Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (14. Senat) - 14 ME 288/22

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 1. Kammer - vom 29. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Antragsteller begehren im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Feststellung, dass sie berechtigt seien, in den von ihnen betriebenen Spielhallen einen Raucherraum einzurichten.

2

Mit Art. 5 des Gesetzes zur Änderung spielhallenrechtlicher Bestimmungen vom 26. Januar 2022 (Nds. GVBl. v. 31.1.2022, S. 36, 41) wurde das in § 1 des Niedersächsischen Nichtraucherschutzgesetzes (Nds. NiRSG) normierte Rauchverbot zum 1. Februar 2022 auch auf „Spielhallen im Sinne des § 1 Abs. 4 des Niedersächsischen Spielhallengesetzes“ erstreckt (vgl. Ziff. 12 der Norm). Für Spielhallen wurden keine Ausnahmen in § 2 Nds. NiRSG - wie beispielsweise die Möglichkeit zur Einrichtung von vollständig umschlossenen Räumen als Raucherräumen, vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 6 und § 2 Abs. 2 Nds. NiRSG - geregelt.

3

Den Antrag der Antragsteller hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit Beschluss vom 29. Juni 2022 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Anträge. Jedenfalls seien die Eilanträge aber unbegründet. Die Antragsteller hätten zunächst keinen Anordnungsgrund i.S.d. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht. Wegen der beantragten (vorläufigen) Vorwegnahme der Hauptsache seien hier erhöhte Anforderungen zu stellen. Die Antragsteller hätten jedoch nicht dargelegt, dass ihnen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Soweit die Antragsteller behaupteten, seit Inkrafttreten des Rauchverbotes in Spielhallen zum 1. Februar 2022 hätten sich ihre Umsätze um etwa 30% verringert, hätten sie dies durch keinerlei Nachweise glaubhaft gemacht. Erst recht sei nicht erkennbar, dass die Spielhallen der Antragsteller nicht mehr gewinnbringend betrieben werden könnten. Unabhängig davon sei auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Die maßgeblichen Vorschriften des Niedersächsischen Nichtraucherschutzgesetzes begegneten keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es sei auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, dass für Spielhallen im Gegensatz zu Einrichtungen im Sinne des Ausnahmetatbestandes des § 2 Abs. 1 Nr. 6 Nds. NiRSG und zu Gaststätten gemäß § 2 Abs. 2 Nds. NiRSG nicht die Möglichkeit der Errichtung eines Raucherraums gegeben sei. Der Gesetzgeber verfolge mit dem Rauchverbot in Spielhallen neben dem Ziel des Nichtraucherschutzes gerade auch die Prävention pathologischen Spielens und den Schutz der Spieler durch Unterbrechung des Spielflusses. Vor dem Hintergrund dieses Ziels lägen hier bereits keine vergleichbaren Sachverhalte vor, bzw. rechtfertige das genannte Ziel die Ungleichbehandlung der verschiedenen Einrichtungen. Auch eine Verletzung der grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit der Antragsteller sei nicht gegeben. Die Bekämpfung und Verhinderung von Glücksspielsucht wiege nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht angeschlossen habe, besonders schwer, da es sich um ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel handele. Es rechtfertige sogar Regelungen, die - wie beispielsweise das Verbundverbot und das Abstandsgebot - dazu führen könnten, dass Spielhallenbetreiber wegen der Gesamtbelastung nicht nur in Einzelfällen ihren Beruf aufgeben müssten. Von einer unverhältnismäßigen Überregulierung könne auch unter Berücksichtigung des Sperrsystems und weiterer bereits bestehender Regelungen nicht ausgegangen werden. Das Sperrsystem wirke lediglich nachgelagert bei Personen, die bereits einer Selbst- oder Fremdsperre unterlägen, dagegen bewirkten Maßnahmen zur Unterbrechung des Spielflusses eine „vorgelagerte“ Prävention von Spielsucht. Unter Berücksichtigung des dem Landesgesetzgeber zukommenden Einschätzungsspielraums könne nicht angenommen werden, dass mit dem uneingeschränkten Rauchverbot für Spielhallen kein zusätzlicher suchtpräventiver Zweck mehr erreicht werden könne. In Deutschland spielten trotz fortwährender Bemühungen immer noch 250.000 bis 300.000 Menschen problematisch oder gar pathologisch (LT-Drs. 18/10441).

