Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 U 117/20

Tenor

1. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 690.000,00 Euro festgesetzt.

2. Der Antrag des Klägers auf Streitwertbegünstigung für die Berufungsinstanz wird abgelehnt.

Gründe

 
A
Gemäß § 63 Absatz 2 i.V.m. § 51 Absatz 2 GKG ist der Streitwert auf 690.000,00 Euro festzusetzen, wobei sich die auf die einzelnen Klageanträge entfallenden Streitwerte aus der im heutigen Senatsurteil im Abschnitt C abgedruckten Tabelle ergeben. Da in der ersten Instanz derselbe Streitstoff gegenständlich war, ist die Streitwertfestsetzung des Landgerichts gemäß § 63 Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen anzupassen.
I.
Das Landgericht hat seiner Streitwertfestsetzung zugrunde gelegt, dass der wirtschaftlichen Bedeutung des Verbots, bestimmte Klauseln zu verwenden, bei der Bemessung des Streitwerts in der Regel keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen ist, wenn Gegenstand des Rechtsstreits – wie hier – die Verbandsklage eines Verbraucherverbandes ist. Dem liegt die Erwägung zugrunde, Verbraucherverbände bei der Wahrnehmung der ihnen im Allgemeininteresse eingeräumten Befugnis, den Rechtsverkehr von unwirksamen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu befreien, vor unangemessenen Kostenrisiken zu schützen (BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – XI ZR 405/12, juris Rn. 5). Diese Erwägungen gelten nicht nur für die Fälle des Verbots von gesetzeswidrigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 1 UKlaG), sondern auch für eine im Hinblick auf eine verbraucherschutzgesetzwidrige Praxis im Sinne des § 2 UKlaG erhobene Verbandsklage (BGH, Beschluss vom 06. Juli 2021 – II ZR 119/20, juris Rn. 8). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist bei Verbandsklagen nach dem Unterlassungsklagengesetz der Streitwert regelmäßig mit 2.500,00 Euro pro angegriffener Teilklausel festzusetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 2 W 35/17, juris Rn. 6). Diese Grundsätze schließen es nicht aus, der herausragenden wirtschaftlichen Bedeutung einer Klausel oder einer Praxis für die betroffenen Verkehrskreise im Einzelfall ausnahmsweise Rechnung zu tragen, wenn die Entscheidung über die Wirksamkeit einer bestimmten Klausel oder die Zulässigkeit einer bestimmten Praxis für die gesamte Branche von wesentlicher Bedeutung ist, etwa weil es dabei um äußerst umstrittene verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen von großer wirtschaftlicher Tragweite geht, über deren Beantwortung bereits vielfältig und mit kontroversen Ergebnissen gestritten wird (BGH, Beschluss vom 22. November 2016 – I ZR 184/15, juris Rn. 16).
II.
Im vorliegenden Fall können diese Grundsätze jedoch nicht herangezogen werden, denn der Kläger hat die Klage nicht nur auf §§ 1, 2 UKlaG gestützt, sondern alle Anträge auch auf § 8 UWG. Bei solchen Ansprüchen kommt es gemäß § 51 Absatz 2 GKG auf das satzungsmäßig wahrgenommene Interesse der Verbraucher an; maßgebend sind die gerade diesen drohenden Nachteile (BGH, Beschluss vom 15. September 2016 – I ZR 24/16, juris Rn. 9). Der Schutz vor unangemessenen Kostenrisiken ist dann nicht maßgebend (OLG Stuttgart, Beschluss vom 31. Januar 2018 – 2 W 35/17, juris Rn. 5). Auch kommt dann die Beschränkung des Streitwerts bei Angelegenheiten nach dem Unterlassungsklagengesetz auf 250.000,00 Euro (§ 48 Absatz 1 Satz 2 GKG) nicht zur Anwendung. Es gilt vielmehr der allgemeine (etwa in § 44 GKG und in § 45 Absatz 1 Satz 3 GKG zum Ausdruck gebrachte) Grundsatz, dass der Wert des höheren Anspruchs maßgebend ist.
Dabei haben die Angaben des Klägers in der Klageschrift indizielle Bedeutung (BGH, Urteil vom 24. April 1985 – I ZR 130/84, juris Rn. 21). Die Streitwertangabe enthebt das Gericht allerdings nicht der Notwendigkeit, diese anhand der Aktenlage und sonstiger Gegebenheiten selbständig nachzuprüfen (Kammergericht, Beschluss vom 09. April 2010 – 5 W 3/10, juris Rn. 4). Nach diesen Grundsätzen waren die – vom Ausgang des Rechtsstreits noch unbeeinflussten – Angaben in der Klageschrift („mindestens 300.000,00 Euro“) zu korrigieren, da die Klage teils bedeutende wirtschaftliche Interessen der Verbraucher verfolgt.
