Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 Ws 69/10

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg vom 26. Februar 2010 wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Der Geschäftswert, aus dem die zu entrichtende Gebühr zu berechnen ist, wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 100,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ging bei der Justizvollzuganstalt am 1. Februar 2010 ein Schreiben des damaligen Verteidigers des Antragstellers ein, welches sich in einem verschlossenen Umschlag mit Sichtfenster befand. Name und Anschrift des Antragstellers waren mit Hand geschrieben; über dem Sichtfenster befand sich der Absenderstempel des Rechtsanwalts. Die Poststelle der Justizvollzugsanstalt brachte durch Rücksprache mit dem Büro des Rechtsanwalts in Erfahrung, dass es sich hierbei um Verteidigerpost handelte. Deshalb schrieb der Vollzugsbedienstete auf den Umschlag mit Bleistift „Verteidigerpost“. Dies wurde jedoch dem Beamten, welcher dem Antragsteller den Brief aushändigen sollte, nicht mitgeteilt. Dieser hatte Zweifel, ob es sich tatsächlich um Verteidigerpost handelte. Deshalb forderte er den Antragsteller auf, den Briefumschlag in seiner Gegenwart zu öffnen und ihm den Inhalt des Umschlages zu zeigen. Der Antragsteller war hiermit einverstanden und kam der Aufforderung nach.
Der Gefangene beantragt bei der Strafvollstreckungskammer die Feststellung, dass diese Vorgehensweise rechtswidrig war. Sie lehnte den Antrag ab, da das Schreiben des Rechtsanwalts nicht deutlich sichtbar als Verteidigerpost gekennzeichnet gewesen sei. Es hätte deshalb auch zurückgesandt werden können. Wenn der Vollzugsbeamte dem Antragsteller gleichwohl die Gelegenheit gegeben habe, in seinem Beisein den Brief zu öffnen, um eine Sichtkontrolle durchzuführen, könne dies nicht als rechtswidrig beanstandet werden. Es habe innerhalb der Dispositionsbefugnis des Antragstellers gelegen, eine solche Sichtkontrolle zu gestatten. Gegen diese Entscheidung hat der Antragsteller Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit der Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil es geboten ist, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Der Vollzugsbeamte durfte den Antragsteller auffordern, den Briefumschlag zu öffnen und ihm den Inhalt des Umschlages zu zeigen, da er hiermit einverstanden war. Ein Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III liegt deshalb nicht vor.
1. Der Senat geht davon aus, dass der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit hat, obwohl in der angefochtenen Entscheidung hierzu keine Ausführungen enthalten sind. Insoweit liegt ein Rehabilitationsinteresse (Verletzung des Grundrechtes aus Artikel 10 GG) ebenso wie Wiederholungsgefahr nahe (vgl. Arloth, StVollzG, 2. Auflage, § 115 Rn. 8).
2. Zwar war der Brief nicht deutlich als Verteidigerpost gekennzeichnet, da er als solche auf dem Umschlag nicht gekennzeichnet war (vgl. Arloth, StVollzG, 2. Auflage, § 29 Rn. 6 m.w.N.; VV Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 zu § 29 StVollzG). Da auf dem Briefumschlag als Absender jedoch eine Anwaltskanzlei vermerkt war, hat die Vollzugsanstalt zu Recht dort Nachfrage gehalten und in Erfahrung gebracht, dass es sich um Verteidigerpost handelt (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 379 (380); OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 60). Damit unterlag der Brief gem. § 24 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III nicht der Überwachung, und zwar in jedweder Form. Auch ein Öffnen des Umschlages in Anwesenheit und auf Veranlassung eines Vollzugsbeamten durch den Gefangenen selbst und die anschließende Sichtung des Inhaltes durch den Vollzugsbeamten sind deshalb grundsätzlich unzulässig (OLG Frankfurt ZfStrVo 2004, 50 und NStZ-RR 2005, 61 [62]). Auch bei einer derartigen Kontrolle wäre ein unbefangener Verkehr zwischen dem Strafgefangenen und seinem Verteidiger nicht mehr gewährleistet (OLG Stuttgart NStZ 1991, 359).
3. Indes hat sich der Antragsteller mit der Vorgehensweise des Vollzugsbeamten einverstanden erklärt, so dass er im Nachhinein nicht die gerichtliche Feststellung beantragen kann, das Vorgehen sei rechtswidrig gewesen. Mit einem solchen Antrag setzt er sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten.
