Beschluss vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 So 32/21
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 22. Februar 2021 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
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Die Klägerin wendet sich gegen die Berichtigung eines Beschlusses, mit dem ein von ihr gestelltes Ablehnungsgesuch zurückgewiesen worden war.
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Mit Beschluss vom 29. September 2020 wies das Verwaltungsgericht ein Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen einen Richter der Kammer 15 des Verwaltungsgerichts zurück. Der Beschluss trug im Rubrum das Aktenzeichen „15 K 6407/16“. Der Verbindungssatz zum Tenor lautete (auszugsweise) „hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 14, […] beschlossen“.
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Mit Schreiben vom 22. Januar 2021 teilte das Verwaltungsgericht der Klägerin mit, es beabsichtige, den Beschluss vom 29. September 2020 gemäß § 118 Abs. 1 VwGO insoweit zu korrigieren, als die Passage „Kammer 14“ durch „Kammer 15“ ersetzt werde. Es handele sich um ein offensichtliches Versehen. Die entscheidenden Richter gehörten zwar im originären Gerichtsbetrieb der Kammer 14 an, hätten aber im vorliegenden Fall nach der Vertretungsregelung bei Ablehnung von Richtern im Geschäftsverteilungsplan in umgekehrter Reihenfolge als Vertreter der von der Klägerin abgelehnten Richter der Kammer 15 entschieden. Die ursprüngliche Passage sei darauf zurückzuführen, dass die vom Gericht eingesetzte Software bei der Beschlusserstellung automatisch die originäre Kammerzugehörigkeit des das Dokument erstellenden Richters einsetze und übersehen worden sei, dies anzupassen.
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Die Klägerin erhob gegen die beabsichtigte Berichtigung in mehreren Schriftsätzen Einwände und bat um Übersendung der maßgeblichen Geschäftsverteilungspläne des Verwaltungsgerichts und der Kammern 14 und 15. Das Verwaltungsgericht teilte ihr mit Schreiben vom 2. Februar 2021 mit, es bedürfe nicht der internen Geschäftsverteilungspläne der Kammern, um die beabsichtigte Berichtigung nachzuvollziehen. Die allein maßgebliche Vertretungsregelung im Falle der Ablehnung eines Richters finde sich unverändert im aktuellen Geschäftsverteilungsplan des Gerichts, der auf dessen Homepage einzusehen sei.
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Mit Beschluss vom 22. Februar 2021, der Klägerin zugestellt am 3. März 2021, hat das Verwaltungsgericht im Rubrum des Beschlusses vom 29. September 2020 die Passage „hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 14“ durch „hat das Verwaltungsgericht Hamburg, Kammer 15“ ersetzt.
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Dagegen wendet sich die am 16. März 2021 erhobene Beschwerde der Klägerin.
II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig und auch unbegründet.
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1. Die Beschwerde ist bereits unzulässig.
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Zwar steht gemäß § 146 Abs. 1 VwGO den Beteiligten gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in der VwGO etwas anderes bestimmt ist. Grundsätzlich ist deshalb die Beschwerde sowohl gegen den Berichtigungsbeschluss nach § 118 Abs. 1 VwGO als auch gegen den eine Berichtigung ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts statthaft (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 10.6.2003, 14 S 1155/03, NVwZ-RR 2003, 693, juris Rn. 1; Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 39. EL Juli 2020, § 118 Rn. 8; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 118 Rn. 33; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 118 Rn. 5). Gegenstand der Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss ist die Frage, ob die Berichtigung so hätte erfolgen dürfen (Sodan/Ziekow, a.a.O.).
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Die Beschwerde setzt jedoch neben der allgemeinen Beschwerdeberechtigung des Weiteren voraus, dass der Beschwerdeführer ein Rechtsschutzbedürfnis hat (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 30). Dieses ergibt sich bei den Hauptbeteiligten eines Verfahrens zwar in der Regel bereits ohne weiteres aus der formellen Beschwer, die in der Ablehnung ihres Antrags durch das Verwaltungsgericht liegt (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 41). Eine solche formelle Beschwer besteht jedoch im vorliegenden Fall nicht, dessen Gegenstand die Berichtigung eines Beschlusses von Amts wegen ist.
