Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (3. Senat) - 3 L 156/08

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24.04.2008 wird für wirkungslos

erklärt.

Von den Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen, tragen die früheren Kläger Frau A. und Herr A. als Gesamtschuldner die bis zu ihrem Ausscheiden entstandenen Kosten. Die danach entstandenen Kosten werden der (nunmehrigen) Klägerin auferlegt.

Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren, den Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten gegen die benachbarte Wohnbebauung auf den Grundstücken Gr. St.6 und 7 in A-Stadt zu verpflichten, an denen Wohnungseigentum der Beigeladenen besteht.

2

Die ursprünglichen Kläger sind die früheren Eigentümer des nördlich angrenzenden Einfamilienhausgrundstücks A-Straße. Sie haben das Grundstück im Laufe des Verfahrens an die nunmehrige Klägerin verkauft, die seit 2009 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen ist. Der Kaufvertrag enthält einen Hinweis auf den hiesigen Rechtsstreit und Regelungen hierzu.

3

Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 8 „Am Waldweg“ der Gemeinde A-Stadt und gehören zu einem allgemeinen Wohngebiet, für das u.a. festgesetzt ist, dass bei offener Bauweise nur Einzel- und Doppelhäuser und höchstens zwei Wohnungen je Wohngebäude zulässig sind.

4

Durch die Objekte auf den Grundstücken Gr. St.6 und 7 verläuft jeweils mittig eine vertikale Brandschutzmauer; rechts und links hiervon liegen getrennte Eingänge. Je Eingang wurde für Erd- und Obergeschoss jeweils selbständiges Wohnungseigentum gebildet; die erforderlichen wohnungseigentumsrechtlichen Abgeschlossenheitsbescheinigungen wurden erteilt; die entsprechenden Bauzeichnungen befinden sich nicht bei den Akten.

5

Den Antrag der ursprünglichen Kläger auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Schwerin mit Beschluss vom 09.12.2002 – 2 B 1101/02 – als unbegründet ab. Auf die Beschwerde verpflichtete das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 09.04.2003 – 3 M 1/03 – (BauR 2003, 1710) den Beklagten zum Erlass einer Baueinstellungsverfügung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens. Nachdem ein ablehnender Widerspruchsbescheid ergangen war, wurde ein erneuter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz durch die Rohbaufertigstellung überholt.

6

Die Klage der ursprünglichen Kläger hat Verwaltungsgericht Schwerin als unbegründet abgewiesen. Die Kläger könnten keine Abwehransprüche geltend machen, weil die Festsetzungen des Bebauungsplanes keine nachbarschützende Wirkung hätten.

7

Die Kläger haben mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung ihr Begehren weiter verfolgt. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung hätten die in Rede stehenden Festsetzungen des Bebauungsplanes nachbarschützenden Charakter. Es sei die Art der baulichen Nutzung betroffen, weil die Errichtung „baulicher Großformen“ ausgeschlossen werden solle und die Planbetroffenen auch hinsichtlich der Zahl der Wohnungen zu einer Schicksalsgemeinschaft verbunden seien. Durch eine höhere Zahl von Wohnungen werde eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet.

8

Die Beigeladenen haben mitgeteilt, in allen Haushälften befänden sich in Erd- und Obergeschoss jeweils keine gesonderten Wohnungseingangstüren, jeweils nur ein Gasanschluss und ein Hauptanschluss für Strom sowie eine Zentralheizung mit Heizkreis und nur eine Küche, wobei das Einbringen einer weiteren Küche nur nach größeren Baumaßnahmen möglich sei. Der Beklagte hat eine Vor-Ort-Kontrolle in den Objekten Gr. St.6A und 6B durchgeführt und festgestellt, dass es sich jeweils um eine einheitliche Wohnung handele. Eine Küche wurde jeweils nur im Erdgeschoss festgestellt.

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Mit Schriftsatz vom 19.09.2011 hat der Beklagte die Übernahme des Verfahrens durch die neue Klägerin als Eigentümerin beantragt. Der Prozessbevollmächtigte der bisherigen Kläger hat mit Schriftsatz vom 24.10.2011 angezeigt, den Kläger zu 2. nicht mehr zu vertreten, und für die Klägerin zu 1. den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

II.

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1. Nachdem die neue Eigentümerin und der Beklagte den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung am 15.02.2012 in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 VwGO iVm § 269 Abs. 2 Satz 1 ZPO für unwirksam zu erklären.

11

Die neue Eigentümerin ist nunmehr Klägerin und kann daher als Hauptbeteiligte eine entsprechende Erklärung abgeben. Allerdings hatte der erfolgte Eigentumswechsel gemäß § 173 VwGO iVm § 265 Abs. 2 ZPO auf den Prozess zunächst keinen Einfluss. Der Beklagte konnte aber gemäß § 266 Abs. 1 ZPO die Übernahme des Verfahrens durch die Rechtsnachfolgerin verlangen; von dieser Befugnis hat er Gebrauch gemacht. Die Vorschrift des § 266 Abs. 1 ZPO ist anwendbar auf Rechtsstreitigkeiten über Rechte für oder gegen ein Grundstück einschließlich Nachbarrechten; sie gilt auch im Verwaltungsprozess (zur Verpflichtungsklage auf bauaufsichtliches Einschreiten vgl. OVG NW v. 15.09.1980 – 11 A 2306/78, NJW 1981, 598; VGH Bad.-Württ., B. v. 23.01.1998 – 5 S 2053/97 - , NVwZ 1998, 975; zu dieser Konstellation vgl. a. BVerwG, B. v. 06.05.1992 – 4 B 139/91 -, NJW 1993, 79). Sie ist nach § 173 VwGO auch insoweit entsprechend anwendbar, als der Beklagte berechtigt ist, die Übernahme des Rechtsstreits durch den Rechtsnachfolger zu verlangen (vgl. Bay. VGH, U. v. 23.01.1998 – 8 B 93.4007 -, Juris). Soweit die entsprechende Anwendung des § 266 ZPO im Rahmen des § 173 VwGO zu Modifikationen führen mag, wenn die Behörde nicht schutzbedürftig ist, z.B. weil ein grundstücksbezogener Verwaltungsakt angefochten ist und die Verpflichtung daraus auf den Rechtsnachfolger übergegangen ist (vgl. HessVGH, B. v. 17.06.1997 – 14 TG 2674/95 -, NVwZ 1998, 1315 = Juris Rn. 21), liegt ein solcher Fall hier nicht vor .

12

2. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden.

13

a) Danach entspricht es der Billigkeit, die Kosten der Klägerseite aufzuerlegen, die diese voraussichtlich auch im Falle einer streitigen Entscheidung zu tragen gehabt hätte. Die Berufung wäre zurückzuweisen gewesen, weil der Klägerin weder ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten nach § 80 Abs. 1 LBauO M-V noch auf Neubescheidung des entsprechenden Antrags zustand, § 113 Abs. 5 VwGO.

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aa) Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften liegt nicht vor, weil die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 8 der Gemeinde A-Stadt eingehalten werden und sonstige Anhaltspunkte für Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften nicht bestehen.

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Die Festsetzung, dass nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind, wird eingehalten, weil es sich bei den beiden streitigen Objekten auf den Grundstücken Gr. St.6 und 7 jeweils um Einzelhäuser im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO handelt.

16

Die beiden Objekte sind keine Doppelhäuser im Sinne § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Dabei handelt es sich um bauliche Anlagen, die dadurch entstehen, dass – gewissermaßen in „Modifikation“ der offenen Bauweise - zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden (BVerwG, U. v. 24.02.2000 – 4 C 12.98 -, BVerwGE 110, 355 = NVwZ 2000, 1055). Eine Grenzbebauung ist jedoch nicht erfolgt.

17

Die beiden Objekte sind jedoch Einzelhäuser im Sinne § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO. Hierfür reicht aus, dass es sich um Gesamtbaukörper von höchstens 50m Länge handelt, die die seitlichen Grenzabstände einhalten. Dabei kann jeder Baukörper aus mehreren selbständig benutzbaren baulichen Anlagen bestehen; deshalb können auch mehrere Eigentumswohnungen anstatt in einer Schichtung übereinander als „Wohnscheiben“ nebeneinander angeordnet werden. Denn die Festsetzung „Einzelhäuser“ betrifft die Bauweise und nicht die Zahl der auf einem Grundstück zulässigen Nutzungseinheiten (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 08.12.1995 – 1 L 3209/94 -, NVwZ-RR 1997, 277; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Aufl. 2008, § 22 Rn. 6.2. und 6.2.2). An der in dem Beschluss vom 09.04.2003 – 3 M 1/03 – (BauR 2003, 1710) vertretenen gegenteiligen Auffassung hält der Senat nicht fest.

18

bb) Die Festsetzung von zwei Wohnungen als höchstzulässige Zahl je Wohngebäude wird ebenfalls eingehalten.

19

In den Haushälften Gr. St.6A und 6B besteht jeweils – entgegen der ursprünglichen Planung, die offenbar auch der Erteilung von Abgeschlossenheitsbescheinigungen durch den Beklagten zu Grunde lag – nur eine abgeschlossene Wohnung. Ob dies ebenso auch für die Haushälften Gr. St.7A und 7B zutrifft, kann offen bleiben. Denn die Zwei-Wohnungs-Klausel schließt nicht aus, auf einem Grundstück einen Baukörper zu errichten, der aus zwei aneinander gebauten funktional selbständigen Haushälften besteht (sog. „unechtes Doppelhaus“), von denen jede wiederum zwei Wohneinheiten aufweist. Wohngebäude im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB und damit der Zwei-Wohnungs-Klausel, in dem höchstens zwei Wohnungen zulässig sind, ist nicht der Baukörper insgesamt, sondern die einzelne Haushälfte. Maßgeblich ist das Gebäude im engeren Sinne, d.h. im Sinne der funktional selbständigen Einheit. Ebenso handelt es sich bei „echten“ Doppelhäusern und Hausgruppen im Sinne der Festsetzung um mehrere Wohngebäude, d.h. die Zwei-Wohnungs-Klausel bezieht sich auf die Doppelhaushälfte bzw. das einzelne Haus (Reihenhaus) einer Hausgruppe (vgl. OVG Hamburg, B. v. 09.04.2010 – 2 Bs 49/10 -; Söfker, in: Ernst/Zinkhan/Bielenberg, BauGB, Stand: 03/11, § 9 Rn. 69).

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cc) Auf die Frage ob die Zwei-Wohnungs-Klausel vom Ortsgesetzgeber ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet wurde - wofür allerdings die auf das Maß der baulichen Nutzung bezogene Begründung sprechen könnte, dass einer Ausnutzung des weit gesteckten Festsetzungsrahmens mit Tendenzen zur übermäßigen Verdichtung und Baulandausnutzung entgegengewirkt werden solle (S. 11, letzter Abs. der Planbegründung) - oder ob ihr nachbarschützende Wirkung zukommt, weil sie den Gebietscharakter im Sinne einer Bebauung vorwiegend mit Familienheimen bestimmen sollte, so dass ihr auch bodenrechtliche Relevanz hinsichtlich der Art der Nutzung zukommt (zu diesen Möglichkeiten vgl. BVerwG, B. v. 09.10.1991 – 4 B 137/91 -, Juris mwN; B. v. 09.03.1993 – 4 B 38.93 -, NVwZ 1993, 1100), kommt es daher nicht an.

21

b) Was die Aufteilung der Kosten auf Klägerseite angeht, entspricht es billigem Ermessen, dass die früheren Kläger die bis zu ihrem Ausscheiden entstandenen Kosten als Gesamtschuldner tragen und die danach entstandenen Kosten der nunmehrigen Klägerin zur Last fallen (zu dieser Kostenteilung auch im Falle streitiger Entscheidung vgl. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 154 Rn. 43; OLG Stuttgart, B. v. 12.04.1973 – 6 U 73/72 – Juris -; anders Greger in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 91 Rn. 13 „Parteiwechsel“ sowie OLG Brandenburg, U. v. 11.03.2004 – 9 UF 123/03 -, Juris: Aufteilung der bis zum Parteiwechsel entstandenen Kosten nach Kopfteilen; noch anders Roth in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 4, 22. Aufl. 2008, § 263 Rn. 53 mwN sowie OLG Hamm, B. v. 08.08.2007 – 12 W 11/07 – u. OLG Celle, B. v. 12.11.2003 - 6 W 120/03 -, beide in Juris: Auferlegung nur der ausscheidbaren Mehrkosten an den früheren Kläger).

22

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. II.9.7.1 des Streitwertkataloges.

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