Allerdings wird in der Rechtsprechung überwiegend (OLG Bamberg MDR 1992, 506; OLG Dresden NStZ 2007, 707; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 61 [62]; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2004, 188; LG Gießen StV 2004, 144) und in der Literatur teilweise (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Auflage, § 29 Rn. 5; AK-Joester/Wegner, StVollzG, 5. Auflage, § 29 Rn. 8) die Auffassung vertreten, die Verteidigerpost dürfe auch mit Zustimmung des Gefangenen nicht überwacht werden. Zur Begründung wird insbesondere darauf hingewiesen, auch der Verteidiger habe ein eigenes Recht auf ungehinderten Zugang zu seinem Mandanten habe, über das der Gefangene nicht verfügen könne. Deshalb stehe ihm ein Antragsrecht gem. § 109 StVollzG zu. Darüber hinaus habe der Gefangene letztlich keine uneingeschränkte freie Entscheidungsmöglichkeit über die Öffnung von Briefen seines Verteidigers, denn er werde seine Zustimmung möglicherweise bereits deshalb erteilen, weil er nicht wolle, dass der Verteidiger mit Nachfragen behelligt werde. Dann müsste er fürchten, dass das Mandantenverhältnis darunter leiden könne. Auch sei nicht auszuschließen, dass er seine Zustimmung erteile, um nicht in Verdacht zu geraten, etwas verbergen zu wollen, was wiederum negative Auswirkungen auf den Vollzugsalltag haben könne (so OLG Dresden a.a.O.).
Indes geht es dem Gefangenen, welcher seine Zustimmung zum Vorgehen der Anstalt (Öffnen des Briefes in seiner Gegenwart oder Öffnen des Briefes durch ihn selbst) erteilt, vorrangig darum, dass er ohne Zeitverzögerung vom Inhalt des Briefes Kenntnis nehmen kann. Andernfalls wäre die Vollzugsanstalt gehalten, den Brief zurück zu senden, was mit Verzögerungen verbunden ist. Die Gefahr, dass der Verteidiger mit Nachfragen der Vollzugsanstalt behelligt wird, sieht der Senat nicht. Die Vollzugsanstalt wird diesem den Brief unkommentiert zurücksenden. Auch ist davon auszugehen, dass sie entsprechend dem Grundgedanken des § 24 Abs. 2 Satz 1 JVollzGB III das Verteidigungsverhältnis zwischen dem Gefangenen und seinem Rechtsanwalt respektieren und aus dem Umstand, dass dieses nach dem Willen des Gefangenen gewahrt werden soll, keine negativen Folgerungen ziehen wird. Darüber hinaus ist es unbestritten, dass das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG (Briefgeheimnis) disponibel ist (vgl. etwa Maunz-Dürig, GG, Art. 10 Rn. 30).
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Entsprechend der Regelung in VV Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 zu § 29 StVollzG darf deshalb Verteidigerpost mit Einverständnis des Gefangenen geöffnet und überprüft werden (ebenso Arloth a.a.O. § 29 Rn. 3 und Schwind/ Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Auflage, § 29 Rn. 15).
11 
Selbst wenn entgegen der hier vertretenen Ansicht das Einverständnis des Gefangenen für unerheblich angesehen würde, könnte er nicht beantragen, die Rechtswidrigkeit der Überwachungsmaßnahme festzustellen, da er sich hiermit zuvor einverstanden erklärt hatte. Hiermit würde er sich zu seinem früheren Verhalten in Widerspruch setzen, so dass ein Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Vollzugsanstalt als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.
12 
4. Einer Vorlage der Sache an den BGH gem. § 121 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 3 GVG bedarf es nicht, denn der Senat weicht mit der vorliegenden Entscheidung nicht von tragenden Entscheidungsgründen anderer Oberlandesgerichte ab. Bei den o.a. Beschlüssen der Oberlandesgerichte Bamberg, Frankfurt und Saarbrücken (a. a. O.) war die Frage der Einwilligung des Gefangenen in die Überwachungsmaßnahmen nicht entscheidungserheblich. Der Entscheidung des OLG Dresden (a. a. O.) liegt ein abweichender Sachverhalt zugrunde, da dort der Verteidiger den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt hatte.

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