Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 U 130/2002; 1 U 130/02

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 11.11.2002 - 5 O 1945/00 Fe - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.399,62 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf % über dem Basiszinssatz seit 15.09.2000 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert in beiden Rechtszügen: 8.399,62 Euro (16.428,23 DM).

Gründe

 
I.
Auf die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Heilbronn wird Bezug genommen.
Das Landgericht Heilbronn hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin sei ein ungeeigneter, weil unzuverlässiger Bieter im Sinne des § 25 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A, weswegen die Beklagte berechtigt gewesen sei, den Auftrag anderweitig zu vergeben.
Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung greift die Klägerin die Rechtsanwendung des Landgerichts an. Das Landgericht habe die Regelung des §25 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 VOB/A unzutreffend angewandt. Es habe die im Rahmen des Vergabeverfahrens begangenen Verfahrensverstöße unberücksichtigt gelassen und den der Beklagten bei der Vergabe zustehenden Entscheidungsspielraum "überdehnt" beurteilt; ein Ausschluss wegen Unzuverlässigkeit könne allenfalls bei gravierenden Verstößen begründet sein, die nicht festgestellt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 11. November 2002, Az.: 5 O 1945/00 Fe abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.399,62 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist in vollem Umfang begründet, weshalb das Urteil des Landgerichts Heilbronn abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen war.
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Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsschluss gegen die Beklagte.
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Nach den in höchstrichterlicher Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätzen zur Haftung bei öffentlicher Ausschreibung wird zwischen Ausschreibendem einerseits und interessiertem Bieter andererseits durch die öffentliche Ausschreibung nach den Regeln der VOB/A und das Angebot des Bieters ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis begründet, das beiden Seiten Sorgfaltspflichten auferlegt. Zu diesen Sorgfaltspflichten gehört insbesondere die Einhaltung der Vergabevorschriften der VOB/A, deren Verletzung Schadensersatzansprüche begründen kann. Diese sind auf Ersatz des Schadens gerichtet, den der Bieter infolge seines Vertrauens darauf erlitten hat, dass die Ausschreibung nach den Vorschriften der VOB/A abgewickelt wird. Das beschränkt ihn nicht auf den Ersatz des negativen Interesses. Er kann vielmehr auch den infolge der Nichterteilung des Auftrages entgangenen Gewinn dann verlangen, wenn der Auftrag vergeben wurde und bei rechtmäßiger Handhabung des Verfahrens der Zuschlag allein ihm hätte erteilt werden können und dürfen (BGH WM 2002, 305; NJW 2000, 661; NJW 1998, 3636; NJW 1998, 3644; Heiermann/Riedl/Rusam-Rusam, Handkommentar zur VOB, 9. Aufl., Rn 67c zu A § 25; Ingenstau/Korbion-Vygen, VOB, 14. Aufl., Einl. Rn 55 f.).
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Die Beklagte hat bei der Vergabe der öffentlich ausgeschriebenen Baumaßnahmen betreffend die Wilhelmstraße in G. die Vergabevorschriften der VOB/A nicht eingehalten.
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Es kann dahinstehen, ob der Beklagten vorzuwerfen ist, dass sie bei ihrer Wertung der Angebote die durch § 25 VOB/A vorgegebene Reihenfolge der einzelnen Prüfungsabschnitte nicht beachtet hat bzw. die Frage der Zuverlässigkeit der Klägerin schon vor Aushändigung der Vergabeunterlagen hätte prüfen müssen. Bei öffentlichen Ausschreibungen wird die Eignung der Bieter, die u.a. durch das Merkmal der Zuverlässigkeit bestimmt wird (BGH WM 2002, 305), in der zweiten Wertungsstufe nach § 25 Nr. 2 VOB/A untersucht, während diese Prüfung bei Beschränkten Ausschreibungen und Freihändigen Vergaben bereits bei der Aufforderung zur Angebotsabgabe geprüft werden muss (Heiermann/Riedl/Rusam-Rusam, Handkommentar zur VOB, 9. Aufl., Rn 28 zu A § 25).
