Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 M 14/07
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 16.01.2007 geändert:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Pferdestalls auf dem Grundstück T. Straße 4 in M. vom 30.11.2006 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt 1/4, die Antragsgegnerin 3/4 der Kosten des Verfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen im erstinstanzlichen Verfahren trägt dieser selbst; im Beschwerdeverfahren trägt er sie zu 3/4 selbst, zu 1/4 die Antragstellerin.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegenüber der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Pferdestalls mit einer Grundfläche von 9,5 x 6,34 m und eines angrenzenden Geräteschuppens nebst Heulager mit einer Grundfläche von 8,28 x 8,92 m. Die Grundstücke sowohl der Antragstellerin wie des Beigeladenen liegen im Geltungsbereich der "Klarstellungssatzung mit Abrundungen und Erweiterungen für den im Zusammenhang bebauten Ortseil des Dorfes M.", die für einbezogene Außenbereichsflächen die textliche Festsetzung trifft, dass gemäß § 4 Abs. 2 Ziffer 1 BauNVO i.V.m. § 20 Abs. 1 BauNVO nur Wohngebäude mit einem Vollgeschoss zulässig sind.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag abgelehnt. Es hat ausgeführt: Es sei von einer Innenbereichslage nach § 34 Abs. 1 BauGB auszugehen. Die nähere Umgebung sei keinem der Baugebiete nach der Baunutzungsverordnung zuzuordnen. Es handele sich um eine Gemengelage. Der nachbarliche Abwehranspruch richte sich daher nach § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. dem darin enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme. Etwaige Geruchsbelästigungen hätte die Antragstellerin hinzunehmen. Sie habe nichts dafür vorgetragen, dass die Geruchsimmissionen nach Maßgabe der technischen Anleitung zur Reinhaltung Luft (TA Luft), der VDI Richtlinie 3471, des Entwurfs der VDI Richtlinie 3474 oder der Richtlinie zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen des Landes Mecklenburg-Vorpommern (GIRL M-V vom 07.05.1998 bzw. nunmehr vom 10.11.2006) unzumutbar seien. Die Antragstellerin habe zudem an der gemeinsamen Grundstücksgrenze unter anderem ein Gehege für Tauben, Enten und Hühner, einen Tauben- und Hühnerstall sowie eine Futterkammer, einen eingezäunten Auslauf für Hühner und einen Geräteschuppen errichtet. Auf ihre Absicht, im rückwärtigen Bereich ein Ferienhaus zu errichten, komme es nicht an, da noch nicht einmal eine entsprechende Baugenehmigung vorgelegt worden sei.
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Gegen diesen der Antragstellerin am 22.01.2007 zugestellten Beschluss hat sie am 02.02.2007 Beschwerde erhoben. Die Antragstellerin begründet sie mit am 07.02.2007 eingegangenem Schriftsatz im Wesentlichen wie folgt: Der Schriftsatz vom 09.01.2007 sei außer Betracht geblieben, da der Beschluss schon zuvor gefasst worden sei. Der Beigeladene wolle eine gewerbsmäßige Pferdehaltung betreiben. Hiervon gingen unzumutbare Lärmbelästigungen aus, zumal das Schlafzimmer in Richtung zum Grundstück des Beigeladenen ausgerichtet sei. Es sei außerdem von Belästigungen durch Fliegen und Ratten auszugehen. Eine Vorbelastung durch ihre Kleintierhaltung könne ihr nicht entgegengehalten werden, da sie diese ankündigungsgemäß bereits völlig aufgegeben habe. Es sei überzogen, eine konkrete Baugenehmigung für den geplanten Bau eines Ferienbungalows zu verlangen.
- 4
Antragsgegnerin wie Beigeladener treten dem Antrag entgegen, letzterer, ohne ausdrücklich einen Antrag zu stellen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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Maßgebend ist gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift. Weiteres, nach Ablauf der Beschwerdefrist eingegangenes Vorbringen kann nicht berücksichtigt werden. Hiervon ist allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn eine im Ansatz im Verfahren eingeführter tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkt vorliegt, der von ins Auge springender Bedeutung für einen potenziellen Mangel des strittigen Verwaltungsakts ist und allenfalls noch der klarstellenden Darlegung durch einen der anderen Beteiligten als dem Beschwerdeführer bedarf (vgl. Senatsbeschluss vom 19.10.2006 - 3 M 63/06 - NordÖR 2007, S. 80).
