Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 L 502/15

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 17. November 2015 – 2 A 1289/14 HGW – wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um Ausbildungsförderung.

2

Der Kläger absolvierte ab dem 10. September 2012 eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann an der privaten Beruflichen Schule „c.“ in A-Stadt. Für diese Ausbildung schuldete er ein monatliches Schuldgeld in Höhe von 276,00 Euro.

3

Mit Bescheid vom 28. September 2012 gewährte der Beklagte dem Kläger für den Bewilligungszeitraum von September 2012 bis Februar 2013 Ausbildungsförderung in Höhe von 354,00 Euro monatlich. Mit Bescheid vom 28. Februar 2013 gewährte der Beklagte dem Kläger für den Bewilligungszeitraum von März 2013 bis August 2013 weitere Ausbildungsförderung in Höhe von 338,00 Euro monatlich. Die Bedarfsberechnung erfolgte jeweils nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010. Gegen diese Bescheide erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Gegen den Bescheid vom 28. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2013 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Greifswald. Er beantragte, den Beklagten unter teilweiser Aufhebung dieser Bescheide zu verpflichten, auch das Schulgeld für seine Ausbildungsstätte zu übernehmen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. Oktober 2013 – 2 A 407/13 – abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 2. September 2014 – 1 L 226/13 – abgelehnt. Dagegen hat der Kläger Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben – 1 BvR 2740/14.

4

Mit Bescheid vom 28. August 2013 gewährte der Beklagte dem Kläger für den Bewilligungszeitraum von September 2013 bis August 2014 weitere Ausbildungsförderung in Höhe von 308,00 Euro monatlich. Die Bedarfsberechnung erfolgte wiederum nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010. Mit Bescheid vom 28. März 2014 hob der Beklagte die Bewilligung für den Zeitraum April 2014 bis August 2014 wieder auf, nachdem der Kläger seine Ausbildung am 5. März 2014 beendet hatte. Gegen den Bescheid vom 28. August 2013 erhob der Kläger erfolglos Widerspruch. Die Klage gegen den Bescheid vom 28. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. September 2013 ist beim Verwaltungsgericht Greifswald unter dem Aktenzeichen 2 A 884/13 anhängig.

5

Mit Schreiben vom 10. April 2014 beantragte der Kläger beim Beklagten die Überprüfung seiner Bescheide über Ausbildungsförderung für die Bewilligungszeiträume von September 2012 bis März 2014 gemäß § 44 SGB X. Diesen Antrag begründete er damit, dass der vom Beklagten festgesetzte Gesamtbedarf nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Der Bezug von Leistungen nach dem BAföG sei nicht existenzsichernd. Mit Bescheid vom 16. April 2014 lehnte der Beklagte eine Änderung seiner Bescheide ab. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2014 zurück.

6

Der Kläger hat am 10. Dezember 2014 Klage zum Verwaltungsgericht Greifswald erhoben. In der mündlichen Verhandlung hat er beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 2014 zu verpflichten, die Ausbildungsförderung des Klägers für die Bewilligungszeiträume September 2012 bis August 2013 und September 2013 bis März 2014 neu festzusetzen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vereinbarkeit der in § 13 BAföG genannten Förderbeträge mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 20 GG einzuholen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. November 2015 – 2 A 1289/14 – abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger am 27. November 2015 zugestellt worden. Am 16. Dezember 2015 hat der Kläger einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Diesen Antrag hat er am 27. Januar 2016 begründet.

II.

7

Der fristgemäß gestellte und begründete (§ 124a Abs. 4 Satz 1 und 4 VwGO) Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die Voraussetzungen an eine Berufungszulassung mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht überspannt werden dürfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.11.2013 – 2 BvR 1895/11 –, juris Rn. 14; BVerfG, Beschl. v. 14.11.2016 – 2 BvR 31/14 –, juris Rn. 10).

8

1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht hinreichend dargelegt [a)] und liegt in der Sache nicht vor [b)].

9

a) Ein auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel gestützter Antrag muss sich im Hinblick auf das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernsthaften Zweifeln bezüglich ihrer Richtigkeit begegnen (vgl. etwa OVG Greifswald, Beschl. v. 15.10.2008 – 1 L 104/05; OVG Greifswald, Beschl. v. 16.07.2012 – 1 L 19/09 –, juris Rn. 8). Die Berufung ist zuzulassen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 18.06.2019 – 1 BvR 587/17 –, juris Rn. 32). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen des Klägers nicht.

10

Ernstliche Zweifel sind nicht dargelegt, soweit die Klage im Hinblick auf eine Abänderung der Bescheide für den Bewilligungszeitraum von September 2013 bis März 2014 abgewiesen wurde. Das Verwaltungsgericht hat die Klage insoweit auch als unzulässig angesehen, weil der Kläger mit seinem Vortrag in dem noch anhängigen Verfahren 2 A 884/13 gehört werden könne. Ihm fehle deshalb das Rechtsschutzbedürfnis. Ist die Entscheidung in dieser Weise selbstständig tragend mehrfach begründet, ist eine Zulassung der Berufung nur gerechtfertigt, wenn im Hinblick auf jeden der Begründungsstränge ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. nur OVG Greifswald, Beschl. v. 15.10.2008 – 1 L 104/15; VGH München, Beschl. v. 26.03.2018 – 6 ZB 18.252 –, juris Rn. 3; BVerwG, Beschl. v. 23.12.2015 – 2 B 40/14 –, juris Rn. 15 zum Revisionszulassungsrecht). Im Zulassungsantrag fehlen jegliche Ausführungen zu der Annahme des Verwaltungsgerichts, es fehle dem Kläger insoweit an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

11

Ernstliche Zweifel sind auch im Übrigen nicht dargelegt, soweit das Verwaltungsgericht die Klage insgesamt im Hinblick auf eine Abänderung der Bescheide für die Bewilligungszeiträume von September 2012 bis Februar 2013, von März 2013 bis August 2013 und von September 2013 bis März 2014 als unbegründet angesehen hat. Das Verwaltungsgericht hat entscheidungstragend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vorlägen, weil der Beklagte bei Erlass der Bescheide das Recht nicht unrichtig angewandt habe. Der Beklagte habe die Bedarfe gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 rechtmäßig mit jeweils 465 Euro monatlich angesetzt. Diese Vorschrift sei auch nicht verfassungswidrig.

12

Der Kläger stützt seinen Zulassungsantrag auf die Rechtsauffassung, die monatlichen Bedarfssätze nach dem BAföG seien verfassungswidrig. Diese Bedarfe seien nicht realitätsgerecht und lägen unterhalb dessen, was zur Existenzsicherung zwingend notwendig sei. Die Bedarfssätze seien auch nicht in einem Verfahren berechnet worden, welches den vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 – aufgestellten Grundsätzen genüge. Der Kläger beruft sich in seiner Zulassungsschrift auf verschiedene Quellen, insbesondere bezieht er sich auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts A-Stadt zu den Regelbedarfen nach dem SGB II vom 25. April 2012 – S 55 AS 29349/11. In seinem Zulassungsvorbringen geht der Kläger jedoch nicht auf die vom Verwaltungsgericht herangezogene Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 ein, sondern zitiert im Wesentlichen Rechtsmeinungen, die sich auf § 13 BAföG beziehen. Wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils damit begründet werden, dass eine anzuwendende Gesetzesnorm für verfassungswidrig gehalten wird, muss dargelegt werden, gegen welchen Artikel des Grundgesetzes sie verstößt und warum (vgl. Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 36. EL Februar 2019, § 124a Rn. 104 zur Grundsatzrüge –, beck-online). Dabei kann im Zulassungsverfahren zwar nicht verlangt werden, dass der Zulassungsantrag den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 2 BVerfGG für einen Vorlagebeschluss genügt. Der Zulassungsantragsteller muss aber wenigstens im Ansatz darlegen, warum das Verwaltungsgericht von der Verfassungswidrigkeit einer Norm hätte überzeugt sein müssen und dabei vorhandene Rechtsprechung einbeziehen (siehe dazu OVG Greifswald, Beschl. v. 02.09.2014 – 1 L 226/13). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.

