Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 Ws 334/06; 4 Ws 338/06

Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Stuttgart vom 29. August 2006 (22 StVK 109/06) wird - betreffend den Verpflichtungsantrag, ihn in eine Einzelzelle im Bau III der Justizvollzugsanstalt zurückzuverlegen und die Teilnahme an der dortigen Gemeinschaftsfreizeit zu ermöglichen - als unzulässig

verworfen.

2. Die Rechtsbeschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Stuttgart vom 29. August 2006 (22 StVK 109/06) sowie vom 12. September 2006 (22 StVK 131/06) - betreffend den Verpflichtungsantrag, einen Vollzugsplan aufzustellen und ihm in diesen Einsicht zu ermöglichen - werden als unbegründet

verworfen.

3. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seiner Rechtsmittel.

4. Der Geschäftswert, aus dem die zu entrichtende Gebühr beider Rechtsbeschwerden zu berechnen ist, wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt seit 26. Juni 2006 in der Justizvollzugsanstalt eine zehnmonatige Freiheitsstrafe wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 06. September 2005 (B 4 Ds 84 Js 87782/04). Der Zwei-Drittel-Termin ist auf den 13. Januar 2007, der Endstrafentermin auf den 25. April 2007 notiert.
2. Im Verfahren 22 StVK 109/06 beantragte der Verurteilte am 30. Juli 2006 die gerichtliche Entscheidung gegen seine am 18. Juli 2006 vorgenommene Verlegung vom Bau III in den Bau I der Justizvollzugsanstalt . Durch diese Verlegung sei ihm sein Recht auf Teilnahme an der Gemeinschaftsfreizeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 StVollzG genommen worden.
Unter dem 17. August 2006 nahm die Justizvollzugsanstalt zu diesem Antrag auf gerichtliche Entscheidung Stellung. Hierbei wird ausgeführt, der Gefangene sei zunächst wie jeder Neuzugang bis 29. Juni 2006 im Bau I untergebracht gewesen. Am 30. Juni 2006 sei er in den Bau III - dort befänden sich nur Gemeinschaftshafträume - verlegt worden. In diesem Trakt der Justizvollzugsanstalt seien in der Regel Strafgefangene untergebracht, welche in den Werkbetrieben der Justizvollzugsanstalt arbeiteten. Da der Beschwerdeführer anlässlich seiner geplanten Einteilung zur Arbeit auf den Umstand hingewiesen habe, dass er einem Fernstudium nachgehe, sei er von der Arbeitspflicht freigestellt und seine Verlegung in eine Einzelzelle im Bau I veranlasst worden, da Studenten und Schülern eine gemeinsame Unterbringung mit Mitgefangenen nicht zumutbar sei. Zudem könnten Studenten und Schüler im Bau I durch den dortigen pädagogischen Dienst betreut werden. Im Bau I gebe es keine Zellenöffnung zu bestimmten Zeiten, wie dies im Bau III der Fall sei. Die dortigen Gefangenen könnten an gelenkten Freizeitkursen, zu welchen sie sich anmelden müssten, teilnehmen.
Durch Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 29. August 2006 wurde der diesbezügliche Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen. Die Strafvollstreckungskammer führt insoweit aus, bei der Verlegung des Antragstellers handele es sich um eine räumlich-personell-organisatorische Maßnahme, die in Anbetracht des Fernstudiums des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden sei. Ferner unterliege die Freizeitgestaltung im Sinne des § 17 Abs. 2 StVollzG dem Ermessen des Anstaltsleiters, so dass sich ein Anspruch auf die Gewährung von „Zellenaufschluss“ nicht herleiten lasse.
Gegen diese, am 31. August 2006 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 28. September 2006 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Stuttgart eingelegte Rechtsbeschwerde, mit welcher der Verurteilte die Verletzung von § 17 Abs. 2 StVollzG rügt.
3. Ebenfalls im Verfahren 22 StVK 109/06 beantragte der Verurteilte mit Schriftsatz vom 30. Juli 2006 die gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der Weigerung der Justizvollzugsanstalt , einen Vollzugsplan zu erstellen und ihm Einsicht in diesen zu gewähren.
Unter dem 17. August 2006 nahm die Justizvollzugsanstalt hierzu Stellung. Hierbei wird ausgeführt, die Erstellung des Vollzugsplans für den Beschwerdeführer sei für August 2006 vorgesehen gewesen. Zur Vorbereitung habe die zuständige Sozialarbeiterin mit dem Gefangenen ein Gespräch führen wollen, was der Verurteilte jedoch verweigert habe. Ein Vollzugsplan könne daher nicht erstellt werden.
Durch Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 29. August 2006 wurde der Antrag auf gerichtliche Entscheidung insoweit als unbegründet zurückgewiesen, da ein Vollzugsplan mangels der Mitwirkung des Antragstellers noch nicht erstellt worden und eine Einsichtnahme somit nicht möglich sei. Gegen diese, ihm am 31. August 2006 zugestellte Entscheidung hat der Beschwerdeführer zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Stuttgart am 28. September 2006 Rechtsbeschwerde erhoben. Er rügt die Verletzung von § 7 StVollzG.
