Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 L 177/09

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald - 2. Kammer - vom 17.11.2009 wird abgelehnt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten um die Gültigkeit der am 07.06.2009 durchgeführten Wahlen des Bürgermeisters und der (beklagten) Gemeindevertretung. Der Beigeladene zu 1. war vor der Wahl Bürgermeister, hat sich erneut um dieses Amt beworben und ist auch wiedergewählt worden; außerdem war er Wahlbewerber für die Gemeindevertretung.

2

Durch Urteil vom 17.11.2009 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, beide Wahlen für ungültig zu erklären und eine Wiederholung anzuordnen.

3

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Gründe sind nicht hinreichend dargelegt bzw. liegen nicht vor.

4

Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte meint, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Ein auf den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützter Zulassungsantrag muss sich mit den entscheidungstragenden Argumenten des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifel bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen. Die Zulassung ist allerdings zu versagen, wenn sich die vom Zulassungsantragsteller geäußerten Zweifel ohne Weiteres ausräumen lassen (vgl. Beschluss des Senats vom 12.11.2008 - 2 L 138/08 -, m.w.N.). So liegt der Fall hier.

5

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf §§ 44 Abs. 1 Nr. 2, 71 Abs. 1 Nr. 2 KWG M-V gestützt, wonach eine Wahlanfechtung Erfolg habe, wenn bei der Vorbereitung der Wahl Unregelmäßigkeiten vorkommen, die das Wahlergebnis oder die Verteilung der Sitze aus den Wahlvorschlägen im Einzelfall beeinflusst haben könnten.

6

Das Verwaltungsgericht hat es nicht beanstandet, dass der Beigeladene zu 1. "in seiner Funktion als Bürgermeister" auf die Möglichkeit, das Wahllokal per Bus zu erreichen, hingewiesen habe. Es sei auch ein (noch) zulässiges "Wahlgeschenk", dass der Beigeladene zu 1. als Wahlbewerber versprochen habe, die Fahrscheine "aus eigener Tasche" zu bezahlen. Einen Verstoß gegen die Neutralitätspflicht stelle es aber dar, dass der Beigeladene zu 1. dieses Versprechen in seiner amtlichen Stellung als Bürgermeister - nämlich in der von ihm geleiteten Sitzung der Gemeindevertretung am 25. Mai 2009 - abgegeben habe. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils werden zwei danach erschienene Presseveröffentlichungen erwähnt, in der einen heißt es: "Der Bürgermeister wird für jeden Wähler privat die Kosten der Fahrscheine übernehmen." In der anderen wird außerdem der Name des Beigeladenen zu 1. genannt.

7

Die wiedergegebenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts werden in der Begründung des Zulassungsantrags nicht substantiiert angegriffen, sodass sie auch für die Senatsentscheidung zugrundezulegen sind. Allerdings meint die Beklagte, der Beigeladene zu 1. habe das Versprechen nicht in der Absicht abgegeben, die Wahlen (zu seinen Gunsten) zu beeinflussen. Es sei ihm nur darum gegangen, dass Thema "Bus" in der Gemeinderatssitzung zu beenden. Aus diesem Vorbringen ergeben sich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils nicht.

8

Ein Bürgermeister, der sich um seine Wiederwahl bemüht, darf sich im gleichen Umfang und mit gleichen Mitteln beteiligen wie andere Wahlbewerber (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.01.2009 - 10 NA 316/07 -, Rn. 6 m.w.N., zitiert nach juris). Auch sind Inhaber öffentlicher Ämter vor einer Wahl nicht gehindert, die ihnen obliegenden Aufgaben weiter "normal" auszuüben (vgl. Beschluss des Senats vom 29.02.2008 - 2 O 141/07 -). Dazu gehört auch die zu den Amtspflichten rechnende Öffentlichkeitsarbeit wie z.B. - neutrale - Hinweise im Hinblick auf eine bevorstehende Wahl. Die Zulässigkeit amtlicher Öffentlichkeitsarbeit findet ihre Grenze aber dort, wo offene oder verdeckte Wahlwerbung beginnt (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 8 C 5/96 -, E 104, 323 m.w.N.). Ein (noch) amtierender Bürgermeister ist nicht allein deshalb, weil er sich um seine Wiederwahl bemüht, gehindert, eine kurz vor dem Wahltag stattfindende Sitzung der Gemeindevertretung zu leiten. Unzulässig ist es aber, die Wahrnehmung des Amtes mit den Aktivitäten als Wahlbewerber zu verbinden. Dies ist hier jedoch geschehen.

