Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 1 Ws 232/03

Tenor

Die Beschwerde des Nebenklägers gegen die Verfügung der (stellvertretenden) Vorsitzenden der 9. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart vom 01. August 2003 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

 
I.
Dem Angeklagten wird u.a. zur Last gelegt, er habe am 18. August 2001 seinen damals sieben Wochen alten Sohn B. in der ehelichen Wohnung zu ersticken versucht, weil dessen Schreien ihn störte. In der bei der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart anhängigen Strafsache wegen versuchten Totschlags wurde dem Kind, das - vertreten durch seine Mutter - sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen hatte, Rechtsanwalt K. im Wege der Prozesskostenhilfe als Beistand bestellt.
Nachdem die auf den 14. April 2003 und 3 weitere Tage bestimmten Hauptverhandlungstermine wegen Flucht des Angeklagten hatten aufgehoben werden müssen, hat der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer nach Ergreifung des Angeklagten in Österreich (22. Mai 2003) und Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland (26. Juni 2003) am 22. Juli 2003 neue Termine zur Hauptverhandlung auf den 10., 12., 14. und 18. November 2003 bestimmt, die nicht mit dem Verteidiger und dem Verfahrensbevollmächtigten des Nebenklägers abgestimmt waren. Hierauf beantragte dieser am 31. Juli 2003, die vor dem 18. November 2003 liegenden Hauptverhandlungstermine auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen, weil er sich vom 23. Oktober bis zum 14. November 2003 in einem bereits gebuchten Safari-Urlaub in Namibia befinden werde. Seine auf der von der Mutter des Nebenklägers unterschriebenen Vollmacht ebenfalls aufgeführten 5 Kanzleikollegen könnten ihn nicht vertreten, da er bisher den Nebenkläger sowohl in zivilrechtlichen Verfahren als auch in vorliegender Strafsache allein vertreten habe; nur er genieße das Vertrauen der Mutter des Nebenklägers und deren unter seinem Einfluss aussagewilligen Töchter aus erster Ehe.
Die (stellvertretende) Vorsitzende der Schwurgerichtskammer hat den Terminsverlegungsantrag mit der jetzt angefochtenen Verfügung vom 01. August 2003 abgelehnt, da die Schwurgerichtskammer im Hinblick auf andere, bereits terminierte Haftfälle nicht flexibel sei und der Angeklagte, der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits 5 Monate Untersuchungshaft hinter sich haben werde, auf die Durchführung der Hauptverhandlung vertrauen könne.
Hiergegen richtet sich die namens des Nebenklägers eingelegte Beschwerde.
II.
1. Die Frage, ob die Ablehnung einer Terminsverlegung durch den Vorsitzenden mit der Beschwerde angefochten werden kann, ist umstritten. Teils wird die Beschwerde im Hinblick auf § 305 Satz 1 StPO generell für unstatthaft gehalten (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 133; OLG Düsseldorf VRS 90, 122; OLG Celle NStZ 1984, 282; OLG Karlsruhe StV 1982, 560; OLG Stuttgart MDR 1980, 954); eine im Vordringen befindliche Meinung hält die Beschwerde jedoch trotz der Sperre des § 305 Satz 1 StPO dann für zulässig, wenn ein Ermessensfehler behauptet wird, der - falls er vorläge - zur Rechtswidrigkeit der Ablehnung führen würde (vgl. OLG Frankfurt StV 2001, 157; OLG Hamburg StV 1995, 11; OLG Karlsruhe StV 1991, 509; OLG München NStZ 1994, 451; OLG Stuttgart, Die Justiz 1973, 357; ebenso Tolksdorf in KK, StPO, 5. Auflage, § 213 Rdn. 6; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 213 Rdn. 8).
2. Der Senat lässt die Frage der Zulässigkeit, die argumentativ in die Beschwerdebegründung hineinreicht, hier dahinstehen, da die Beschwerde jedenfalls unbegründet ist. Denn die Verhinderung seines Verfahrensbevollmächtigten gibt dem Nebenkläger grundsätzlich keinen Anspruch auf Terminsverlegung; eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allenfalls in extremen Ausnahmefällen vorstellbar.
In seiner Beschwerdebegründung verkennt der Verfahrensbevollmächtigte des Nebenklägers, dass er sich nicht wie ein Verteidiger auf das grundsätzliche Recht eines jeden Angeklagten berufen kann, sich in der Hauptverhandlung von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen. Bei der Verhinderung eines solchen Verteidigers wird die fehlerfreie Ermessensausübung des Vorsitzenden nicht selten auf eine Terminsverlegung hinauslaufen müssen, auch wenn ein Anspruch auf Terminsverlegung nicht besteht, weil neben den Interessen der Beteiligten auch das Gebot der Verfahrensbeschleunigung, insbesondere bei Haftsachen, und die Terminsplanung des Spruchkörpers sowie dessen Belastung in die Ermessensentscheidung einzubeziehen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 213 Rdn. 7; Tolksdorf in KK, StPO, 5. Auflage, § 213 Rdn. 4b, jeweils m.w.N.).
