Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 9 A 2906/12
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert. Der Grundbesitzabgabenbescheid vom 9. Februar 2012 wird aufgehoben, soweit darin Straßenreinigungsgebühren für die S. Straße festgesetzt worden sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen die Beklagte zu 60 % und die Kläger als Gesamtschuldner zu 40 %.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks Gemarkung M. , Flur , Flurstück , mit der postalischen Bezeichnung G. -L. -Straße f in L1. -O. . Ein Bauträger hat das Gelände, auf dem das Flurstück sich befindet, auf der Grundlage des Bebauungsplans Nr. 67488/02 mit 50 Reihenhäusern und bis zu viergeschossigen Mehrfamilienhäusern, insgesamt über 330 Wohneinheiten, bebaut.
3Das ca. 3,2 ha große Baugebiet liegt zwischen der B. Straße im Osten, der S. Straße im Süden, der E. Straße im Westen und der ebenfalls bereits vor der Bebauung dieses Areals vorhandenen G. -L. -Straße im Norden, von dessen in Ost-West-Richtung verlaufendem Hauptzug drei Seitenarme nach Süden in Richtung des hier in Rede stehenden Baugebiets abzweigen. Die mittlere und die östliche dieser Verlängerungen sind ihrerseits miteinander verbunden.
4Das Baugebiet wird im Inneren durch ein privates, auf Kosten der Anwohner privat gereinigtes Wegesystem erschlossen. Dabei handelt es sich zunächst um drei im Bebauungsplan als Wohnstraße (Flurstücksbreite über 7 m) bzw. Wohnweg (Flurstücksbreite ca. 4,50 m) bezeichnete, jeweils gut 150 m lange Nord-Süd- Achsen, die die von der G. -L. -Straße abzweigenden Seitenarme nach Süden verlängern und nach Querung einer in Ost-West-Richtung verlaufenden Mittelachse im Süden – ab dort unter der Bezeichnung F. Straße, S1. Straße und I. Straße - auf die S. Straße führen. Die im Bebauungsplan als „Bürger-Boulevard“ bezeichnete, etwa 200 m lange Mittelachse (N. -Q. -Platz) ist mit einem nach den Vorgaben im Bebauungsplan ca. 3 m breiten Gehweg ausgestattet und im Übrigen überwiegend begrünt; zudem befinden sich dort zwei Kinderspielplätze, deren „dauerhafte öffentliche Zugänglichkeit“ nach den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans „zu ermöglichen“ ist.
5Auf den auf dem Flurstück angelegten Wegen sind den Eigentümern Geh- und Fahrrechte in Form von Baulasten bzw. Grunddienstbarkeiten eingeräumt. Befahren werden dürfen lediglich die drei südlichen und die beiden äußeren nördlichen Nord-Süd-Achsen jeweils bis etwa zur Höhe des N. -Q. -Platzes; dort erfolgt eine Abbindung durch Pfosten. Über diese Zufahrten können auch die unter der Bebauung angelegten Tiefgaragen erreicht werden. Darüber hinaus ist der nördliche Teil der mittleren Nord-Süd-Achse zur G. -L. -Straße ebenfalls mit Pfosten abgebunden.
6Die S. Straße, die B. Straße und der Hauptzug der G. -L. -Straße sind öffentliche Straßen und werden öffentlich gereinigt. Das gilt beginnend ab dem Jahr 2012 auch für die bei Entstehung des Baugebiets als Altbestand i.S.d. § 60 StrWG NRW schon vorhandenen Seitenarme der G. -L. -Straße (Stichstraße zwischen Nr. 224 und 236 sowie Stichstraße von Nr. 238 bis 270 mit rückwärtiger Verlängerung).
7Das 29,34 m lange Flurstück der Kläger liegt mit seiner 5,50 m breiten östlichen Stirnseite an der östlichen der Nord-Süd-Achsen des privaten Wegesystems nördlich der Tiefgaragenzufahrt bzw. nördlich des N. -Q. -Platzes. Außerdem verläuft an seiner westlichen Schmalseite zwischen den Gärten der Reihenhäuser auf einer ebenfalls ausparzellierten, im Eigentum der Anlieger stehenden Wegefläche (Flurstück ) ein Gehweg, der etwa 46 m lang und ca. 2 m breit ist. Er quert im Norden einen auf dem Flurstück angelegten etwa 2 m breiten Grünstreifen, bevor er in den öffentlichen Teil der G. -L. -Straße einmündet; im Süden endet er an einem Innenhof.
8Für die Jahre 2010 und 2011 zog die Beklagte die Kläger zu Straßenreinigungsgebühren für die B. Straße (unter Zugrundelegung von 5 Frontmetern) und die S. Straße (unter Zugrundelegung von 29 Frontmetern) heran. Während des dagegen eingeleiteten Klageverfahrens (18 K 4443/11 VG Köln/ 9 A 2900/12 OVG) trat am 1. Januar 2012 die 5. Satzung zur Änderung der Straßenreinigungssatzung in Kraft, in deren Anlage 1 (Straßenreinigungsverzeichnis) seither auch die oben genannten Seitenarme der G. -L. -Straße (Stichstraße zwischen Nr. 224 und 236 sowie Stichstraße von Nr. 238 bis 270 mit rückwärtiger Verlängerung) aufgeführt sind. Das Verfahren ist eingestellt worden, nachdem die Beklagte den angefochtenen Bescheid in der Berufungsinstanz auf Hinweis des Senats aufgehoben hat.
9Für das Jahr 2012 zog die Beklagte die Kläger mit Bescheid über Grundbesitzabgaben vom 9. Februar 2012 u.a. zu Straßenreinigungsgebühren für die Reinigung der G. -L. -Straße (270,86 Euro) und der S. Straße (455,88 Euro) heran, wobei sie für die Berechnung jeweils von einer der zu reinigenden Straße zugewandten Grundstücksseite von 29 m ausging.
10Dagegen haben die Kläger am 9. März 2012 Klage erhoben und zu deren Begründung vorgetragen: Ihr Grundstück sei über eine private Erschließungsanlage an das öffentliche Straßennetz angeschlossen. Die Wohnanlage, zu der es gehöre, habe eher den Charakter eines eigenständigen Stadtquartiers. Es verfüge über ein eigenes ausdifferenziertes internes Wegenetz, das auf Kosten der Anlieger gereinigt werde. Das Wegenetz sei bei wertender Betrachtung als selbständige Erschließungsanlage einzustufen. Eine Heranziehung in Bezug auf die G. -L. -Straße komme auch deshalb nicht in Betracht, weil die Änderung der Straßenreinigungssatzung für das Jahr 2012, nach der die Reinigung der angrenzenden öffentlichen (Teil-) Stichstraßen nunmehr der Stadt obliege, unwirksam sei. Denn sie sei ersichtlich nur zu dem Zweck vorgenommen worden, die Anlieger der Privatwege zu Straßenreinigungsgebühren veranlagen zu können.
11Die Kläger haben beantragt,
12den Grundbesitzabgabenbescheid vom 9. Februar 2012 aufzuheben, soweit sie darin zu Straßenreinigungsgebühren herangezogen werden.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie hat vorgetragen: Das Grundstück sei sowohl von der im Norden U-förmig verlaufenden Stichstraße der G. -L. -Straße, als auch von der S. und der B. Straße erschlossen. Der Privatweg, an den das klägerische Grundstück angrenze, unterbreche den Erschließungszusammenhang zu den gereinigten öffentlichen Straßen nicht. Die Änderung des Straßenverzeichnisses für das Jahr 2012 sei nicht zu beanstanden. Die Berechnung der jeweils 29 Frontmeter ergebe sich aus § 7 Abs. 2 Nr. 2 der Straßenreinigungssatzung durch eine gedachte Verlängerung der erschließenden Straßen.
16Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Rechtliche Bedenken gegen den Übergang der Reinigungszuständigkeit für die öffentliche G. -L. -Straße auf die Stadt bestünden nicht. Der Satzungsgeber habe hinsichtlich der Übertragung der Reinigungspflicht auf die Anlieger ein weites Ermessen. Dessen Grenzen seien hier nicht überschritten; Anhaltspunkte für eine willkürliche Entscheidung seien nicht ersichtlich. Das Grundstück der Kläger werde auch durch die G. -L. -Straße und die S. Straße erschlossen. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sei ein befahrbarer privater Stichweg in der Regel selbständig und unterbreche den Erschließungszusammenhang, wenn er länger als 100 m sei. Hiervon ausgehend spreche Vieles dafür, dass eine bloß fußläufige Verbindung erst ab einer Länge von 150 m den Erschließungszusammenhang unterbreche.
17Mit der vom Senat zugelassenen Berufung wenden sich die Kläger weiterhin gegen die Annahme einer Erschließung ihres Grundstücks durch die gereinigten öffentlichen Straßen und die Wirksamkeit der Änderung des Straßenverzeichnisses. Es sei unzutreffend, wenn das Verwaltungsgericht mit Blick auf die Selbständigkeit eines befahrbaren Stichwegs davon ausgehe, dass es bei der Unterschreitung einer Länge von 100 m nicht mehr auf besondere Umstände des Einzelfalls ankomme. Die bisherige obergerichtliche Rechtsprechung habe außerdem keine Aussagen dazu gemacht, ob und inwieweit diese Grenze überhaupt auch auf Fußwege anzuwenden sei. Zudem wende das Verwaltungsgericht entgegen der obergerichtlichen Rechtsprechung die von ihm bestimmte Grenze von 150 m nicht auf die Länge des Weges als solchen an, sondern auf die individuelle Entfernung eines Grundstücks zur betreffenden Straße. Außerdem verkenne es, dass die gesamte private Wegeanlage als Einheit zu betrachten und als solche länger als 500 m sei. Schließlich werde vollständig ausgeblendet, dass sie - die Kläger - bereits mit der Reinigung der Privatwege belastet seien. Was die Änderung der Straßenreinigungssatzung angehe, habe es das Verwaltungsgericht nicht dabei belassen können, dass sachwidrige Motive nicht erkennbar gewesen seien, wenn die Beklagte zu ihren Motiven gar nichts vorgetragen habe.
18Die Kläger beantragen,
19das angefochtene Urteil zu ändern und den Grundbesitzabgabenbescheid vom 9. Februar 2012 aufzuheben, soweit darin Straßenreinigungsgebühren festgesetzt worden sind.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie erwidert: Die Frage, ob der Erschließungszusammenhang durch einen Privatweg unterbrochen werde, müsse nach wie vor auf der Grundlage der Entfernung des Grundstücks von der gereinigten Straße ermittelt werden; allerdings könne man bei einem Fußweg nicht pauschal von 150 m ausgehen. Außerdem sei es unangemessen, hier von einer einheitlichen Erschließungsanlage auszugehen. Es sei auch nicht bestimmbar, unter welchen Voraussetzungen eine derartige Einheitlichkeit angenommen werden könne.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses und der gemeinsam verhandelten Parallelverfahren, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie die Unterlagen und Fotodokumentationen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
24Entscheidungsgründe:
25Die zulässige Berufung der Kläger ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise begründet. Der Bescheid über Grundbesitzabgaben vom 9. Februar 2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit sie zu Straßenreinigungsgebühren für die Reinigung der S. Straße herangezogen worden sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der Heranziehung für die Reinigung der G. -L. -Straße, ist die Berufung unbegründet.
261. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW können die Gemeinden von den Eigentümern der durch die Straße erschlossenen Grundstücke als Gegenleistung für die Kosten der Straßenreinigung eine Benutzungsgebühr nach den Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes erheben.
27a) Straßen im Sinne dieser Vorschrift, die Erschließungsfunktion haben können, sind die in § 1 Absatz 1 StrReinG NRW genannten, nach Maßgabe des Straßenrechts öffentlichen Straßen. Ohne Bedeutung ist für die Erschließungsfunktion, welcher Verkehrsart die betreffende Verkehrsfläche dient. Es können Straßen für den Kraftfahrzeugverkehr aber auch solche Verkehrsflächen sein, die ausschließlich dem Fußgänger- oder Radfahrverkehr vorbehalten sind.
28Anknüpfungspunkt für die Gebührenpflicht ist allerdings nur die Reinigung einer Teilstrecke (Teilfläche) des gemeindlichen Straßen- und Wegenetzes, die nach der Typik ihrer räumlichen Ausdehnung (Länge bzw. Fläche) mehrere Grundstücke des ortslageüblichen Zuschnitts erschließt oder erschließen könnte und als solche eigenständig ist, weil sie äußerlich erkennbar von den nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsflächen abgesetzt und nach Verkehrsfunktion, Ausstattung, räumlichem Umfang und Ausbau von einigem Gewicht ist.
29Vgl. OVG NRW, Urteile vom 14. Dezember 1989- 9 A 1718/88 -, NWVBI. 1991, 156, und vom 28. September 1989 - 9 A 1974/87 -, NVwZ-RR 1990, 508.
30b) Erschlossen ist ein Grundstück im Sinne der genannten Vorschrift von dieser gereinigten Straße, wenn von ihr rechtlich und tatsächlich für Fahrzeuge oder aber auch nur fußläufig eine Zugangsmöglichkeit zu dem betreffenden Grundstück besteht, die die Möglichkeit einer innerhalb geschlossener Ortslagen üblichen und sinnvollen wirtschaftlichen Nutzung eröffnet.
31St. Rspr., vgl. OVG NRW, Urteile vom 26. Februar 2003 - 9 A 2355/00 -, NVwZ-RR 2004, 68, und vom 3. Dezember 2012 - 9 A 193/10 -, NWVBl. 2013, 193; Beschlüsse vom 27. September 2012 – 9 A 2573/10 -, juris, vom 26. September 2013 – 9 A 1809/11 -, NWVBl. 2014, 72, und vom 17. November 2014 - 9 A 209/12 -, NWVBl. 2015, 161.
32Der Begriff der Erschließung im straßenreinigungsrechtlichen Sinne ist nicht deckungsgleich mit dem beitragsrechtlichen Erschließungsbegriff.
33Besteht nur eine fußläufige Verbindung von der gereinigten Straße zum Grundstück, muss diese Zugangsmöglichkeit, um die zuvor beschriebene Nutzung des Grundstücks zu eröffnen, eine Breite von mindestens 1,20 m oder, wenn wegen der Länge des Weges und der Zahl der erschlossenen Grundstücke ein Begegnungsverkehr in Rechnung zu stellen ist, 1,50 m aufweisen.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2011- 9 A 2929/08 -, NWVBl. 2011, 403.
35Eine Zugangsmöglichkeit kann auch durch eine private Zuwegung vermittelt werden, die das Grundstück an die gereinigte öffentliche Straße anbindet. Soweit ein Grundstück – wie hier dasjenige der Kläger – erst über einen von der öffentlichen Straße abzweigenden Privatweg erreicht wird, ist allerdings zu prüfen, ob die private Zuwegung eigenständig ist und den Erschließungszusammenhang zur öffentlichen Straße unterbricht.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Januar 2004 – 9 A 2136/02 -, juris.
37Für die Beurteilung der Frage, ob eine private Zuwegung eigenständig ist und eine Unterbrechung des Erschließungszusammenhangs bewirkt, kommt es neben der Länge und dem Verlauf der Privatwege als Anknüpfungspunkte für die Beurteilung des Maßes der Abhängigkeit von der öffentlichen Straße auf die sonst für die Einordnung des Erscheinungsbilds des Privatweges nach dem Gesamteindruck der nach den tatsächlichen Verhältnissen maßgeblichen Umstände im Sinne einer „natürlichen Betrachtungsweise“ an. Das trifft auch auf Fußwege zu. Denn in gleicher Weise wie ein öffentlicher Fußweg eine erschließende Straße im Sinne von § 3 Abs. 1 StrReinG NRW sein kann, insofern als er eine fußläufige Zugangsmöglichkeit zu einem Grundstück vermittelt,
38vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 1989- 9 A 1718/88 -, NWVBl. 1991, 156,
39kann einem privaten Fußweg eine Erschließungsfunktion zukommen, die eine Erschließung durch eine öffentliche Straße, in die der Fußweg einmündet, ausschließt.
40Demgemäß unterbrechen private Fußwege ebenso wie sonstige private Straßen und Wege den Erschließungszusammenhang zu einer öffentlichen und gereinigten Straße stets dann, wenn sie sich als eigenständig darstellen und nicht nur ein bloßes „Anhängsel“ im Sinne einer bloßen Grundstückszuwegung sind.
41Private Stichwege sind nach der Rechtsprechung des Senats in der Regel jedenfalls dann als im straßenreinigungsrechtlichen Sinne eigenständig anzusehen, wenn diese bei geradem Verlauf länger als 100 m sind und nach ihrer Breite und dem Ausbauzustand sogar ein Befahren mit Kraftfahrzeugen aller Art möglich machen. Dabei ist die jeweilige Entfernung der ausschließlich an den Privatweg angrenzenden Grundstücke von der gereinigten öffentlichen Straße für die Frage der Unterbrechung des Erschließungszusammenhangs unerheblich. Denn die selbständig private Erschließungsanlage unterbricht für alle Grundstücke, die allein über diese erschlossen werden, den Erschließungszusammenhang zu den gereinigten öffentlichen Straßen.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Mai 2011– 9 A 2459/09 -, juris, Beschluss vom 20. Januar 2011 – 9 A 2634/09 -, juris, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1995 – 8 C 30.93 -, KStZ 1996, 112 (zum Erschließungsbeitragsrecht).
43Ebenfalls in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht,
44BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1995 – 8 C 30.93 -, KStZ 1996, 112,
45werden auch solche private Stichwege regelmäßig nicht als unselbständiges „Anhängsel“ zur gereinigten öffentlichen Straße anzusehen sein, die vor Erreichen einer Länge von 100 m (mehr oder weniger) rechtwinklig abknicken oder sich verzweigen.
46Abzugrenzen sind die privaten Stichwege aber von privaten Wegen mit Verbindungsfunktion. Letztere sind in aller Regel eigenständig und unterbrechen für alle Grundstücke, die allein über diese erschlossen werden, den Erschließungszusammenhang zu den gereinigten öffentlichen Straßen, wenn es sich um Verbindungswege handelt, die eigenständige öffentliche Straßen oder selbständige private Erschließungsanlagen untereinander verknüpfen. Denn Verbindungswege stellen sich nach ihrem Erscheinungsbild und ihrer Funktion grundsätzlich nicht als bloßes Anhängsel der einen oder anderen Erschließungsstraße dar. Dies gilt selbst dann, wenn der Verbindungsweg Merkmale aufweist, die bei einem Stichweg zur Unselbständigkeit führen würden. Die oben genannte 100 m-Regel gilt für Verbindungswege nicht.
472. Dies zugrundegelegt sind die Voraussetzungen für die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW i.V.m. den §§ 6 bis 10 der Satzung der Stadt L1. über die Erhebung von Straßenreinigungsgebühren (StrReinS) vom 22. Dezember 2006 in der Fassung der für das Veranlagungsjahr 2012 letzten maßgeblichen Änderung durch die 5. Änderungssatzung vom 21. Dezember 2011 hinsichtlich der Reinigung der S. Straße nicht erfüllt, weil das Grundstück der Kläger nicht im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW durch diese Straße erschlossen wird (a). Zu Recht herangezogen wurden die Kläger allerdings nach Maßgabe dieser Vorschriften zur Zahlung von Straßenreinigungsgebühren für die G. -L. -Straße (b).
48a) Hinsichtlich der S. Straße ist der Gebührentatbestand nicht erfüllt, weil das Grundstück der Kläger durch diese Straße nicht im straßenreinigungsrechtlichen Sinne erschlossen wird. Der Privatweg mit der amtlichen Bezeichnung G. -L. -Straße, an den das Grundstück der Kläger mit seiner Ostseite angrenzt, ist als eigenständige Erschließungsanlage anzusehen und unterbricht den Erschließungszusammenhang zur S. Straße. Da eine andere Zugangsmöglichkeit zu dieser Straße nicht besteht, ist das Grundstück der Kläger nicht durch sie erschlossen.
49Dieser – ganz überwiegend sogar befahrbare – Privatweg ist 150 m lang und verbindet den öffentlichen Teil der G. -L. -Straße mit der ebenfalls öffentlichen S. Straße. Er ist schon wegen dieser Verbindungsfunktion eigenständig und stellt sich nicht als bloßes Anhängsel einer der beiden oder beider öffentlichen Straßen dar. Zu einer näheren Konkretisierung, bei welcher Länge ein bloß fußläufiger Stichweg den Erschließungszusammenhang unterbrechen würde, gibt der vorliegende Fall mithin keinen Anlass.
50Die Verbindungsfunktion zwischen G. -L. -Straße und S. Straße ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Privatweg von Norden wie von Süden dem allgemeinen Fahrzeugverkehr – für die Feuerwehr und die Müllabfuhr gelten ohnehin Ausnahmen – jeweils nur bis zur Höhe des N. -Q. -Platzes zur Verfügung steht. Insbesondere werden die nördlichen bzw. südlichen Abschnitte des Weges dadurch nicht zu Stichstraßen im Sinne der oben genannten 100 m-Regel. Denn eine solche liegt nicht bereits dann vor, wenn eine Straße – wie hier – durch bloße verkehrslenkende Maßnahmen für bestimmte Verkehrsarten gesperrt wird, ohne dass die straßenreinigungsrechtlich relevante Verkehrsfläche als solche unterbrochen wird. Hier findet der Privatweg ausweislich der vorliegenden Fotos (BA Heft 2, Fotos 16 bis 19) eine Fortsetzung im Bereich der zu dem Platz gehörenden Rasenanlagen dadurch, dass er in zwei, offenkundig mit Fahrzeugen befahrbare Spurbahnen von je etwa einem Meter Breite übergeht, die durch einen unbefestigten Streifen unterteilt sind. Damit sind dort jedenfalls die Anforderungen erfüllt, die an eine fußläufige Erschließung im straßenreinigungsrechtlichen Sinne zu stellen sind.
51Selbst wenn man im Hinblick auf die signifikante Änderung der Ausstattung bzw. des Ausbauzustands der Nord-Süd-Achse im Bereich des N. -Q. - Platzes annehmen wollte, dass nur die Wegelänge bis zur Einmündung in den N. -Q. -Platz in den Blick zu nehmen sei, änderte dies nichts an der Selbständigkeit der privaten G. -L. -Straße. Dieses an beiden Seiten dicht bebaute Teilstück der privaten Wohnstraße hat zwar für sich genommen eine Länge von nur 80 m, rechtfertigt aber ungeachtet dessen schon aufgrund seiner Verbindungsfunktion zwischen der öffentlichen G. -L. -Straße und dem N. -Q. -Platz die Bewertung als selbständige Erschließungsanlage. Denn auch der N. -Q. -Platz vermittelt eine eigenständige Erschließung im straßenreinigungsrechtlichen Sinn. Die auf dem Platz verlaufenden Fußwege, d.h. derjenige am Südrand und seine verschiedenen Abzweigungen, haben den erforderlichen besonderen Rang bereits durch ihre Ausdehnung von insgesamt etwa 200 m, aber auch durch ihren Verlauf und ihre Funktion. Insbesondere dienen sie nicht nur dem Anliegerverkehr, sondern auch der im Bebauungsplan vorgesehenen öffentliche Zugänglichkeit der Kinderspielplätze.
52b) Demgegenüber ist die Heranziehung der Kläger zu Straßenreinigungsgebühren für die Reinigung der G. -L. -Straße nicht zu beanstanden.
53aa) Die Voraussetzungen der Gebührenerhebung liegen dem Grunde nach gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW vor. Das Grundstück der Kläger wird von dem öffentlichen und durch die Beklagte gereinigten Teil der G. -L. -Straße erschlossen.
54(1) Dem können die Kläger nicht entgegenhalten, dass die Änderung des Straßenreinigungsverzeichnisses (§ 3 StrReinS) durch die 5. Änderungssatzung, mit der die Übertragung der Reinigungspflicht auf die Anlieger für die von dem Hauptzug der G. -L. -Straße abzweigenden Straßenabschnitte aufgehoben wurde, unwirksam sei.
55Die Rückübertragung der Reinigung der genannten Straßenabschnitte in die Verantwortung der Stadt verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen § 4 Abs. 1 StrReinG NRW, der regelt, unter welchen Voraussetzungen die Gemeinde die Straßenreinigung auf die Anlieger übertragen kann. Denn der Zweck dieser Ermächtigung liegt darin, die Gemeinden von der ihnen nach § 1 Abs. 1 StrReinG NRW obliegenden Reinigungspflicht zu entlasten, nicht aber den Grundstückeigentümern unter gewissen Voraussetzungen die Reinigung vorzubehalten.
56Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 9 A 1065/07 -, juris.
57Ebenso wie die Nichtinanspruchnahme der Ermächtigung des § 4 Abs. 1 StrReinG NRW durch den Satzungsgeber bedarf daher auch die Rückübertragung der Straßenreinigung in die Verantwortung der Stadt keiner besonderen an den Interessen der Anlieger, zu denen die Kläger im Übrigen auch nicht gehören, ausgerichteten Ermessensausübung oder auch nur einer Rechtfertigung durch reinigungstechnisch begründete Motive. Denn hierdurch wird lediglich der in § 1 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW gesetzlich angeordnete „Normalzustand“ wiederhergestellt. Grenzen der gemeindlichen Satzungsbefugnis ergeben sich insoweit allenfalls aus dem allgemeinen Willkürverbot, das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt. Dafür, dass diese überschritten sein könnten, spricht vorliegend nichts, zumal sogar durchaus sachliche Gründe für die Entscheidung der Beklagten sprechen, weil die Bebauung des Brachgeländes und der damit einhergehende zusätzliche Verkehr nachvollziehbarerweise einen erhöhten Reinigungsbedarf zur Folge hat.
58(2) Das Grundstück der Kläger wird auch im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW durch den öffentlichen Teil der G. -L. -Straße erschlossen. Zwar unterbricht der östlich des klägerischen Grundstücks gelegene Privatweg (Wohnstraße) aufgrund seiner vorstehend erörterten Eigenständigkeit auch insoweit den Erschließungszusammenhang. Es besteht aber eine weitere Zugangsmöglichkeit über den auf dem Flurstück angelegten Fußweg (Gartenweg), der auf der westlichen Seite einerseits ein Betreten des Grundstücks der Kläger ermöglicht und andererseits einen unmittelbaren Zugang zum öffentlichen Teil der G. -L. -Straße eröffnet.
59(a) Die Breite des Gartenwegs von ca. 2 m reicht nach den oben genannten Maßstäben für eine Erschließung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 StrReinG NRW aus. Da die Kläger an ihm Miteigentum haben (vgl. BA Heft 1, Bl. 52, in dem erledigten Verfahren gleichen Rubrums 9 A 2900/12), ist der Zugang für sie auch rechtlich gesichert (§§ 1008, 743 Abs. 2 BGB). Der Gartenweg vermag im Übrigen den Erschließungszusammenhang zu einer öffentlichen Straße nicht zu unterbrechen, da er angesichts der Einmündung in den Innenhof nicht als Verbindungsweg anzusehen ist und mit Blick auf seine Länge von weniger als 50 m keine eigenständige private Erschließungsanlage ist.
60(b) Der Gartenweg vermittelt eine Erschließung zum öffentlichen Teil der G. -L. -Straße. Zwar grenzt das Wegeflurstück nicht unmittelbar an die Straßenparzellen (Flurstücke und ) an, sondern mündet in einen parallel zur öffentlichen Straße verlaufenden Teil des Flurstücks ein, an dem die Kläger jedenfalls ein dinglich gesichertes Wegerecht haben. Dort setzt sich der Gartenweg jedoch ohne Änderung seines Verlaufs und Befestigungszustands bis zur Einmündung in die öffentliche Straße fort. Abgesehen davon ist auf dem Flurstück im Übrigen ein unbefestigter und zum Teil bewachsener Streifen angelegt, der eine Erschließung nicht hindert, weil er nicht als eigenständige Anlage, sondern allenfalls als bloßes Straßenbegleitgrün bzw. als unbefestigter Seitenstreifen anzusehen ist. Für die insoweit zu treffende Abgrenzung kommt es auf die kataster- und widmungsgemäße Zugehörigkeit des Streifens zur Straße nicht entscheidend an; vielmehr ist eine "natürliche Betrachtungsweise" zugrundezulegen.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2012 – 9 A 2573/10 -, juris.
62Der von der Beklagten vorgelegten Lichtbildbildmappe (BA Heft 2, insbes. Foto 11) lässt sich aber eindeutig entnehmen, dass bei einer solchen Betrachtungsweise die genannte Fläche, die lediglich zum Teil mit Gras bewachsen und im Einmündungsbereich des Gartenweges mit zwei Bäumen bepflanzt ist, keine trennende Wirkung hat und auch keine eigenständige Erschließungsanlage sein kann. Im Übrigen hat der Senat auch keinen Zweifel daran, dass der auf den Lichtbildern erkennbare Verlauf des Bürgersteigs der G. -L. -Straße im Einmündungsbereich mit dem im Katasterplan eingetragenen Verlauf übereinstimmt und sich der Bürgersteig demgemäß vollständig auf öffentlichem Straßenland befindet, weshalb der Gartenweg auch mit Blick darauf nicht in eine weitere, ggf. selbständige private Erschließungsanlage einmündet, sondern auf die öffentliche Straße führt und dem Grundstück der Kläger so einen straßenreinigungsrechtlich relevanten Vorteil vermittelt. Insofern unterscheidet sich die Einmündungssituation des hier in Rede stehenden Gartenweges von dem, der auf dem Flurstück angelegt ist und der die Hausgärten des westlichen Reihenhausblocks erschließt. Letzterer mündet in einen eindeutig als solchen erkennbaren, an der Nordseite des Flurstücks zwischen zwei Stütz- bzw. Begrenzungsmauern verlaufenden Fußweg ein. Dieser vermittelt aber jedenfalls keine Anbindung an den öffentlichen Teil der G. -L. -Straße. Denn wie sich den vorgelegten Plänen und Lichtbildern eindeutig entnehmen lässt, mündet er selbst wiederum nur in die westliche bzw. mittlere der Nord-Süd-Achsen ein, die nach Maßgabe der obigen Darlegung ihrerseits als eigenständige private Erschließungsanlagen anzusehen sind.
63bb) Die Höhe der für die G. -L. -Straße festgesetzten Straßenreinigungsgebühren entspricht den Regelungen in den §§ 7 f. StrReinS. Insbesondere hat die Beklagte der Gebührenbemessung zu Recht eine Frontmeterlänge von 29 m zugrundegelegt. Dies entspricht bei der Länge der Nordseite des Grundstücks der Kläger von 29,34 m, die dem erschließenden Teil der hier U-förmig verlaufenden G. -L. -Straße zugewandt ist, den Bestimmungen in § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 6 StrReinS. Diesbezügliche Mängel der Satzung, insbesondere mit Blick auf § 6 Abs. 2 KAG NRW, sind nicht gerügt und drängen sich auch nicht auf. Danach ist die Gebühr gegenüber den Klägern, die nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StrReinS als Grundstückeigentümer Gebührenschuldner sind, für das Jahr 2012 zutreffend mit 270,86 Euro, berechnet worden.
643. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
65Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO.
66Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.
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