Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 8 W 236/04

Tenor

Das Notariat -Vormundschaftsgericht - Bad Schussenried ist zur Ausführung des Rechtshilfeersuchens des Notariats Riedlingen vom 10.5.2004 nicht verpflichtet.

Gründe

 
I.
Beim ersuchten Vormundschaftsgericht ist am 29. April 2004 eine Anregung des Zentrums für Psychiatrie Bad Schussenried eingegangen, für die dort in freiwilliger stationärer Behandlung befindliche Betroffene eine - möglicherweise umfassende - Betreuung anzuordnen, verbunden mit dem Vorschlag, den (jüngsten) Sohn zum Betreuer zu bestellen. Ausweislich des der Anregung beigefügten Gutachtens ist mit der wachen und zur Person voll orientierten, aber depressiv herabgestimmten Betroffenen eine Verständigung möglich; die Diagnose lautet: „Delirantes Zustandsbild bei Verdacht auf dementielle Entwicklung und vermutlich zugrundeliegender histrionischer Persönlichkeitsstörung“.
Daraufhin hat sich das ersuchende Gericht sich mit Schreiben vom 10.5.2004 an das ersuchte Vormundschaftsgericht gewandt mit der Bitte, die Betroffene zur Bestellung eines Betreuers und zu ihrer künftigen Unterbringung „sachdienlich“ zu hören (Bl. 4 dA).
Das ersuchte Gericht hat mit Beschluss vom 11.5.2004 die erbetene Rechthilfe mit eingehender Begründung, insbesondere auch auf die Häufigkeit derartiger Gesuche seitens des nahegelegenen ersuchenden Gerichts, als gesetzwidrig abgelehnt. Daraufhin hat das ersuchende Gericht mit Schreiben vom 18.5.2004 darauf hingewiesen, dass das ersuchte Gericht rechtlich nicht befugt sei, die Abwägungen des ersuchenden Gerichts, „dass es das Ergebnis einer Anhörung durch das ersuchte Gericht auch ohne eigenen persönlichen Eindruck werde würdigen können“, zu überprüfen (Bl.6 dA).
Durch weiteren Beschluss vom 21.5.2004 hat das ersuchte Gericht erneut die Durchführung der Rechtshilfe abgelehnt und ergänzend nochmals auf die Möglichkeit einer Vorlage nach § 159 GVG an das Oberlandesgericht Stuttgart hingewiesen. Das ersuchende Gericht hat indes die Sache dem Landgericht Ravensburg übersandt (wo die Sache unter dem AZ 2 T 35/04 registriert worden ist), das die Sache mit Verfügung vom 8. Juni 2004 dem OLG Stuttgart (eingegangen am 15.6.2004) vorgelegt hat.
II.
Das Oberlandesgericht Stuttgart ist gemäß § 2 Satz 2 FGG i.V.m. § 159 Abs. 1 Satz 1 GVG zur Entscheidung berufen.
1. Über die Grundsätze für die hier zu treffende Entscheidung bedarf es keiner weiterer Ausführungen; insoweit kann auf die - auch vom ersuchenden Gericht in Bezug genommenen - Senatsentscheidungen vom 25.10.2001 (OLG-Report 2002,184 = RPflG 2002, 255 = Die Justiz 2002, 165 [mit fehlerhaftem Umbruch]) und vom 12.8.2003 (8 AR 12/03, das ersuchende Vormundschaftsgericht im Konflikt mit dem Notariat Ehingen betreffend) verwiesen werden.
Zwar hat das ersuchende Gericht - über den genannten Fall 8 AR 12/03 hinausgehend - im Schreiben vom 18.5.2004 an das ersuchte Gericht und im Vorlageschreiben vom 1.6.2004 formelhaft ausgeführt, es habe ausreichend abgewogen, ob es die Ermittlungen des ersuchten Gerichts auch ohne eigenen Eindruck von der Betroffenen zu würdigen vermag. Allerdings fehlt für dieses Ergebnis der Würdigung jede nachvollziehbare Begründung, die jedenfalls im Streitfall spätestens in der Vorlage hätte nachgeholt werden müssen, damit das übergeordnete Gericht die Gesetzmäßigkeit des Rechtshilfeersuchens überprüfen kann. Die Wiedergabe des Wortlauts von § 68 Abs. 1 Satz 4 FGG allein genügt nicht, solchen Erwägungen nachvollziehbar zu machen. Die grundsätzliche Unzulässigkeit der Überprüfung der Erwägungen des ersuchenden Gerichts durch das ersuchte Gericht hat nicht zur Folge, dass auch dem nach § 159 GVG zur Entscheidung des Konflikts berufene berufenen Obergericht eine Überprüfung der Erwägungen des ersuchenden Gerichts versagt ist. Vielmehr soll das - im Extremfall bis zum Bundesgerichtshof reichende (§ 159 Abs. 1 S. 2, 3 GVG) - Vorlageverfahren sicherstellen, dass das ersuchende Gericht bei der in seinem Ermessen stehenden Verfahrensgestaltung die Grenzen einer pflichtgemäßen Ermessensausübung nicht überschritten hat. Dies setzt voraus, dass jedenfalls bei Vorlage an das Obergericht die Gründe für die Inanspruchnahme von Rechtshilfe dargelegt werden.