4

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Sie tragen vor, ein Anordnungsgrund i.S.v. § 123 VwGO liege entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts vor. Die lediglich zeitlich befristete Vorwegnahme der Hauptsache führe insoweit nicht schon zu erhöhten Anforderungen, weil sie ihre materiell-rechtliche Position nicht verändere. Die überwiegend rauchenden Stammgäste suchten ihre Spielhallen gerade auch deshalb auf, weil in diesen Spielhallen geraucht werden dürfe. Wenn diese rauchenden Spielgäste aufgrund des absoluten Rauchverbots und der fehlenden Möglichkeit zur Einrichtung eines Raucherraumes die Spielhallen nicht mehr aufsuchten, sei zu befürchten, dass sie ihre Spielhallen aufgrund der wirtschaftlichen Verluste nicht mehr würden betreiben können. Auch ein Anordnungsanspruch sei glaubhaft gemacht. Die Nichteinbeziehung von Spielhallen in den Ausnahmetatbestand des § 2 Abs. 1 Nr. 6 Nds. NiRSG stelle gerade eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber allen übrigen Gebäuden und Einrichtungen dar, in denen der Gesetzgeber die Einrichtung von Raucherräumen erlaube. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung ergebe sich weder durch den mit der Einbeziehung von Spielhallen in das Nichtraucherschutzgesetz verfolgten Zweck, Spielgäste und Mitarbeitende vor den Gefahren des Passivrauchens zu schützen, noch durch das Ziel der Suchtprävention im Zusammenhang mit der Unterbrechung des Spielflusses. Beide Ziele ließen sich durch einen umschlossenen Raucherraum, in dem keine Spielgeräte aufgestellt würden, gleichermaßen erreichen. Ein Raucherraum stelle das mildere Mittel gegenüber einem ausnahmslosen Rauchverbot dar. Die Regelung greife zudem unverhältnismäßig in ihre von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit ein. Der Spielerschutz sei bereits hinreichend gewährleistet. Gerade durch das am 1. Februar 2022 in Kraft getretene Niedersächsische Spielhallengesetz sei das Spielerschutzniveau für sämtliche in Niedersachsen zu betreibende Spielhallen noch einmal signifikant angehoben worden. Ferner müssten sämtliche Spielhallen an das bundesweite, spielformübergreifende Sperrsystem („OASIS“) angeschlossen werden. Damit trage der Gesetzgeber den Belangen der Suchtprävention im Verhältnis zu den unternehmerischen Interessen der Spielhallenbetreiber angemessen Rechnung. Zusätzliche Regelungen - wie das streitgegenständliche absolute Rauchverbot - seien nicht mehr verhältnismäßig.

II.

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Die zulässige Beschwerde der Antragsteller bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die mit der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen es nicht, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben, denn sie erschüttern nicht die tragenden Annahmen der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (vgl. zu diesem Maßstab Senatsbeschl. v. 6.4.2022 - 14 ME 180/22 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

6

1. Die tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, dass bereits kein Anordnungsgrund vorliege, wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Der Anordnungsgrund ist gleichzusetzen mit der Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung (vgl. Senatsbeschl. v. 27.4.2022 - 14 ME 116/22 -, juris Rn. 12; NdsOVG, Beschl. v. 19.10.2010 - 8 ME 221/10 -, juris Rn. 4; Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 42. EL Februar 2022, § 123 Rn. 81).

