Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 8 B 1011/13
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 15. August 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
3Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis nicht in Frage.
4Ein Erfolg der gegen den Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 21. November 2012 gerichteten Klage ist zwar nicht, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, überwiegend wahrscheinlich. Die Erfolgsaussichten der Klage sind jedoch jedenfalls offen (A.). Im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung überwiegen die von der Antragstellerin geltend gemachten Interessen (B.).
5A. Die Erfolgsaussichten der von der Antragstellerin erhobenen Klage gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 21. November 2012, mit der der Beigeladenen auf dem Grundstück T. , U.----weg 0 in Erweiterung einer bereits vorhandenen Geflügelmastanlage (= BE 3 / 38.800 Plätze) die Errichtung eines weiteren Mastgeflügelstalles mit 39.650 Plätzen (= BE 4) und somit der Betrieb einer Anlage zum Halten und der Aufzucht von Geflügel mit insgesamt 78.450 Plätzen erteilt wurde, sind bei summarischer Prüfung als offen einzuschätzen.
61. Die Antragstellerin ist, anders als die Beigeladene meint, nicht gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG mit ihren Einwendungen gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind mit Ablauf der Einwendungsfrist des § 10 Abs. 3 Satz 4 BImSchG alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen.
7Die Antragstellerin hat bis zum Ablauf der Einwendungsfrist am 3. September 2012 zwar selbst keine Einwendungen erhoben. Dies hat das Verwaltungsgericht jedoch zu Recht unter anderem deshalb für unerheblich erachtet, weil die Antragstellerin mit dem Erwerb des Eigentums an dem Nachbargrundstück U.----weg 0 im November 2012 in die Rechtsposition der Voreigentümerin, ihrer Mutter, eingerückt ist. Die Mutter der Antragstellerin hatte am 31. August 2012 geltend gemacht, das geplante Vorhaben rufe schädliche Umwelteinwirkungen hervor und verletze das Rücksichtnahmegebot.
8Die Antragstellerin war weder verpflichtet noch in der Lage, schon vor dem Eigentumsübergang Einwendungen vorzubringen, soweit sie - wie hier - ihr Anfechtungsrecht aus dem Eigentum ableitet. Die Einwendungen und dementsprechend auch die Einwendungsbefugnis sowie die Präklusionswirkung knüpfen an das zu schützende Rechtsgut an. Aus diesem Grunde bleiben verspätete Einwendungen, mit denen eine Verletzung des im Einwirkungsbereich belegenen Grundeigentums geltend gemacht wird, einerseits auch dann ausgeschlossen, wenn die Eigentumsrechte erst nach Ablauf der Einwendungsfrist erworben werden. Das erworbene Eigentum ist „präklusionsbelastet“.
9Vgl. schon BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 1980 ‑ 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 297, juris Rn. 43.
10Andererseits profitiert der Rechtsnachfolger davon, wenn der Voreigentümer - wie hier - rechtzeitig Einwendungen erhoben hat. So wie die Rechtshängigkeit eines Klageverfahrens des Voreigentümers gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 265 ZPO für und gegen den Rechtsnachfolger wirkt, wirkt auch die Erhebung oder Nichterhebung von Einwendungen für und gegen den Rechtsnachfolger, und zwar auch dann, wenn noch kein Genehmigungsbescheid ergangen ist und eine Klage dementsprechend noch nicht erhoben werden konnte.
112. Es kann gegenwärtig nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob die mit dem geplanten Vorhaben der Beigeladenen am Wohnhaus der Antragstellerin zu erwartenden Geruchsimmissionen zumutbar sind.
12Die drittschützende Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG bestimmt, dass genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können.
13Bei der Beurteilung, ob Geruchsbelastungen als erhebliche Beeinträchtigungen im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG einzustufen sind, kann - bis zum Erlass bundesrechtlicher Vorschriften ‑ auf die nordrhein-westfälische Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) in der Fassung vom 29. Februar 2008 und einer Ergänzung vom 10. September 2008 (anwendbar nach Maßgabe des Runderlasses des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - V-3-8851.4.4 - vom 5. November 2009, MBl.NRW 2009, S. 533) zurückgegriffen werden.