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Selbst wenn ein Verstoß der Beklagten gegen die Verfahrensvorschriften festzustellen wäre, wäre dies für die Frage der Schadensersatzpflicht ohne Bedeutung. Denn bei unkorrekter Vergabe erleidet nur derjenige Bieter einen Schaden, der bei ordnungsgemäßem Verfahren den Zuschlag wahrscheinlich erhalten hätte (Heiermann/Riedl/Rusam-Rusam, Handkommentar zur VOB, 9. Aufl., Rn 67a zu A § 25). Bei tatsächlichem Vorliegen von Unzuverlässigkeit wäre die Klägerin deshalb bei einem ordnungsgemäßen Verfahren wegen mangelnder Eignung in jedem Fall unberücksichtigt geblieben.
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Die Beklagte hat indessen zu Unrecht das Gebot der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Wertung "Unzuverlässigkeit der Klägerin" im Sinne einer mangelnden Eignung für die Durchführung des Werkvertrages nicht. Andere Kriterien, aufgrund derer ein Gebot nach § 25 Nr. 2 VOB/A unberücksichtigt bleiben könnte, sind nicht ersichtlich und werden von der Beklagten auch nicht behauptet. Die sich aus den Feststellungen des Landgerichts ergebenden Verfehlungen der Klägerin bei der Durchführung des vorangehenden Auftrags sind im Blick auf die konkrete Art und den Umfang des Auftrags als derart geringfügig einzustufen, dass sie nicht den Schluss auf die Unzuverlässigkeit der Klägerin zulassen.
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Im Unterbleiben der Mitteilung des Betriebsurlaubs durch die Klägerin ist entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Pflichtverletzung der Klägerin zu sehen. Der Beklagten war als Kommune bekannt, dass im August üblicherweise Handwerkerferien sind. Dass die Klägerin in diesem Monat nicht arbeitete, war daher naheliegend. Hätte die Beklagte Gewissheit darüber haben wollen, ob entgegen den Gepflogenheiten doch gearbeitet wurde, hätte sie das erfragen können. Selbst wenn man von der Klägerin eine Mitteilung verlangen würde, wäre der Verstoß im konkreten Vertragsverhältnis als äußerst geringfügig einzustufen. Aus der Aussage des Zeugen G. ergibt sich, dass sich die Auftragsvergabe durch die Beklagte von vornherein verzögert hatte und sich der Auftrag für die Klägerin daher nicht als äußerst dringlich darstellte. Es ist auch kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, dass es für die Beklagte von besonderer Wichtigkeit gewesen wäre, dass die Arbeiten ohne Unterbrechung fortgesetzt würden. Fertigstellungszeiten oder gar eine Vertragsstrafe sind im Vertrag nicht enthalten.
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Die Mangelhaftigkeit von zwei von insgesamt nahezu 50 Straßeneinläufen durfte bei der Entscheidung über die Vergabe nicht berücksichtigt werden. Berücksichtigung können nur solche Tatsachen finden, die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Zuschlag feststehen und dem Auftraggeber bekannt sind (BGH NJW 2000, 661 = BauR 2000, 254). Wie sich aus der Aussage des Zeugen G. ergibt (Bl. 156 d.A.), hat die Beklagte vorliegend erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens sichere Kenntnis von der Mangelhaftigkeit der Straßeneinläufe bekommen. Zwar hatte sie schon im Jahr 1999 die Mangelhaftigkeit gerügt; sie wusste in der Folge jedoch nicht, ob die Klägerin die Mängel beseitigt hatte. Bei der Entscheidung über den Zuschlag durfte die Mangelhaftigkeit der Straßeneinläufe daher keine Rolle spielen.
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Die Tatsache, dass die Klägerin zwei Restschutthaufen nicht unverzüglich beseitigte, und der mit der Beseitigung beauftragte Mitarbeiter nicht wusste, wo diese sich befanden, erstaunt im Hinblick darauf, dass die Klägerin an nahezu 100 Stellen Reparaturarbeiten durchzuführen hatte, nicht und ist, weil durch die Schutthaufen offensichtlich keine Behinderungen eingetreten sind, als absolute Bagatelle zu bewerten.