7

Dabei ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass hier erhöhte Maßstäbe an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes anzulegen sind, weil die Antragsteller eine Vorwegnahme der Hauptsache begehren.

8

Einem die Hauptsache vorwegnehmenden Antrag im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nur ausnahmsweise (vgl. zum grundsätzlichen Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: BVerwG, Beschl. v. 27.5.2004 - 1 WDS-VR 2/04 -, juris Rn. 3) dann stattzugeben, wenn durch das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes ist Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 17; BVerwG, Beschl. v. 10.2.2011 - 7 VR 6.11 -, juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 27.4.2022 - 14 ME 116/22 -, juris Rn. 13; NdsOVG, Beschl. v. 12.5.2010 - 8 ME 109/10 -, juris Rn. 15).

9

Die Antragsteller erstreben eine solche Vorwegnahme der Hauptsache. Denn das Ziel der von ihnen begehrten Regelungsanordnung - Feststellung der Berechtigung zur Einrichtung eines Raucherraumes entgegen § 1 Abs. 1 Nr. 12 Nds. NiRSG - ist mit dem Ziel des Klageverfahrens identisch. Dem steht nicht entgegen, dass die im einstweiligen Anordnungsverfahren erstrebte Rechtsstellung unter der auflösenden Bedingung des Ergebnisses des Klageverfahrens stünde. Denn auch die bloße vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vermittelt dem jeweiligen Antragsteller die mit dem Klageverfahren verfolgte Rechtsposition und stellt ihn - ohne dass diese Rechtsstellung rückwirkend wieder beseitigt werden könnte - vorweg so, als wenn er im Klageverfahren bereits obsiegt hätte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.12.1989 - 2 ER 301/89 -, juris Rn. 3; Senatsbeschl. v. 27.4.2022 - 14 ME 116/22 -, juris Rn. 14; NdsOVG, Beschl. v. 12.3.2012 - 8 ME 159/11 -, juris Rn. 13 und Beschl. v. 8.10.2003 - 13 ME 342/03 -, juris Rn. 29; OVG RP, Beschl. v. 21.10.1987 - 12 B 109/87 -, NVwZ-RR 1988, 19).

10

Der danach nur ausnahmsweise mögliche Erlass einer solchen, die Hauptsache vorwegnehmenden vorläufigen Feststellung kommt hier nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht haben, dass ihnen unter dem von ihnen benannten Gesichtspunkt der Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Existenz ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

11

Ein die Vorwegnahme der Hauptsache ausnahmsweise rechtfertigender schwerer und unzumutbarer, anders nicht abwendbarer Nachteil kann zwar dann gegeben sein, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die soziale, berufliche oder wirtschaftliche Existenzgrundlage des jeweiligen Antragstellers gefährdet ist und dies seine Grundrechte aus Art. 12, 14 GG berührt (vgl. Senatsbeschl. v. 27.4.2022 - 14 ME 116/22 -, juris Rn. 15; NdsOVG, Beschl. v. 12.3.2012 - 8 ME 159/11 -, juris Rn. 13; OVG RP, Beschl. v. 21.10.1987 - 12 B 109/87 -, NVwZ-RR 1988, 19; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn. 66c).

12

Eine solche wirtschaftliche Existenzgefährdung ergibt sich aus den Ausführungen der Antragsteller auch unter Berücksichtigung ihres Beschwerdevorbringens indes nicht. Ihre Angaben bleiben vielmehr pauschal und unsubstantiiert. Es fehlen insbesondere konkrete Angaben zu den befürchteten Umsatzverlusten. Die Antragsteller hätten zumindest nachvollziehbare Angaben zum Umsatz vor Inkrafttreten des absoluten Rauchverbots in Spielhallen sowie zu den Veränderungen seit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Februar 2022 - also vor immerhin einem halben Jahr - machen können und müssen. Dies ist nicht geschehen. Das Verwaltungsgericht hat auch schlüssig und nachvollziehbar Gesichtspunkte benannt, die gegen eine Existenzgefährdung sprechen. Insbesondere hat es darauf hingewiesen, dass schon vor dem Inkrafttreten des für alle Spielhallen in Niedersachsen geltenden Rauchverbotes in einer Vielzahl von Spielhallen ein Rauchverbot bestanden habe (vgl. § 10a Abs. 5 NGlüSpG a.F.). Es sei aber nicht erkennbar, dass dieser Umstand dazu geführt hätte, dass betroffene Spielhallen nicht mehr lukrativ hätten geführt werden können oder gar hätten aufgegeben werden müssen. Eine solche Verpflichtung zur Einhaltung eines Rauchverbotes sei insbesondere in einem Auswahlverfahren nach § 10a des Niedersächsischen Glücksspielgesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung von maßgeblicher Bedeutung gewesen. Soweit die Antragsteller dem entgegenhalten, diese Verpflichtung habe in der Entscheidungssphäre der spielhallenbetreibenden Personen gelegen, vermag dies die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht zu entkräften.

13

2. Nur ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Antragsteller die selbständig tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, dass auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei, ebenfalls nicht durchgreifend in Frage stellen. Mit Recht hat das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die Vorwegnahme der Hauptsache auch insoweit strengere Maßstäbe zugrunde gelegt und darauf abgestellt, dass ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache sprechen müsse (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2009 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 18; BVerwG, Beschl. v. 26.11.2013 - 6 VR 3.13 -, juris Rn. 5, 7; Beschl. v. 10.2.2011 - 7 VR 6.11 -, juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 2.6.2022 - 14 ME 240/22 -, juris Rn. 3 m.w.N.).

14

Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die (vorläufige) Feststellung, dass die Antragsteller in ihren Spielhallen berechtigt sind, Raucherräume einzurichten, voraussetzen würde, dass die gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 Nds. NiRSG nicht angewendet bzw. durch eine Ausnahmeregelung entsprechend § 2 Abs. 1 Nr. 6 bzw. § 2 Abs. 2 Nds. NiRSG modifiziert würde. Eine solche Verfahrensweise im Verfahren nach § 123 VwGO ist zwar durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts hat zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes - jedenfalls im Hauptsacheverfahren - erst nach deren Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Entscheidung in der Hauptsache dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 4.3.2014 - 2 BvL 2/13 -, juris Rn. 17; Senatsbeschl. v. 6.4.2022 - ME 180/22 -, juris Rn. 27).

15

Die Verwerfung eines formellen Gesetzes als verfassungswidrig muss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes jedoch die Ausnahme bleiben und ist auf Fälle evidenter Verfassungswidrigkeit beschränkt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011 - 2 BvR 2362/11 -, juris Rn. 5 m.w.N.; Beschl. v. 5.9.2005 - BvR 1781/05 -, Rn. 13 m.w.N.; Senatsbeschl. v. 6.4.2022 - ME 180/22 -, juris Rn. 28; NdsOVG, Beschl. v. 9.10.2020 - 10 ME 207/20 -, juris Rn. 7; NdsOVG, Beschl. v. 13.9.2017 - 7 ME 77/17 -, juris Rn. 5; NdsOVG, Beschl. v. 21.2.2013 - 2 NB 20/13 -, juris, Rn. 10 m.w.N; NdsOVG, Beschl. v. 21.12.2006 - 2 NB 347/06 -, juris, Rn. 32 m.w.N.; HambOVG, Beschl. v. 10.10.2001 - 3 NC 150/00 -, juris Rn. 8).

16

Das Beschwerdevorbringen legt nicht dar, dass die Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 Nds. NiRSG entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts evident verfassungswidrig ist.