13

Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Einrichtung eines staatlichen Systems der individuellen Ausbildungsförderung ist an Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 1 GG statuierten Sozialstaatsprinzip zu messen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass sich aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 1 GG statuierten Sozialstaatsprinzip ein derivatives Recht auf Teilhabe an den staatlichen Ausbildungsressourcen ergibt. Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 1 GG verwehrt es dem Gesetzgeber, den Zugang zu staatlich geschaffenen Ausbildungseinrichtungen prohibitiv zu gestalten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.05.2013 – 1 BvL 1/08 –, juris Rn. 40 für den Bereich des Hochschulzugangs). Verfassungsrechtlich geboten ist damit ein sozial verträgliches, also entweder ein grundsätzlich für alle finanziell tragbares oder aber ein um ein Ausbildungsförderungssystem ergänztes Ausbildungsangebot, das im Rahmen der staatlich geschaffenen Ausbildungskapazitäten allen entsprechend Qualifizierten eine Ausbildung ermöglicht und den Zugang dazu insbesondere nicht von den Besitzverhältnissen der Eltern abhängig macht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.05.2013 – 1 BvL 1/08 –, juris Rn. 42 zum Hochschulstudium). Das Bundesverfassungsgericht führt in mehreren Entscheidungen daher auch aus, dass der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, die teilhaberechtliche Dimension des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsgebot aus Art. 20 Abs. 1 GG berührt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.09.2014 – 1 BvR 1768/11 –, juris Rn. 24; BVerfG, Beschl. v. 08.10.2014 – 1 BvR 886/11 –, juris Rn. 14).

14

Der Kläger beruft sich in seinem Zulassungsvorbringen hingegen darauf, dass die Regelbedarfe verfassungswidrig seien, weil sie gegen die Menschenwürde verstießen und nicht existenzsichernd seien. Damit verfehlt er den dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstab, selbst wenn Ausbildungsförderung auch eine existenzsichernde Funktion hat. Zudem begründet der Kläger nicht, warum Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip einschlägig sein soll. Die Aufnahme einer Ausbildung begründet gerade keine Notlage, die Voraussetzung für den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch den Staat ist. Sie beruht auf einer Entscheidung des Auszubildenden für eine Ausbildung und gegen die Aufnahme einer das Existenzminimum sichernden Erwerbstätigkeit (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.11.2018 – 4 LC 392/16 –, juris Rn. 30). Die Gewährung von Ausbildungsförderung verfolgt daher auch andere Zwecke als Leistungen zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch den Staat. Letztere dienen vor allem der Vermeidung existenzieller Armut, weil Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG einen Anspruch auf die Zurverfügungstellung derjenigen Mittel enthält, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Zum menschenwürdigen Existenzminimum gehören aber nur diejenigen materiellen Voraussetzungen, die für eine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind (vgl. nur BVerfG, Urt. v. 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. –, juris). Das Grundrecht enthält darüber hinaus keinen weitergehenden Anspruch. Wenn die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger sichergestellt sind, liegt es allein in der Entscheidung des Gesetzgebers, in welchem Umfang darüber hinaus soziale Hilfe gewährt wird. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 –, juris Rn. 9 m.w.N. zur Rspr. des BVerfG). Ausbildungsförderung verfolgt dagegen den Zweck, auch bedürftigen Auszubildenden entsprechend ihrer Neigung, Eignung und Leistung Teilhabe am staatlichen Ausbildungssystem zu ermöglichen. Es geht um die Sicherung der Chancengleichheit beim Zugang zu qualifizierter Ausbildung. Die einzelnen Schüler oder Studierenden sollen im Grundsatz so gefördert werden, dass sie nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen als diejenigen, denen verantwortungsbewusste, sparsame Eltern, Ehegatten oder Lebenspartner eine Ausbildung ermöglichen können. Daneben verfolgt die Ausbildungsförderung auch das Ziel, vorhandene Bildungsreserven möglichst weitgehend auszuschöpfen (vgl. nur Ramsauer in: Ramsauer, BAföG, 6. Aufl. 2016, Einführung Rn. 3 f.; siehe auch Schepers in: Rothe/Blank, BAföG, Stand August 2017, § 1 Rn. 4 f.).

15

Diese grundlegenden Unterschiede in der verfassungsrechtlichen Herleitung von Grundsicherung und Ausbildungsförderung verkennt der Kläger in seinem Zulassungsantrag. Hinzu kommt, dass der Kläger Förderung für den Besuch einer privaten Bildungseinrichtung begehrt. Das Zulassungsvorbringen hätte daher wenigstens im Ansatz darlegen müssen, warum die Rechtsprechung zum verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch an staatlichen Ausbildungsangeboten auf diesen Fall zu übertragen ist (vgl. schon OVG Greifswald, Beschl. v. 02.09.2014 – 1 L 226/13). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es verfassungsrechtlich gerade nicht geboten, dass der Besuch einer privaten Ausbildungseinrichtung durch die Gewährung staatlicher Mittel ermöglicht oder erleichtert werden muss (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09 –, juris Rn. 9, 15). Damit setzt sich der Zulassungsantrag nicht auseinander.

16

b) Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen aber auch in der Sache nicht vor. In der Sache sieht der Senat diesen Zulassungsgrund als gegeben an, wenn die Zulassungsschrift Anlass gibt, das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung in Zweifel zu ziehen. Damit ist gesagt, dass der Begriff der ernstlichen Zweifel auch das Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist, mit in den Blick zu nehmen hat. So liegen ernstliche Zweifel nicht vor, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt, die ohne Weiteres auf der Hand liegen (vgl. nur OVG Greifswald, Beschl. v. 15.10.2008 – 1 L 104/05; OVG Greifswald, Beschl. v. 16.07.2012 – 1 L 19/09 –, juris Rn. 9; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 09.06.2016 – 1 BvR 2453/12 –, juris Rn. 17). Nach diesen Maßstäben hat der Senat keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, weil die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht vorliegen.

17

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. § 44 SGB X findet im Ausbildungsförderungsrecht Anwendung (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 25.04.1985 – 5 C 123/83 –, juris). Die Voraussetzungen der Vorschrift liegen nicht vor, weil der Beklagte bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht nicht unrichtig angewandt hat. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verwaltungsakte vom 28. September 2012, 28. Februar 2013 und 28. August 2013 war als monatlicher Bedarf für Schüler von weiterführenden allgemeinbildenden Schulen und Berufsfachschulen sowie von Fach- und Fachoberschulklassen, deren Besuch eine abgeschlossene Berufsausbildung nicht voraussetzt, die nicht bei ihren Eltern wohnen, ein Betrag von 465 Euro anzusetzen, § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010. Daran hat sich der Beklagte gehalten.

18

Recht im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist das bei Erlass des Verwaltungsaktes durch die Behörde anwendbare Recht. § 44 SGB X dient der Korrektur eines fehlerhaften Verwaltungsaktes und stellt ein Überprüfungsverfahren für die Verwaltungsbehörde zur Verfügung (Merten in: Hauck/Noftz, SGB, Stand April 2018, § 44 SGB X Rn. 1). Weil der Verwaltungsbehörde aber die Befugnis dazu fehlt, eine Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen (Normverwerfungskompetenz), hat sie diese anzuwenden. Solange die Verfassungswidrigkeit einer Norm nicht festgestellt wird, lässt sich die Bestandskraft des Verwaltungsaktes daher auch nicht im Wege des § 44 SGB X überwinden. Eine Überprüfung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 auf seine Verfassungsmäßigkeit ist im zu entscheidenden Fall deshalb nicht angezeigt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.02.1993 – 11 B 91/92 –, juris Rn. 10; BVerwG, Beschl. v. 09.02.1993 – 11 B 81/92 –, juris Rn. 9; VG München, Urt. v. 28.10.1998 – M 30 K 95.2732 –, juris Rn. 35; siehe auch LSG München, Urt. v. 14.03.2018 – L 19 R 134/17 –, juris; LSG Celle, Beschl. v. 19.08.2009 – L 13 AS 167/09 B –, juris; LSG Schleswig, Urt. v. 28.04.2004 – L 8 RA 44/03 –, juris).

19

Eine ergänzende Anhörung des Klägers hierzu war vor der Entscheidung über die Berufungszulassung nicht erforderlich. Der Beklagte hat sich bereits in der Klageerwiderung und auch im Zulassungsverfahren auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt. Dazu hat der Kläger im Zulassungsverfahren mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2016 Stellung genommen.

