Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LA 231/16

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer - vom 26. Mai 2016 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

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Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 VwGO sind von ihm entgegen der Maßgabe des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht hinreichend dargelegt worden.

2

Das Verwaltungsgericht hat die auf die Verpflichtung der Beklagten zur Vorausleistung von Ausbildungsförderung (§ 36 Abs. 1 BAföG) für den Bewilligungszeitraum September 2011 bis August 2012 gerichtete Klage mit mehreren jeweils selbständig tragenden Begründungen abgewiesen. Erstens habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht, dass seine Eltern den nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes angerechneten Unterhaltsbeitrag nicht geleistet hätten. Zweitens sei nicht ersichtlich, dass die Ausbildung des Klägers gefährdet gewesen sei; denn der Kläger habe die Ausbildung durchgeführt; weder habe er sich während des Bewilligungszeitraums mit dem Hinweis auf eine Gefährdung der Ausbildung an das BAföG-Amt gewandt, noch habe er z.B. die Abzweigung des Kindergeldes beantragt. Drittens ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht, wie es gemäß § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG erforderlich ist, bis zum Ende des Bewilligungszeitraums den erforderlichen Antrag auf Vorausleistung von Ausbildungsförderung gestellt hat. Daran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht auch den sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch als mögliche Anspruchsgrundlage für die Gewährung der mit der Klage begehrten Leistung geprüft: Abgesehen davon, dass die Voraussetzungen für die Vorausleistung von Ausbildungsförderung auch unabhängig von der rechtzeitigen Stellung des erforderlichen Antrags nicht vorgelegen hätten, komme ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch nur dann in Betracht, wenn der entstandene Nachteil durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln nachträglich wieder beseitigt werden könne. Dies sei hier aber nicht der Fall, denn nach § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG könnten nach Ende des Bewilligungszeitraums gestellte Anträge nicht berücksichtigt werden.

3

Dass die erstinstanzliche Entscheidung somit auf mehrere jeweils selbstständig tragende Begründungen gestützt worden ist, hat zur Folge, dass dem Zulassungsantrag nur dann entsprochen werden kann, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund dargelegt worden ist und tatsächlich vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.5.2009 - 5 B 90.08 -, Urt. v. 2.10.2000 - 6 B 75.99 - u. Beschl. v. 8.7.1999 - 11 D 9.99 -; Senatsbeschl. v. 15.1.2018 - 4 LA 382/17 -, 29.7.2013 - 4 LA 96/12 -, 6.12.2011 - 4 LA 374/10 -, 10.5.2010 - 4 LA 296/08 - u. v. 25.5.2009 - 4 LA 320/08 -).

4

Das ist aber nicht der Fall. Hinsichtlich der selbständig tragenden Begründung des erstinstanzlichen Urteils, wonach der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass seine Eltern in dem hier in Rede stehenden Bewilligungszeitraum den nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes angerechneten Unterhaltsbetrag nicht geleistet hätten, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung der vom Kläger geltend gemachten Berufungszulassungsgründe. Daher kann schon aus diesem Grund die Berufung nicht zugelassen werden. Auf die weiteren vom Kläger im Berufungszulassungsverfahren vorgetragenen Rügen, die sich gegen die weiteren selbständig tragenden Erwägungen richten, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch gestützt hat, kommt es somit nicht an.