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Die Pflasterbänder wurden zunächst unstreitig mangelhaft ausgeführt, weil sie nicht an das Niveau des Belages angepasst waren. Eine mangelhafte Leistung lässt jedoch nicht ohne weiteres den Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Unternehmers zu. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass jedenfalls bei umfangreicheren Vorhaben selbst einem äußerst sorgfältigen Unternehmer Mängel unterlaufen können. Aus der Tatsache einer mangelhaften Leistung kann daher nur dann der Rückschluss auf eine Unzuverlässigkeit des Unternehmers gezogen werden, wenn der Mangel gravierend ist, d.h. zu einer deutlichen Belastung des Auftraggebers, sei es in tatsächlicher oder finanzieller Hinsicht, führt, und der Unternehmer daher zu besonderer Sorgfalt angehalten gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Befahr- und Begehbarkeit der Strasse waren durch das Überstehen der Bänder um wenige Zentimeter nicht eingeschränkt. Höhenunterschiede in dieser Größenordnung sind im öffentlichen Verkehrsbereich zwar lästig, stellen aber insbesondere dann, wenn sie wie vorliegend durch ein sich abhebendes Material gut erkennbar sind, keine Gefahr dar. Auch das Verhalten der Beklagten nach Feststellung des Fortbestands des Mangels Mitte März zeigt, dass durch den Mangel keine Gefahr verursacht wurde, da die Beklagte sonst zur unverzüglichen Beseitigung aufgefordert oder die Gefahrenstelle sofort selbst beseitigt hätte. Statt dessen hat die Beklagte der Klägerin eine Frist von nahezu 3 Wochen zur Mängelbeseitigung gesetzt. Schließlich war auch der Mangel im Hinblick auf den Beseitigungsaufwand nur gering. Die Mängelbeseitigung erforderte unstreitig nur wenige Stunden Zeitaufwand für zwei Arbeitskräfte, so dass der Wert des Mangels im Verhältnis zum Gesamtauftrag mit einem Volumen von rund 180.000 DM weit unter 1 % liegt.
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Auch daraus, dass die Beklagte letztlich erst im Mai nach mehrmaliger Fristsetzung diesen Mangel beseitigte, kann nicht auf ihre generelle Unzuverlässigkeit geschlossen werden. Zum einen hatte die Beklagte durch die erste Fristsetzung bis 07.04.2000 keine besondere Dringlichkeit erkennen lassen, zum anderen war zwischen den Parteien die Frage der nicht im Auftrag der Klägerin enthaltenen Entfernung des Betonuntergrundes zu klären, die Voraussetzung für eine mangelfreie Arbeit der Klägerin war. Vor allem aber war der Mangel ohne gravierende Folgen, weswegen dem Unternehmer ein zeitlicher Spielraum für die Beseitigung zugestanden werden konnte. Wenn der Auftraggeber eine schnellere Beseitigung wünscht, hat er die Möglichkeit der Fristsetzung. Von dieser Möglichkeit hat auch die Beklagte Gebrauch gemacht hat, ohne allerdings Konsequenzen aus dem erfolglosen Fristablauf zu ziehen.
21 
Die Nichtbeseitigung von zwei Restschutthaufen und die verzögerte Mängelbeseitigung an den Pflasterbändern sind Mängel von derart geringem Gewicht, dass sie auch nicht in einer Gesamtschau den Schuss auf eine Unzuverlässigkeit der Klägerin zulassen. Zurecht weist die Klägerin in der Berufung darauf hin, dass dann, wenn derart geringe Mängel, wie sie erfahrungsgemäß bei nahezu jedem Bauvorhaben vorkommen, schon den Schluss auf die Unzuverlässigkeit des Unternehmers zuließen, der willkürlichen Vergabe, die durch das Vergabeverfahren der VOB/A gerade verhindert werden soll, Tür und Tor geöffnet würde. Es dürfte mit größter Wahrscheinlichkeit möglich sein, bei jedem Unternehmen, das schon einige Zeit tätig ist, Mängel bei früheren Maßnahmen in dieser Größenordnung zu finden. Der Ausschreibende hätte dann freie Hand, mit dem Hinweis auf Unzuverlässigkeit nahezu jeden Bieter auszuschließen. Dies ist nicht Sinn und Zweck des Vergabeverfahrens sein. Vielmehr soll das Verfahren zum einen die Gleichbehandlung der Bieter garantieren (vgl. § 2 VOB/A), zum anderen die Verschwendung öffentlicher Gelder durch Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot verhindern (vgl. § 25 VOB/A). Beiden Zielen wird das Verhalten der Beklagten nicht gerecht.
22 
Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatz des eingeklagten Betrages. Die Schadenshöhe ist schlüssig begründet und wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB a.F. (5 % über dem Basiszinssatz ab 15.09.2000).
23 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO.
24 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. § 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

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