14In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Geruchsimmissions-Richtlinie bei der tatrichterlichen Bewertung der Erheblichkeit von Geruchsbelastungen als Orientierungshilfe herangezogen werden kann; sie enthält technische Normen, die auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Sachverständigen beruhen und insoweit die Bedeutung von allgemeinen Erfahrungssätzen und antizipierten generellen Sachverständigengutachten haben.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. September 2012 - 8 B 762/11 -, NWVBl. 2013, 177, juris Rn.30 m.w.N.
16Zur Ermittlung der zu erwartenden Geruchshäufigkeit bedarf es zudem grundsätzlich - vorbehaltlich von hier nicht vorliegenden Ausnahmen - einer "auf der sicheren Seite" liegenden Prognose.
17Vgl. z.B. OVG NRW, Beschluss vom 3. Februar 2011 - 8 B 1797/10 -, juris Rn.5.
18a) Gegen die Plausibilität der vom Ingenieurbüro für Abfallwirtschaft und Immissionsschutz S. und I. erstellten Geruchsimmissionsprognose vom 23. Mai 2012 bestehen nicht deshalb Bedenken, weil die Kenngröße für die Gesamtbelastung nicht aus der Summe der Kenngrößen für die vorhandene Belastung und für die zu erwartende Zusatzbelastung gebildet wurde. Nach den Bestimmungen der GIRL ist eine gesonderte Ermittlung der Kenngrößen für die Zusatzbelastung dann nicht erforderlich, wenn - wie in der Immissionsprognose vom 23. Mai 2012 - sowohl die vorhandene Belastung („Bestand“) als auch die Gesamtbelastung („Planzustand“) anhand von Immissionssimulationen nach dem Partikelmodell der TA Luft 2002 mit dem Immissionssimulationsprogramm AUSTAL 2000 beurteilt worden sind.
19Nach Nr. 4.4 GIRL kann die Ermittlung der vorhandenen Belastung entweder durch Rasterbegehung oder durch Geruchsausbreitungsrechnung erfolgen. Die Kenngröße für die zu erwartende Zusatzbelastung ist nach Nr. 4.5 GIRL mit dem angepassten Ausbreitungsmodell des Anhangs 3 der TA Luft - also immer durch Ausbreitungsrechnung - zu ermitteln (vgl. auch Nr. 4.1 GIRL Tabelle 2). Wird jedoch sowohl die vorhandene Belastung als auch die zu erwartende Zusatzbelastung im Wege der Ausbreitungsrechnung ermittelt, ist nach Nr. 4.6 GIRL die Gesamtbelastung in der Regel in einem Rechengang zu bestimmen. In der Begründung und den Auslegungshinweisen zu Nrn. 4.2 und 4.6 GIRL ist für diesen Fall näher bestimmt, dass eine Rechnung für den Zustand der neuen Gesamtbelastung und für den der alten Gesamtbelastung (Vorbelastung) durchzuführen und die Differenz als Zusatzbelastung zu werten ist. Für die Ermittlung der neuen Gesamtbelastung müssen die Geruchsemissionen der vorhandenen Quellen (Vorbelastung) und die der neuen Quellen (Zusatzbelastung) in eine gemeinsame Rechnung eingestellt werden.
20Ob die Entscheidung, die bestehende Belastung nicht durch Rasterbegehung, sondern durch Ausbreitungsrechnung zu ermitteln, im vorliegenden Einzelfall fachlich gerechtfertigt war, ist ggf. im Hauptsacheverfahren zu klären. Dies gilt auch für die Frage, ob es von entscheidungserheblicher Bedeutung ist, dass bei dem bereits bestehenden Geflügelmaststall BE 3 und bei dem geplanten Geflügelmaststall BE 4 sowohl für die Vor- als auch für die Gesamtbelastung eine leicht höhere Belegung (jeweils 39.900 Plätze) als die genehmigte zugrunde gelegt wurde sowie für die weitere Frage, ob die für den Betrieb L. angesetzte Anzahl von Tierplätzen sachgerecht ist.