Indes ist der Nebenkläger bzw. sein Verfahrensbevollmächtigter, der sich nicht gegen einen Schuldvorwurf verteidigt, sondern als Verfahrensbeteiligter mit selbständigen Rechten seine persönlichen Interessen auf Genugtuung wahrnimmt (BGHSt 28, 272; Senge in KK, StPO, 5. Auflage, Vorbemerkungen vor § 395 Rdn. 1), mit so weit reichenden prozessualen Rechten nicht ausgestattet. Dies folgt zunächst aus § 398 Abs. 1 StPO, wonach der Fortgang des Verfahrens durch den Anschluss des Nebenklägers nicht aufgehalten wird. Seine Mitwirkung an dem Verfahren ist trotz der Zulassungserklärung nach § 396 StPO nicht notwendig; zur Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen ist er nicht verpflichtet, weswegen die Hauptverhandlung auch ohne ihn durchgeführt werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 398 Rdn. 2; Senge in KK, StPO, 5. Auflage, § 398 Rdn. 2; Kurth in HK, StPO, 3. Auflage, § 398 Rdn. 1; Pfeiffer, StPO, 4. Auflage, § 398 Rdn. 1). Nach § 398 Abs. 2 StPO wird eine Hauptverhandlung auch dann an den bereits bestimmten Tagen durchgeführt, wenn der Nebenkläger seinen Anschluss so spät erklärt, dass er nicht mehr rechtzeitig geladen oder benachrichtigt werden kann. Der Gang der Hauptverhandlung ist generell nicht an die Anwesenheit des Nebenklägers bzw. seines Verfahrensbevollmächtigten gebunden (BGHSt 28, 272); die Hauptverhandlung findet selbst dann ohne den Nebenkläger statt, wenn dieser aus einem triftigen Grund (Krankheit, dringende persönliche Angelegenheit) verhindert ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 398 Rdn. 3; Senge in KK, StPO, 5. Auflage, § 398 Rdn. 3; Kurth in HK, StPO, 3. Auflage, § 398 Rdn. 2; Pfeiffer, StPO, 4. Auflage, § 398 Rdn. 2). Sein Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist durch die Möglichkeit der persönlichen Teilnahme oder der Teilnahme eines Verfahrensbevollmächtigten gewahrt.
Die urlaubsbedingte Verhinderung des anwaltlichen Nebenklägervertreters stellt sonach keinen Grund dar, Hauptverhandlungstermine zu verlegen. Die Mutter des Nebenklägers als seine gesetzliche Vertreterin, die seit einigen Jahren deutsche Staatsangehörige ist, darf dessen Rechte auch ohne einen Verfahrensbevollmächtigten selbst wahrnehmen. Sollte ihr dies wegen mangelnder Sprach- oder Rechtskenntnisse nicht möglich sein, so muss sie sich darauf verweisen lassen, dass einer der weiteren fünf von ihr bevollmächtigten Rechtsanwälte derselben Rechtsanwaltskanzlei den Nebenkläger an drei von vier Hauptverhandlungstagen vertritt. Dies ist angesichts der Informationsmöglichkeit durch den bisherigen Verfahrensbevollmächtigten des Nebenklägers und angesichts der dem anderen Rechtsanwalt noch zur Verfügung stehenden Einarbeitungszeit sowohl möglich als auch zumutbar. Es wäre angesichts des durch Art. 6 Abs. 1 MRK für Haftsachen bestimmten Beschleunigungsgebots nicht vertretbar, mit der Hauptverhandlung länger als bis November 2003 zuzuwarten; dies hätte aller Voraussicht nach eine Haftprüfungsvorlage (§§ 121 ff. StPO) an das Oberlandesgericht Stuttgart im Dezember 2003 zur Folge, deren Ergebnis ungewiss wäre; denn der Angeklagte hat einen Anspruch auf beschleunigte Durchführung der Hauptverhandlung, auch wenn er sich dem Verfahren durch Flucht für einige Monate entzogen hatte. Auch die praktischen Bedürfnisse der Rechtspflege gebieten im übrigen eine alsbaldige Durchführung der Hauptverhandlung, da Verfahren dieser Art erfahrungsgemäß durch Zeitablauf immer schwerer zu handhaben sind.
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Das Argument des Bevollmächtigten des Nebenklägers, die Mutter des Nebenklägers als unmittelbare Tatzeugin sowie deren zwei minderjährige Töchter aus erster Ehe könnten, falls er nicht in der Hauptverhandlung anwesend sei, nicht zu einer Sachaussage bereit sein, ist nicht stichhaltig. Die Mutter des Nebenklägers hat sich zwischenzeitlich vom Angeklagten scheiden lassen; dass sie nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO die Aussage verweigern wird, um den Angeklagten zu schonen, ist mehr als unwahrscheinlich; dasselbe gilt für ihre nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zeugnisverweigerungsberechtigten Töchter aus erster Ehe, die kein Interesse daran haben können, ihre Mutter und ihren Stiefbruder in der Hauptverhandlung im Stich zu lassen. Im übrigen kann der Verfahrensbevollmächtigte des Nebenklägers nicht zugleich Beistand der beiden minderjährigen Zeuginnen sein; eine solche Doppelrolle ist wegen der möglichen Interessenkollision prozessual nicht zulässig.
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Unter den gegebenen Umständen muss es hier bei dem Grundsatz verbleiben, dass die Hauptverhandlung nicht verlegt wird, wenn der Verfahrensbevollmächtigte des Nebenklägers verhindert ist; Anhaltspunkte für einen extremen Ausnahmefall liegen nicht vor.

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