B
Dem Antrag des Klägers, für das Berufungsverfahren eine Streitwertbegünstigung gemäß § 12 Absatz 3 und 4 UWG anzuordnen, kann nicht entsprochen werden.
I.
Macht eine Partei in Rechtsstreitigkeiten, in denen durch Klage ein Anspruch aus einem der im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geregelten Rechtsverhältnisse geltend gemacht wird, glaubhaft, dass die Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert ihre wirtschaftliche Lage erheblich gefährden würde, so kann das Gericht gemäß § 12 Absatz 3 Satz 1 UWG auf ihren Antrag anordnen, dass die Verpflichtung dieser Partei zur Zahlung von Gerichtskosten sich nach einem ihrer Wirtschaftslage angepassten Teil des Streitwerts bemisst. Die Anordnung hat weiter zur Folge, dass die begünstigte Partei auch die Kosten ihres eigenen Rechtsanwalts und – soweit ihr die Kosten auferlegt werden – auch die vom Gegner verauslagten Gerichts- und Anwaltsgebühren nur aus dem Teilstreitwert zu erstatten hat, während ihr eigener Anwalt gegenüber dem Gegner die Gebühren aus dem vollen Streitwert abrechnen kann. Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs ist dem Umstand, dass die finanzielle Ausstattung der – ausschließlich im öffentlichen Interesse tätigen – Verbraucherverbände in der Regel gering bemessen ist, dadurch Rechnung zu tragen, dass auf deren Antrag gemäß § 12 Absatz 4 UWG eine Streitwertherabsetzung erfolgt. Dabei sei die Frage, ob ihre Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert nicht tragbar erscheint, bei ihnen nach weniger strengen Maßstäben zu beurteilen als bei Wettbewerbsverbänden (BGH, Beschluss vom 15. September 2016 – I ZR 24/16, juris Rn. 11).
II.
Dieser herabgesetzte Beurteilungsmaßstab enthebt die Verbraucherverbände jedoch nicht von der gemäß § 12 Absatz 3 Satz 1 UWG erforderlichen Glaubhaftmachung der erheblichen Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Lage bei einer Belastung mit den Prozesskosten nach dem vollen Streitwert. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass Verbraucherverbände von dieser Obliegenheit ausgenommen wären. Die Umstände, dass sie öffentliche Interessen wahrnehmen und auch finanzielle Unterstützung staatlicher Stellen erhalten, machen mithin die erforderliche Glaubhaftmachung nicht entbehrlich.
III.
An einer prozessordnungsgemäßen Glaubhaftmachung im Sinne des § 12 Absatz 3 UWG fehlt es. Zwar hat der Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren einen Schriftsatz vorgelegt, mit dem er zu seiner wirtschaftlichen Lage Stellung nimmt. Dieser Vortrag kann durch das Gericht jedoch nicht gewürdigt werden, weil der Kläger diesen Schriftsatz nur für das Gericht eingereicht hat, mit der Übersendung einer Abschrift an den Gegner nicht einverstanden war und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter dem Eindruck der möglichen prozessualen Konsequenzen nicht das erforderliche Einverständnis erteilt hat. Aufgrund dieser Umstände kann aus Gründen, die der Kläger zu verantworten hat, das in § 12 Absatz 4 UWG vorgesehene Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden, was zwingend zur Ablehnung des Antrags führt.
1.
Es entspricht dem Recht der Beklagten auf rechtliches Gehör im Sinne von Artikel 103 Absatz 1 GG, vor der Entscheidung über die Festsetzung eines Teilstreitwertes gehört zu werden. § 12 Absatz 4 Satz 4 UWG bringt diesen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck. Diese Norm beinhaltet, dass der Antrag dem Gegner zur Stellungnahme zuzuleiten ist. Dies schließt die darin enthaltene Glaubhaftmachung der Gefährdung der wirtschaftlichen Lage ein. Da § 12 Absatz 3 Satz 1 UWG die Festsetzung eines Teilstreitwertes allein von der wirtschaftlichen Lage der Partei abhängig macht, wird das in § 12 Absatz 4 Satz 4 UWG normierte Recht des Gegners, vor der Entscheidung über den Antrag gehört zu werden, ausgehöhlt, wenn er sich zu der maßgeblichen Tatbestandsvoraussetzung gar nicht äußern kann, weil ihm insoweit der Inhalt des Antrags nicht bekannt gegeben wird.
2.
10 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 117 Absatz 2 Satz 2 ZPO nicht entsprechend anzuwenden (so aber Köhler/Feddersen in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Aufl. 2022, § 12 UWG Rn. 4.27). Nach jener Bestimmung ist im Verfahren über die Prozesskostenhilfe eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nur mit deren Zustimmung dem Gegner zugänglich zu machen.
11 
Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Eine planwidrige Regelungslücke liegt nur vor, wenn eine gesetzliche Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, falls er diesen bedacht hätte (BVerwG, Urteil vom 27. März 2014 – 2 C 2/13, juris Rn. 17). Ihre Ergänzung darf nicht einer vom Normgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widersprechen. Dass eine Regelung aus Sicht des Gerichts rechtspolitisch als verbesserungsbedürftig anzusehen ist, reicht nicht aus. Es muss daher erkennbar sein, dass der Gesetzgeber einen bestimmten Regelungsplan verfolgt, diesen aber lückenhaft umgesetzt habe (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2020 – AnwZ (Brfg) 81/18, juris Rn. 12). Bleibt die Intention des Gesetzgebers unklar oder zweifelhaft, so setzte sich die Rechtsprechung durch eine analoge Rechtsanwendung an die Stelle des Gesetzgebers. Sie überschritte damit ihre durch die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip verfassungsrechtlich begrenzten Handlungsbefugnisse.
12 
Nach diesen Maßstäben kommt eine analoge Anwendung von § 117 Absatz 2 Satz 2 ZPO im Verfahren des § 12 Absatz 4 UWG nicht in Betracht.
a)
13 
Schon aufgrund der Anordnung in § 12 Absatz 4 Satz 4 UWG liegt keine Regelungslücke vor, die durch eine analoge Anwendung geschlossen werden könnte. Der Gesetzgeber hat die Anhörungsrechte des Gegners abschließend geregelt.
b)
14 
Es liegt im Übrigen auch keine vergleichbare Interessenlage vor, weil die Bewilligung der Prozesskostenhilfe lediglich Auswirkungen auf die Gerichtskosten und die Vergütungsansprüche des beigeordneten Rechtsanwalts hat (§ 122 Absatz 1 ZPO), während die Streitwertbegünstigung nach § 12 Absatz 3 UWG den sich aus § 92 ZPO ergebenden Kostenausgleichsanspruch des Gegners reduziert. Da die eigene Rechts- und Vermögensposition des Gegners betroffen ist, kann sein Recht, gemäß Artikel 103 Absatz 1 GG zu den tatsächlichen Grundlagen angehört zu werden, nicht durch eine analoge Anwendung von § 117 Absatz 2 Satz 2 ZPO eingeschränkt werden, zumal der Gesetzgeber im Bereich der Grundrechtsausübung alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat (BVerfG, Beschluss vom 08. August 1978 – 2 BvL 8/77, juris Rn. 77).
15 
Hieran vermag der Hinweis des Klägers nichts zu ändern, er könne nicht dazu gezwungen werden, seine finanzielle Situation und damit die Grenzen seiner Konfliktfähigkeit offen zu legen. Einem solchen Zwang unterliegt er schon deshalb nicht, weil es ihm als Verbraucherverband möglich ist, ein kostengünstiges Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz durchzuführen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Januar 2021 – 2 U 565/19, juris Rn. 93 – Sofortrente). Es entspricht der Erfahrung des Senats, dass Verbraucherverbände häufig gleichwohl ihre Klagen auf das Wettbewerbsrecht stützen und damit dem Gebühreninteresse ihrer Prozessbevollmächtigten Rechnung tragen. Wählen sie diesen Weg, so steht es ihnen frei, ihre wirtschaftliche Situation im Rahmen eines Antrags gemäß § 12 Absatz 3 UWG auch gegenüber dem Gegner offenzulegen oder das volle Prozesskostenrisiko zu tragen.
C
16 
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 68 Absatz 3 GKG). Eine Beschwerde findet nicht statt (§ 68 Absatz 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Absatz 3 Satz 3 GKG).

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