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Ausgangspunkt der Entscheidung auch für das Oberverwaltungsgericht ist eine Interessenabwägung im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dabei kommt den voraussichtlichen Aussichten des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die angefochtene Baugenehmigung wesentliche Bedeutung zu. Sie sind hier nach dem Ergebnis der summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage zu bejahen.
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Ausgangspunkt ist - entgegen dem angefochtenen Beschluss - die Festsetzung als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO, die die textlichen Festsetzungen der Satzung der Gemeinde nach § 34 Abs. 4 BauGB enthalten. Diese Tatsache hat die Antragstellerin zwar nicht ausdrücklich in ihrer Beschwerdeschrift gegen den angefochtenen Beschluss angesprochen. Dass die betroffenen Grundstücke im Bereich einer Satzung nach § 34 Abs. 4 BauGB mit der genannten Festsetzung liegen, hat die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 12.12.2006 in das Verfahren eingeführt. Diese Rechtslage ist für die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren vorgetragene Frage, inwieweit sie durch die genehmigte Nutzung in ihren Rechten verletzt wird, von Bedeutung. Die vom Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage, ob überhaupt ein Gebiet nach § 34 Abs. 1 BauGB vorliegt und die vorhandene Bebauung einem der Gebietstypen der Baunutzungsverordnung im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB zuzuweisen ist, stellt sich somit nicht. Der von der Antragstellerin in der Beschwerdeschrift in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen gestellte Gesichtspunkt, ob das Verwaltungsgericht den Grundsatz der Rücksichtnahme im konkreten Fall zutreffend angewandt hat, ist - wie nachfolgend darzulegen sein wird - in Anbetracht der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiet in Hinblick auf den sogenannten Gebietserhaltungsanspruch zu modifizieren.
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Das Plangebiet, zu dem das zu bebauende Grundstück gehört, ist als allgemeines Wohngebiet i.S. von § 4 BauNVO ausgewiesen. Bei summarischer Würdigung der Sach- und Rechtslage ist mit der Antragsgegnerin davon auszugehen, dass dieses Gebiet zu den einbezogenen Außenbereichsflächen gehört. Gemäß § 4 Abs. 1 BauNVO dienen allgemeine Wohngebiete vorwiegend dem Wohnen. Die Hobbytierhaltung von 2 Reitpferden gehört nicht zu den zulässigen Vorhaben nach § 4 Abs. 2 BauNVO und nicht zu den ausnahmsweise nach § 4 Abs. 3 BauNVO zuzulassenden Vorhaben. Es wird, soweit ersichtlich, einhellig angenommen, dass die Haltung von Pferden nicht der Eigenart eines allgemeinen Wohngebiets entspricht, weil sie unter bestimmten Umständen zumindest zeitweise - vorwiegend - mit Geruchsbelästigungen und Ansammlungen von Fliegen sowie - weniger, aber auch - mit Geräuschbelästigungen verbunden ist (vgl. VGH Mannheim, U. v. 16.05.1990 - 3 S 218/90 -; OVG Saarlouis, B. v. 29.01.1988 - 2 R 363/86 - BRS 48 Nr. 52; OVG Lüneburg, U. v. 19.10.1982 - 1 A 46/78 - BRS 39 Nr. 62; OVG Münster, U. v. 06.11.1970 - X A 794/69 - BRS 23 Nr. 39). Selbst wenn die Wohnnutzung im vorliegenden Fall durch Nutzungen auf dem Grundstück der Antragsteller nicht erheblich beeinträchtigt wird, ändert es an dieser Beurteilung nichts (vgl. VGH Mannheim. B. v. 13.101.2003 - 5 S 1692/02). In einem durch Wohnbebauung geprägten Innenbereichsteil ist ein Pferdestall auch dann nach § 34 BauGB unzulässig, wenn er am Rand des Wohngebiets steht und im Zeitpunkt seiner Errichtung dort nur wenige Wohnhäuser vorhanden waren (OVG Saarlouis, B. 29.01.88 - 2 R 363/86 - BRS 48 Nr. 52 = BauR 89, 61).
