Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 B 752/15
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Ver-
sagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Be-
schluss des Verwaltungsgerichts Minden vom
12.6.2015 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-
ren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 3 K 1425/15
4(VG Minden) gegen die Ordnungsverfügung der
5Antragsgegnerin vom 7.5.2015 wiederherzustellen
6sowie hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung an-
7zuordnen,
8abgelehnt. Seiner im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorgenommenen Abwägung liegt die Annahme zu Grunde, die Voraussetzungen für eine erweiterte Gewerbeuntersagung lägen vor, weil der Antragsteller gewerberechtlich unzuverlässig sei. Gegen ihn sei ein Strafbefehl wegen gemeinschaftlichen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt ergangen, er habe hohe Steuerschulden und sei wirtschaftlich leistungsunfähig. Die von dem Antragsteller zu vertretenden Pflichtverstöße seien gewerbeübergreifender Natur, so dass Anlass zu der Annahme bestehe, dass er auf andere Gewerbe ausweiche. Diese Würdigung wird durch das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, nicht erschüttert.
9Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Antragsteller in dem für die Beurteilung seiner Zuverlässigkeit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung vom 7.5.2015,
10vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.1982 ‑ 1 C 146.80 ‑, BVerwGE 65, 1 = juris, Rn.14; OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2015 ‑ 4 B 1480/14 ‑, juris, Rn. 6 f., und Urteil vom 12.4.2011 ‑ 4 A 1449/08 ‑, NVwZ-RR 2011, 553, m. w. N. = juris, Rn. 23 f.,
11Steuerrückstände gegenüber dem Finanzamt Q. in Höhe von 47.363,24 € hatte. Demgegenüber macht der Antragsteller ohne Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht gehe von einer zu hohen Steuerlast aus, da die zugrundegelegten Steuerschulden auf Schätzungen beruhten, die der Korrektur bedürften. Denn die materielle Rechtmäßigkeit der festgesetzten Steuerforderungen ist – auch soweit diese Forderungen zunächst nur auf Schätzungen beruhen – unerheblich für die Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit. Die Berechtigung der Steuerforderungen ist weder von der Verwaltungsbehörde noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu prüfen. Maßgeblich ist allein, dass die Steuern fällig und zu entrichten waren.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.3.1997 ‑ 1 B 72.97 ‑, juris, Rn. 4; OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2015 ‑ 4 B 1480/14 ‑, juris, Rn. 8 f., m. w. N.
13Unerheblich ist deshalb auch, ob und inwieweit die Schätzung der Steuerverbindlichkeiten darauf beruht, dass der Antragsteller infolge Asservierung der maßgeblichen Unterlagen vorübergehend nicht in der Lage gewesen ist, die erforderlichen Steuererklärungen abzugeben.
14Umstände, die trotz der hohen Steuerschulden des Antragstellers zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung der Antragsgegnerin über die Gewerbeuntersagung eine andere, positive Prognose in Bezug auf seine gewerberechtliche Zuverlässigkeit hätten rechtfertigen können, wie etwa Anzeichen für eine Besserung seiner wirtschaftlichen Situation oder die Existenz eines erfolgversprechenden Sanierungskonzeptes,
15vgl. in diesem Zusammenhang OVG NRW, Urteil vom 12.4.2011 ‑ 4 A 1449/08 ‑, a. a. O. = juris, Rn. 29,
16sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
17Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht seine Annahme der Unzuverlässigkeit des Antragstellers auch auf die strafrechtlichen Verfehlungen des Antragstellers gestützt. Soweit der Antragsteller dazu vorträgt, es sei nur im hier betroffenen Gewerbe zu strafbaren Handlungen gekommen, die übrigen Gewerbe liefen ordnungsgemäß, dringt er nicht durch. Die Zahlung von Schwarzlöhnen vermag jedenfalls grundsätzlich eine negative Prognose betreffend die künftige Gesetzestreue bei der Führung eines jeden Gewerbebetriebes zu stützen und nicht zwingend allein beschränkt auf den Gewerbebetrieb, bei dem es zu dem Gesetzesverstoß gekommen ist.
18Die dargelegten Beschwerdegründe rechtfertigen es ferner nicht, dem Antragsteller deshalb vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, weil ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung nur anzunehmen ist, wenn die begründete Besorgnis besteht, dass sich die mit der Gewerbeuntersagung bekämpfte Gefahr schon in der Zeit bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren kann. Zwar ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Begründetheit dieser Besorgnis unter Berücksichtigung auch solcher Umstände zu beurteilen, die erst nach dem Erlass der angefochtenen Ordnungsverfügung eingetreten sind.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.3.2015– 4 B 1480/14 –, juris, Rn. 38 ff., m. w. N.
20Allein der Umstand, dass der Antragsteller jedenfalls zum Stand 4.12.2015 keine persönlichen Steuerschulden mehr hatte, lässt jedoch nicht erkennen, dass ein besonderes Vollzugsinteresse fehlen könnte, weil sich die mit der Gewerbeuntersagung bekämpfte Gefahr nicht schon in der Zeit bis zur abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung realisieren könnte.
21Für ein besonderes Vollzugsinteresse spricht die auch weiterhin anzunehmende wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit des Antragstellers. So hat das zuständige Insolvenzgericht bei dem Antragsteller am 10.11.2015 einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens festgestellt, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens jedoch abgelehnt, weil das Vermögen des Antragstellers voraussichtlich nicht ausreichen werde, um nach der Eröffnung die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Zugleich hat es die Eintragung der Entscheidung in das Schuldnerverzeichnis angeordnet (§ 26 Abs. 2 InsO, § 882h ZPO). Bei dem Antragsteller kam in dem von einer Gläubigerin beantragten Insolvenzeröffnungsverfahren als Eröffnungsgrund allein die Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO in Betracht, so dass davon auszugehen ist, dass er im November 2015 nicht in der Lage war, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen bzw. seine Zahlungen eingestellt hatte (§ 17 Abs. 2 InsO). Angesichts des Inhalts der vom Antragsteller am 2.6.2015 abgegebenen Vermögensauskunft ergeben sich auch keine Zweifel an der weiterhin fehlenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Darin hat er insgesamt etwa 620.000 € an Verbindlichkeiten angegeben, ohne dass vorgetragen oder sonst ersichtlich wäre, wie der Antragsteller den daraus erwachsenden Zahlungspflichten gerecht werden könnte und dass diesen hinreichend werthaltige und kurzfristig verwertbare Vermögensgegenstände gegenüberstünden. Vorhandenes Grundeigentum ist belastet oder in der Zwangsvollstreckung befindlich; der Antragsteller bezieht derzeit 1.400 € netto aus beruflicher Tätigkeit. Außerdem kann in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsteller Gesellschafter einer GbR ist, die sowohl mehr als 9.000 € Gewerbesteuern schuldet, als auch – nach Angaben des Antragstellers – offene Verbindlichkeiten in Höhe von 200.000 € hat, für die der Antragsteller in entsprechender Anwendung von § 128 HGB als Gesamtschuldner haftet.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.15 – 9 C 11.14 –, juris, Rn. 12.
23Dass der Antragsteller zur Rückführung der Verbindlichkeiten und für seinen Lebensunterhalt den laufenden Betrieb benötigt, steht dem nicht entgegen. Ist – wie hier – die Gewerbeuntersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich, so ist es nicht unverhältnismäßig, dem Schutzzweck des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen zu geben, seine Existenzgrundlage beibehalten zu können.
24Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.12.2015 – 4 A 593/15 –, juris, Rn. 23, m. w. N.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
26Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
27Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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Referenzen
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