5

Den Berufungszulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat der Kläger hinsichtlich der tragenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, er habe nicht glaubhaft gemacht, dass seine Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht geleistet hätten, bereits deshalb nicht dargelegt, weil er in der Begründung seines Berufungszulassungsantrags selbst eingeräumt hat, dass ihm seine Eltern während des Bewilligungszeitraums Unterhalt geleistet haben. Dass es sich dabei nur um Naturalunterhalt gehandelt haben soll, ist ohne Bedeutung. Eltern leisten den angerechneten Unterhaltsbetrag i.S. von § 36 Abs. 1 Halbs. 1 BAföG nicht nur dann, wenn sie dem Auszubildenden Barunterhalt zahlen, sondern auch, soweit sie ihm in Ausübung ihres Unterhaltsbestimmungsrechts Naturalunterhalt durch Sachleistungen wie Verpflegung und Unterkunft gewähren und dabei das in § 1612 Abs. 2 BGB geregelte Gebot zur Rücksichtnahme auf die Belange des Kindes beachten (vgl. Lackner, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 36 Rn. 7; siehe dazu auch den Senatsbeschl. v. 15.5.2015 - 4 ME 61/15 -). Erst recht ist im Rahmen von § 36 Abs. 1 BAföG Naturalunterhalt zu berücksichtigen, den die Eltern dem Auszubildenden freiwillig leisten, weil - wovon die Beteiligten hier übereinstimmend ausgehen - ein Unterhaltsanspruch nicht (mehr) besteht. Haben die Eltern dem seinerzeit noch bei ihnen wohnhaften Kläger gemäß seinem eigenen Vorbringen Naturalunterhalt geleistet, so wäre es Sache des Klägers gewesen, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise darzulegen, dass und in welcher Höhe der Wert des von den Eltern an ihn geleisteten Naturalunterhalts den Betrag des in dem angefochtenen Bescheid angerechneten Elterneinkommens von 289,41 EUR unterschritten hat. Denn nur wenn der geleistete Naturalunterhalt einen geringeren Wert hatte als der angerechnete Elterneinkommensbetrag, besteht im Umfang der Wertunterschreitung ein Anspruch auf die Vorausleistung von Ausbildungsförderung. An prüffähigen Darlegungen zum Wert des geleisteten Naturalunterhalts fehlt es jedoch. Die Ausführungen des Klägers, dass er „Naturalien von seinen Eltern zur Existenzsicherung erhalten“ habe, dennoch sei der Bewilligungszeitraum für ihn „mit erheblichen persönlichen Einschränkungen verbunden“ gewesen, ist hierfür ersichtlich unzureichend.

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Soweit der Kläger im Rahmen seines Vorbringens zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO der Sache nach einen Gehörsverstoß geltend gemacht hat, indem er vorgetragen hat, dass das Verwaltungsgericht den Schriftsatz der Beklagten vom 2. Mai 2016 erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung an ihn weitergeleitet habe, weist der Senat darauf hin, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann bestehen, wenn die Richtigkeit des Ergebnisses der vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung auf der Grundlage der Darlegungen des Zulassungsantragstellers in Frage gestellt ist. Der Kläger hätte deshalb vortragen müssen, dass sich der behauptete Verfahrensfehler zu seinen Lasten auf das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung ausgewirkt hat. Daran fehlt es, weil der Kläger mit keinem Wort dargelegt hat, welche Gesichtspunkte er im erstinstanzlichen Verfahren bei einer rechtzeitigen Kenntnis des Schriftsatzes der Beklagten vom 2. Mai 2016 noch vorgetragen hätte und dass sich diese Gesichtspunkte zu seinen Gunsten auf das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidung ausgewirkt hätten.

7

Auch den Berufungszulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt, soweit es die selbständig tragende Begründung des erstinstanzlichen Urteils betrifft, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass seine Eltern an ihn den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht geleistet hätten. Denn der Kläger hat nicht im Einzelnen ausgeführt, dass und unter welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkten sich in diesem Zusammenhang entscheidungserhebliche Fragen stellen, deren Beantwortung besondere, d. h. überdurchschnittliche, das normale Maß nicht unerheblich übersteigende Schwierigkeiten aufwirft. Insbesondere genügt der Hinweis des Klägers, dass die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen habe, nicht zur Darlegung, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist. Denn aus der Nichtübertragung einer Angelegenheit durch die Kammer auf den Einzelrichter ergibt sich nicht einmal ein Indiz, das für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO spricht (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2009 - 4 LA 371/08; Nds.OVG, Beschl. v. 27.3.1997 - 12 M 1731/97 -, DÖV 1997, 697; Bay.VGH, Beschl. v. 16.10.2014 - 10 ZB 13.2620 -; Kopp/Schenke, VwGO, § 124 Rn. 8 m.w.N. in Fußnote 34). Zum einen ist nämlich die Übertragung auf den Einzelrichter in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO nicht zwingend vorgeschrieben, und zum anderen hat die Entscheidung der Kammer zur Frage des Vorliegens besonderer Schwierigkeiten i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO keine bindende Wirkung für das Oberverwaltungsgericht (Senatsbeschl. v. 18.11.2009 - 4 LA 371/08; Bay.VGH, a.a.O.).