17

a) Ein Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) ist bereits deswegen nicht offenkundig, weil es dem Gesetzgeber erklärtermaßen (vgl. LT-Drs. 18/10441, S. 31f.) nicht lediglich um den Schutz von Nichtrauchern, sondern darüber hinaus auch um die Prävention pathologischen Spielens geht. Glücksspielsuchtgefährdete Spielerinnen und Spieler seien häufig Raucherinnen und Raucher. Zeitliche Limitierungen des Spiels und Unterbrechungen des Spielflusses böten Schutz vor pathologischen Spiel. Ein Rauchverbot in Spielhallen führe dazu, dass Raucherinnen und Raucher außerhalb der Spielhallen Rauchpausen einlegten und somit der Spielfluss unterbrochen werde. Das Verwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund auch nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass das Verlassen der Spielhalle zum Zwecke des Rauchens eine größere Distanz zum Spielgeschehen schaffe, als es das Aufsuchen eines Raucherraumes innerhalb der Spielhalle vermöge. Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedarf es für diese Annahme auch keiner wissenschaftlichen Studien, dies ist vielmehr ohne Weiteres plausibel.

18

Auch soweit die Beschwerde geltend macht, ein Raucherraum könnte weiter von den Spielautomaten entfernt sein als der Eingangsbereich vor der Spielhalle, zieht dies die Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat erkennbar gerade nicht auf eine Entfernung zu den Spielgeräten in Metern abgestellt, sondern auf die psychische Distanz, die ein Verlassen der Spielhalle mit sich bringt: Für eine Fortsetzung des Spiels müsse gerade erneut der Entschluss zum Betreten der Spielhalle gefasst werden.

19

b) Auch eine Verletzung der grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit ist jedenfalls nicht evident. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bekämpfung und Verhinderung von Glücksspielsucht besonders schwer wiege, da es sich um ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel handele. Dieses Ziel rechtfertige es auch, dass Regelungen zu seiner Verwirklichung dazu führten, dass wegen der Gesamtbelastung nicht nur in Einzelfällen Spielhallenbetreiber ihren Beruf möglicherweise aufgeben müssen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017 - 1 BvR 1314/12 u.a., juris Rn. 158; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 14.6.2022 - 11 ME 143/22 -, juris Rn. 15 f.; Beschl. v. 2.8.2021 - 11 ME 104/21 -, juris; Urt. v. 12.7.2018 - 11 LC 400/17 -, juris Rn. 44; Beschl. v. 5.9.2017 - 11 ME 169/17 -, juris Rn. 13 ff.). Von einer unverhältnismäßigen Überregulierung könne daher auch im Hinblick auf die bereits bestehenden Regelungen zum Schutz der Spieler nicht ausgegangen werden. Trotz dieser Regelungen spielten weiterhin eine hohe Zahl von Menschen problematisch oder gar pathologisch. Weitere Schutzmaßnahmen seien daher verhältnismäßig.

20

Diesen Ausführungen tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Soweit die Antragsteller - wie schon in der ersten Instanz - auf die bereits geltenden Regelungen zum Schutz der Spieler verweisen, ist dem entgegen zu halten, dass es dem Gesetzgeber angesichts der hohen Zahl an Menschen mit problematischem bzw. pathologischem Spielverhalten (vgl. LT-Drs. 18/10441, S. 29: 250.000 bis 300.000) nicht verwehrt sein dürfte, weitere Maßnahmen zu etablieren. Auch der Einwand der Beschwerde, die Maßnahme erschwere auch Menschen ohne problematisches Spielverhalten die Nutzung des Glücksspielangebots, greift nicht durch. Gerade auch präventiv wirkende Maßnahmen des Gesetzgebers sind zur Bekämpfung und Verhinderung von Spielsucht geeignet und erforderlich. Solche Maßnahmen richten sich notwendigerweise an Spielerinnen und Spieler, die - noch - kein problematisches oder pathologisches Spielverhalten zeigen und sollen dem Entstehen eines solchen Verhaltens entgegenwirken.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts. Auf die Begründung wird Bezug genommen.

22

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 


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