Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 M 24/07

Tenor

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Lingnau beigeordnet.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald - 2. Kammer - vom 22.02.2007 wird geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, bis zur Entscheidung über den Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 05.02.2007 von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die seit 1976 verheirateten Antragsteller sind Staatsangehörige von Serbien und Montenegro und Volkszugehörige der Roma und begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine vom Antragsgegner angekündigte Abschiebung.

2

Nachdem sie bereits 1994 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist waren, erhielten sie in den nachfolgenden Jahren fortlaufend Duldungen, bis das Landeseinwohneramt B durch Bescheid vom 16.07.2003 die Erteilung einer weiteren Duldung ablehnte. Zu der für den 13.08.2003 vorgesehenen Abschiebung kam es nicht, nachdem die Antragsteller zwischenzeitlich einen Asylantrag gestellt hatten. Zur Durchführung des Asylverfahrens wurden ihnen in der Folgezeit erneut Duldungen erteilt. Der Asylantrag wurde durch Bescheid vom 25.11.2003 umfassend abgelehnt, zugleich wurde den Antragstellern die Abschiebung angedroht; dieser Bescheid wurde am 16.04.2004 bestandskräftig. Auch danach erhielten die Antragsteller wiederum Duldungen und zwar jeweils mit dem Zusatz: "Erlischt mit dem Vorliegen eines gültigen Heimreisedokuments."

3

Mit Schreiben vom 19.12.2006 wurde den Antragstellern die Abschiebung angekündigt und mit weiterem Schreiben vom 22.01.2007 der 24.01.2007 als Abschiebetermin mitgeteilt. Die Abschiebung erfolgte nicht, weil die Antragsteller sich am 24.01.2007 nicht in der zugewiesenen Unterkunft aufhielten.

4

Mit Schriftsatz vom 05.02.2007 haben die Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zugleich beim Antragsgegner eine Aufenthaltserlaubnis nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) vom 17.11.2006 (im Folgenden: Bleiberechtsregelung – BRR –) beantragt. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 05.02.2007 ab und führte zur Begründung u.a. aus, die Antragsteller seien von der BRR ausgeschlossen, da sie sich ihrer Abschiebung entzogen hätten. Über den dagegen von den Antragstellern eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden worden.

5

Durch Beschluss vom 22.02.2007 hat das Verwaltungsgericht den Antragstellern den vorläufigen Rechtsschutz versagt und dabei ebenfalls darauf abgestellt, dass sich die Antragsteller der für den 24.01.2007 vorgesehenen Abschiebung entzogen hätten. Auch eine wirtschaftliche Integration hätten die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.

II.

6

Den Antragstellern ist für die zweite Instanz gemäß §§ 166 VwGO, 114 f. ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

7

Die von ihnen eingelegte Sachbeschwerde hat Erfolg. Die dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führen zur Änderung des angefochtenen Beschlusses.

8

Die Antragsteller haben Anspruch auf die begehrte einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO.

9

Ihr in zweiter Instanz gestellter Antrag ist nicht so zu verstehen, dass sie aufgrund des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes auf alle Zeit von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen verschont werden wollen. Ausdrücklich haben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 06.03.2007 beantragt, "den Antragsgegner gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegenüber den Antragstellern abzusehen". Eine konkrete zeitliche Begrenzung ist in dieser Formulierung zwar nicht enthalten. Bereits die Erwähnung des § 123 VwGO weist aber darauf hin, dass es den Antragstellern – wie es auch in dem einleitenden Satz des Beschwerdeschriftsatzes heißt – um die Gewährung "vorläufigen Rechtsschutzes" geht. Die Vorläufigkeit des Begehrens der Antragsteller im vorliegenden Verfahren wird in der Beschwerdebegründung durch den Hinweis auf den bereits erwähnten Ablehnungsbescheid und den dagegen eingelegten Widerspruch hinreichend weiter konkretisiert.

10

Hinsichtlich des Anordnungsgrundes kann auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsgegner weiterhin beabsichtigt, die Antragsteller nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens abzuschieben. Zwar hat der Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung noch angegeben, eine Abschiebung sei nicht möglich, da die Antragsteller "unbekannten Aufenthalts" seien. Mit dem weiteren Schriftsatz vom 23.04.2007 hat der Antragsgegner aber die zwischenzeitlich von den Antragstellern mitgeteilte Berliner Anschrift nicht in Zweifel gezogen und auch sonst nicht zu erkennen gegeben, die Absicht, den Aufenthalt der Antragsteller im Bundesgebiet schnell zu beenden, fallengelassen zu haben.