21b) Die Immissionsprognose vom 23. Mai 2012 ist grundsätzlich auch nicht deshalb zu beanstanden, weil sie auch geplante immissionsmindernde Maßnahmen bei Anlagen berücksichtigt hat, die nicht Gegenstand der angefochtenen Genehmigung sind.
22Nach dem Gutachten vom 23. Mai 2012 erreicht die Geruchsvorbelastung am Wohnhaus der Antragstellerin je nach Gebäudeteil Werte von 0,28 (28 % der Jahresgeruchsstunden) bzw. 0,29 (29 % der Jahresgeruchsstunden). In diese Berechnung wurden der bereits vorhandene Geflügelmaststall BE 3 (unter Ansatz einer Belegung mit 39.900 Plätzen), die auf einem im Eigentum des Komplementärs der Beigeladenen stehenden Nachbargrundstück befindlichen Schweinemastställe mit 960 Plätzen (= BE 1) bzw. 1040 Plätzen (= BE 2) sowie die Schweinmastanlagen L1. und L. mit einbezogen. Diese Geruchsbelastung soll sich im Planzustand auf Werte zwischen 0,21 und 0,25 verringern. Diese Verringerung soll trotz der Kapazitätserhöhung der Geflügelmast dadurch erreicht werden, dass die Abluft aus den Ställen der beiden benachbarten Schweinemastställe BE 1 und BE 2 über Schächte mit einer Höhe von mindestens 13,50 m über Erdboden und einer Mindestaustrittsgeschwindigkeit der Abluft von 10 m/s abgeleitet wird. Geplant ist ferner eine Abluftreinigung in diesen Ställen, deren Reinigungsleistung bezüglich des Geruchs mindestens 70 % betragen soll. Die Abluft in den Ställen BE 3 und BE 4 soll über Schächte mit einer Höhe von mindestens 13,50 m über Erdboden und einer Mindestaustrittsgeschwindigkeit der Abluft von 12 m/s abgeleitet werden. Außerdem soll der Güllehochbehälter bei den Schweinemastställen BE 1 und BE 2 luftdicht verschlossen werden.
23Die immissionsmindernden Maßnahmen an den Schweinemastställen BE 1 und BE 2 sowie an dem dazugehörigen Güllebehälter sind im Rahmen der Prüfung, ob der Betrieb der streitgegenständlichen Anlage erhebliche Geruchsbelästigungen hervorruft, zu berücksichtigen. Dass im Rahmen der Beurteilung der Gesamtbelastung jeweils auch die nicht von der Genehmigung erfassten Emittenten in der Umgebung als Vor- bzw. Fremdbelastung in die Betrachtung mit einbezogen werden müssen, folgt schon aus dem Immissionsbegriff. Während Emissionswerte das Emissionsverhalten einer einzelnen Anlage in den Blick nehmen (§ 3 Abs. 3 BImSchG), sind Immissionswerte auf die Immissionsbelastung eines konkreten Einwirkungsorts bezogen (§ 3 Abs. 2 BImSchG). Auf die Zuordnung der Immissionen zu einer bestimmten Anlage kommt es insoweit grundsätzlich nicht an; geboten ist vielmehr eine summierende Betrachtung. Deshalb können einem Anlagenbetreiber auch günstige Entwicklungen in der Umgebung seiner Anlage - etwa durch dasselbe Einwirkungsobjekt und dieselbe Immissionsart betreffende Kompensationsmaßnahmen an anderen Anlagen - zu Gute kommen.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2013 - 7 C 22.11 -, NuR 2013, 415, juris Rn. 27; Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 3 Rn. 19 und 49 sowie § 5 Rn. 33ff.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand April 2013, § 5 BImSchG Rn. 57 und 102, jeweils m.w.N.