8

Im Hinblick auf die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass seine Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht geleistet hätten, fehlt es schließlich auch an einer ausreichenden Darlegung des Berufungszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

9

Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich bislang ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Kommentar, § 124 Rn. 30 ff., m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum diese Frage im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schneider/Bier, § 124a Rn. 103 ff., m.w.N.).

10

Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen des Klägers nicht. Eine konkrete, verständliche und prüffähige Rechts- oder Tatsachenfrage, die sich auf die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts bezieht, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass seine Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht geleistet hätten, ist den Ausführungen des Klägers nicht zu entnehmen.

11

Ohne dass es hierauf für die Entscheidung über den Zulassungsantrag noch entscheidend ankommt, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Die Vorausleistung gemäß § 36 Abs. 1 BAföG ist keine Ausbildungsförderungsleistung, auf die der Auszubildende nach den allgemeinen Regelungen über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen einen Anspruch hat, sondern eine außerordentliche Zusatzleistung des Staates zur Abwendung einer in engem zeitlichem Zusammenhang drohenden Gefährdung der Ausbildung infolge von Mittellosigkeit im Umfang des den Eltern angerechneten, aber nicht geleisteten Betrages (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.12.2014 - 5 C 3.14 -, Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 18 Rn. 16 u. v. 23.2.2010 - 5 C 2.09 -, BVerwGE 136, 109 Rn. 25). Damit korrespondierend muss der gemäß § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG bis zum Ende des Bewilligungszeitraums zu stellende Antrag gerade auf die Gewährung dieser außerordentlichen Zusatzleistung des Staates gerichtet sein (vgl. Lackner, in: Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 6. Aufl. 2016, § 36 Rn. 12). Ist dieser Antrag auf Vorausleistung auch nicht erst dann wirksam gestellt, wenn der Auszubildende das entsprechende Formblatt ausgefüllt und bei der Förderverwaltung eingereicht hat, so bedarf es für die wirksame Stellung des Antrags aber jedenfalls einer für das Ausbildungsförderungsamt erkennbaren Willensbekundung, dass der Auszubildende gerade diese außerordentliche Zusatzleistung des Staates in Anspruch nehmen will. Soweit ein Auszubildender sich vom Ausbildungsförderungsamt über die Voraussetzungen und Modalitäten der Gewährung von Ausbildungsförderung beraten lässt und in diesem Zusammenhang mitteilt, dass seine Eltern nicht bereit seien, ihn während er Ausbildung finanziell zu unterstützen, gibt er allein damit noch nicht den Willen zu erkennen, dass er die außerordentliche Zusatzleistung der Vorausleistung in Anspruch nehmen will. Im vorliegenden Fall spricht zudem das eigene Vorbringen des Klägers dafür, dass er bei den Beratungsgesprächen im September 2011 gegenüber den Mitarbeitern des für die Beklagte handelnden Studentenwerks nicht den Willen bekundet hat, die Vorausleistung von Ausbildungsförderung in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat sinngemäß vorgetragen, dass er sich Anfang September 2011 beim Studentenwerk eingehend über die Ausbildungsfördermöglichkeiten sowie die zu stellenden Anträge und einzureichenden Formblätter habe beraten lassen. Seinerzeit sei ihm die Möglichkeit, das besondere Antragsformular für die Vorausleistung von Ausbildungsförderung einzureichen, noch nicht bekannt gewesen, und er sei über diese Möglichkeit von den Mitarbeitern des Studentenwerks auch nicht aufgeklärt worden. Infolge seiner Unkenntnis und der aus seiner Sicht massiv fehlerhaften Beratung durch das Studentenwerk habe er den ursprünglichen Leistungsbescheid vom 30. September 2011 bestandkräftig werden lassen. Erst später habe er von der Mutter einer Bekannten erfahren, dass „in seinem Fall sehr wohl ein entsprechender Anspruch bestehen würde“ und habe deshalb für das zweite Studienjahr erneut beim Studentenwerk vorgesprochen. All dies spricht dafür, dass dem Kläger vor und während der Beratungsgespräche im September 2011, die seinem Antrag auf Ausbildungsförderung für das erste Studienjahr vorausgegangen sind, die Möglichkeit, die Vorausleistung von Ausbildungsförderung als außerordentliche Zusatzleistung des Staates in Anspruch zu nehmen, noch gar nicht bekannt war und dass er daher seinerzeit den Willen, gerade diese Leistung in Anspruch zu nehmen, noch nicht bilden konnte.

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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 188 VwGO.

13

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

 


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