Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Senat) - 2 M 201/11

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin - 1. Kammer - vom 27. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Antragsteller, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den mit Bescheid des Antragsgegners vom 7. April 2011 abgelehnten Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

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Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis. Ein allein in Betracht zu ziehender Anspruch nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG scheide aus, weil die eheliche Lebensgemeinschaft mit einer Deutschen keine zwei Jahre im Bundesgebiet bestanden habe. Es sei davon auszugehen, dass die am 8. (richtigerweise am 10.) Dezember 2008 aufgenommene eheliche Lebensgemeinschaft am 31. August 2010 durch die Einreichung des Scheidungsantrags seitens der deutschen Ehefrau einseitig beendet worden sei.

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Die dagegen gerichtete Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führt nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.

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Maßgeblich für die Erteilung des eigenständigen Aufenthaltsrechts zugunsten des Antragstellers dürfte hier eine zweijährige Ehebestandszeit und nicht die seit dem 1. Juli 2011 geltenden Neufassung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG (BGBl. I S. 1266) mit der Voraussetzung eines dreijährigen rechtmäßigen Bestands der ehelichen Lebensgemeinschaft sein. Dies aber nicht deshalb, weil - wie der Antragsteller meint - die Gesetzesänderung mit der eine Verlängerung der Ehebestandszeit eingeführt wurde, für ihn als türkischen Staatsbürger aufgrund der Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls und Art. 13 des Beschlusses ARB 1/80 EG-Türkei Stand-Still-Klausel nicht gelte.

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Die Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für eine Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) und die Regelung des Art. 13 ARB 1/80 hindert nicht die durch den Gesetzgeber vorgenommene Anhebung der Ehebestandszeit zu Lasten türkischer Staatsangehöriger. Denn eine in diesem Sinne relevante Verschlechterung der aufenthaltsrechtlichen Stellung türkischer Arbeitnehmer ist in der gesetzlichen Neuregelung der Ehebestandszeit schon deshalb nicht zu sehen, weil das Verbot neuer Beschränkungen lediglich für die Niederlassungsfreiheit und für die Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs gilt (vgl. EuGH, Urt. v. 30. September 1987 – C-12/87 -, zit. nach juris Rn. 22 ff.; VGH München, Beschl. v. 12. März 2010 – 10 ZB 09.2857 -, zit. nach juris Rn. 11 ff.). Ein derartiges Aufenthaltsrecht - etwa aufgrund des § 21 AufenthG - macht der Antragsteller hier aber ausdrücklich nicht geltend. Nichts anderes ergibt sich aus den weiteren vom Antragsteller angeführten Entscheidungen (vgl. EuGH, Urt. v. 9. Dezember 2010 – C-300/09 u.a. -, zit. nach juris Rn. 52 ff.; EuGH, Urt. v. 20. September 2007 – C-16/05 –, zit. nach juris Rn. 47 ff.). Es ist im übrigen gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, dass die Stillhalteklausel keine materiell-rechtliche Vorschrift mit eigenständigem Anspruchscharakter enthält (vgl. EuGH, Urt. v. 21. Juli 2011 - C-186/10 -, zit. nach juris Rn. 26 ff. m.w.N.).

6

Es dürfte aber wegen des verfassungsrechtlichen Verbots der echten Rückwirkung von ungünstigen Gesetzesänderungen (zur begünstigenden Gesetzesänderung vgl. Beschluss des Senats vom 15.02.2002 - 2 M 98/01 -) hier eine zweijährige Ehebestandszeit maßgeblich sein (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 21. September 2011 - 3 B 1693/11 -, zit. nach juris Rn. 9 ff. m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 -, zit. nach juris Rn. 19). Der zeitliche Anwendungsbereich der - hier nur noch rückwirkenden - Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beginnt jedenfalls vor dem Zeitpunkt, in dem die Gesetzesänderung wirksam geworden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21. November 2006 - 1 C 10.06 -, zit. nach juris Rn. 33 m.w.N.).

7

Die Beschwerde dringt aber in der Sache nicht durch, weil die Ehe des Antragstellers mit einer Deutschen nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keine zwei Jahre Bestand gehabt hat.

8

Dem Antragsteller ist nicht darin zu folgen, dass ein Scheidungswille von der Ehefrau nicht nach außen dokumentiert worden sei, weil er dem Antragsteller nicht bekannt gewesen ist. Der Scheidungsantrag, den die Ehefrau am 31. August 2010 beim Amtsgericht Parchim gestellt hat und mit dem das Ehescheidungsverfahren eingeleitet wurde, beinhaltet nach § 1565 Abs. 1 Satz 1 BGB die Erklärung der Antragstellenden, dass die Ehe gescheitert ist. Nach der gesetzlichen Definition des § 1565 Abs. 1 Satz 2 BGB ist die Ehe gescheitert, wenn die Ehe nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten diese wiederherstellen. Soweit der Antragsteller meint, die Ehefrau habe „lediglich“ behauptet, dass die Fortführung der Ehe ihr nicht mehr zumutbar sei, verkennt er, dass es sich insoweit um eine gesteigerte Erklärung handelt, die nach § 1565 Abs. 2 BGB dann relevant wird, wenn - wie hier - die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt leben. Die Regelung des § 1565 Abs. 2 BGB, die darauf abstellt, dass die Fortsetzung der Ehe für einen der Ehegatten eine unzumutbare Härte darstellen würde, obwohl das Trennungsjahr noch nicht vollzogen wurde, enthält in diesem Sinne keinen selbständigen Scheidungstatbestand, sondern setzt voraus, dass § 1565 Abs. 1 BGB bis auf das Tatbestandsmerkmal des Trennungsjahres bereits erfüllt ist (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 1980 - IVb ZR 538/80 -, zit. nach juris Rn. 12 m.w.N.).

9

Dass dem anderen Ehegatten der Scheidungswille des antragstellenden Ehegatten - insbesondere durch Zustellung des Scheidungsantrags - bekannt sein müsse, ist § 1565 BGB weder ausdrücklich noch durch Auslegung zu entnehmen. Vielmehr reicht es auch in dem hier maßgeblichen Zusammenhang aus, dass ein Ehepartner - wie hier die deutsche Ehefrau - mit der Einreichung eines Scheidungsantrags beim Familiengericht die Absicht, die eheliche Gemeinschaft aufzugeben, bekundet. Es ist nicht erforderlich, dass dem Ehegatten, die so entäußerte Erklärung auch zur Kenntnis gelangt.

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Die in diesem Zusammenhang vom Antragsteller vorgetragene Vermutung, das Familiengericht habe die Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB wohl nicht als erfüllt angesehen, sondern warte „ganz offensichtlich“ auf den Ablauf des Trennungsjahres verhilft der Beschwerde gleichfalls nicht zum Erfolg. Ob das Familiengericht tatsächlich eine solche rechtliche Schlussfolgerung gezogen hat, ist nicht ersichtlich. Darüber hinaus käme einer solchen Feststellung aber auch keine rechtliche Bindungswirkung zu, weil die zivilrechtlichen Regelungen davon ausgehen, dass selbst bei einer Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft, den Eheleuten grundsätzlich ein Trennungsjahr zuzumuten ist (vgl. BGH, Urt. v. 5. November 1980 - IVb ZR 538/80 -, a.a.O., Rn. 16). Dafür, dass die Eheleute eine erklärtermaßen von einem der Ehepartner aufgegebene eheliche Gemeinschaft fortsetzen und nicht nur - bestenfalls – in häuslicher Gemeinschaft zusammen leben, spricht dies nicht.

11

Soweit der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht habe die für das Fortbestehen einer ehelichen Gemeinschaft sprechenden Umstände nicht in ausreichendem Maße gewürdigt, geht er fehl. Das Verwaltungsgericht hat sich in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss damit auseinandergesetzt, dass die zunächst unterbliebene räumliche Trennung der Eheleute von der Ehefrau nach den vom Antragsteller verübten Tätlichkeiten dadurch überbrückt wurde, dass sie sich bis zum Auszug aus der ehelichen Wohnung teils bei Verwandten in Magdeburg aufgehalten habe und der Antragsteller in die Türkei gereist sei. Soweit das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht ausdrücklich darauf abstellt, dass die Ehefrau im ehelichen Betrieb gegen Entgelt familiäre Hilfe geleistet haben soll, fällt dieser Umstand jedenfalls nicht soweit ins Gewicht, dass die mit dem Scheidungsantrag am 31. August 2010 bekundete Erklärung, die eheliche Gemeinschaft bestehe nicht mehr fort und sei ihr darüber hinaus nicht zumutbar, im Sinne einer Aufgabe des endgültigen Trennungswillens zu verstehen wäre. Darüber hinaus haben auch die Angaben der Ehefrau zu der nicht-versicherungspflichtigen Beschäftigung im Döner-Laden des Antragstellers insoweit eine von der Darstellung des Antragstellers abweichende Lesart, als sie nicht als eine Mitarbeit im familiären Betrieb gewürdigt wird.

12

Schließlich greifen auch die Einwände des Antragstellers, gegen die vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Abwägung nicht durch. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hier mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die eheliche Ehegemeinschaft mit der Einreichung des Scheidungsantrags von der Ehefrau einseitig beendet worden ist.

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Auch wenn es daher auf die hilfsweisen Erwägungen des Verwaltungsgerichts, selbst bei offenem Verfahrensausgang sei der Eilantrag abzulehnen gewesen, weil der gesetzlichen Wertung des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Wille zu entnehmen sei, dass bei offenem Verfahrensausgang dem Vollzugsinteresse ein höheres Gewicht beizumessen sei als dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers, nicht ankommt, lässt dies Rechtsfehler angesichts des § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG normierten Vorrangs des Vollzugsinteresses (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. Februar 2011 - 2 BvR 1392/10 -, zit. nach juris, Rn. 17) grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der durch Art. 19 Abs. 4 GG verbürgten Garantie, umfassenden und effektiven Rechtschutzes, hier nicht erkennen.

14

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

15

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

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