklagten zu 1) sei keine verzögerte Schadensregulierung vorzuwerfen.

Die Beklagten bestreiten, dass die Klägerin infolge des Verkehrsunfalls dauerhaft arbeitsunfähig geworden sei: So hätten die medizinischen Sachverständige auf Seite 45 des Gutachtens ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zum Zeitpunkt der Begutachtung eine eigenständige Arbeitsunfähigkeit aufgrund von anzuerkennenden Unfallfolgen nicht mehr gegeben sei (GA I Bl. 180). Schließlich müsse sich die Klägerin in jedem Falle der ersparten Fahrtkosten auf den zuerkannten Verdienstausfallschaden anrechnen lassen, die die Beklagten auf insgesamt 14.260 EUR beziffern.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 16.9.2004 - 10 271/01 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.8.2005, in deren Verlauf die Klägerin und der Beklagte zu 2) informatorisch befragt worden sind, wird verwiesen (GA II Bl. 431 ff.).

II.

A. Die Berufung ist nicht zulässig, soweit der Berufungsantrag, die Klage unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung insgesamt aufzuheben, die unter Ziff. 2) der angefochtenen Entscheidung zugesprochene Schadensersatzforderung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten des französischen Gutachters Dr. B. und der Zuerkennung der allgemeinen Unkostenpauschale umfasst. Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Berufungsbegründung, da sich die Begründung mit diesem selbständigen Teilstreitgegenstand nicht auseinandersetzt (vgl. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 520 Rdnr. 27, 37).

B. Im zulässigen Umfang hat die Berufung Erfolg. Der Klägerin stehen über die bereits gezahlte Summe keine weitergehenden Schmerzensgeldansprüche und Ansprüche auf Erstattung des Verdienstausfalls zu, da die Klägerin den ihr obliegenden Beweis für die Unfallursächlichkeit der schwerwiegenden Schulterverletzungen nicht führen konnte.

1) Zum Schmerzensgeldanspruch

Der Klägerin steht auf der dem Berufungsverfahren zugrundezulegenden Tatsachengrundlage gem. Art. 40 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, § 847 BGB, § 7 Abs. 1 StVG (beide Vorschriften in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung - Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB), § 3 Nr. 1 und 2 PflVG kein Schmerzensgeldanspruch zu, der die vorprozessual geleistete Summe übersteigt. Denn die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis dafür, durch den Unfall eine beidseitige Ruptur der Rotatorenmanschette davongetragen zu haben, zur Überzeugung des Senats nicht mit der erforderlichen Sicherheit erbracht.

a) Allerdings wurde die Klägerin durch das Unfallgeschehen in ihrer körperlichen Befindlichkeit beeinträchtigt: In der Darstellung des unstreitigen Tatbestandes findet sich die Feststellung, dass die Klägerin aufgrund des Unfalls Beschwerden im HWS-Bereich mit Nackenschmerzen erlitt. An diese Feststellung der Senat gebunden: Die Feststellungen blieben von der Berufung unangefochten und decken sich mit den insoweit glaubhaften Angaben der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat, in deren Rahmen die Klägerin angegeben hat, sie habe unmittelbar nach dem Unfall ein Schwindelgefühl bemerkt. Wenig später habe sie Schmerzen verspürt, die - ausgehend vom Schulter- und Nackenbereich - über beide Oberarme hinweg bis in die Hände ausgestrahlt hätten.

b) Dennoch konnte die Klägerin den Beweis dafür, darüber hinaus durch das Unfallereignis eine beiderseitige Ruptur der Schultermanschette erlitten zu haben, nicht erbringen:

aa) Ein Schadensereignis ist dann für den Eintritt eines Erfolges kausal, wenn es nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Darüber hinaus muss ein adäquater Zusammenhang bestehen, der die Verantwortlichkeit des Schädigers von solchen Folgen ausschließt, die nur unter ganz besonders eigenartigen, gänzlich unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Erfolges geeignet sind (zum Maßstab der Adäquanz: BGHZ 57, 137, 141; Urt. v. 9.101997 - III ZR 4/97, NJW 1998, 138, 140; Urt. v. 9.10.1997 - III ZR 4/97, NJW 1998, 140; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., vor § 249 Rdnr. 59).

Das Beweismaß beurteilt sich im vorliegend zu entscheidenden Fall nach § 287 ZPO. Steht nämlich - wie für den vorliegenden Fall soeben ausgeführt - fest, dass der Geschädigte eine Primärverletzung erlitten hat, so ist die Frage, ob der Unfall über diese Primärverletzung hinaus auch für die weiteren Beschwerden des Klägers ursächlich ist, eine Frage der am Maßstab des § 287 ZPO zu prüfenden haftungsausfüllenden Kausalität (st. Rspr. BGHZ 4, 192, 196; aus der neueren Rspr. vgl. nur BGH, Urt. v. 16.4.2004 - VI ZR 138/03, NJW 2004, 1945; Urt. v. 4.11.2003 - VI ZR 28/03, VersR 2004, 118; Urt. v. 28.1.2003 - VI ZR 139/02, VersR 2003, 474, 476; vgl. auch Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 287 Rdn. 3; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl., § 287 Rdn. 4 f.).

Im Rahmen der Beweiswürdigung nach § 287 ZPO werden geringere Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Gerichtes gestellt. Im Gegensatz zum Vollbeweis des § 286 ZPO kann der Beweis je nach Lage des Einzelfalles bereits dann erbracht sein, wenn eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der zu beweisenden Tatsache spricht. Hierbei begegnet es keinen Bedenken, den Beweis am Maßstab des § 287 ZPO als erbracht anzusehen, wenn das Gericht im Wege des Ausschlusses anderer Ursachen zu der Feststellung gelangt, dass der Unfall als einzige realistische Ursache für die Beschwerden in Betracht kommt (BGH, VersR 2003, 476). Allerdings verbietet sich ein solcher Rückschluss, wenn die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass sich die Krankheit schicksalhaft entwickelt hat. Denn dann reichen allein die zeitliche Nähe zwischen dem Unfallereignis und der Entstehung der Beschwerden und die daran anknüpfende „gefühlsmäßige" Wertung, dass beide Ereignisse irgendwie miteinander in Zusammenhang stehen, nicht aus (Senat, Urt. v. 28.6.2005, 4 U 236/04-25/05; Senat, OLGR 2005, 489, 490 f.; BGH, VersR 2004, 119; zu den Beweisanforderungen im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO vgl. auch Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 287 Rdn. 10 ff.).

bb) Auch unter diesen erleichterten Beweisanforderungen ist der Senat von der Unfallursächlichkeit der Manschettenruptur nicht überzeugt:

aaa) Gegen die Unfallursächlichkeit dieser Verletzung spricht die geringe Aufprallenergie des mit dem Auffahren verbundenen Anstoßes, die keine gravierende Schädigung der Klägerin wahrscheinlich werden ließ.

Die medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. Z. und Dr. S. gehen in ihrem schriftlichen Gutachten vom 8.1.2003 (GA I Bl. 136 ff.) in Übereinstimmung mit dem Ergebnis der informatorischen Befragung beider Parteien davon aus, dass der Aufprall des von hinten auffahrenden Fahrzeugs des Beklagten zu 2) mit geringer Energie erfolgte: An beiden Fahrzeugen entstand ein Sachschaden, der den Bagatellbereich nur knapp überstieg. Obwohl die Klägerin in ihrer informatorischen Befragung anschaulich zum Ausdruck gebracht hat, dass sie aufgrund des Unfalles vor allem Vorhaltungen ihres Ehemannes befürchtete, der um sein Fahrzeug besorgt gewesen sei, ist es der Klägerin nicht gelungen, das Schadensbild an der Stoßstange anschaulich zu beschreiben. Von Bedeutung ist hierbei folgender Umstand: Die Klägerin hat mehrfach betont, dass das Fahrzeug ihres Mannes mit einem Stoßsystem ausgerüstet gewesen sei, welches kleinere Stöße auffange. Das Herausstellen dieses Umstandes lässt es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Klägerin keinerlei blecherne Beschädigungen an ihrem Fahrzeug wahrgenommen hatte.

Neben der geringen Aufprallgeschwindigkeit hat die Klägerin weiterhin angegeben, dass sich das auffahrende Fahrzeug unter das Fahrzeug der Klägerin geschoben habe. Denn nach der Aussage der Klägerin wurde das unter dem Heck des Fahrzeugs befindliche Ersatzrad beschädigt. Auch ein solches Aufprallverhalten minderte die auf die Fahrzeuginsassen einwirkende Anstoßenergie.

Indiz für den geringen Energieaustausch ist es auch, dass sich keiner der beiden Unfallbeteiligten sichtbare Verletzungen zuzog. Dem steht nicht entgegen, dass auf dem an Ort und Stelle gefertigten Unfallbericht (GA I Bl. 384) in der dritten Spalte bei der Frage, ob es der Verletzte gegeben hat, die Antwortalternative „ja“ angekreuzt war. Nach dem Ergebnis der informatorischen Befragung beider Parteien ist durchaus in Betracht zu ziehen, dass das Formular in diesem Detail aus Unachtsamkeit falsch ausgefüllt worden sein mag. Denn der Beklagte zu 2) hat glaubhaft angegeben, nach seiner Erinnerung habe die Klägerin gerade nicht über Beschwerden geklagt. Wenn die Klägerin verletzt gewesen wäre oder irgendwelche Beschwerden geäußert hätte, hätte der Beklagte zu 2) in jedem Falle die Polizei verständigt. Soweit sich der Beklagte zu 2) erinnern konnte, habe er die Frage, ob es Verletzte gegeben habe, nicht mit „ja“ angekreuzt.

bbb) Neben der geringen Aufprallenergie spricht auch der Unfallmechanismus eines Heckanstoßes gegen eine Schädigung der Schultermanschette: Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass der Unfallmechanismus eines Heckanstoßes nicht zu den typischen Unfallmechanismen zählt, die zu einer Verletzung des Schultergürtels führen:

Mit physikalischer Notwendigkeit wird der Insasse bei einer Heckkollision nicht nach vorne geschleudert, sondern nach hinten in den Sitz gedrückt. Bei dieser Bewegung kommt es nicht zu einer plötzlichen Krafteinwirkung auf den Schulterbereich, wie es etwa dann geschieht, wenn der Geschädigte den - mitunter reflexartigen - Versuch unternimmt, durch Ausstrecken der Arme einen Aufprall des nach vorne schnellenden Körpers zu verhindern. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall eine vom Normalfall der Heckkollision abweichende Beurteilung geboten ist, weil die Klägerin etwa verrenkt oder mit verdrehten Schultern im Fahrzeug gesessen haben mag, finden sich nicht.

ccc) Diese Erwägungen, die einer ernstlichen Verletzung der Klägerin entgegenstehen, werden nicht dadurch gewissermaßen in ihr Gegenteil verkehrt, dass der Sachverständige Dr. S. die subjektive Überzeugung gewonnen hat, seiner Einschätzung nach sei die Klägerin ohne den Unfall heute schmerzfrei (GA I Bl.214). Diese Auffassung korrespondiert mit den schriftlichen Ausführungen beider Sachverständiger, wonach die Verletzung zwar zu 90 Prozent auf Vorerkrankungen der Klägerin und nur zu zehn Prozent auf den Unfall selbst zurückzuführen sei (GA I Bl. 180); jedoch könne - analog dem Fass, das vom letzten Tropfen zum Überlaufen gebracht werde - eine bereits massiv vorgeschädigte Sehne durch ein relativ geringfügiges Trauma vollständig reißen (GA I Bl. 144).

Der Senat folgt den Sachverständigen im Ausgangspunkt ihrer Erwägungen: Die Sachverständigen haben überzeugend dargelegt, dass es Fälle geben mag, in denen nur ein geringfügiges traumatisches Ereignis aufgrund massiver degenerativer Vorschäden, wie sie im vorliegenden Fall auch bei der Klägerin vorhanden waren, den Riss einer Sehne verursacht. Diese allgemein gehaltenen Erwägungen helfen bei der Beurteilung der Beweisfragen nur eingeschränkt weiter. Denn der Senat darf sich nicht darauf beschränken, die abstrakte Frage nach einem theoretisch denkbaren Sachverhalt zu beantworten, der es ermöglicht, die Schilderung der Klägerin vor dem Hintergrund des eine andere Schlussfolgerung nahelegenden Erfahrungswissens für plausibel zu erachten. Vielmehr muss der Senat die subjektive Überzeugung gewinnen, dass sich die Klägerin mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit gerade im konkreten Unfallgeschehen eine derartige Ruptur beider Schultermanschetten zugezogen hat. Diese Überzeugung konnte sich der Senat nicht bilden:

Von wesentlicher Bedeutung ist hierbei zunächst, dass die Diagnose einer Schultermanschettenruptur frühestens am 17.11.1998 mit der arthrographischen Untersuchung mit hinreichender Sicherheit gelang. In diesem bildgebenden Verfahren wurde ein Kontrastmittelaustritt aus der Gelenkkapsel nachgewiesen. Ein solcher Befund deutet nach den Ausführungen der Sachverständigen auf die Verletzung der Schultermanschette hin, wenngleich nach den Ausführungen des Sachverständigen auch im Normalzustand ein Übergang des Kontrastmittels möglich sei (GA I Bl. 147). Demgegenüber beruhten die vor diesem Zeitpunkt gefertigten ärztlichen Einschätzungen zur Genese der Schmerzen in erster Linie auf der subjektiven Schilderung der Klägerin. Dies gilt insbesondere für die mit Schriftsatz vom 22.8.2005 vorgelegten Bescheinigungen des Arztes Dr. M. (GA II Bl. 430), der unspezifisch Schmerzen in den oberen Gliedmaßen und im Schulterbereich bestätigte. Eine von Dr. M. in Auftrag gegebene Röntgenaufnahme bestätigte lediglich eine Verrenkung der Halswirbelsäule, keine Wirbelinstabilität und keine traumatischen Knochenverletzungen. Auch die mit gleichem Schriftsatz vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Arztes D. vom 27.6.2002 (GA II Bl. 429) bestätigt offensichtlich unter Bezugnahme auf die subjektive Schilderung der Klägerin lediglich, dass direkt nach dem Unfall eine deutliche Kraftminderung beider Arme vorgelegen habe.

Mithin lagen zwischen dem Unfallereignis und der ersten hinreichend sicheren Diagnose fast drei Monate. Dieser Zeitraum ist zu lange um auszuschließen, dass die degenerativen Vorschäden schicksalhaft auf andere Weise zu einer Ruptur der Sehne führten. Folgt man den Ausführungen der Sachverständigen, so reichte selbst ein minimales traumatisches Ereignis aus, um im Zusammenspiel mit den Vorschäden eine Ruptur hervorzurufen. In der Konsequenz dieser Aussage hätte demnach jede nur unwesentlich über der durchschnittlichen Kraftaufwendung liegende Bewegung dieselben Verletzungen hervorrufen können, wie sie am 17.11.1998 im bildgebenden Verfahren nachgewiesen wurden.

Die Zweifel des Senats konnten auch nach Anhörung der Kläger nicht ausgeräumt werden: Die Klägerin hat nicht davon berichtet, spontane Schmerzen verspürt zu haben. Auch dass die Klägerin zeitnah bis zur Fertigung der Arthrographie unter Schmerzen litt, räumt die Zweifel des Senats nicht aus. Es mag durchaus sein, dass die Ruptur durch ein Zweitereignis für die Klägerin unbemerkt verlief, da sie nach den Ausführungen der Sachverständigen zumindest für 4 bis 6 Wochen unter HWS-Beschwerden litt, die ausschließlich von den degenerativen Veränderungen im mittleren und unteren HWS-Bereich verursacht wurden.

Schließlich - auch dieser Aspekt darf bei der vollständigen Würdigung des Ergebnisses der Verhandlung nicht außer Betracht bleiben, ließ die Klägerin in ihrer Anhörung die Tendenz erkennen, den Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Sehnenruptur besonders deutlich herauszustellen. So hat sie auf die Nachfrage des Senats, ob sie vor dem Unfall unter Schmerzen gelitten habe, erklärt, sie habe bis zu dem Unfall selbstständig ein Geschäft geführt, indem sie auch in Regale hoch habe greifen müssen. Hierbei habe sie nie Beschwerden verspürt. Erst nach dem Unfall habe sie nicht mehr hoch greifen können. Bis zum Unfall sei es ihr ohne weiteres möglich gewesen, Korsette oder Kompressionsstrümpfe anzuziehen, was jeweils einen gewissen Kraftaufwand erfordert habe.