4. Mit Schriftsatz vom 28. August 2006, bei der Strafvollstreckungskammer am Folgetag eingegangen, machte der Verurteilte unter Bezugnahme auf das Aktenzeichen 22 StVK 109/06 weitere Ausführungen hinsichtlich seiner Unterbringung sowie der Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Erstellung eines Vollzugsplanes. Dieser Schriftsatz wurde beim Landgericht Stuttgart nicht dem Verfahren 22 StVK 109/06 zugeordnet, sondern unter dem neu vergebenen Aktenzeichen 22 StVK 131/06 geführt.
10 
Die Justizvollzugsanstalt verwies im Rahmen ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 08. September 2006 auf die bereits abgegebene Stellungnahme vom 17. August 2006 und betonte nochmals, dass der Gefangene ein Gespräch, welches zur Erstellung des Vollzugsplans erforderlich sei, verweigert habe.
11 
Durch Beschluss vom 12. September 2006 (22 StVK 131/06) wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der Erstellung eines Vollzugsplans als unzulässig zurück. Der Antragsteller habe sich bislang geweigert, an der Erstellung eines Vollzugsplans mitzuwirken. Offensichtlich sei er nunmehr hierzu bereit, habe jedoch noch keinen entsprechenden Antrag bei der Justizvollzugsanstalt gestellt. Gegen diesen Beschluss, dem Verurteilten am 15. September 2006 zugestellt, legte er am 28. September 2006 zu Protokoll der Geschäftsstelle der Strafvollstreckungskammer Rechtsbeschwerde ein.
II.
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1. Die Rechtsbeschwerden gegen die Beschlüsse des Landgerichts Stuttgart vom 29. August 2006 (22 StVK 109/06) sowie vom 12. September 2006 (22 StVK 131/06) sind in der § 118 StVollzG entsprechenden Form und Frist erhoben. Soweit der Verurteilte die Rückverlegung in eine Einzelzelle im Bau III der Justizvollzugsanstalt und eine Teilnahme an dem dort üblichen Zellenaufschluss begehrt (Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 29. August 2006 (22 StVK 109/06)), ist die Rechtsbeschwerde unzulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG. Soweit er sich gegen die unterbliebene Erstellung eines Vollzugsplanes und die Ablehnung einer entsprechenden Einsichtnahme wendet (Beschlüsse des Landgerichts Stuttgart vom 29. August 2006 (22 StVK 109/06) sowie vom 12. September 2006 (22 StVK 131/06) ist die Rechtsbeschwerde zulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG, weil es geboten ist, die Nachprüfung der Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. In der Sache sind die Rechtsbeschwerden jedoch unbegründet.
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2. Zum Verfahren 22 StVK 109/06 betreffend die Unterbringung des Verurteilten und den gerügten Verstoß gegen § 17 Abs. 2 StVollzG:
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Insoweit ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, weil es nicht geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
15 
Die Unterbringung des Gefangenen während der Arbeits- und Freizeit unterliegt gemäß § 17 Abs. 2 u. 3 StVollzG einem weitgehenden Regelungsermessen der Vollzugsbehörde. Die vorliegend angestellten Erwägungen, diejenigen Gefangenen, die einem Studium oder einer Schulausbildung nachgehen, in einem besonderen Teil der Justizvollzugsanstalt - insbesondere in Einzelhafträumen - unterzubringen, begegnen keine Bedenken. Eine Unterbringung gemeinsam mit in Werkbetrieben arbeitenden Gefangenen könnte den Studienerfolg nachteilig beeinflussen. Ferner ist die Erwägung, auf diese Art und Weise eine besondere Betreuung durch den pädagogischen Dienst zu ermöglichen, nicht zu beanstanden. Auch die Erwägung, dass ein so genannter „Zellenaufschluss“ zu festen Zeiten für den Fortgang der Lernbemühungen störend sein kann, ist ermessensfehlerfrei.
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3. Zu den Verfahren 22 StVK 109/06 und 22 StVK 131/06 (betreffend die Erstellung eines Vollzugsplanes und Einsichtnahme):
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Die Rechtsbeschwerden sind zulässig im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts geboten ist.
18 
