Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 A 2670/15
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 16. Juli 2014 verpflichtet, der Klägerin einen Bauvorbescheid für ein Mehrfamilienhaus für das Grundstück E. 2 in E1. entsprechend ihrem Antrag vom 20. März 2014 zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Beschluss ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Beschlusses vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2I.
3Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Erlass des angefochtenen Urteils wird entsprechend § 130b Satz 1 VwGO auf dessen Tatbestand Bezug genommen.
4Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. November 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das beantragte Vorhaben füge sich nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die maßstabsgebende nähere Umgebung bestehe nur aus den Grundstücken E2. 3, 4 und 6 (sowie 8-12) und I.-straße12 . Zur näheren Umgebung gehörten aber weder die Bebauung am Q.-A. noch das ein- und zweigeschossige Schulgebäude, das sich auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück mit Flurstücknummer 1069 befinde. Dieses zweigeteilte Gebäude sei Teil eines einheitlichen Bebauungskomplexes mit einer von dem Vorhaben verschiedenen Bau- und Nutzungsstruktur. Die Wohnbebauung in der ersten Reihe entlang der Straßen E2. und I1.-straße werde von der dahinterliegenden Schulbebauung nicht geprägt. Das Grundstück E2. 13/13a/I1.-straße 7 (Flurstück 259) gehöre ebenfalls nicht zur näheren Umgebung, da der Abstand von Gebäude zu Gebäude mehr als 50 m betrage und eine deutliche optische und bodenrechtliche Trennung zum Vorhabengrundstück durch den Kurven- /Kreuzungsbereich der Straßen E2./I1.-straße. Ferner liege das Vorhaben zurückversetzt in einer Senke. Den Maßstab dieser näheren Umgebung überschreite das Vorhaben hinsichtlich seiner Grundfläche von 521 qm. Ferner füge sich das Vorhaben auch hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein, die dieselben Grundstücke umfasse. Das Vorhaben solle eine Tiefe von maximal 17,50 m haben; in der näheren Umgebung betrage die größte Gebäudetiefe auf dem Grundstück E2. 6 jedoch lediglich 15,75 m. Das Vorhaben sei wegen der von ihm ausgehenden Vorbildwirkung geeignet, bodenrechtliche Spannungen zu begründen. Demzufolge sei auch der Hilfsantrag der Klägerin unbegründet.
5Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung macht die Klägerin ergänzend geltend, sowohl das Schulgrundstück als unmittelbar benachbartes Grundstück als auch das Grundstück E2. 13/13a/I2. Straße 7 gehörten zur näheren Umgebung des Vorhabens. Das Vorhaben solle in einem Abstand von 18 m direkt gegenüber der Schulbebauung entstehen. Die Bebauung auf direkten Nachbargrundstücken sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts immer maßstabsgebend für das Baugrundstück. Eine Trennung zwischen Vorhabengrundstück und Schulgrundstück bestehe nicht. Zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Grundstück E2. 13/13a/I2. Straße 7 bestünden unmittelbare Sichtbeziehungen. Durch die Lage des Vorhabens in einer Senke, die in der Umgebung historisch bedingt geradezu typisch sei, ändere sich an der Abgrenzung der näheren Umgebung nichts. Das Abstellen auf eine unterschiedliche Bau-/Nutzungsstruktur stehe zudem im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach jedes Merkmal im Rahmen der Prüfung des Einfügens gesondert zu beurteilen sei. Bei dem unmittelbar benachbarten Schulgebäude handele es sich auch nicht um einen Fremdkörper, weil direkt angrenzend weitere ähnlich dimensionierte bauliche Anlagen der Schule sowie kirchliche Nutzungen vorhanden seien. Das Vorhaben füge sich auch in die so beschriebene nähere Umgebung ein. Für die geplante Grundfläche des Vorhabens bildeten sowohl die unmittelbar benachbarte Sporthalle der Schule als auch das Grundstück E2. 13/13 a / I2. Straße das maßgebliche Vorbild. Auch hinsichtlich der Bebauungstiefe, für deren Ermittlung. die Entfernung von der Straße, durch die das in Rede stehende Gebäude erschlossen werde, füge sich das Vorhaben ein. Vorbild sei die Bebauung des Nachbargrundstücks E2. 6. Hinzu trete die im Blockinnenbereich mehrfach vorhandene Hinterlandbebauung, die eine entsprechend größere Bebauungstiefe auch durch ein singuläres Gebäude erlaube. Da sich das Vorhaben in die maßgebliche nähere Umgebung einfüge, sei für die Annahme eines Planungsbedürfnisses kein Raum. Eine etwaige Planungspflicht einer Gemeinde nach § 1 Abs. 3 BauGB könne einem Genehmigungsanspruch nach § 34 BauGB nicht entgegengehalten werden. Ergänzend werde darauf verwiesen, dass eine prägende Wirkung des Vorhabens auf die östlich der Straße E2. befindlichen, noch unbebauten, Grundstücke ausscheide, da dort ein Bebauungsplan gelte, der die bauliche Ausnutzung regele.
6Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
7das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. November 2015 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 16. Juli 2014 zu verpflichten, ihr einen Bauvorbescheid für ein Mehrfamilienhaus entsprechend ihrem Antrag vom 20. März 2014 für das Grundstück E2. 2 in E1. zu erteilen,
8hilfsweise,
9das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 13. November 2015 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres ablehnenden Bescheides vom 16. Juli 2014 zu verpflichten, ihr einen Bauvorbescheid für ein Mehrfamilienhaus entsprechend ihrem Antrag vom 20. März 2014 für das Grundstück E2. 2 in E1. ohne die Tiefgarage zu erteilen.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
11die Berufung zurückzuweisen.
12Der Senat hat durch eine Ortsbesichtigung des Berichterstatters am 22. Februar 2016 Beweis erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Ortsbesichtigung und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakten Hefte 1 bis 9) Bezug genommen.
13II.
14Der Senat entscheidet gemäß § 130a Satz 1 VwGO, Art. 6 Abs. 1 EMRK durch Beschluss über die Berufung, da er diese einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind nach § 130a Satz 2 in Verbindung mit § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO gehört worden. Sie haben keine Einwände erhoben, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten.
15Die zulässige Berufung ist begründet, da die zulässige Klage begründet ist.
16Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Senat versteht die konkreten Fragestellungen des Antrags auf Erteilung des Bauvorbescheides dahingehend, dass die Klägerin umfassend geklärt wissen möchte, ob das Vorhaben planungsrechtlich zulässig ist. Diese Frage ist zu bejahen. Dem Vorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften des Bauplanungsrechts nicht entgegen (§ 71 BauO NRW in Verbindung mit § 75 BauO NRW).
17Das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich der Durchführungspläne sowie des Bebauungsplans. Die Durchführungspläne sind jedoch unwirksam. Nach § 233 Abs. 3 BauGB gelten auf der Grundlage bisheriger Fassungen des Baugesetzbuches oder Bundesbaugesetzes wirksame oder übergeleitete Pläne, Satzungen und Entscheidungen fort. Die seinerzeit nach § 10 des Gesetzes über Maßnahmen zum Aufbau in den Gemeinden NRW vom 29. April 1950 (GVBl. NRW S. 78) in der Fassung vom 29. April 1952 (GVBl. NRW S. 75) (im Folgenden: Aufbaugesetz) erlassenen Durchführungspläne sind nicht nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG 1960 übergeleitet worden, so dass sie auch nicht als einfache Bebauungspläne fortgelten. Nach § 173 Abs. 3 Satz 1 BBauG sind nur solche baurechtlichen Vorschriften übergeleitet, die bei Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes gültig waren.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1982 - 4 C 65.78 -, BRS 39 Nr. 2.
19Das ist hier nicht der Fall. Die Durchführungspläne sind, wovon im Übrigen auch die Beteiligten ausgehen, nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden und deshalb nicht wirksam geworden. Die öffentliche Bekanntmachung der förmlichen Feststellung dieser Pläne ist nämlich jeweils von einem Vertreter des Oberstadtdirektors, nicht jedoch - wie erforderlich - vom Oberbürgermeister veranlasst worden. Das Erfordernis einer Bekanntmachungsanordnung des (Ober-)Bürgermeisters folgt daraus, dass für die Bekanntmachung der Durchführungspläne im Sinne des § 10 des Aufbaugesetzes dieselben Grundsätze gelten wie für die Bekanntmachung von Bebauungsplänen. Durchführungspläne sind ebenfalls Ortsgesetze, deren Feststellung nach § 11 Abs. 2 Satz 6 Aufbaugesetz ortsüblich bekanntzumachen ist.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1988 ‑ 3 A 867/85 ‑, juris, Rn. 11 m.w.N.
21Die Bekanntmachung der Auslegung eines genehmigten Bebauungsplans nach § 12 Satz 2 BBauG erfordert die Unterzeichnung der Bekanntmachungsanordnung durch den Bürgermeister oder seinen Stellvertreter.
22Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. November 1969 - X A 184/68 -, OVGE 25, 164, Urteil vom 17.1994 – 11 A 2396/90.
23Auch die Festsetzungen des Bebauungsplans führen nicht zur Unzulässigkeit des Vorhabens. Die Beklagte geht in ihrem Schriftsatz vom 20. August 2015 davon aus, dass der Geltungsbereich dieses Bebauungsplans das Vorhabengrundstück nicht umfasst. Der Senat lässt offen, ob ein kleiner Teil des Vorhabengrundstücks im Geltungsbereich des Bebauungsplans liegt, was in Anbetracht der ungenauen Eintragungen in der Bebauungsplanurkunde aus dieser nicht zweifelsfrei erkennbar ist. Für eine teilweise Lage im Geltungsbereich spricht die durch Knotenlinie dargestellte entsprechende Eintragung in dem amtlichen Lageplan des Vorbescheidsantrags. Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an. Gelten die Festsetzungen des Bebauungsplans für den sich aus dem Lageplan ergebenden Teil des Vorhabengrundstücks, so steht dem Vorhaben zwar die Festsetzung einer öffentlichen Grünfläche entgegen. Die Klägerin hätte aber einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von dieser Festsetzung nach § 31 Abs. 2 BauGB. Diese Abweichung würde Grundzüge der Planung nicht berühren und wäre gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB städtebaulich vertretbar. Zu berücksichtigen ist dabei, dass eine planerische Grundkonzeption durch ein Vorhaben dann nicht mehr berührt werden kann, wenn der mit der Planung verfolgte Interessenausgleich bereits durch die bisherige tatsächliche Entwicklung im Baugebiet nachhaltig gestört ist.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2010 – 4 C 10.09 –, juris, Rn. 39.
25So liegt der Fall hier. Die südlich angrenzenden Flurstücke bis zur Wegeverbindung von der Verlängerung der Straße E2. zur bereits hergestellten öffentlichen Grünfläche stehen im Privateigentum und werden derzeit als Schrebergärten genutzt, so dass nichts dafür ersichtlich ist, dass auf dem Vorhabengrundstück künftig eine öffentlichen Grünfläche in Gestalt eines „Grünflächenzipfels“ hergestellt wird. Hinzu kommt, dass die festgesetzte öffentliche Grünfläche nur in einem im Verhältnis zu ihrer Gesamtgröße verschwindend kleinen Teil, nämlich im Bereich der Tiefgaragenrampe, der auch die Umsetzbarkeit der Festsetzung auf weiteren Flächen nicht beeinflusst, nicht mehr verwirklicht werden könnte.
26Die Abweichung wäre auch unter Würdigung nachbarlicher Belange, die im Hinblick auf die Lage der Fläche und die betroffene gemeinnützige Festsetzung hier ohnehin nicht berührt wären, mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Das der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen ist nach den hier gegebenen Umständen des Einzelfalls ausnahmsweise auf Null reduziert. Dass das Ermessen rechtmäßig anders als durch Erteilung der Befreiung ausgeübt werden könnte, hält der Senat für ausgeschlossen. Aus dem Akteninhalt ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass bei einer ermessensfehlerfreien Abwägung zwischen dem Interesse an der Verwirklichung der gemeinnützigen Festsetzung in diesem Bereich und dem Interesse der Klägerin an der Ausnutzung des in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks das öffentliche Interesse überwiegen könnte. Die im Verwaltungsverfahren vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt der Beklagten intern erhobenen Bedenken gegen die Erteilung einer Befreiung erscheinen nach den obigen Ausführungen fernliegend. Die Klägerin hatte in ihrem Schriftsatz vom 15. September 2015 ausgeführt, ihr stehe ein Anspruch auf Erteilung der Befreiung zu, ohne dass die Beklagte dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entgegengetreten wäre.
27Das Vorhaben steht auch mit § 34 Abs.1 BauGB im Einklang, der im Übrigen für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens maßgeblich ist. Nach dieser Vorschrift ist ein innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegendes Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorhaben. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung und der Bauweise bedarf dies keiner weiteren Erläuterung. Das Vorhaben hält auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstückfläche den Rahmen der näheren Umgebung ein. Diese Beurteilung des Senats stützt sich auf das vorliegende Kartenmaterial, die angefertigten Lichtbilder, die vorliegenden Luftaufnahmen und die Erkenntnisse, die der Berichterstatter bei seiner Ortsbesichtigung gewonnen und dem Senat vermittelt hat.
28Bei der Bestimmung der maßgeblichen näheren Umgebung ist die Umgebung einmal insoweit zu berücksichtigen, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Mai 1978 – 4 C 9.77 -, BRS 33 Nr. 36; OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2000 – 10 A 5152/97 – m.w.N.
30Die nähere Umgebung ist so für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Kriterien gesondert zu ermitteln, weil die vorhandene Bebauung die Umgebung insoweit mit unterschiedlicher Reichweite und Gewichtung prägen kann. Maßgeblich ist, wie weit die jeweiligen wechselseitigen Auswirkungen im Verhältnis von Vorhaben und Umgebung im Einzelfall reichen.
31Vgl. OVG NRW, Urteile vom 25. Februar 2000 – 10 A 5152/97 – und vom 7. November 1996 – 7 A 4820/95 –.
32Nach diesen Grundsätzen ist bezüglich des Merkmals des Maßes der baulichen Nutzung davon auszugehen, dass jedenfalls sowohl die Bebauung auf dem unmittelbar an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstück der Katholischen Grundschule O. (Flurstücke 1069 und 1109), das von der O1. Straße aus erschlossen ist, als auch auf den Grundstücken E2. 6 – 12 die näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks bilden. Die Auffassung, wegen eines andersartigen Bebauungskomplexes sei die Bebauung auf dem Schulgrundstück nicht mehr der näheren Umgebung zuzurechnen, vermag der Senat nicht zu teilen. Zwar kann grundsätzlich die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen sein, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen.
33vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. August 2003 – 4 B 74/03 –, juris, Rn. 2.
34Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Gebäude auf dem Schulgrundstück sind innerhalb eines durch Wohnnutzung geprägten Gebietes geradezu typischer und integraler Bestandteil der näheren Umgebung auch des Vorhabengrundstücks. Dass Gebäude für soziale Einrichtungen wie Schulgebäude eine andere Größe und Ausdehnung haben als die sie umgebenden Wohngebäude und dabei auch an einer bestimmten Stelle konzentriert errichtet sind, führt nicht dazu, dass diese Gebäude einen eigenen Bebauungskomplex bilden, der von der Wohnbebauung abgegrenzt und ihrer näheren Umgebung nicht mehr zugehörig wäre.
35Die Bebauung auf dem Schulgrundstück ist auch nicht außer Betracht zu lassen, weil sie in der näheren Umgebung nicht prägend wirken würde. Gemäß § 34 Abs. 1 und 2 BauGB richtet sich die planungsrechtliche Zulässigkeit baulicher Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach dem sich aus der vorhandenen Bebauung ergebenden Maßstab. Das bedeutet, dass grundsätzlich alles an Bebauung in den Blick genommen werden muss, was in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist. Eine Beschränkung auf das, was von der vorhandenen Bebauung städtebaulich wünschenswert oder auch nur vertretbar ist, darf insoweit nicht vorgenommen werden. Auch eine städtebaulich unerwünschte Bebauung darf bei der Bildung des Maßstabs nicht von vornherein vernachlässigt werde. Nicht jegliche vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung bestimmt jedoch ihren Charakter. Vielmehr muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden. Es muss alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Auszusondern sind zum einen solche baulichen Anlagen, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt. Ihre Aussonderung hat mit dem Begriff Fremdkörper nichts zu tun, sondern ist Ergebnis einer Beschränkung auf das Wesentliche. Zum anderen können auch solche bauliche Anlagen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung auszusondern sein, die zwar quantitativ die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, aber nach ihrer Qualität völlig aus dem Rahmen der sonst in der näheren Umgebung vorzufindenden Bebauung herausfallen. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn eine singuläre Anlage in einem auffälligen Kontrast zur übrigen Bebauung steht. Sie ist umso eher ein Unikat, je einheitlicher die nähere Umgebung im Übrigen baulich genutzt ist. Trotz ihrer deutlich in Erscheinung tretenden Größe und ihres nicht zu übersehenden Gewichts in der näheren Umgebung bestimmen solche baulichen Anlagen nicht deren Eigenart, weil sie wegen ihrer mehr oder weniger ausgeprägt vom übrigen Charakter der Umgebung abweichenden Struktur gleichsam isoliert dastehen. Grundlage für ein solches Ausklammern ist zwar auch das tatsächlich Festgestellte, als Ergebnis beruht es aber auf einer überwiegend wertenden Betrachtung. Derartige Anlagen dürfen bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung allerdings nur dann als Fremdkörper ausgeklammert werden, wenn sie wegen ihrer Andersartigkeit und Einzigartigkeit den Charakter ihrer Umgebung letztlich nicht beeinflussen können. Ob dies der Fall ist, muss unter Würdigung des tatsächlich Vorhandenen ermittelt werden. Ausschlaggebend kann erneut die Größe der andersartigen Anlage sein. Einzelne bauliche Anlagen von stark abweichendem Charakter können nach Ausdehnung, Zahl und anderen Quantitätsmerkmalen ein solches Gewicht haben, dass sie trotz ihrer herausstechenden Andersartigkeit in einer abweichend und verhältnismäßig einheitlich strukturierten Umgebung ihrerseits tonangebend wirken. Wann dies im Einzelfall anzunehmen ist, lässt sich allerdings nicht allgemein formulieren.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Februar 1990 ‑ 4 C 23.86 ‑, BVerwGE 84, 322-335, Rn. 17.
37Nach diesem Maßstab stellt sich die Bebauung auf dem Schulgrundstück nicht als Fremdkörper das. Dass es sich bei ihr um eine isolierte, in auffälligem Kontrast zur übrigen Bebauung stehende Bebauung handeln würde, lässt sich nicht feststellen.
38Maßgeblich für die Bestimmung des Rahmens der Bebauung in der so bezeichneten näheren Umgebung ist also die konkrete, am tatsächlich Vorhandenen ausgerichtete Betrachtung. In erster Linie ist auf solche Maße abzustellen, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre (absolute) Größe nach Grundfläche, Geschoßzahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur umgebenden Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung an. Damit ist eine Berücksichtigung der anderen Maßfaktoren zwar nicht ausgeschlossen. Soweit sie eine prägende Wirkung auf das Baugrundstück haben, sind auch sie zur Beurteilung der Frage, ob sich das Vorhaben einfügt, heranzuziehen. Die relativen Maßstäbe haben allerdings vielfach nur eine untergeordnete Bedeutung oder auch gar keine Bedeutung für die Frage des Einfügens, weil sie in der Örtlichkeit häufig nur schwer ablesbar sind und erst errechnet werden müssen. Nach diesem Maßstab findet das Vorhaben sowohl hinsichtlich der Grundfläche, nämlich in den auf dem Schulgrundstück aufstehenden Gebäude, als auch hinsichtlich der Höhe, der Geschosszahl und dem Verhältnis zur Freifläche, hier sowohl in den Gebäuden auf dem Schulgrundstück als auch in den Gebäuden E2. 6 ‑12, Vorbilder und hält sich in dem Rahmen der vorhandenen Bebauung.
39Dass die Gebäude auf dem Schulgrundstück nicht zu Wohnzwecken, sondern für den Gemeingebrauch genutzt werden, ist für die Frage, ob es den Rahmen für das Einfügen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche mit bestimmt, unerheblich. Aus der Systematik des § 34 Abs. 1 BauGB ergibt sich bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der überbaubare Grundstücksfläche keine Möglichkeit zur weitergehenden Differenzierung nach der jeweiligen Art der baulichen Nutzung. Das Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung ist vielmehr ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal.
40Das Vorhaben fügt sich auch hinsichtlich der zulässigen Bebauungstiefe in die Eigenart der näheren Umgebung, die ebenfalls zumindest durch die Bebauung auf den genannten Grundstücken gebildet wird, ein. Die Bebauungstiefe entspricht – anders, als der ablehnende Bescheid der Beklagten nach den dort angegebenen Maßen offenbar voraussetzt – nicht lediglich der Gebäudetiefe, sondern ist nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO von der tatsächlichen Straßengrenze ab zu ermitteln. Das Vorhaben findet damit in der Bebauung auf dem Grundstück E2. 6, die eine entsprechende Bebauungstiefe aufweist, ein Vorbild.
41Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
42Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 ff. ZPO.
43Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
44Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 40, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
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