Diese Ausführungen decken sich nicht mit den Angaben, die die Klägerin im Rahmen einer Untersuchung in den > Krankenhausbezeichnung > am 14.5.2000 gemacht hat (Anlage K 2, dort Seite 19 f.). Denn dort hat die Klägerin angegeben, sie habe schon vor dem Unfall mehrfach mit der Halswirbelsäule Beschwerden gehabt. Sie sei dreimal ausgerenkt gewesen und jeweils wieder eingerenkt worden. Danach sei sie innerhalb weniger Tage beschwerdefrei gewesen. Diese Beschwerden der Halswirbelsäule seien immer dann aufgetreten, wenn sie im Geschäft zwischen den engen Regalen gearbeitet habe und nach oben habe schauen müssen. Dann sei es häufiger zu einer Blockierung der Halswirbelsäule gekommen. Ähnliche Beschwerden habe sie einmalig mit der Lendenwirbelsäule gehabt. Sie habe sich strecken müssen, um etwas aus einem relativ weit oben liegenden Regal zu nehmen. Dabei habe sie plötzlich stärkste Schmerzen in der Lendenwirbelsäule verspürte. Sie habe daraufhin sofort den Orthopäden aufgesucht, der im gleichen Haus praktiziere. Dort sei sie ebenfalls eingerenkt worden und habe mehrere Spritzen erhalten.

Diese augenscheinlichen Widersprüche der Klägerin beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit der Angaben zum ersten Auftreten und zur Kontinuität der geltend gemachten Schmerzen.

c) Kann die Klägerin den ihr obliegenden Beweis dafür, durch das Unfallereignis eine beidseitige Schultermanschettenruptur erlitten zu haben, nicht erbringen, so können bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auch die auf psychiatrischem Gebiet liegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen keine Berücksichtigung finden. Mit Recht ist das Landgericht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. gefolgt, wonach die Anpassungsstörungen der Klägerin in erster Linie Folgen der beidseitigen Verletzung der Schultergelenke waren. In haftungsrechtlicher Hinsicht teilen diese psychischen Erkrankungen das Schicksal der primären orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigung: Wenn bereits die Unfallursächlichkeit des Auslösers dieses psychischen Beschwerdebildes nicht feststeht, so scheitert der Kausalitätsnachweis erst recht für alle diejenigen Folgen, die im weiteren Kausalverlauf am Vorliegen dieses Umstandes ansetzen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Klägerin eine nach den Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. Z./Dr. S. in längstens sechs Wochen ausgeheilte Verschlimmerung eines bereits vor dem Unfallgeschehen zeitweise virulenten Beschwerdebildes auf psychischem Gebiet fehlverarbeitet hätte.

Damit steht der Klägerin kein weitergehender Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu, da die bereits geleistete Summe von 1.500 DM zum Ausgleich der unstreitigen Unfallfolgen angemessen erscheint.

2. Zum Verdienstausfallschaden:

Auch soweit die Klägerin mit der Klage einen Verdienstausfallschaden geltend macht, unterliegt die Klage der Abweisung: Die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wird allein aus einer Verletzung der Schultermanschette hergeleitet. Mithin ist auch die Arbeitsunfähigkeit nur dann adäquate Folge des Unfallgeschehens, wenn der Auslöser der Arbeitsunfähigkeit, die Ruptur der Manschette, adäquate Folge des Unfalls war. Diesen Beweis konnte die Klägerin nicht führen.

Die Klageabweisung erfasst auch den als Antrag zu Ziff. 6 gestellten Feststellungsantrag: Wenn die Beklagten nicht zur Zahlung von Verdienstausfall verpflichtet sind, kann die Klägerin auch nicht den Ausgleich solcher Steuernachteile beanspruchen, die ihr aus der Gewährung von Verdienstausfallzahlungen entstehen.

3. Zum Feststellungsantrag zu 4):

Die auf Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden gerichtete Klage unterliegt der Abweisung, da die zweifelsfrei festgestellten unfallbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen Beschwerden hervorriefen, die längstens in 6 Wochen abgeklungen waren. Mithin ist nicht bewiesen, dass der Klägerin aus der nachgewiesenen Gesundheitsbeeinträchtigung auch nur entfernt ein wie auch immer gearteter Schaden droht (vgl. BGH, Urt. v. 16.1.2001 - VI ZR 381/99, NJW 2001, 1431 f.; Zöller/Greger, aaO., § 256 Rdnr. 8a).

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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