Aus § 7 Abs. 1 StVollzG folgt das Recht des Gefangenen auf Erstellung eines Vollzugsplanes in schriftlicher Form unter Beteiligung der Vollzugsplankonferenz gemäß § 159 StVollzG. Der Vollzugsplan dient dem Gefangenen und den Vollzugsbediensteten als Orientierungsrahmen für den Ablauf des Vollzuges und für die Ausgestaltung der einzelnen Behandlungsmaßnahmen (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 7 Rdnr. 1 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Gemäß § 7 Abs. 1 StVollzG ist der Vollzugsplan aufgrund der Behandlungsuntersuchung im Sinne des § 6 StVollzG zu erstellen. § 6 Abs. 1 Satz 1 StVollzG seinerseits normiert ein Recht des Gefangenen auf eine Behandlungsuntersuchung und korrespondierend die Pflicht der Anstalt, diese auch durchzuführen (Callies/Müller-Dietz a.a.O. § 6 Rdnr. 1 / Arloth/Lückemann, StVollzG, § 6 Rdnr. 3). Aus § 4 Abs. 1 StVollzG folgt, dass eine aktive Pflicht des Verurteilten zur Mitwirkung an der Behandlungsuntersuchung nicht besteht (Arloth/Lückemann a.a.O. § 6 Rdnr. 2).
19 
Die Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Durchführung einer Behandlungsuntersuchung erfährt jedoch in der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG eine Ausnahme. Demnach kann von der Durchführung der Behandlungsuntersuchung abgesehen werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Vollzugsdauer nicht geboten erscheint. Angesichts des der Vollzugsbehörde durch diese Regelung zugewiesenen Ermessens hat der Gefangene insoweit lediglich ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch. Als maßgebendes Ermessenskriterium kommt neben der Vollzugsdauer insbesondere die Erforderlichkeit von Hilfestellungen für den Gefangenen (vgl. § 3 Abs. 3 StVollzG) in Betracht (Arloth/Lückemann a.a.O. § 6 Rdnr. 3). Gemäß der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift zu § 6 StVollzG ist bei einer Vollzugsdauer von bis zu einem Jahr eine Behandlungsuntersuchung in der Regel nicht geboten. Angesichts des Umstandes, dass ein verbleibender Haftzeitraum von einem Jahr in vielen Fällen für eine spezifische Behandlung zu kurz sein dürfte und die VV zu § 6 StVollzG durch die Normierung lediglich eines Regelgrundsatzes eine Einzelfallprüfung zulässt, enthält diese Verwaltungsvorschrift eine zulässige Konkretisierung der Ermessensausübung im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG (so auch Arloth/Lückemann a.a.O.).
20 
Die Einräumung eines Ermessensspielraumes hinsichtlich der Durchführung der Behandlungsuntersuchung kann nicht ohne Auswirkungen auf die Erstellung des Vollzugsplans bleiben, da gemäß § 7 Abs. 1 StVollzG gerade die Behandlungsuntersuchung maßgebliche Beurteilungsgrundlage für die Festlegungen des Vollzugsplans ist. Aus diesem systematischen Zusammenhang folgt, dass in den Fällen, in denen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG eine Behandlungsuntersuchung zulässigerweise unterbleiben kann, die Erstellung eines Vollzugsplanes ebenfalls im pflichtgemäßen Ermessen der Vollzugsbehörde liegt (Arloth/Lückemann a.a.O. § 7 Rdnr. 3 / Feest, StVollzG, 4. Aufl., § 6 Rdnr. 3 und § 7 Rdnr. 5 / Schwind/Böhm/Jehle -, Mey/Wischka, StVollzG, 4. Aufl., § 7 Rdnr. 4). Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass bei einer nur kurzen Vollzugsdauer und dem Fehlen anderweitiger Erkenntnismöglichkeiten die Persönlichkeit des Gefangenen betreffend die Erstellung des Vollzugsplanes zu einer inhaltsleeren Formalie würde.
21 
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von lediglich zehn Monaten zu verbüßen, so dass sich die Justizvollzugsanstalt im Rahmen des ihr zustehenden pflichtgemäßen Ermessens gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 StVollzG unter dem Gesichtspunkt der verbleibenden Vollzugsdauer veranlasst sehen durfte, von einer Behandlungsuntersuchung abzusehen. Zwar hat sie ihre Entscheidung ausschließlich auf die fehlende Mitwirkung des Antragstellers gestützt, ohne ausdrücklich auf die Vollzugsdauer abzustellen. Indes kann davon ausgegangen werden, dass sie auch diesen nahe liegenden Gesichtspunkt berücksichtigt hat. Einer besonderen Hervorhebung bedurfte es nicht. Im übrigen lassen weder die der Strafverbüßung zugrunde liegende Tat noch die berufliche Situation des Beschwerdeführers - er betreibt ein Fernstudium - besorgen, dass er spezieller Hilfsangebote des Justizvollzuges zur Wiedereingliederung bedarf. Zudem hat der Beschwerdeführer durch die Verweigerung der Behandlungsuntersuchung dokumentiert, dass er keinen Wert auf eine entsprechende Mitwirkung legt. Diese Haltung ist von der Vollzugsanstalt zu respektieren (Callies/Müller-Dietz a.a.O. § 4 Rdnr. 5 / Arloth/Lückemann a.a.O. § 6 Rdnr. 2), darf aber auch in die Ermessenserwägung hinsichtlich der Erstellung eines Vollzugsplans einbezogen werden. Bei dieser Sachlage durfte die Justizvollzugsanstalt vorliegend von der Erstellung eines Vollzugsplans für den Beschwerdeführer absehen.
22 
4. Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 121 Abs. 1, Abs. 2 StVollzG, die Feststellung des Geschäftswertes folgt aus §§ 65 Satz 1, 60, 52 Abs. 1 GKG.

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