25c) Allerdings sind nicht alle von der Immissionsprognose vom 23. Mai 2012 vorausgesetzten Kompensationsmaßnahmen dauerhaft und effektiv zugunsten der betroffenen Nachbarschaft rechtlich sichergestellt.
26Zwar haben Behörde, Anlagenbetreiber und ein weiterer Emittent die oben beschriebenen immissionsmindernden Kompensationsmaßnahmen an den Schweinemastanlagen BE 1 und BE 2 in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag vereinbart. Die nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erforderliche Sicherstellung der sich aus § 5 BImSchG ergebenden Pflichten setzt jedoch voraus, dass deren Umsetzung in der Genehmigung ‑ etwa durch entsprechende Nebenbestimmungen gemäß § 12 Abs. 1 BImSchG - festgeschrieben wird. Hieran fehlt es.
27Die angefochtene Genehmigung sieht unter B) 2) lediglich vor, dass die Beigeladene dem Antragsgegner vor der ersten Belegung der Anlage BE 4 mit Tieren Nachweise über die Wirksamkeit der installierten Abluftreinigung mit einer Geruchsreinigungsleistung von mindestens 70 % an den Anlagen BE 1 und BE 2 vorlegt. Damit wird schon nicht - z.B. durch eine Bedingung - sichergestellt, dass die Abluftreinigung auch für die Dauer der Genehmigung gewährleistet bleibt. Auch die geplante luftdichte Abdeckung des Güllehochbehälters wird lediglich in einem „Hinweis“ erwähnt, ohne sie in einer Nebenbestimmung verbindlich zur Voraussetzung für die genehmigte Anlagenerweiterung zu machen. Die in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag ferner vereinbarte Erhöhung der Schächte von 10 m auf 13,50 m sowie die Erhöhung der Abluftgeschwindigkeit von 7 m/s auf 10 m/s sind ebenfalls nicht Gegenstand der Genehmigung. Darauf hat das Verwaltungsgericht bereits hingewiesen; die Beschwerde setzt sich hiermit nicht auseinander.
28Bei dieser Sachlage ist offen, welche Geruchsimmissionswerte bei einem genehmigungskonformen Betrieb am Wohnhaus der Antragstellerin zu erwarten sind. Es kann insbesondere - angesichts der erheblichen Kapazitätserweiterung der Geflügelmastanlage auf mehr als das Doppelte der Plätze - nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es nicht zu Verbesserungen der Geruchsbelastungssituation am Wohnhaus der Antragstellerin, sondern zu Verschlechterungen kommt.
29d) Bei summarischer Prüfung ist offen, welcher konkrete Immissionswert am Wohnhaus der Antragstellerin zumutbar ist.
30aa) Nach Nr. 3.1 Tabelle 1 der GIRL gilt für Wohn-/Mischgebiete ein Immissionswert von 0,10 und für Gewerbe-/Industriegebiete ein Immissionswert von 0,15. Für Dorfgebiete gilt ebenfalls ein Immissionswert von 0,15.
31Einen Immissionswert für den - hier betroffenen - Außenbereich regelt die GIRL nicht ausdrücklich. Sonstige Gebiete, in denen sich Personen nicht nur vorübergehend aufhalten, sind entsprechend den Grundsätzen des Planungsrechts den einzelnen Spalten der Tabelle 1 zuzuordnen. In der Begründung und den Auslegungshinweisen zu Nr. 3.1 GIRL ist erläuternd ausgeführt, dass das Wohnen im Außenbereich mit einem immissionsschutzrechtlich geringeren Schutzanspruch verbunden sei. Vor diesem Hintergrund sei es möglich, unter Prüfung der speziellen Randbedingungen des Einzelfalls bei der Geruchsbeurteilung im Außenbereich einen Wert bis zu 0,25 für landwirtschaftliche Gerüche heranzuziehen. Dementsprechend darf auch nach der Rechtsprechung des Senats ein Wert von 0,25 nicht ohne Weiteres, sondern nur aufgrund der in den Auslegungshinweisen vorgesehenen Einzelfallprüfung zugrundegelegt werden. Daraus folgt, dass - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - ohne eine solche Prüfung auch im Außenbereich zumindest im Ausgangspunkt ein Immissionswert von 0,15 nicht überschritten werden darf.
32Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 21. September 2012 - 8 B 762/11 -, juris Rn. 38 ff., vom 3. August 2012 - 8 B 290/12 -, juris Rn. 21, vom 28. November 2012 - 8 B 892/12 -, n.v., Abdruck S. 7.
33Die danach erforderliche Einzelfallprüfung, die unter Berücksichtigung vor allem der konkreten örtlichen Gegebenheiten und der Qualität der Geruchsbelästigung zu erfolgen hat, hat vorliegend nicht stattgefunden. Es liegen derzeit auch keine Umstände vor, aus denen im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren hinreichend verlässlich auf das Ergebnis einer solchen Einzelfallbeurteilung geschlossen werden kann.
34bb) Ein Geruchsimmissionswert von 0,25 oder höher ist auch dann nicht ohne weiteres zumutbar, wenn mit der Beschwerde davon ausgegangen würde, dass ein Rechtsvorgänger der Antragstellerin Tierhaltung betrieben hat. Soweit in der von der Beschwerde angeführten, vor Erlass der derzeit gültigen Fassung der GIRL ergangenen Rechtsprechung,
35vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. März 2002 - 7 B 315/02 -, BRS 65, Nr. 87, juris Rn. 12 und vom
3616. März 2009 - 10 A 259/08 -, juris Rn. 23 ff.,
37- bis zur Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung - Werte von mehr als 0,50 nicht von vorneherein als unzumutbar erachtet wurden, spiegelt dies nach den insoweit zutreffenden Auslegungshinweisen zu Nr. 1 GIRL („Vorgehen im landwirtschaftlichen Bereich“) die Besonderheiten des Einzelfalls wieder. Der Wert 0,50 solle nicht zur regelmäßigen Beurteilung solcher Fälle herangezogen werden. Auch in dem Fall, dass Nachbarn im Außenbereich früher Tiere gehalten haben, bedarf es danach grundsätzlich einer Einzelfallbetrachtung. Im Rahmen einer solchen Einzelfallbetrachtung müsste im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden, ob und bis wann auf dem Grundstück der Antragstellerin Tierhaltung betrieben wurde sowie welche Tiere in welchem Umfang gehalten wurden. Der Inhalt des dem Großvater der Antragstellerin erteilten Bauscheins vom 4. August 1934 sowie die zugehörigen Bauakten sprechen dafür, dass ursprünglich auf dem Grundstück auch Tierhaltung betrieben wurde. Nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen wurde die Mutter der Antragstellerin Anfang der 1960er Jahre Eigentümerin des Grundstücks. Weder die Mutter der Antragstellerin noch deren Ehemann hatten nach den vorliegenden Erkenntnissen - anders als der Großvater der Antragstellerin - einen beruflichen Bezug zur Landwirtschaft. Wären auf dem Grundstück seit etwa 50 Jahren keine Tiere mehr gehalten worden, bedürfte es einer genauen Untersuchung der Einzelfallumstände unter dem Gesichtspunkt, welche Bedeutung einer nachwirkenden Pflicht zur Rücksichtnahme noch zukommt.
38Vgl. etwa VG Aachen, Urteil vom 23. Januar 2013 - 3 K 2068/10 -, juris Rn.88ff. m.w.N.
39Es ist nicht Aufgabe eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens, diese Untersuchung nachzuholen.
40cc) Eine gesteigerte Rücksichtnahmepflicht der Antragstellerin gegenüber dem Vorhaben der Beigeladenen folgt auch nicht aus dem Umstand, dass in der näheren Umgebung des Wohnhauses erhebliche Geruchsvorbelastungen durch genehmigte Tierhaltungsanlagen bestehen.
