Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 A 2407/14
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 23. September 2014 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Berufungszulassungsverfahren auf 15.853,58 Euro festgesetzt.
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Gründe
2Der auf ernstliche Richtigkeitszweifel, besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache sowie deren grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO) gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
3Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 22. November 2012 gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung angenommen, der Bescheid finde seine Rechtsgrundlage in den §§ 127 ff. BauGB in Verbindung mit der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt C. vom 14. Juni 2010. Danach habe die Beklagte den Beitrag dem Grunde und der Höhe nach zu Recht gefordert. Unter anderem stehe der Festsetzung § 242 Abs. 1 BauGB nicht entgegen; bei der fraglichen Teilstrecke der I.--------straße zwischen X.---------straße und N.-----weg handele es sich nicht um eine beitragsfreie sog. vorhandene Erschließungsanlage. Die Erschließungsanlage sei auch nicht nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes bereits zu einem früheren Zeitpunkt endgültig hergestellt worden. Ferner griffen die vom Kläger erhobenen Einwände gegen die Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands nicht durch. Schließlich scheitere die Beitragserhebung nicht an einer nach Maßgabe des § 125 BauGB rechtswidrigen Herstellung.
4Den diese Ausführungen tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt der Kläger mit dem Zulassungsvorbringen nichts entgegen, was zur Zulassung der Berufung führen kann.
51. Die Richtigkeit des angegriffenen Urteils begegnet nicht den vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
6Derartige Zweifel sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt. Das ist nicht der Fall.
7a) Der Einwand, die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Erschließungsanlage sei nicht bereits unter der Geltung des ehemaligen preußischen Anliegerbeitragsrechts programmgemäß fertiggestellt worden, sei unzutreffend, hat keinen Erfolg.
8Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausgeführt, da das maßgebliche Ortsstatut weder selbst noch durch die Bezugnahme auf die einschlägigen Polizeiverordnungen Fertigstellungsmerkmale enthalte und ihm auch kein allgemeines, für alle Straßen im Gemeindegebiet gültiges Bauprogramm entnommen werden könne, komme es darauf an, ob der betroffene Abschnitt der damaligen C1.-----straße in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten des Ortsstatuts und demjenigen des Bundesbaugesetzes einem speziell für ihn aufgestellten Bauprogramm entsprochen habe. Dies sei zu verneinen. Ein planmäßiges Ausbauprogramm liege nicht vor. Dem Schreiben des Amtsdirektors des Amts I1. vom 18. Juni 1957 an das Kreisbauamt könne allerdings entnommen werden, dass die Gemeinde N1. neben der Errichtung einer etwa fünf Meter breiten Fahrbahn die Anlegung beidseitiger Bürgersteige vorgesehen habe. Nur für den Fall, dass die Gemeinde nicht in der Lage sein sollte, sogleich den Bürgersteig mit anzulegen, habe die Restfläche auf Bankette und Seitengräben entfallen sollen. Daraus werde deutlich, dass die tatsächlich angelegten Bankette als bloßes Provisorium gedacht gewesen seien. Bürgersteige seien aber bis zu dem aktuellen Ausbau 2008 nur in einem untergeordneten Umfang von 40 m an der Südseite hergestellt worden. Hinweise darauf, dass die Gemeinde von ihren Vorstellungen bezüglich des endgültigen Ausbauzustands bis zum Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes wieder abgerückt sei, seien nicht ersichtlich.
9Dem tritt die Antragsschrift mit der Rüge, das Verwaltungsgericht interpretiere das Schreiben vom 18. Juni 1957 fehl, nicht durchgreifend entgegen. Anders als der Kläger meint, bieten die Aussagen des Amtsdirektors keinen Anhalt dafür, dass unter der Voraussetzung nicht zu realisierender Bürgersteige im Zeitpunkt des Ausbaus der Fahrbahn die dann anzulegenden Bankette endgültig an deren Stelle treten sollten. Im Gegenteil lässt die Verwendung des Adverbs "sogleich" keinen vernünftigen Zweifel daran, dass mit den Banketten nur eine vorübergehende Lösung beabsichtigt war und es im angestrebten (End-)Ergebnis bei der Herstellung von beiderseitigen Gehwegen bleiben sollte.
10b) Nicht zu folgen ist dem weiteren Vorhalt, die Erschließungsanlage sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts jedenfalls bereits zu einem früheren Zeitpunkt nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes endgültig hergestellt worden, weil sie über die in den einschlägigen Satzungen vorgesehenen Straßenentwässerungseinrichtungen verfügt habe.
11Der Kläger stellt nicht in Abrede, dass unter einer Einrichtung zur Straßenentwässerung im Sinne der Satzungsbestimmungen nur eine funktionstüchtige Anlage verstanden werden kann. Eine solche lag nach den mit dem Zulassungsvorbringen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor dem jetzt streitigen Ausbau aber noch nicht vor. Danach verfügte die Anlage zwar über einen Mischwasserkanal und Sinkkästen. Infolge der Entscheidung, auf die Herstellung der geplanten Gehwege zunächst zu verzichten und stattdessen provisorisch Bankette mit Seitengräben anzulegen, fehlte es jedoch noch an Einrichtungen wie Rinnen oder einem wasserführenden Hochbord, die einen planmäßigen Wasserzufluss zu den Einlaufschächten ermöglicht hätten. Dass eine systematische Zuführung des Oberflächenwassers zu den vorhandenen Sinkkästen auf andere Weise bewirkt worden wäre, hat der Kläger nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Vielmehr ist in einem nach Ortsbesichtigung gefertigten Vermerk des Verkehrsamts vom 31. Oktober 2005 festgehalten, der vorhandene Mischwasserkanal sei wegen fehlender Rinnen und Bordsteine für die Oberflächenentwässerung der Fahrbahn funktionslos. Allein der Umstand, dass das anfallende Regenwasser in Teilen gleichsam zufällig seinen Weg in die Kanalisation gefunden haben mag, genügt nicht, um von einer betriebsfertigen Straßenentwässerung auszugehen, die eine angemessene Benutzung der Straße auch bei länger anhaltenden Regenfällen verlässlich gewährleisten können muss.
12c) Keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln unterliegt ferner die Annahme des Verwaltungsgerichts, der rechtmäßigen Herstellung im Sinne von § 125 BauGB stehe nicht entgegen, dass der bebauungsplanersetzende Beschluss des Rates der Beklagten vom 20. September 2012 erst nach Durchführung der Baumaßnahme ergangen sei. Bei der Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB handele es sich um einen gemeindeinternen Vorgang, für den das Gesetz kein bestimmtes Verfahren vorschreibe und das jederzeit nachgeholt werden könne, mit der Folge, dass in diesem Fall die Herstellungsarbeiten nachträglich legitimiert würden.
13Die Rechtmäßigkeit eines Erschließungsbeitragsbescheids dem Grunde nach hängt vom Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflichten ab. Dieses setzt eine gemäß § 125 BauGB rechtmäßige Herstellung der beitragsfähigen Erschließungsanlage bzw. eines Abschnitts davon voraus. § 125 BauGB regelt hierbei das erschließungsrechtliche Planerfordernis (§ 125 Abs. 1 und 2 BauGB) und die planungsrechtliche Bindung (§ 125 Abs. 3 BauGB). Nach § 125 Abs. 1 BauGB erfordert die erschließungsbeitragsrechtlich rechtmäßige Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage einen (wirksamen) Bebauungsplan, der ‑ soll die Rechtmäßigkeit von Anfang an gegeben sein ‑ vorliegen muss, bevor mit der Herstellung begonnen wird. Allerdings kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Bebauungsplan einer Herstellung auch nachfolgen. Tritt der Bebauungsplan erst nachträglich in Kraft, wird die Herstellung im Zeitpunkt des Inkrafttretens rechtmäßig. Ein zuvor unter Verstoß gegen § 125 Abs. 1 BauGB ergangener Erschließungsbeitragsbescheid wird in diesem Zeitpunkt geheilt.
14Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. Oktober 1968 ‑ IV C 94.67 ‑, juris, Rn. 9 (= Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 4), vom 16. November 1973 ‑ IV C 45.72 ‑, juris, Rn. 20 (= Buchholz 406.11 § 128 BBauG Nr. 13), und vom 30. Mai 1997 ‑ 8 C 6.95 ‑, juris, Rn. 12 (= NVwZ 1998, 290).
15Gleiches war anerkannt für die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB in der bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung. Danach war die Herstellung einer Erschließungsanlage ohne Vorliegen eines Bebauungsplans ‑ vorbehaltlich der Regelung des Satzes 2 der Vorschrift ‑ (nur) rechtmäßig, wenn die höhere Verwaltungsbehörde ihr zugestimmt hatte. Lag die Zustimmung vor Beginn der Herstellung nicht vor, konnte diese mit heilender Wirkung auch nachträglich noch erteilt werden.
16Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1975 ‑ IV C 51.73 ‑, juris, Rn. 7 ff. (= Buchholz 406.11 § 125 BBauG Nr. 8), vom 27. September 1982 ‑ 8 C 145.81 ‑, juris, Rn. 13 (= Buchholz 406.11 § 130 BBauG Nr. 26), und vom 30. Mai 1997 ‑ 8 C 6.95 ‑, juris, Rn. 12 (= NVwZ 1998, 290).
17Ausgehend davon kann für die bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidung gemäß § 125 Abs. 2 BauGB in der nunmehr geltenden Fassung, wonach beitragsfähige Erschließungsanlagen ohne Bebauungsplan nur hergestellt werden dürfen, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 bezeichneten Anforderungen entsprechen, nichts anderes gelten. Auch die nunmehr maßgebliche gemeindeinterne Planungsentscheidung
18- dazu, dass § 125 Abs. 2 BauGB kein förmliches Verfahren vorschreibt, siehe BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2005 ‑ 9 B 12.05 ‑, jurion; OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2010 ‑ 15 A 3231/07 ‑, juris, Rn. 15 (= NWVBl. 2011, 101) -
19kann nachgeholt werden, mit der Folge, dass der Beginn der Herstellungsarbeiten hierdurch nachträglich legitimiert wird.
20Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteile vom 21. März 2002 ‑ 2 S 2585/01 ‑, juris, Rn. 29 (= BWGZ 2002, 427), und vom 14. Dezember 2004 ‑ 2 S 191/03 ‑, juris, Rn. 25; Bay. VGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2009 ‑ 6 CS 08.3257 ‑, juris, Rn. 8, und vom 27. November 2014 ‑ 6 ZB 12.2446 ‑, juris, Rn. 6; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 7 Rn. 20 und 53; ders, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: Dezember 2015, § 125 Rn. 19 und 35; Hesse, Erschließungsbeitrag, Stand: Mai 2015, § 125 Rn. 56.
21Es ist kein stichhaltiger Grund dafür ersichtlich, die Frage der Nachholbarkeit einer den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB entsprechenden gemeindlichen Planung anders zu bewerten, als das Bundesverwaltungsgericht dies im Hinblick auf das Bebauungsplanerfordernis nach § 125 Abs. 1 BauGB und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gemäß § 125 Abs. 2 BauGB a. F. getan hat. Während nach alter Rechtslage die am Ende eines entsprechenden Prüfungsverfahrens stehende Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde an die Stelle des Bebauungsplans trat, sind die in § 125 Abs. 2 BauGB genannten Kriterien nunmehr von den Gemeinden in eigener Verantwortung zu prüfen,
22vgl. dazu Bericht des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, BT-Drucksache 13/7589, S. 28,
23ohne dass damit eine materiell-rechtliche Änderung verbunden ist. Die materiell-rechtliche Prüfung entspricht ‑ beschränkt auf die Erschließungsanlagen ‑ unverändert derjenigen bei der Aufstellung des Bebauungsplans. Es handelt sich insoweit um einen Ausschnitt aus der Planungsentscheidung der Gemeinde.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 ‑ 9 C 2.03 ‑, juris, Rn. 21 (= NVwZ 2004, 483); Ernst/Grziwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Band IV, Stand: August 2015, § 125 Rn. 6a.
