Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 651/19
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg. Die vom Antragsgegner dargelegten Gründe rechtfertigen die Änderung des angefochtenen Beschlusses.
3Der Antrag des Antragstellers,
4den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verpflichten, einen Ausbildungsplatz „im Auswahlverfahren für die Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst zum Einstellungstermin 1. September 2019 freizuhalten, bis über seine Bewerbung abschließend entschieden wurde“,
5ist unbegründet. Der Antragsteller hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines dieses Begehren stützenden Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die mit Bescheid vom 14. Januar 2019 erfolgte Ablehnung der Einstellung des Antragstellers in den Polizeivollzugsdienst verletzt ihn nicht in seinem Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung aus Art. 33 Abs. 2 GG (Bewerbungsverfahrensanspruch).
6Entscheidend für die Ablehnung der Einstellung des Antragstellers in den Polizeivollzugsdienst ist ausweislich des Bescheides die - nicht nur an die Tätowierung auf seinem linken Unterschenkel, sondern auch an das mit ihm am 21. November 2018 geführte „Sondereinzelgespräch“ anknüpfende - Einschätzung des Antragsgegners, es seien Zweifel an seiner charakterlichen Eignung für den Polizeivollzugsdienst gegeben. Hierin liegt keine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs.
7Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. In den Vorbereitungsdienst für den Laufbahnabschnitt II kann eingestellt werden, wer für den Polizeivollzugsdienst geeignet ist (vgl. § 11 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 2 LVOPol). Die im Rahmen dieser Ermessensentscheidung von der Einstellungsbehörde vorzunehmende Beurteilung der für den Polizeivollzugsdienst erforderlichen charakterlichen Eignung ist ein Akt wertender Erkenntnis, den das Gericht nicht durch eine eigene Einschätzung ersetzen darf. Vielmehr ist er als solcher vom Gericht nur beschränkt darauf zu überprüfen, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff verkannt, einen unrichtigen Sachverhalt zu Grunde gelegt, allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Dabei kommt die Ablehnung der Einstellung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf bzw. in den Vorbereitungsdienst für den Laufbahnabschnitt II des Polizeivollzugsdienstes nicht nur und erst dann in Betracht, wenn die Einstellungsbehörde festgestellt hat, dass der Bewerber die erforderliche charakterliche Eignung nicht besitzt. Vielmehr genügen insoweit schon berechtigte Zweifel.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2018 - 6 B 1176/18 -, juris Rn. 10, vom 17. August 2017 - 6 B 751/17 -, juris Rn. 8, vom 2. Dezember 2016 - 1 B 1194/16 -, juris Rn. 13 ff., vom 2. November 2016 - 6 B 1172/16 -, juris Rn. 9 f., vom 19. November 2014 - 6 A 1896/13 -, juris Rn. 42, und vom 18. Oktober 2013 - 1 B 1131/13 -, juris Rn. 7 ff., 14; Sächs. OVG, Beschluss vom 20. September 2017 - 2 B 180/17 -, juris Rn. 12; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 10. März 2017 - 4 S 124/17 -, juris Rn. 5, und vom 27. November 2008 - 4 S 2332/08 -, juris Rn. 4.
9Unter Berücksichtigung des dem Antragsgegner zukommenden Beurteilungsspielraums ist seine Annahme, an der charakterlichen Eignung des Antragstellers bestünden Zweifel, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums hat er nicht überschritten.
10Zu Recht hat der Antragsgegner sich mit Blick auf die Tätowierung des Antragstellers veranlasst gesehen, seine charakterliche Eignung für den Polizeivollzugsdienst (näher) zu überprüfen. Zwar stellt eine Tätowierung zunächst nur eine Körperdekorierung dar. Durch diese wird der Körper indes bewusst als Kommunikationsmedium eingesetzt. Mit dem Tragen einer Tätowierung ist eine plakative Kundgabe verbunden, durch die eine mit ihr verbundene Aussage das „forum internum“ verlässt. Durch eine Tätowierung erfolgt eine nach außen gerichtete und dokumentierte Mitteilung durch deren Träger über sich selbst. Dieser kommt im Falle der Tätowierung sogar ein besonderer Stellenwert zu, weil das Motiv in die Haut eingestochen wird und der Träger sich damit dauerhaft und in besonders intensiver Weise bekennt.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, BVerwGE 160, 370 = juris Rn. 25.
12Der Antragsgegner hat in Bezug auf die Tätowierung am linken Unterschenkel des Antragstellers festgestellt, es handele sich um „die Darstellung von Totenköpfen, eines Autos, Gebäude mit blutendem Reißverschlussmuster, einem englischen Schriftzug ‚to young to quit to old to change‘ sowie eine Szene, in der eine Person eine Axt tragende Person erschießt und eine große blutige Austrittswunde zu sehen“ sei. Im Ablehnungsbescheid ist weiter ausgeführt, die Tätowierung wirke auf den Betrachter „gewaltverherrlichend, düster, martialisch und bedrohlich“. Dass die Tätowierung die so beschriebene Wirkung hat, stellt der Antragsteller - zu Recht - nicht in Abrede.
13Mit Blick auf die begehrte Einstellung in den Polizeivollzugsdienst ist insbesondere die Darstellung der Tötungsszene von Bedeutung, die nahezu die gesamte Rückseite des linken Unterschenkels einnimmt. Der Umstand, dass der Antragsteller neben den anderen Motiven dieses in besonderer Weise gewaltverherrlichend wirkende Motiv für die Tätowierung ausgewählt hat, lässt vermuten, dass es Ausdruck seiner inneren Einstellung ist. Jedenfalls ist es nicht ausgeschlossen, dass er eine gewaltverherrlichende Einstellung bzw. zumindest eine mangelnde Distanz zur Gewalt aufweist und ihm deshalb die für die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst erforderliche charakterliche Eignung fehlt. Im Rahmen des „Sondereinzelgesprächs“ vom 21. November 2018 ist diesbezüglich eine weitere Überprüfung erfolgt. Dass der Antragsgegner auf der Grundlage dieses Gesprächs zu der Einschätzung gelangt ist bzw. seine Einschätzung bestätigt gesehen hat, dass Zweifel an der - für den Polizeivollzugsdienst erforderlichen - charakterlichen Eignung des Antragstellers bestehen, ist nachvollziehbar und unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.
14Das Vorbringen des Antragstellers und insbesondere auch seine Ausführungen im Rahmen des „Sondereinzelgesprächs“ bieten keinen hinreichend verlässlichen Anhalt dafür, dass die für die Tätowierung ausgewählten Motive, insbesondere die Darstellung der Tötungsszene, nicht (mehr) Ausdruck seiner inneren Einstellung sind.
15Der Antragsteller hat in dem „Sondereinzelgespräch“ in Bezug auf die Tötungsszene angegeben, es handele sich um eine Szene aus dem Film „Resident Evil“, welches der Tätowierer ihm als Motiv vorgeschlagen habe. Ob diese Angabe zutrifft oder nicht, sei dahingestellt. Selbst wenn die Darstellung auf ein Motiv aus dem Film „Resident Evil“, dessen künstlerischen Wert der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren besonders hervorgehoben hat, und/oder auf einen Vorschlag des Tätowierers zurückgehen sollte, bleibt von maßgeblicher Bedeutung, dass der Antragsteller aus den zahlreichen Szenen, aus denen der genannte Film besteht, gerade eine von Gewalt und Blut beherrschte Szene ausgewählt und sich entschieden hat, diese auf seinen Körper tätowieren zu lassen.
16Dem Antragsteller ist es auch ansonsten nicht ansatzweise gelungen, glaubhaft darzulegen, dass er sich mit diesem und auch den anderen für die Tätowierung ausgewählten Motiven nicht identifiziert. Soweit er im „Sondereinzelgespräch“ weiter ausgeführt hat, „der Schuss in den Rücken eines Menschen sowie die dargestellte Axt“ hätten „keine Bedeutung“ für ihn, entbehrt dies jedweder Substanz.
17Auch der Umstand, dass die die Tötungsszene beinhaltende Tätowierung bereits, so der Antragsteller, vor 15 Jahren erstellt worden ist, lässt für sich genommen nicht darauf schließen, dass sie nicht mehr Ausdruck seiner inneren Einstellung ist und er ihr keine Bedeutung mehr beimisst. Dagegen spricht im Übrigen die Tatsache, dass er die Tätowierung nach wie vor nicht entfernen oder verändern lassen hat, obwohl er in dem „Sondereinzelgespräch“ angegeben hat, er habe sich dazu entschlossen sie „übertätowieren“ lassen und habe aus diesem Grund „noch heute Nachmittag einen Termin beim Tätowierer“.
18Der Antragsteller zeigt auch mit seinem weiteren Vorbringen nicht auf, dass die Ablehnung seiner Einstellung in den Polizeivollzugsdienst rechtlich zu beanstanden ist. Soweit er auf den Senatsbeschluss vom 12. September 2018 - 6 A 2272/18 -, NWVBl. 2019, 73 = juris Rn. 19, hinweist, in dem der Senat sich der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen hat, wonach die Versagung der Einstellung eines Bewerbers in den Polizeivollzugsdienst (allein) wegen einer Tätowierung einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage bedarf,
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2017 - 2 C 25.17 -, a. a. O., Rn. 33 ff.,
20lässt er unberücksichtigt, dass der Antragsgegner sich, wie dargestellt, nicht darauf beschränkt hat, die Ablehnung auf das äußere Erscheinungsbild bzw. auf den optischen Eindruck zu stützen, der einem Betrachter durch die Tätowierung vermittelt wird. Dieser ist vielmehr aufgrund der Prüfung, ob die für die Tätowierung ausgewählten Motive Ausdruck der inneren Einstellung des Antragstellers sind, zu der für die Ablehnung seiner Bewerbung letztlich ausschlaggebenden Einschätzung gelangt, es bestünden Zweifel an seiner charakterlichen Eignung.
21Mit Blick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts sei schließlich angemerkt, dass dem Ablehnungsbescheid nicht die Annahme des Antragsgegners zu Grunde liegt, er sei (schon) wegen des durch die Tätowierung vermittelten optischen Eindrucks bzw. deren Inhalts auf der Grundlage der §§ 33, 34 BeamtStG ermächtigt, die Einstellung des Antragstellers in den Polizeivollzugsdienst abzulehnen. Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob und inwieweit angesichts der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Raum für diese Annahme wäre.
22Vgl. hierzu auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2019 - 4 S 52.18 -, juris Rn. 5 ff.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
24Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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Referenzen
- 6 B 1176/18 1x (nicht zugeordnet)
- 1 B 1131/13 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x
- 6 A 2272/18 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 6 B 1172/16 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 123 1x
- 6 A 1896/13 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 180/17 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 751/17 1x (nicht zugeordnet)
- 4 S 2332/08 1x (nicht zugeordnet)
- 4 S 124/17 1x (nicht zugeordnet)
- § 52 Abs. 1 und 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- BeamtStG § 33 Grundpflichten 1x
- BeamtStG § 34 Wahrnehmung der Aufgaben, Verhalten 1x
- 1 B 1194/16 1x (nicht zugeordnet)