41Zwar sind im Umfang der Vorbelastung Immissionen zumutbar, auch wenn sie sonst in einem vergleichbaren Gebiet nicht ohne Weiteres hinnehmbar wären. Was von einem genehmigten Betrieb an Belastungen für eine benachbarte Wohnbebauung verursacht wird, mindert die Schutzwürdigkeit der Nachbarschaft, es sei denn, die vorhandenen Immissionen überschreiten bereits die Grenze dessen, was unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes erträglich ist. Die Schutzwürdigkeit einer Wohnbebauung wird mit der Unanfechtbarkeit der Genehmigung des emittierenden Betriebes gemindert.
42Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Dezember 2013
43- 8 A 1451/12 -, juris Rn. 75; BVerwG, Urteile vom
4422. Juni 1990 - 4 C 6.87 -, BauR 1990, 689, juris Rn. 29 ff., vom 29. Januar 1991 - 4 C 51.89 -, BVerwGE 87, 332, juris Rn. 244 f., und vom 27. August 1998 - 4 C 5.98 -, BauR 1999, 152, juris Rn. 31; Bay. VGH, Beschluss vom 3. August 2000 - 1 CS 99.2116 -, juris Rn. 20.
45Diese vom BVerwG insbesondere im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu Lärmvorbelastungen entwickelten Grundsätze gelten auch für Geruchsbeeinträchtigungen.
46Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 1993 - 4 B 151.93 -, NVwZ-RR 1994, 139, juris Rn. 13; Nds. OVG, Beschluss vom 30. Juli 1999 - 1 M 2870/99 -, BauR 2000, 362, juris Rn. 5, sowie Urteil vom 26. Juli 2012 - 1 LC 130/09 -, RdL 2012, 327, juris Rn. 82 f.
47Es würde allerdings - jedenfalls im Immissionsschutzrecht - zu kurz greifen, die bei der Erweiterung eines legalen Betriebes zu erwartenden Immissionen immer schon dann als zulässig anzusehen, wenn eine Verschlechterung der Immissionslage nicht zu erwarten ist.
48So aber wohl für das Baurecht BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 4 B 80.05 -, juris Rn. 6.
49Zum einen würde diese Betrachtungsweise den Schutzpflichten des § 5 BImSchG nicht gerecht und zu einer dauerhaften Verfestigung von an sich nicht hinnehmbaren Zuständen führen. Der dynamische Charakter der Schutzpflichten des § 5 BImSchG soll u.a. den sich wandelnden Umweltverhältnissen und dem sich beständig fortentwickelnden Stand der Technik Rechnung tragen und schränkt den Bestandsschutz des Anlagenbetreibers ein. Zur Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Anforderungen können nach Erteilung der Genehmigung auch behördliche Anordnungen getroffen werden (§ 17 BImSchG). Dies kann auch Auswirkungen auf die Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen haben.
50Die Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen wird zum anderen auch durch die gesetzgeberische Wertentscheidung in § 6 Abs. 3 BImSchG geprägt. Diese Vorschrift ist zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil für Gerüche keine Immissionswerte in einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 oder in einer Rechtsverordnung nach § 48a BImSchG festgelegt sind. § 6 Abs. 3 BImSchG liegt aber die allgemeine Wertung zugrunde, dass grundsätzlich eine Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens nur genehmigungsfähig ist, wenn die Immissionswerte eingehalten werden, eine Überschreitung im Einzelfall aber dann zulässig sein kann, wenn die Änderungsgenehmigung die Immissionssituation deutlich zugunsten der Nachbarschaft verbessert, weil die schon bestehende Anlage unter Geltung der Änderungsgenehmigung weniger emittiert. Unter Zugrundelegung dieses Rechtsgedankens ist eine Geruchsimmissionswertüberschreitung umso eher hinzunehmen, je größer die Verbesserung ausfällt und je geringer die verbleibende Überschreitung des an sich zumutbaren Immissionswerts ist. Von Bedeutung ist auch, ob die Maßnahmen dem Stand der Technik entsprechen und in welchem Umfang sie darüber hinaus gehen. Bei einer Kapazitätserweiterung ist insbesondere relevant, mit welchem Prozentsatz die Erweiterung den an sich erreichbaren Verbesserungseffekt wieder mindert.
51Vgl. zum Vorstehenden OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - 8 B 2477/06 -, NWVBl 2007, 439, juris Rn. 98 ff. sowie vom 23. April 2013 - 2 B 141/13 -, NWVBl 2013, 368, juris Rn. 18 ff.
52Die Berücksichtigung des gesetzgeberischen Grundgedankens in § 6 Abs. 3 BImSchG bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen bedeutet allerdings nicht, dass § 6 Abs. 3 BImSchG analog Anwendung fände mit der Konsequenz, dass seine Tatbestandsmerkmale im Einzelnen zu prüfen wären. Vielmehr geht es darum, im Rahmen einer einheitlich zu treffenden Einzelfallentscheidung, in welchem Umfang Geruchsimmissionen Drittbetroffenen zumutbar sind, den Grundgedanken des § 6 Abs. 3 BImSchG als einen Wertungsaspekt einzustellen. Erforderlich ist also eine Bestimmung des zumutbaren Immissionswerts unter Berücksichtigung u.a.
53- des Gebietscharakters,
54- der Vorbelastung und Ortsüblichkeit der Gerüche,
55- einer gegebenenfalls erhöhten Duldungspflicht des Nachbarn bei eigener Tierhaltung,
56- des gesetzgeberischen Anliegens, Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen generell zu vermeiden und an sich nicht zumutbare Zustände nicht zu verfestigen,
57- des Stands der Technik,
58- des Ziels, Vorhabenänderungen dann nicht zu verhindern, wenn sie zwar nicht die an sich zumutbaren Geruchsimmissionswerte einhalten, aber deutliche Verbesserungen herbeiführen, sowie
59- sonstiger Einzelfallumstände.
60Hiervon ausgehend kann bei summarischer Prüfung und unter Zugrundelegung der derzeitigen Genehmigungslage nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass die von der geplanten Erweiterung der Geflügelmastanlage verursachten Immissionen zumutbar sind. Die erforderliche Aufklärung und Abwägung wird im Hauptsacheverfahren zu erfolgen haben.
61B. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache demnach als offen zu betrachten, ergibt die vorzunehmende weitere Interessenabwägung ein Überwiegen des Interesses der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage (vorerst) von nach derzeitigem Sach- und Streitstand möglicherweise unzumutbaren Geruchsbelästigungen verschont zu bleiben.
62Die Beigeladene kann zwar ein wirtschaftliches Interesse an der Erweiterung des Betriebs der Anlage geltend machen. Existenzbedrohende finanzielle Auswirkungen sind jedoch weder behauptet worden noch sonst ersichtlich. Insoweit ist in den Blick zu nehmen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage nur die angefochtene Genehmigung des erweiterten Betriebs der Geflügelmastanlage betrifft und keine Auswirkungen auf den Betrieb in seinem bisherigen Bestand hat. Das Interesse der Beigeladenen (nur) an der Erweiterung ihres Betriebs überwiegt nicht das Interesse der Antragstellerin, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht möglicherweise unzumutbaren Geruchsbelästigungen ausgesetzt zu sein. Die Antragstellerin hat rechtzeitig von ihren Rechten Gebrauch gemacht. Der daraus grundsätzlich folgende Eintritt der aufschiebenden Wirkung ist eine Entscheidung des Gesetzgebers. Das Interesse der Antragstellerin, vorerst von den Geruchsimmissionen der Anlage der Beigeladenen verschont zu bleiben, erhält hierbei besonderes Gewicht dadurch, dass die Gesamtbelastung durch Geruchsimmissionen sehr hoch ist und deren Rechtmäßigkeit aufgrund des derzeitigen Sach- und Streitstandes nicht abschließend beurteilt werden kann. Für die Dauer einer weiteren Aufklärung der verbleibenden Fragen ist daher diesem Aufschubinteresse Geltung zu verschaffen.
63Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Dem Beigeladenen können Kosten auferlegt werden, weil er in beiden Rechtszügen Anträge gestellt hat.
64Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
65Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 2 Satz 6 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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