20

2. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

21

Eine Streitsache weist besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, wenn ihre Beurteilung voraussichtlich im Verhältnis zu den Standards verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen überdurchschnittliche Anforderungen stellt (vgl. nur OVG Greifswald, Beschl. v. 09.12.2015 – 1 L 207/15 –, juris Rn. 9). Die Darlegung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfordert eine einzelfallbezogene Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils insofern, als die besonderen Schwierigkeiten als solche zu benennen sind und aufzuzeigen ist, aus welchen Gründen sich diese in ihrer Bewertung von den durchschnittlichen Schwierigkeiten eines Verwaltungsrechtsstreits abheben. Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Der Kläger verweist insoweit nur auf seinen Begründungsaufwand zu § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.

22

3. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

23

Für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sind Darlegungen dazu erforderlich, dass die Rechtssache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist und deren Klärung der Weiterentwicklung des Rechts förderlich ist. Hierzu gehört, dass die klärungsbedürftige konkrete Rechtsfrage bezeichnet und dargestellt wird, woraus sich die grundsätzliche Bedeutung dieser speziellen Rechtsfrage ergibt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur OVG Greifswald, Beschl. v. 09.12.2015 – 1 L 207/15 –, juris Rn. 14). Dem genügt das Zulassungsvorbringen nicht.

24

Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen,

25

ob die BAföG-Bedarfssätze den Bedarf der Auszubildenden zeit- und realitätsgerecht und der sozialen Wirklichkeit entsprechend des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 – angemessen festsetzen und

26

ob die BAföG-Bedarfssätze in einem Verfahren ermittelt wurden, welches den verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügt, welche in dem vorbenannten Urteil festgesetzt wurden,

27

können nicht zur Zulassung der Berufung führen. Die Fragen sind zu allgemein gehalten und vermischen Tatsachen- und Rechtsfragen. Sie zielen auch auf die Klärung von Fragen, die sich dem Verwaltungsgericht nicht gestellt haben. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellte Hilfsantrag zeigt dies. Der Kläger hat Ausbildungsförderung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 bezogen, nicht nach § 13 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010. Auf die Gültigkeit des § 13 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 kommt es daher für die Entscheidung nicht an.

28

Eine Auslegung der Fragen des Klägers dahingehend, grundsätzlich klären zu lassen, ob § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG in der Fassung vom 7. Dezember 2010 verfassungskonform ist, führte – unabhängig davon, dass die Vorschrift mittlerweile geändert wurde – ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung. Die grundsätzliche Bedeutung dieser Frage wird nicht dargelegt. Auf die Ausführungen unter 1. a) wird verwiesen. Darüber hinaus wäre diese Frage auch in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich. Auf die Ausführungen unter 1. b) wird Bezug genommen.

29

4. Die Berufung ist schließlich nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

30

Das Verwaltungsgericht hat durch das Unterlassen eines Vorlagebeschlusses an das Bundesverfassungsgericht dem Kläger nicht den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen. Ein Fachgericht kann gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen, wenn es seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht nachkommt und die Betroffenen so ihrem gesetzlichen Richter entzieht, zu dem in diesem Fall das Bundesverfassungsgericht berufen ist. Ein Fachgericht verletzt die Garantie des gesetzlichen Richters insbesondere dann, wenn es die Vorlage einer Norm, von deren Verfassungswidrigkeit es ansonsten überzeugt wäre, unterlässt, weil es in nicht vertretbarer Weise die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des betreffenden Gesetzes annimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014 – 1 BvR 2142/11 –, juris Rn. 71). Für den Senat ist aber schon nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht von der Verfassungswidrigkeit des § 12 Abs. 2 Nr. 1 BAföG a.F. überzeugt gewesen wäre. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr unter Verweis auf verschiedene Bundestagsdrucksachen und Aufsätze angenommen, dass die Vorschrift nicht gegen die Verfassung verstößt. Dabei hat es die Vorschrift nicht verfassungskonform ausgelegt, sondern sie entsprechend ihres Wortlauts auf den Sachverhalt angewandt.

31

Der Senat kann zuletzt auch nicht feststellen, dass das Verwaltungsgericht durch das Unterlassen eines Vorlagebeschlusses gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen hat. Es fehlen schon Darlegungen des Klägers dazu, inwiefern eine Nichtvorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG den Grundsatz der Erforschung des „Sachverhalts“ verletzen soll.

32

5. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen