Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 5 E 375/14
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. März 2014 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
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G r ü n d e :
2Die nach § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. §§ 146 Abs. 1, 147 VwGO zulässige Beschwerde ist begründet.
3Eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Düsseldorf ist nicht statthaft. Vielmehr ist bei der vorliegenden Streitigkeit – Klage gegen die Ingewahrsamnahme der Klägerin in einer Gruppe von 272 Fußballfans in E. nach der Begehung von Straftaten aus dieser Gruppe heraus – der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet.
4Das zuerst angerufene Gericht darf den Rechtsstreit nach §§ 17a Abs. 2 Satz 1, 17 Abs. 2 Satz 1 GVG lediglich dann verweisen, wenn der Rechtsweg zu ihm schlechthin, d. h. mit allen für den Klageanspruch in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist. Ob für das Klagebegehren auch eine Rechtsgrundlage in Betracht kommt, die in dem beschrittenen Rechtsweg zu verfolgen ist, ist auf Grund des Klageantrags und des zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalts zu prüfen.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Juli 2006 - 5 E 585/06 -, juris, Rn. 4 f., m. w. N.
6Der Rechtsweg richtet sich bei Maßnahmen der Polizei, die entweder strafprozessualer oder präventiv-polizeilicher Natur sein können, zunächst danach, ob der Grund des polizeilichen Einschreitens für den Betroffenen unschwer zu erkennen ist. Das ist der Fall, wenn die Polizei diesen von sich aus oder auf Verlangen angibt. Im Übrigen kommt es darauf an, wie sich der konkrete Lebenssachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt. In diesem Zusammenhang kommt dem erklärten oder erkennbaren Willen des eingreifenden Sachwalters erhebliche Bedeutung zu.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 - I C 11.73 -, BVerwGE 47, 255 (264 f.) = juris, Rn. 24; OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Januar 2012 - 5 E 251/11 -, NWVBl. 2012, 364 = juris, Rn. 14, und vom 11. März 2003 - 5 E 1086/02 -, juris, Rn. 12.
8Ergibt sich nach diesen Kriterien keine eindeutige Zuordnung zu einer repressiven oder präventiven Zielrichtung, kommt eine Verweisung von einem angerufenen Verwaltungsgericht jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die Maßnahme bei verständiger Würdigung aus der Perspektive des Betroffenen zumindest auch präventiv-polizeiliche Zwecke verfolgt und auf eine präventiv-polizeiliche Ermächtigungsgrundlage gestützt sein kann.
9Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Juli 2006 - 5 E 585/06 -, juris, Rn. 4 f., m. w. N., und vom 9. Januar 2012 - 5 E 251/11 -, NWVBl. 2012, 364 = juris, Rn. 16.
10Das gilt erst recht, wenn für den Betroffenen nicht ersichtlich ist, dass sein Verhalten strafrechtlich verfolgt wird.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1974 - I C 11.73 -, BVerwGE 47, 255 (265) = juris, Rn. 25.
12Vorliegend hat die Polizei für die von der Ingewahrsamnahme Betroffenen keineswegs eindeutig und unmissverständlich erkennen lassen, dass sie ausschließlich strafrechtliche Ermittlungen führen wollte. Der um 01:10 Uhr erfolgten Lautsprecherdurchsage an die Gruppe, der auch die Klägerin angehörte, lässt sich dies nicht entnehmen. Die Durchsage lautete wie folgt:
13„… Aus Ihren Reihen wurden Flaschen und Bänke auf Polizeibeamte geworfen. Dies stellt eine Straftat des Landfriedensbruchs dar. Aus diesem Grund sind Sie als Gruppe zurzeit festgenommen. Zum Zwecke der Identitätsfeststellung werden Sie nach und nach - werden Ihre Personalien aufgenommen. …“
14Schon nach dem Wortlaut dieser Durchsage kann die Maßnahme aus zwei Gründen erfolgt sein: Zum einen, um diejenigen mit dem Ziel der Strafverfolgung zu identifizieren, die aus der Gruppe heraus Flaschen und Bänke geworfen hatten, zum anderen, um weitere Straftaten dieser Art aus der Gruppe heraus zu verhindern (vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW). Gerade die Verknüpfung „Aus diesem Grund“ lässt insofern Raum für beide Zielrichtungen polizeilichen Handelns.
15Nach dem Vorbringen der Klägerin wurde den eingekesselten Personen sowohl ein (präventives) Stadionverbot als auch ein (repressives) Ermittlungsverfahren angedroht. Spätestens nachdem die Klägerin erfahren hatte, dass gegen sie strafrechtlich nicht ermittelt wurde, lag es für sie deshalb nahe, die polizeilichen Maßnahmen in ihrer präventiven Zielrichtung einer gerichtlichen Prüfung beim Verwaltungsgericht zuzuführen.
16Auch der Beklagte hat die angegriffene Ingewahrsamnahme als doppelfunktionale Maßnahme bezeichnet und Ermächtigungsgrundlagen aus der Strafprozessordnung und dem Polizeigesetz NRW angeführt. Nach seiner Darstellung sollte das Vorgehen gegen die Gruppe auch verhindern, dass sich die Fans erneut mit Wurfmaterial versorgen und in der Altstadt randalieren. Er rechnete ausdrücklich mit einer Wiederholung und Fortsetzung der gewaltsamen Übergriffe (vgl. Schriftsatz vom 9. Januar 2014, S. 5 ff. und 18 ff.).
17Dass mit der Ingewahrsamnahme auch tatsächlich präventive Ziele verfolgt wurden, ergibt sich aus den Abläufen in der Nacht auf den 12. Mai 2013. Aus den vom Beklagten aufgezeichneten Filmaufnahmen geht hervor, dass um 00:46 Uhr „Fortuna-Fans“ von der Polizei aus der Gruppe herausgelassen wurden. Dies zielte ersichtlich darauf ab, ein Aufeinandertreffen mit rivalisierenden Nürnberger Fans und damit weitere Ausschreitungen in der E. Altstadt zu verhindern.
18Hätte die Ingewahrsamnahme der 272 Personen ausschließlich die Identifizierung derjenigen bezweckt, die als Straftäter in Betracht kamen, so hätte es nahegelegen, unverzüglich nach der zitierten Durchsage hiermit zu beginnen. Das ist indes – ungeachtet des im Einsatztagebuch der Polizei um 01:32 Uhr vermerkten entsprechenden Auftrags – jedenfalls ausweislich des zur Akte gereichten Filmmaterials zunächst nicht geschehen. Die in der Aufnahme sichtbaren Identitätsfeststellungen erfolgten erst einige Stunden später, bei der Klägerin sogar erst um 05:41 Uhr.
19Angesichts dieser Abläufe, namentlich der fehlenden Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Klägerin und der Dauer des Gewahrsams, lag aus ihrer Sicht der Schluss nahe, dass hierdurch weiteren Ausschreitungen bzw. Straftaten vorgebeugt werden sollte, so dass zumindest auch von einem präventiv-polizeilichen Zweck der Ingewahrsamnahme auszugehen ist.
20Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass gegen andere Personen aus der Gruppe anschließend Strafverfahren eingeleitet wurden. Das ändert nichts an der auch präventiven Zielrichtung, insbesondere bezogen auf diejenigen Betroffenen, gegen die keine strafrechtlichen Ermittlungen erfolgten.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
22Der Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht (Nr. 5502 des KV [Anl. 1] zum GKG).
23Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 17a Abs. 4 Satz 5 GVG).
24Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG i. V. m. § 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
- VwGO § 154 1x
- GVG § 17a 5x
- VwGO § 152 1x
- VwGO § 146 1x
- 5 E 585/06 2x (nicht zugeordnet)
- GVG § 17 1x
- VwGO § 147 1x
- 5 E 1086/02 1x (nicht zugeordnet)
- 5 E 251/11 2x (nicht zugeordnet)