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Die Zulässigkeit des Vorhabens kann sich daher allenfalls aus § 14 Abs. 1 BauNVO ergeben. Dessen Voraussetzung lagen und liegen jedoch nicht vor. Der Stall ist keine untergeordnete Nebenanlage i.S. von § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO, da er nicht der Kleintierhaltung dient. Pferde gehören nicht zu den Kleintieren (OVG Lüneburg, U. v. 25.07.1988 - 1 A 46/87 -, BRS 48, Nr. 38; U. v. 23.11.1979 - I A 183/87 -, BRS 29, Nr. 163; VGH Mannheim, U. v. 16.05.1990 -3 S 218/90 -, zitiert nach Juris).
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Allerdings führt dies nicht dazu, dass die Unterbringung von Reitpferden oder Ställe für andere "Großtiere" als Nebenanlagen ausgeschlossen sind. Ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 10. Auflage, § 14 Rn 7; OVG Lüneburg, U. v. 25.07.1988, a.a.O.). Danach sind außer den in § 2 bis 13 BauNVO genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Diese Voraussetzungen sind nicht sämtlich gegeben. Zwar mag es sich in Anbetracht der geringen Größe des fraglichen Stalles bei diesem noch um eine untergeordnete Nebenanlage handeln. In den Blick zu nehmen ist jedoch das gesamte Vorhaben. Hierzu gehört zunächst der Geräteschuppen mit Heulager, der sogar noch größere Ausmaße hat, als der vorgesehene Pferdestall. Hinzu kommt, dass ein Pferdestall nicht dem Nutzungszweck des Grundstücks, nämlich dem Wohnen dient. Die Hobbytierhaltung von zwei Reitpferden gehört nach der Verkehrsanschauung nicht mehr zu einer zeitgemäßen, den berechtigten Wohnerwartungen und Wohngewohnheiten entsprechenden Wohnnutzung (so auch VGH Mannheim, U. v. 28.09.1988 - 3 F 735/88 -, zitiert nach Juris; offen gelassen in OVG Lüneburg, U. v. 23.11.1979 und vom 25.07.1988, a.a.O.).
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Durch die Zulassung des nach der Art der Nutzung unzulässigen Vorhabens wird die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt. Es greift der so genannte Gebietserhaltungsanspruch ein. Er beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Festsetzung eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Ein solcher Anspruch setzt voraus, dass das Baugrundstück und das Grundstück desjenigen, der den Abwehranspruch geltend macht, im selben Plangebiet liegen (vgl. BVerwG, U. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 m.w.N.). Derselbe Nachbarschutz wie im überplanten Gebiet besteht im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (BVerwG, U. v. 16.09.1993 - 4 C 28.91 - a.a.O.); dabei wird der die Erhaltung der Gebietsart betreffenden Nachbarschutz durch die wechselseitige Prägung der benachbarten Grundstücke begrenzt und muss keineswegs alle Grundstücke in der Umgebung umfassen, die zu derselben Baugebietskategorie gehören; die Rechtsprechung zur Abgrenzung des Innen- und Außenbereichs kann insoweit auf die Abgrenzung der näheren Umgebung i.S. von § 34 BauGB sinngemäß übertragen werden (BVerwG, B. v. 20.08.1998 - 4 B 79.98 - NVwZ-RR 1999, 105). Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Art der baulichen Nutzung in einer Satzung nach § 34 Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 BauGB festgesetzt worden ist. Denn auch durch eine solche Festsetzung sind sämtliche Grundstücke gehindert, eine Art der baulichen Nutzung zu realisieren, die nicht mit der Vorgabe vereinbar ist.
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Da die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung auch dann abgewehrt werden kann, wenn der Nachbar durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, B. v. 02.02.2000 - 4 B 780/99 - NVwZ 2000, S. 679), kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, welche Immissionen im einzelnen von der beabsichtigten Nutzung der genehmigten Gebäude ausgehen werden.
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Nach alledem musste die Beschwerde Erfolg haben.
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Demgegenüber bleibt der Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bauarbeiten zur Errichtung der genehmigten Gebäude stillzulegen, ohne Erfolg. Ein solcher Ausspruch kommt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann in Betracht, wenn greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die zuständige Bauaufsichtsbehörde nicht die notwendigen Schritte einleitet, um die Errichtung und Nutzung des Gebäudes zu unterbinden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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