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Auch im Übrigen ist ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin nicht ersichtlich. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht nach allgemeiner Ansicht nicht für Klagen, deren Erfolg die Rechtsstellung des Klägers oder der Klägerin schlechterdings nicht verbessern kann (vgl. allgemein zu verwaltungsgerichtlichen Klagen Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Vor § 40 Rn. 16 m.w.N.); dieser Grundsatz gilt auch für die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO (Eyermann, a.a.O., § 146 Rn. 30). So liegt es hier:
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Es ist ausgeschlossen, dass die Berichtigung des Beschlusses vom 29. September 2020 subjektive Rechte der Klägerin betrifft. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Berichtigung der bloßen Kammerbezeichnung ihren Anspruch auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berührt.
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Schutzzweck des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist es, zu verhindern, dass gerichtliche Entscheidungen durch eine ad hoc- und ad personam-Bestimmung der entscheidenden Richter möglicherweise manipuliert werden (BVerfG, Beschl. v. 10.8.1995, 1 BvR 1644/94, NJW 1995, 2703, juris Rn. 11; Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 101 Rn. 5 m.w.N. aus der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG enthält deshalb zum einen das Gebot, im Vorhinein durch abstrakt-generelle Regelungen festzulegen, wer im Einzelfall Richter sein soll, und zum anderen das Verbot, von diesen Regelungen im konkreten Fall willkürlich abzuweichen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.1995, a.a.O., juris Rn. 12; Morgenthaler, in: BeckOK-GG, 46. Aufl., Stand: 15.2.2021, Art. 101 Rn. 25 m.w.N.).
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Nach diesem Maßstab berührt die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Berichtigung nicht das Recht der Klägerin auf den gesetzlichen Richter. Gegenstand des angegriffenen Berichtigungsbeschlusses ist nicht die Bezeichnung der konkreten Personen, die als Spruchkörper über das Befangenheitsgesuch entschieden haben. Berichtigt worden ist vielmehr – im Hinblick auf die einschlägige Vertretungsregelung des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts – lediglich die Benennung dieses Spruchkörpers als „Kammer 14“ statt als „Kammer 15“. Die formale Bezeichnung des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers ist jedoch nicht vom Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst. Denn ein mögliches Interesse an der Manipulierung der Zuständigkeit, die Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verhindern will, besteht nicht mit Blick auf die abstrakte Organisationseinheit "Gericht" oder „Kammer“ bzw. "Senat", sondern mit Blick auf die jeweils handelnden Personen und die bei ihnen vermutete Einstellung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.8.1995, a.a.O., juris Rn. 15).
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Sollte die Klägerin mit ihren Ausführungen in der Beschwerdebegründung zur Auslegung der einschlägigen Vertretungsregelung in Ziff. IV.1. des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts im Übrigen auch Zweifel daran aufwerfen wollen, ob tatsächlich die richtigen Personen zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch herangezogen worden sind, so wäre dies im vorliegenden Beschwerdeverfahren von vornherein unerheblich. Denn Gegenstand der Berichtigung nach § 118 Abs. 1 VwGO, gegen die sich die Beschwerde richtet, ist wie ausgeführt nicht die Bezeichnung der einzelnen dem Spruchkörper angehörenden Richter gewesen.
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2. Die Beschwerde ist zudem unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beschluss vom 29. September 2020 zurecht gemäß § 118 Abs. 1 VwGO berichtigt.
