Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 Bs 260/17
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
- 2
Der Antragsteller, ein ... geborener burkinischer Staatsangehöriger, erhob am 12. Januar 2017 Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Lebenspartner. Am selben Tag hat er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Mit Beschluss vom 18. Mai 2017 hat das Verwaltungsgericht Hamburg den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt (5 E 346/17).
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Am 12. Juni 2017 hat der Antragsteller einen Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 18. Mai 2017 gestellt. Kurz danach hat er am selben Tag auch Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt (1 Bs 126/17).
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Mit Beschluss vom 16. Oktober 2017, der Bevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 20. Oktober 2017, hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Abänderung des Beschlusses vom 18. Mai 2017 abgelehnt. Dagegen hat der Antragsteller am 3. November 2017 Beschwerde eingelegt, die er am 20. November 2017 begründet hat. Außerdem hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.
II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache keinen Erfolg.
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Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller mit den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts erschüttert hat. Zugunsten des Antragstellers geht der Senat hiervon aus. Die hiernach vorliegend zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das Beschwerdegericht führt indes zu keiner Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis den Antrag des Antragstellers auf Änderung des Beschlusses vom 18. Mai 2017 zu Recht abgelehnt. Es kann offenbleiben, ob hier § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO unmittelbar anzuwenden ist, weil der verwaltungsgerichtliche Beschluss vom 16. Oktober 2017 den Antrag als solchen nach § 80 Abs. 5 VwGO ausgelegt hat, oder ob § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO in analoger Anwendung heranzuziehen ist, weil der Rechtsschutzantrag wegen der unerlaubten Einreise des Antragstellers (vgl. hierzu im Einzelnen den Beschluss des Gerichts vom heutigen Tage in der Sache 1 Bs 126/17) dahingehend umzudeuten ist, dass er Abschiebungsschutz gemäß § 123 VwGO begehrt.
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1. Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bzw. § 123 i. V. m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog ist jedenfalls bereits unzulässig. Ihm fehlt wegen der am selben Tag ebenfalls erhobenen Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts das Rechtsschutzbedürfnis.
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In Rechtsprechung und Literatur ist bisher nicht abschließend geklärt, in welchem Verhältnis das Abänderungsverfahren und die Beschwerde nach § 146 Abs. 1, Abs. 4 VwGO zueinander stehen. Nach überwiegender Auffassung ist der Abänderungsantrag unzulässig, solange der Ausgangsbeschluss des Verwaltungsgerichts, dessen Abänderung begehrt wird, noch nicht unanfechtbar geworden ist. Zur Begründung wird überwiegend auf das wegen der noch möglichen Beschwerde fehlende Rechtsschutzbedürfnis für den Abänderungsantrag sowie auf den prozessualen Rechtsgedanken, der den Vorschriften über die Rechtshängigkeit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 GVG) und die – erst nach Rechtskrafteintritt zulässige – Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 153 VwGO, §§ 578 ff. ZPO) zugrunde liege, verwiesen (vgl. mit Unterschieden in der jeweiligen Begründung OVG Weimar, Beschl. v. 3.5.1994, 1 EO 156/93, NVwZ-RR 1995, 179, juris Rn. 40 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 14.6.1995, 1 S 138/95, NVwZ-RR 1996, 423 [a. A. nunmehr OVG Bautzen, Beschl. v. 2.3.1999, 2 S 200/98, NVwZ-RR 2000, 124]; VGH München, Beschl. v. 12.5.1987, 26 CS 85 A.3154, BayVBl. 1988, 306; VG Saarland, Beschl. v. 5.6.2012, 5 L 497/12, juris Rn. 3 ff.; VG Dresden, Beschl. v. 4.3.2009, 3 L 58/09, juris Rn. 9 ff.; VG München, Beschl. v. 31.1.2012, M 9 S7 12.457, juris Rn. 9 ff.; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 1175; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 103; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 80 Rn. 185; tendenziell auch VGH Mannheim, Beschl. v. 4.6.1997, 5 S 985/97, NVwZ 1998, 202, juris Rn. 1). Die Gegenauffassung erkennt den Beteiligten grundsätzlich ein Wahlrecht zu, ob sie im Wege des Abänderungsverfahrens, der Beschwerde nach § 146 Abs. 1, Abs. 4 VwGO oder parallel in beiden Verfahren gegen die Ausgangsentscheidung vorgehen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.9.2004, 8 B 11561/04, NVwZ-RR 2005, 748, juris Rn. 3; VG Düsseldorf, Beschl. v. 25.9.2017, 28 L 3809/17, juris Rn. 14 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Loseblatt, Stand: Juni 2017, § 80 Rn. 552 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 198; für ein lediglich alternatives Wahlrecht Kamp, NWVBl. 2005, 248, 252 ff.). Eine vermittelnde Auffassung geht schließlich davon aus, die Beschwerde stehe der Zulässigkeit eines Abänderungsantrags wegen der Beschränkung der Prüfung des Beschwerdegerichts auf die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht entgegen, wenn die veränderten oder ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstände nicht innerhalb der Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO vorgetragen werden konnten (Saurenhaus/Buchheister, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 80 Rn. 74; ähnl. mit weiteren Differenzierungen Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 80 Rn. 138a).
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Im vorliegenden Fall bedarf es keiner umfassenden Klärung, ob der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO bzw. § 123 i. V. m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog in jedem Falle unzulässig ist, wenn er vor der Unanfechtbarkeit des Ausgangsbeschlusses gestellt wird und noch die Möglichkeit der Einlegung der Beschwerde bestand. Das Rechtsschutzbedürfnis für den Abänderungsantrag fehlt jedenfalls dann, wenn ein Beteiligter – wie der Antragsteller im vorliegenden Fall – nicht nur diesen Antrag vor Eintritt der Unanfechtbarkeit stellt, sondern parallel auch Beschwerde gegen den Ausgangsbeschluss einlegt und diese fristgemäß begründet. Denn in diesem Fall ist die anhängige Beschwerde gegenüber dem Abänderungsverfahren der rechtsschutzintensivere Weg, eine Änderung des Ausgangsbeschlusses des Verwaltungsgerichts zu erreichen. Der Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens geht über den des Abänderungsverfahrens hinaus. Die Beschwerde unterliegt nicht den Beschränkungen des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände). Der Beschwerdeführer kann nicht nur die in § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO genannten Umstände, sondern alle Rechtsanwendungsfehler des Gerichts geltend machen, aufgrund deren der Ausgangsbeschluss aus seiner Sicht aufzuheben ist (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 23.7.2014, 2 Bs 111/14, juris Rn. 19). Ein darüber hinausgehender relevanter Nutzen eines gleichzeitig betriebenen Abänderungsverfahrens für den Antragsteller ist nicht ersichtlich.
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2. Im Übrigen wäre der Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts auch unbegründet. Der Antragsteller hat keine Gründe dargetan, die eine Abänderung des Ausgangsbeschlusses rechtfertigen. Der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis stand auch unter Berücksichtigung der im Abänderungsverfahren vorgetragenen Umstände die Nichterfüllung der Passpflicht (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG) und die fehlende Durchführung des Visumverfahrens (§ 5 Abs. 2 AufenthG) entgegen. Originäre Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht glaubhaft gemacht worden. Zur Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen des Gerichts im Beschluss vom heutigen Tage verwiesen, mit dem die Beschwerde gegen den Beschluss vom 18. Mai 2017 zurückgewiesen wurde (1 Bs 126/17).
III.
- 11
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
IV.
- 12
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Hinreichende Aussicht auf Erfolg ist zwar bereits dann anzunehmen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der beabsichtigten Rechtsverfolgung besteht. Denn die Prüfung der Erfolgsaussichten im Prozesskostenhilfeverfahren darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung seitens einer unbemittelten Partei unverhältnismäßig zu erschweren und die Gewährung von Prozesskostenhilfe von einem schon hoch wahrscheinlichen oder gar sicheren Prozesserfolg abhängig zu machen; die Rechtsverfolgung würde sonst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert (vgl. BVerwG, Beschl. v. 5.1.1994, 1 A 14/92, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 33). Auch nach diesem Maßstab sind indes keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Beschwerde gegeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erfolgsaussichten ist der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, die im vorliegenden Fall frühestens am 1. Juni 2018 eingetreten ist, weil der Antragsteller vorher keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beschwerde aus den unter II. ausgeführten Gründen keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
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