11

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG i.V.m. Pkt. 9 Abs. 1 BRR sowie dem Erlass des Innenministeriums M-V vom 19.12.2006 – II 601-1300.1 –. Dort heißt es, dass von der Regelung eigentlich Begünstigte, die aber die Voraussetzungen von Pkt. 3.2.1 nicht erfüllen, eine Duldung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG bis zum 30.09.2007 erhalten, um ihnen eine Arbeitsplatzsuche zu ermöglichen.

12

Die Antragsteller erfüllen im Hinblick auf ihre Aufenthaltszeit die Voraussetzungen der BRR. Nach Pkt. 3.1 BRR sind von der Regelung ausländische Staatsangehörige begünstigt, wenn sie sich am Tag der Beschlussfassung der IMK seit mindestens 8 Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhalten. Dies trifft für die – wie ausgeführt – seit 1994 in Deutschland befindlichen Antragsteller zu.

13

Ob sie bereits jetzt in einem ihren Lebensunterhalt sichernden Beschäftigungsverhältnis stehen (vgl. Pkt. 3.2.1 der BRR), ist für die Erteilung einer Duldung nicht entscheidend. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Antragsteller – wie mit der Beschwerdebegründung wohl geltend gemacht werden soll – ein "verbindliches Arbeitsangebot" im Sinne von Pkt. 9 Abs. 2 BRR nachgewiesen haben; in diesen Fällen bestünde bereits Anspruch auf die erst im Hauptsacheverfahren begehrte Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach dem schon erwähnten Pkt. 9 Abs. 1 BRR brauchen die Voraussetzungen von Pkt. 3.2.1 BRR nicht erfüllt zu werden, um eine Duldung bis zum 30.09.2007 zu erhalten.

14

Die Antragsteller sind von der BRR – soweit dies im vorliegenden Verfahren beurteilt werden kann – nicht nach Pkt. 6.2 BRR ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung sind solche Personen ausgeschlossen, die behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert haben. Nach dem Erlass des Innenministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 19.12.2006 ist es Zweck dieses Ausschlussgrundes, diejenigen Ausländer, die vorwerfbar (z.B. durch "Untertauchen" für mehr als einen Monat) die Beendigung ihres Aufenthalts verzögert haben, von der Begünstigung durch die Gewährung eines Aufenthaltsrechts auszuschließen. Ein derartiges Verhalten kann nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht festgestellt werden. Der Antragsgegner geht selbst davon aus, dass die Antragsteller sich jedenfalls bis zum 17.01.2007 in der zugewiesenen Unterkunft aufgehalten haben (vgl. Schriftsatz v. 09.05.2007, vorletzter Absatz). Ihrem Vortrag, sie hätten den Wechsel des Aufenthaltsorts "zuvor der Heimleitung" mitgeteilt, ist der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Es besteht auch sonst kein Anlass, die Angaben in Zweifel zu ziehen, da die Berliner Anschrift, unter der sich die Antragsteller seitdem aufhalten, auf gerichtliche Nachfrage im Beschwerdeverfahren sofort mitgeteilt worden ist (vgl. Schriftsatz vom 06.04.2007). Der Vortrag der Antragsteller steht in diesem Punkt auch in Einklang mit ihrem bisherigen Verhalten. Sie haben nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet etwa 10 Jahre in Berlin gelebt und sich auch nach der im Asylverfahren erfolgten Zuweisung nach Mecklenburg-Vorpommern wiederholt um einen Wechsel nach Berlin bemüht. Im Berliner Raum befindet sich außerdem auch der Sitz der Firma, die bescheinigt hat, die Antragsteller anstellen zu wollen. Im Übrigen könnte fraglich sein, ob der Ausschlusstatbestand Pkt. 6.2 BRR überhaupt auf ein Verhalten abzielt, das zeitlich erst nach In-Kraft-Treten der BRR liegt.

15

Es dürfte ratsam sein, über den Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 05.02.2007 erst nach dem 30.09.2007 zu entscheiden, wenn sich nicht schon zuvor herausstellen sollte, dass den Antragstellern die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen ist.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

17

Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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