Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 M 151/14
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 07. November 2014 – 7 B 774/14 – wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Die Antragsteller verfolgen mit ihrer Beschwerde ihr Rechtsschutzziel weiter, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den öffentlichen Schienenpersonennahverkehr auf der Strecke zwischen Parchim und Malchow (Südbahn) bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache weiter zu bestellen.
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, den es als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung verstanden hat, im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, der begehrten einstweiligen Anordnung stehe nach dem von ihm näher ausgeführten anzulegenden Prüfungsmaßstab das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Es würden sich rechtlich und tatsächlich schwierige Fragen stellen, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse. Es spreche jedoch – was näher ausgeführt wird – bereits aus jetziger Perspektive einiges dagegen, dass den Antragstellern ein Anspruch auf Weiterbestellung zur Seite stehe, ein solcher sei derzeit nicht glaubhaft gemacht. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei – was ebenfalls näher erläutert wird – auch nicht ausnahmsweise wegen besonders schwerer Nachteile für die Antragsteller geboten, die nicht mehr rückgängig oder wieder gut gemacht werden könnten oder weil die Versagung des vorläufigen Rechtsschutzes für die Antragsteller hier schlechthin unzumutbar wäre.
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Die nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 12. November 2014 mit am 17. November 2014 eingegangenem Schriftsatz fristgemäß eingelegte und mit am 05. Dezember 2014 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz gleichermaßen fristgemäß begründete Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
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Dies gilt zunächst mit Blick auf den gegen den angefochtenen Beschluss gerichteten Angriff, das Verwaltungsgericht habe verkannt, „dass die Antragsteller auf die durch die Landesregierung faktisch erzwungene, rechtlich nicht haltbare Verpflichtung der Antragsteller durch den Antragsgegner zur Bestellung von Dienstleistungen des sonstigen ÖPNV abstellen; nicht hingegen auf das ebenfalls in der Inanspruchnahme der antragstellenden Landkreise enthaltene Unterlassen des Antragsgegners selbst Leistungen des ÖPNV zu bestellen.“ Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei in der Mitteilung des Antragsgegners vom 20. Januar 2014 die „Aufforderung an die Antragsteller enthalten, Leistungen des sonstigen ÖPNV in Ersatz für die wegfallenden Leistungen des SPNV zu bestellen“, diese Anordnung sei „materiell als nach außen gerichtetes Verwaltungshandeln und damit als VA“ zu qualifizieren, demnach müsse zur Wahrung der Rechte der Antragsteller auch eine faktische Aufforderung, welche sich in der Entscheidung über die Abbestellung der Südbahn manifestiere, justitiabel sein.
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Dieses Vorbringen ist in Ansehung der erstinstanzlich und im Beschwerdeverfahren identisch weiter verfolgten Antragstellung nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht nachvollziehbar und greift zudem in der Sache nicht durch. Wenn die Antragsteller die Mitteilung des Antragsgegners vom 20. Januar 2014 als belastenden Verwaltungsakt betrachten wollen, wäre ihr Antrag bereits nach § 123 Abs. 5 VwGO unstatthaft bzw. Rechtsschutz auf anderem Weg zu suchen (Anfechtungsklage, da nicht ersichtlich wäre, dass ein so verstandener Verwaltungsakt sofort vollziehbar wäre; die Antragsteller haben in der Hauptsache allerdings jeweils – eine dann wohl auch unstatthafte, vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO – Feststellungsklage erhoben, VG Schwerin Az. 7 A 1541/14 und 7 A 1610/14). Diese Betrachtungsweise ist aber ohnehin unzutreffend, da es sich bei dem betreffenden Schreiben vom 20. Januar 2014, das gleichlautend an beide Antragsteller gerichtet war, sowohl nach seinem äußeren Erscheinungsbild als auch nach seinem Inhalt offensichtlich nicht um einen – belastenden – Verwaltungsakt handelt. Im Kern werden in dem Schreiben lediglich die gesetzlichen Anforderungen nach Maßgabe des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Mecklenburg-Vorpommern (ÖPNVG M-V) wiedergegeben, ohne dass ersichtlich wäre, dass hier gegenüber den Antragstellern eine Regelung (vgl. § 35 Satz 1 VwVfG M-V) getroffen wurde bzw. getroffen werden sollte. Was aus dem Umstand, dass es sich nach Auffassung der Antragsteller bei dem Schreiben „zumindest“ um einen Realakt handele, folgen soll, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
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Die Beschwerdebegründung der Antragsteller genügt im Weiteren in Ansehung der entscheidungstragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, der begehrten einstweiligen Anordnung stehe das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen, nicht dem Darlegungserfordernis aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, und greift im Übrigen auch in der Sache nicht durch.
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§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestimmt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
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In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Wie sich aus § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO ergibt, können nur solche Gründe in die Prüfung einbezogen werden, die der Beschwerdeführer innerhalb der einmonatigen gesetzlichen Begründungsfrist vorbringt. Nach Ablauf dieser Frist können zwar fristgerecht – dem Darlegungserfordernis genügend – geltend gemachte Gründe vertieft, nicht aber neue Gründe in das Beschwerdeverfahren eingeführt werden.
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Vor diesem Hintergrund verlangt das Darlegungserfordernis von dem Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Es ist für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlich, dass die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpft und aufzeigt, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses. Der Beschwerdeführer muss sich insofern an der Begründungsstruktur der angegriffenen Entscheidung orientieren. Grundsätzlich reicht eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ebenso wenig aus wie bloße pauschale oder formelhafte Rügen. Stützt das Verwaltungsgericht sein Ergebnis alternativ auf mehrere Begründungen, muss die Beschwerde alle Begründungen aufgreifen, sich mit diesen auseinandersetzen und sie in Zweifel ziehen. Geht die Beschwerdebegründung auf nur eine Erwägung nicht ein, die die angefochtene Entscheidung selbstständig trägt, bzw. lässt sie unangefochten, bleibt der Beschwerde schon aus diesem Grund der Erfolg versagt. Diese Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind für einen Beschwerdeführer auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 4 VwGO ist sichergestellt, dass Beschwerdeführer – in aller Regel durch einen Rechtsanwalt – rechtskundig vertreten sind (insgesamt ständige Rspr. des Senats, vgl. etwa Beschl. v. 07.09.2010 – 1 M 210/09 –, juris; Beschl. v. 19.08.2008 – 1 M 44/08 –).
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Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Die Antragsteller orientieren sich nicht an dem im Hinblick auf die von ihnen zumindest teilweise begehrte Vorwegnahme der Hauptsache anzulegenden und vom Verwaltungsgericht zutreffend benannten Prüfungsmaßstab (vgl. insoweit OVG Greifswald, Beschl. v. 06.09.2005 – 1 M 55/05 –, juris; § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Eine zumindest teilweise Vorwegnahme der Hauptsache in Gestalt der erhobenen Feststellungsklagen wäre jeweils darin zu erblicken, dass die Antragsteller schon für die Dauer einer antragsgemäßen gerichtlichen Anordnung im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO kein „Mobilitätsangebot“ sicherzustellen hätten, obwohl sie die Feststellung, zu einem solchen „Mobilitätsangebot“ nicht verpflichtet zu sein, erst im Ergebnis eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren erreichen könnten. Jedenfalls wird die entsprechende Annahme des Verwaltungsgerichts von den Antragstellern auch nicht in Frage gestellt.
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Dass und warum zunächst ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der Antragsteller in der Hauptsache als einer Voraussetzung für die Überwindung des Vorwegnahmeverbots bestehen können sollte, legen die Antragsteller nicht dar. Aus ihrem eigenen Vortrag zu den Voraussetzungen einer zulässigen Vorwegnahme der Hauptsache wird letztlich deutlich, dass das Verwaltungsgericht zurecht angenommen hat, das Verfahren werfe rechtlich und tatsächlich – etwa betreffend die Zahl der Beförderungsfälle, die die gesamte Reisestrecke der Südbahnverbindung nutzen – schwierige Fragen auf, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse, was in der Konsequenz einen Erfolg der Antragsteller in der Hauptsache allenfalls als offen erscheinen ließe.
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Ebenso wenig wird im Vortrag der Antragsteller hinreichend deutlich, dass die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes entgegen dem Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts als weitere Voraussetzung der Überwindung des Vorwegnahmeverbots für sie unzumutbar schwer wiegende Nachteile erwarten ließe und diese Nachteile im Ergebnis eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Konkret tragen die Antragsteller hierzu lediglich vor, es seien schwere Nachteile zu besorgen, diese bestünden insbesondere darin, dass die Antragsteller formal die Zuständigkeit zur Übernahme der Sicherstellung eines öffentlichen Verkehrs übernehmen sollen, infolge der wegfallenden Verkehrsleistungen des Antragsgegners folgten besonders schwere Nachteile der Antragsteller. Hieraus folge u.a. zugleich die Pflicht zur Ausgleichung von nach § 8 Abs. 3 ÖPNVG M-V nicht gedeckten Fehlbeträgen und Infrastrukturkosten; diese Pflicht würde zeitnah unbefristet fortgelten, was somit die Bedeutsamkeit und Tragweite der Nachteile bekräftige. Die Antragsteller verweisen in diesem Kontext auch auf bestehende Konsolidierungsverpflichtungen gegenüber dem Land hinsichtlich ihrer Haushalte.
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Der „formale“ Umstand einer Zuständigkeitsbegründung nach § 3 Abs. 3 ÖPNVG M-V hinsichtlich der streitbefangenen ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im sonstigen ÖPNV zwischen den Städten Parchim und Malchow (für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens) begründet für sich gesehen offensichtlich ebenso wenig einen unzumutbar schweren Nachteil wie die gesetzliche Aufgabenzuweisung nach dieser Bestimmung insgesamt bzw. als solche. Das Vorbringen zu Ausgleichungspflichten, nicht gedeckten Fehlbeträgen und Infrastrukturkosten bleibt pauschal und unsubstantiiert; wieso und warum es zu solchen Pflichten, Fehlbeträgen und Kosten in erheblichem Umfang kommen können sollte, bleibt offen. Erst recht ist nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass es sich für die Antragsteller um unzumutbar schwer wiegende Nachteile handeln könnte. All dies gilt umso mehr, als § 8 Abs. 3 Satz 2 ÖPNVG M-V bestimmt, dass den Aufgabenträgern nach § 3 Abs. 3 ÖPNVG M-V bei Wegfall von SPNV-Leistungen und Übernahme dieser Verkehrsleistungen durch den sonstigen ÖPNV die hierfür erforderlichen Mittel bereitzustellen sind. Das Ministerium hat in seinem Schreiben vom 20. Januar 2014 jeweils gegenüber beiden Antragstellern entsprechend für ein bedarfsgerechtes öffentliches Mobilitätsangebot zwischen Parchim und Malchow im sonstigen ÖPNV mitgeteilt, dass das Land gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 ÖPNVG M-V die insoweit erforderlichen Mittel auf der Grundlage der geltenden Richtlinie als Zuwendung bereitstelle. Schließlich ist nicht ersichtlich, dass die geltend gemachten finanziellen Auswirkungen im Falle eines Obsiegens der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nicht rückgängig gemacht werden könnten.
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Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen haben die Antragsteller jedenfalls keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Einen solchen Anordnungsanspruch wollen sie nach Maßgabe ihres Beschwerdevorbringens aus dem in § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V normierten Abstimmungsgebot oder „in Zusammenschau“ dieser Bestimmung mit Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 4 Verf M-V herleiten.
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Gemäß § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V haben die Aufgabenträger ihre Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Aufgaben aufeinander abzustimmen. Dass aus dieser Bestimmung zu Gunsten der Antragsteller ein subjektives Recht zur Begründung eines Anordnungsanspruchs hergeleitet werden könnte, ist nicht ersichtlich.
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§ 3 ÖPNVG M-V weist bestimmten Trägern bestimmte Aufgaben im Bereich der Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) und des sonstigen ÖPNV zu. Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen des SPNV im Sinne von § 1 Abs. 2 des Regionalisierungsgesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2395) und im Sinne von § 2 Abs. 5 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl. I S. 2378, 2396, 1994 I S. 2439) ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ÖPNVG M-V Aufgabe des Landes. Die Aufgabe nimmt das Ministerium für Verkehr, Bau und Landesentwicklung wahr (Satz 2). Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im sonstigen ÖPNV im Sinne von § 1 Abs. 2 des Regionalisierungsgesetzes und im Sinne von § 8 Abs. 1 des Personenbeförderungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. August 1990 (BGBl. I S. 1690) ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 ÖPNVG M-V Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte im eigenen Wirkungskreis (Satz 2). Für den Fall, dass das Ministerium für Verkehr, Bau und Landesentwicklung im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung feststellt, in einem bestimmten Verkehrsbereich, der dem ÖPNVG M-V unterfällt (vgl. § 1 Abs. 1 ÖPNVG M-V und die in Absatz 3 dem Ministerium zugewiesene Entscheidungskompetenz in Zweifelsfällen), seien Verkehrsleistungen des SPNV nicht (mehr) erforderlich, und ein Landkreis dann seinerseits – grundsätzlich davon unabhängig – zu der Feststellung gelangt, jedenfalls jetzt (wenn nicht auch schon zuvor) seien von ihm dort Verkehrsleistungen im sonstigen ÖPNV zu erbringen, wächst dem Landkreis die konkrete Aufgabe als solche im eigenen Wirkungskreis zu. § 3 Abs. 3 ÖPNVG M-V erschöpft sich dabei in seiner Funktion einer positiven Aufgabenzuweisung. Weder nach Wortlaut, Systematik oder Sinn und Zweck dieser Norm ist ersichtlich, dass den Landkreisen ein darüber hinaus gehendes Abwehrrecht gegen eine derartige Feststellung des Ministeriums bzw. Landes mit dem Ziel zustehen könnte, einen solchen gesetzlichen Aufgabenzuwachs zu verhindern; ebenso wenig ist ersichtlich, dass die Landkreise verlangen können, dass das Land bisher erbrachte Verkehrsleistungen des SPNV auch weiterhin erbringt. Ein solches Recht folgt auch nicht aus § 3 Abs. 1 ÖPNVG M-V. Die Systematik des Gesetzes spricht, wie der Blick auf § 8 Abs. 3 Satz 2 ÖPNVG M-V zeigt, ebenfalls gegen solche Ansprüche. Wenn danach den Aufgabenträgern nach § 3 Abs. 3 ÖPNVG M-V bei Wegfall von SPNV-Leistungen und Übernahme dieser Verkehrsleistungen durch den sonstigen ÖPNV die hierfür erforderlichen Mittel bereitzustellen sind, dann folgt auf den Aufgabenzuwachs unmittelbar korrespondierend ein Zuwachs an erforderlichen Mitteln, die das Land, das seine Aufgabenwahrnehmung nach § 3 Abs. 1 ÖPNVG M-V eingestellt hat, bereitzustellen hat; insoweit besteht ein Finanzierungsanspruch. Bei einem derartigen Gesetzesmechanismus besteht kein Bedürfnis für einen Abwehranspruch im vorstehenden Sinne. Der Gesetzgeber hat vielmehr den Aufgabenbereich bzw. eigenen Wirkungskreis der Landkreise im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. auch Art. 72 Abs. 1 Satz 2 Verf M-V) nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen so definiert (vgl. zur Definition des Aufgabenbereichs der Landkreise BVerwG, Beschl. v. 03.03.2009 – 4 B 59.08 –, juris, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG), dass die Landkreise in einem Fall wie dem vorliegenden ggf. bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen ihre gesetzliche Aufgabe zu erfüllen und Verkehrsleistungen im sonstigen ÖPNV unter Bereitstellung entsprechender Mittel durch das Land zu erbringen haben. Soweit die Antragsteller erstinstanzlich ausgeführt haben, sie seien in ihrem „subjektiven Recht gemäß § Abs. 3 ÖPNVG M-V“ verletzt, können sie damit nach alledem nicht durchdringen.
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Aus § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V folgt nichts Abweichendes. Dieser Norm lässt sich nicht etwa der Vorbehalt eines materiellen bzw. subjektiven Beteiligungsrechts in Form der Abstimmung der Aufgabenträger mit der Folge entnehmen, dass bei ihrem Unterbleiben oder defizitärer Durchführung der gesetzliche Aufgabenzuwachs – zunächst – unterbleiben würde. Anknüpfend an die beschriebene Aufgabenverteilung enthält § 4 ÖPNVG M-V Regelungen zur Durchführung der jeweiligen Aufgaben und zur Zusammenarbeit. Konkret regelt § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V insoweit eine verfahrensrechtliche Pflicht der Aufgabenträger, sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben abzustimmen. Dabei setzt die Bestimmung entgegen der Rechtsauffassung der Antragsteller eine bestimmte Aufgabenzuweisung nach Maßgabe von § 3 ÖPNVG M-V – das „Ob“ – als bereits gegeben bzw. feststehend voraus; die Aufgabenträger haben dann lediglich die Maßnahmen zur Erfüllung – also das „Wie“ – ihrer Aufgaben abzustimmen. § 4 – im besonderen Abs. 5 – ÖPNVG M-V hat in systematischer Betrachtung und in Ansehung des Wortlauts die Durchführung der bereits anderweitig gesetzlich zugewiesenen Aufgabe zum Gegenstand und eröffnet keine Möglichkeit zur Revision der gesetzlichen Aufgabenzuweisung im Rahmen des Abstimmungsverfahrens. Für die Regelung gegenseitig einklagbarer subjektiver (Verfahrens-) Rechte der Aufgabenträger bestehen keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht im vorstehend erörterten Kontext. § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V normiert auch anders als § 5 Abs. 1 Satz 1 ÖPNVG M-V kein Erfordernis des Einvernehmens.
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Auch aus einer „Zusammenschau mit Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 4 Verf M-V“ lässt sich § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V kein subjektives Recht der Antragsteller entnehmen. Die in diesen Bestimmungen normierte Gesetzesbindung insbesondere der Verwaltung vermag schon für den Bürger im Verhältnis zum Staat keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch zu begründen; etwas anderes kann auch nicht im Verhältnis staatlicher Aufgabenträger zueinander gelten. Die in Bezug genommen Verfassungsnormen sind damit schon im Ansatz nicht geeignet, § 4 Abs. 5 ÖPNVG M-V subjektiv „aufzuladen“. Insoweit greift auch der Hinweis der Antragsteller auf Raumordnung und Landesplanung nicht durch.
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Wenn die Antragsteller geltend machen, es liege begrifflich schon kein sonstiger ÖPNV im Sinne von § 3 Abs. 3 ÖPNVG M-V und § 8 Abs. 1 PBefG vor, bleibt zum einen unklar, inwieweit diesbezüglich ein Anordnungsanspruch begründet sein könnte. Zum anderen ist der darauf zielende Vortrag, mehr als die Hälfte der Beförderungsfälle nutze die gesamte Reisestrecke der Südbahnverbindung, nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die dazu vorgelegte „Eidesstattliche Versicherung“ des Herrn H. vom 05. Dezember 2014 ist offensichtlich zu pauschal und unsubstantiiert. Was sich konkret z. B. methodisch hinter der Formulierung „nach meinen eigenen Beobachtungen“ verbirgt, ist unklar, ebenso, wie Herr H. etwa Aussagen zur touristischen Hochsaison machen können will, wenn sich seine Beobachtungen auf Oktober 2014 beschränken.
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Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. auch Art. 72 Abs. 1 Satz 2 Verf M-V) lässt sich nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen ebenfalls kein Anordnungsanspruch entnehmen; diese Bestimmungen sichern den Kreisen anders als Art. 28 Abs. 2 Satz1 GG gerade keinen bestimmten Aufgabenbereich; anders als bei den Gemeinden beschreibt die Verfassung die Aufgaben der Kreise nicht selbst, sondern überantwortet dies dem Gesetzgeber (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.03.2009 – 4 B 59.08 –, juris, unter Bezugnahme auf die Rechtssprechung des BVerfG), der diese Verantwortung wie vorstehend inhaltlich erläutert mit dem ÖPNVG M-V wahrgenommen hat. Schließlich folgt aus dem übrigen Vorbringen der Antragsteller ebenfalls keine hinreichende Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, dass der Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung mit Blick auf die in der Hauptsache erhobenen Feststellungsklagen gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern als Rechtsträger zu richten gewesen wäre („Rechtsträgerprinzip“) und folglich das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung Mecklenburg-Vorpommern nicht richtiger Antragsgegner ist.
- 22
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
- 23
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 47, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG und berücksichtigt, dass das Begehren der Antragsteller jeweils auf eine teilweise Vorwegnahme der Hauptsache zielt.
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Hinweis:
- 25
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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