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Gemäß § 118 Abs. 1 VwGO sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht zu berichtigen. Die Vorschrift ist gemäß § 122 Abs. 1 VwGO auch auf Beschlüsse anwendbar. Um einen Schreib- oder Rechenfehler handelt es sich im vorliegenden Fall nicht. Eine ähnliche Unrichtigkeit liegt vor, wenn ein sonstiger Erklärungsirrtum vorliegt, also in der Beschlussfassung etwas anderes erklärt wird, als das Gericht erklären wollte (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 118 Rn. 4, 7). Sie ist offenbar, wenn sie sich als solche aus dem Beschluss unmittelbar selbst, mindestens aber aus Vorgängen bei seinem Erlass ergibt. Voraussetzung ist, dass die Unrichtigkeit in irgendeiner Weise nach außen tritt und so nicht nur dem Gericht, sondern auch den am Rechtsstreit Beteiligten ohne Weiteres aus ihnen zugänglichen – auch außerhalb der zu berichtigenden Entscheidung liegenden – Informationsquellen erkennbar ist (vgl. zum Vorstehenden Sodan/Ziekow, a.a.O., § 118 Rn. 7 m.w.N.). Gleichgültig ist, welcher Bestandteil der Entscheidung fehlerhaft ist (Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 118 Rn. 3). Danach liegt im vorliegenden Fall eine offenbare Unrichtigkeit vor:
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a) Die Kammerbezeichnung beruhte auf einem Erklärungsirrtum. Das Verwaltungsgericht hat in nachvollziehbarer Weise darauf verwiesen, irrtümlich eine Korrektur der EDV-bedingten Voreinstellung bei der Formulierung des Verbindungssatzes im Rubrum unterlassen zu haben.
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b) Dieser Fehler war auch offenbar. Dies folgt aus einer Zusammenschau sowohl innerhalb als auch außerhalb des Beschlusses vom 29. September 2020 liegender Umstände:
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Der Fehler in der Kammerbezeichnung ergibt sich für die Beteiligten bereits aus dem Beschluss selbst, weil dieser unter einem Aktenzeichen der Kammer 15 ergangen ist und sich die Bezeichnung als „Kammer 14“ im Verbindungssatz hierzu in Widerspruch setzt. Diese Kammerbezeichnung steht zudem in erkennbarem Widerspruch zur Regelung in § 45 Abs. 1 ZPO und in Ziff. IV.1 des auf der Webseite des Verwaltungsgerichts einsehbaren Geschäftsverteilungsplans zur Vertretung in der Kammer, deren Mitglieder von einem Ablehnungsgesuch betroffen sind: Nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Gericht im Sinne dieser Regelung ist der durch die geschäftsplanmäßigen Vertreter des abgelehnten Richters ergänzte Spruchkörper (BGH, Beschl. v. 30.1.2007, XI ZB 43/05, juris Rn. 17; Vossler, in: BeckOK-ZPO, 40. Aufl., Stand: 1.3.2021, § 45 Rn. 2 m.w.N.). Dementsprechend regelt Ziff. IV.1 des Geschäftsverteilungsplans des Verwaltungsgerichts in einem Abschnitt, der mit „Vertretung in den Kammern und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter“ (Hervorhebung hinzugefügt) überschrieben ist, dass über die Ablehnung eines Berufsrichters durch einen Beteiligten die Mitglieder der nach der insoweit umgekehrten (in dem Abschnitt ebenfalls geregelten grundsätzlich geltenden) Vertretungsreihenfolge nächsten Kammer entscheiden, soweit die Zahl der Richter der Kammer des abgelehnten Richters für die Entscheidung nicht mehr ausreicht. Daraus ergibt sich, dass die Mitglieder der zur Vertretung berufenen Kammer die Kammer, deren Mitglieder von der Ablehnung betroffen sind, als Vertreter „auffüllen“ und als solche in dieser Kammer entscheiden.
III.
- 21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
- 22
Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG sieht für Beschwerdeverfahren wie das vorliegende eine Festgebühr von 66,-- Euro vor.
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Referenzen
- VwGO § 118 5x
- VwGO § 146 2x
- VwGO § 122 1x
- ZPO § 45 Entscheidung über das Ablehnungsgesuch 2x
- VwGO § 54 1x
- VwGO § 154 1x
- § 3 Abs. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- 15 K 6407/16 1x (nicht zugeordnet)
- 14 S 1155/03 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1644/94 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZB 43/05 1x (nicht zugeordnet)