2. Im vorliegenden Fall sind hinreichende Gründe, die eine Rechtshilfe durch das (nahegelegene) ersuchte Gericht rechtfertigen, weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr liegt ein Ermessenfehlgebrauch seitens des ersuchenden Gerichts vor, der die Durchführung der Rechtshilfe gesetzwidrig macht, was einem Verbot der Rechtshilfe iSv § 158 Abs. 2 GVG gleichkommt.
Durch das seit 1992 geltende Betreuungsrecht ist der Grundsatz der persönlichen Anhörung des Betroffenen durch den Betreuungsrichter als zentrales Anliegen der Reform zum Regelfall erhoben und die Einschaltung eines ersuchten Richters zum an besondere Voraussetzungen geknüpften Ausnahmefall bestimmt worden (§ 68 Abs. 1 Satz 4 und - noch ausgeprägter - § 70c FGG). Als solche Ausnahmefälle kommen insbesondere Koma-Patienten und ähnliche Fallgestaltungen in Betracht, eventuell auch ergänzende Anhörungen im Lauf eines längeren Verfahrens.
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Im Interesse des Betroffenen verlangt das Gesetz grundsätzlich die persönliche Anhörung durch den entscheidenden Richter auch dann, wenn sich der Betroffene in einem anderen Gerichtsbezirk aufhält (weshalb auch die Mitglieder der Beschwerdekammern gehalten sind, nicht nur im gesamten Land, sondern auch in anderen Bundesländern Anhörungen durchzuführen). Unter dem Gesichtpunkt der Verfahrensökonomie kann allenfalls die Entfernung zwischen ersuchendem und ersuchtem Gericht ein zusätzlicher beachtlicher Abwägungsgrund sein - mit der Folge, dass an die Zulässigkeit von Rechtshilfe unter nahegelegenen Gerichten strengere Anforderungen zu stellen sind als bei räumlich weit entfernten Gerichten.
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Hier geht es um die erstmalige Anordnung einer Betreuung, bei der der unmittelbare persönliche Eindruck von der betroffenen Person zentrale Bedeutung hat sowohl für die Erforderlichkeit der Betreuung als auch für die Bestimmung der Aufgabenkreise und für die Auswahl des Betreuers. Zudem vermittelt das ärztliche Gutachten des PLK Schussenried krankheitsbedingt ein diffuses Bild der Betroffenen, so dass nur schwer vorstellbar ist, dass hier ein Anhörungsprotokoll eines anderen Betreuungsrichters ein zutreffendes Bild der Betroffenen vermitteln kann. Um nach Durchführung der notwendigen Ermittlungen (§ 12 FGG) eine sachgerechte Entscheidung treffen zu können, entspricht es einer an der Zielsetzung des Betreuungsgesetzes ausgerichteten Vorgehensweise, die Betroffene in Anwesenheit des vorgesehenen Betreuers (und gegebenenfalls des Arztes) an ihrem derzeitigen Aufenthaltsort persönlich anzuhören.
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Demgegenüber stellt sich das vom ersuchenden Gericht praktizierte Verfahren - das nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des ersuchten Gerichts kein Einzelfall ist, sondern fortgesetzt praktiziert wird - als unvereinbar mit der gesetzlichen Konzeption des Betreuungsgesetzes und deshalb als Fehlgebrauch des eingeräumten Ermessens dar. Nach allem liegt hier ein dem Fall des OLG Schleswig (MDR 1995,607 = FamRZ 1995, 1596 = FGPrax 1995,114 = RPfl 1995,413) vergleichbarer Fall vor, den der Senat in seinem Beschluss vom 25.10.2001 (aaO) ausdrücklich vorbehalten hatte.
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Das ersuchte Gericht hat somit zu Recht die Rechtshilfe verweigert.

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