25Auch der Zulassungsantrag zeigt keine Gesichtspunkte auf, die eine abweichende Betrachtungsweise rechtfertigen könnten. Mit der Herstellung einer Erschließungsanlage zu einem Zeitpunkt, in dem die bebauungsplanersetzende Planungsentscheidung der Gemeinde noch nicht erfolgt ist, werden zwar gewissermaßen vollendete Tatsachen geschaffen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Herstellung der Erschließungsanlage ‑ unabhängig davon, ob die Straße bereits gebaut ist oder nicht ‑ materiell den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB genannten Anforderungen entsprechen muss. Dies wiederum ist für die Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheids allein entscheidend. Im Übrigen ist die Gemeinde bei einer planersetzenden Abwägungsentscheidung ebenso wenig wie beim Erlass eines Bebauungsplans daran gehindert, den vorhandenen Bestand an Verkehrsanlagen innerhalb der durch das Gesetz gesetzten Grenzen in ihre Planung zu übernehmen. Ob die Planung der Gemeinde diese Grenzen wahrt, unterliegt schließlich im Falle der Anfechtung des Beitragsbescheids der unmittelbaren Kontrolle durch die Gerichte.
26d) Das Zulassungsvorbringen legt weiterhin nicht dar, dass der Beschluss des Rates der Beklagten vom 20. September 2012 materiell den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB nicht Rechnung trägt.
27Wie bereits das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, ist die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede planende Gemeinde bei Ausübung ihrer Gestaltungsfreiheit und damit auch bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang "herauskommt".
28Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 ‑ 9 C 2.03 ‑, juris, Rn. 22 (= NVwZ 2004, 483); OVG NRW, Beschluss vom 28. Mai 2010 ‑ 15 A 3231/07 ‑, juris, Rn. 13 (= NWVBl. 2011, 101); Driehaus, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: Dezember 2015, § 125 Rn. 17.
29Der Abwägungsvorgang ist zweistufig angelegt. Auf der ersten Stufe hat die Gemeinde die von der Ausbauplanung berührten Belange zu ermitteln und zusammenzustellen. Auf der zweiten Stufe ist das Abwägungsmaterial unter Inanspruchnahme der planerischen Gestaltungsfreiheit der Gemeinde zu gewichten. Dabei sind die Grenzen der Gestaltungsfreiheit (erst) überschritten, wenn ein Belang und sein Gewicht schlicht verkannt worden sind, sodass das Abwägungsergebnis nicht akzeptabel ist.
30Vgl. Driehaus, in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Stand: Dezember 2015, § 125 Rn. 17.
31Im Übrigen ist ein Mangel im Abwägungsvorgang nur dann erheblich und kann deshalb zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage führen, wenn in entsprechender Anwendung des § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB nach den Umständen des Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsentscheidung ohne den Mangel im Ergebnis anders ausgefallen wäre.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 ‑ 9 C 2.03 ‑, juris, Rn. 23 (= NVwZ 2004, 483).
33Nach diesen Maßstäben ist die mit dem Ratsbeschluss vom 20. September 2012 getroffene Abwägungsentscheidung unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nicht zu beanstanden. Dass eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat, unterliegt keinem Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat mit Recht angenommen, der Rat der Beklagten habe sich die in einem Vermerk des Bauamts dargestellten und als Anlage 3 zur Beschlussvorlage der Verwaltung vorgelegten Erwägungen zu Eigen gemacht. Soweit der Kläger allein aus dem Umstand, dass in der Beschlussformel nicht von einer Abwägung der Belange, sondern der normativen "Vorgaben des § 1 Abs. 4 - 7 BauGB" gesprochen wird, auf einen Abwägungsausfall schließen will, liegt dies fern. Dabei handelt es sich nur um eine verkürzende Formulierung, die die Vornahme einer Abwägung durch den Rat auf der Grundlage der in dem vorgenannten Vermerk des Bauamts beschriebenen Belange nicht in Frage stellt. Es ist mit dem Verwaltungsgericht zudem auch kein Abwägungsmangel erkennbar. Die Rüge, der Verfasser des Vermerks habe selbst eingeräumt, keine detaillierte Beschreibung der einzelnen abwägungserheblichen Belange vorgenommen zu haben, wiederholt bloß ein bereits in erster Instanz zu Tage getretenes und in dem angefochtenen Urteil zutreffend behandeltes Fehlverständnis. In der Beschlussvorlage wird lediglich eine detailliertere Beschreibung der in die Abwägung einzustellenden Belange nicht für erforderlich gehalten. Davon, dass das Bauamt auf eine (hinreichend) genaue Zusammenstellung des maßgeblichen Abwägungsmaterials verzichtet hat, kann keine Rede sein. Schließlich wird insoweit entgegen der Ansicht des Klägers auch kein relevanter Belang übergangen oder in seiner Bedeutung verkannt. Zwar erörtert der Abwägungsvermerk selbst nicht die Frage, ob und gegebenenfalls inwiefern sich die mit der Neuaufteilung der Straßenfläche verbundene Verschmälerung der Fahrbahn von etwa 5,50 m auf 4,50 m auf die Leichtigkeit des (Begegnung-) Verkehrs und damit auch auf die Erreichbarkeit der Anliegergrundstücke auswirkt. Dieser abwägungserhebliche Gesichtspunkt findet sich jedoch in der Anlage 2 der Beschlussvorlage für den Rat der Beklagten (Vorlage der Verwaltung zum Ausbaubeschluss der Bezirksvertretung I1. vom 10. Januar 2008). Dort ist unter Beifügung entsprechender Querschnittzeichnungen von Bestand und Planung ausgeführt, die nach dem Ausbau 4,50 m breite Fahrbahn sei für den Begegnungsfall Pkw/Pkw ausreichend, (nur) für den Begegnungsfall Pkw/Lkw müssten die Zufahrten bzw. freie Stellplätze genutzt werden. Ein begründeter Anhalt dafür, dass diese Einschätzung, die ebenfalls Grundlage des Ratsbeschlusses vom 20. September 2012 war, mit Blick auf die Eigentumsbelange der Anlieger die Grenzen der der Gemeinde zukommenden planerischen Gestaltungsfreiheit überschreitet, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
34e) Zuletzt hat das Verwaltungsgericht auch mit Recht entschieden, dass die in der Kostenaufstellung für den Grunderwerb aufgeführte Position "Verdienstausfall" in Höhe von 3,20 Euro zu den notwendigen Kosten im Sinne von § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB zählt. Danach gehören zum Erschließungsaufwand die Kosten für den zweckgerichteten Erwerb der für beitragsfähige Erschließungsanlagen (§ 127 Abs. 2 BauGB) selbst benötigten Flächen. Dazu rechnet nicht nur der Kaufpreis, sondern alles, was die Gemeinde aufwenden muss, um das Eigentum an der Fläche einer Erschließungsanlage zu erwerben.
35Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 13 Rn. 34 m. w. N.
36Das zugrunde gelegt, durfte der fragliche Betrag berücksichtigt werden. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beklagten im Zulassungsverfahren wurden seitens der damaligen Gemeinde N1. 1959 mehrere Verträge über Grundstücksabtretungen zur Verbreiterung der verlängerten C1.-----straße geschlossen. In diesem Zusammenhang hatte es einer der Vertragspartner zur Bedingung für seine Teilnahme an dem Beurkundungstermin gemacht, dass ihm der entstehende Verdienstausfall (2,5 Std. à 2,50 DM) erstattet würde. Da angesichts dessen der beabsichtigte Grundwerb von der Zahlung abhing, gehören die aufgewendeten Kosten zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand.
372. Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.
38Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Klägers gegen die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in dem vorgenannten Sinn offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens aus den unter 1. genannten Gründen nicht feststellen.
393. Schließlich hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i m Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
40Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat.
41Diese Anforderungen sind nicht erfüllt. Die vom Kläger formulierte Frage
42"Kann eine Gemeinde eine bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidung im Sinne von § 125 Abs. 2 BauGB mit der Folge, dass eine Erschließungsbeitragspflicht entsteht, noch treffen, wenn die ohne Vorhandensein eines Bebauungsplanes errichtete Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 BauGB bereits hergestellt ist und die Baumaßnahmen insoweit beendet sind?"
43ist nicht klärungsbedürftig, sondern lässt sich aus den unter 1. genannten Gründen ohne Weiteres bereits auf der Grundlage der vorliegenden Rechtsprechung insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts beantworten. Anlass zu einer erneuten oder weitergehenden rechtsgrundsätzlichen Erörterung zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
44Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
45Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.
46Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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