9

Es gehört zum üblichen Instrumentarium von Wahlkandidaten, für eine kostenlose Beförderung von Wählern zum Wahllokal zu sorgen. Dieser "Service" erfolgt regelmäßig in der Erwartung einer Verbesserung des Wahlergebnisses, auch wenn nicht in jedem Einzelfall eine Wählerbeeinflussung zu erzielen ist. Ob der Beigeladene zu 1. diesen Werbeeffekt bedacht und bezweckt hat, als er die - wie es in der Begründung des Zulassungsantrags heißt - unabsichtliche, provozierte Erklärung der Kostenübernahme ("dat betohl ik ut mine Tasch" ) abgab, spielt in diesem Fall keine entscheidene Rolle. Bei einem typischen Wahlversprechen kommt es nicht darauf an, ob der Versprechende (ausnahmsweise) nicht an seinen eigenen Wahlerfolg dabei gedacht hat. Abzustellen ist vielmehr auf den objektiven Inhalt des Versprechens, so wie es von dem betroffenen Wählerkreis zu verstehen ist. Danach sind Wahlgeschenke auf Stimmengewinn ausgerichtet.

10

Insofern liegt der vorliegende Fall anders als der, der der bereits erwähnten Senatsentscheidung vom 29.02.2008 zugrundelag. Dabei ging es nicht um ein Wahlgeschenk; im Rahmen der Wahlanfechtung war eine "Unterlassung" gerügt worden, nämlich das "Vorenthalten von Informationen" im Zusammenhang mit der Haushaltsplanung. Da diese Angelegenheit "nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit der Wahl" stand, ist geprüft worden, ob sie "wegen der Wahl abweichend vom üblichen Ablauf behandelt worden" ist. Vor diesem Hintergrund ging es um die Frage, ob etwa die "Veröffentlichung" bewusst bis nach der Wahl hinausgezögert worden sei, "um Wähler in einem bestimmten Sinne zu beeinflussen."

11

Auch auf die sonst von ihr zitierte Rechtsprechung kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Denn darin ging es ebenfalls nicht um Wahlgeschenke, sondern etwa darum, ob staatliche Stellen durch aktive "Öffentlichkeitsarbeit" in unzulässiger Weise in den Wahlkampf eingegriffen haben (vgl. BVerfG, Urteil v. 02.03.1977 - 2 BvE 1/76 -, E 44, 125) oder darum, ob - ähnlich wie in der bereits zitierten Senatsentscheidung - durch bewusstes Verschweigen von Informationen (zur einer Grundstücksangelegenheit) eine Wählerbeeinflussung bezweckt war. "Soweit die Beklagte meint, der Beigeladene zu 1. habe den zitierten Satz in der Gemeindevertretersitzung nicht als Bürgermeister, sondern privat geäußert, berücksichtigt sie nicht genügend, dass es gerade dieser Umstand ist, der die Unregelmäßigkeit im Wahlverfahren ausmacht, dass nämlich nicht strikt zwischen Amtsausübung und privatem Wahleinsatz getrennt wurde.

12

Es kommt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht darauf an, ob die festgestellte Unregelmäßigkeit die "Entscheidungsfreiheit des Wählers" tatsächlich "beeinflusst hat". Vielmehr genügt es, wie auch das Verwaltungsgericht angenommen hat -, wenn die Unregelmäßigkeiten "auf das Ergebnis der Wahl von Einfluss gewesen sein können" bzw. "geeignet sind", die Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen (vgl. BVerwG, Urteil v. 08.04.2003 - 8 C 14/02 -, Rn. 15, 22, m.w.N., zitiert nach juris; BVerfG, Urteil v. 10.04.1984 - 2 BvC 2/83, Rn. 32, zitiert nach juris).

13

Soweit die Beklagte meint, dass sich kein Wähler von der erklärten Fahrkostenübernahme beeindrucken lasse, setzt sich die Begründung des Zulassungsantrags nicht substantiiert mit der Argumentation des Verwaltungsgerichts auseinander. Das angefochtene Urteil stellt in diesem Zusammenhang insbesondere darauf ab, "dass nur ein Wahllokal eröffnet" worden sei "und die Frage, welche Einschränkungen dies für die Wähler bedeute, ein zentrales Wahlkampfthema gewesen" sei (siehe Seite 14 f. Urteilsabdruck). Außerdem berücksichtigt die Beklagte nicht genügend, dass es nicht nur darum geht, ob sich ein Wähler, der eine sehr gefestigte Meinung hat, umstimmen lässt, sondern auch um die zahlreichen Wähler, die relativ offen sind und sich erst zuletzt (spontan) entscheiden.

14

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die angefochtene Entscheidung nicht von der zitierten Entscheidung des Senats abweicht und dass die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten aufweist, sodass die Berufung auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 VwGO zuzulassen ist.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 3, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 Abs. 2, 47 Abs. 2 Satz 1 GKG.

16

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen