Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 7 B 752/20
Tenor
Der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 30.4.2020 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten beider Instanzen als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 6.875,00 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe führen zu einer Änderung der angegriffenen Entscheidung. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller - 10 K 620/20 - gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung anzuordnen, hat keinen Erfolg.
4Nach der hier nur möglichen und gebotenen summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage verletzt die Baugenehmigung keine subjektiven öffentlichen Rechte der Antragsteller.
5Namentlich dürfte das genehmigte Vorhaben den sich aus § 6 BauO NRW 2018 ergebenden Abstandsanforderungen auch im Hinblick auf die ohne Grenzabstand genehmigte Garage und den Abstellraum genügen. Diese sind bei wertender Betrachtung vom Hauptgebäude unabhängig und abstandsflächenrechtlich nach § 6 Abs. 8 BauO NRW privilegiert.
6Garage und Abstellraum sind vom Wohnhaus baukonstruktiv getrennt (eigenes Fundament, eigene Wände mit Fuge zum Hauptgebäude, eigene Fuß- und Firstpfette für die Dachsparren des Abstellraums, getrennte Dachlattungen). Sie dienen - anders als das Hauptgebäude - nicht dem Wohnen und haben damit eine andere Funktion. Das äußere Erscheinungsbild entspricht aufgrund der unterschiedlichen Neigungen des Nebendachs des Hauptgebäudes und des Dachs über dem Abstellraum, der lediglich 1,96 m hohen nördlichen Außenwand des Abstellraums und der offenen Garage nicht dem eines einheitlichen Gebäudes; die durchgehende Dachfläche beeinflusst bei der erforderlichen wertenden Betrachtung aller in den Blick zu nehmenden Aspekte das Erscheinungsbild demgegenüber nicht in maßgeblicher Weise.
7Entgegen der Auffassung der Antragsteller verletzen die in der Baugenehmigung erteilten Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans diese nicht in ihren subjektiven Rechten.
8In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts ist geklärt, dass bei der Erteilung einer Befreiung von einer nicht drittschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans der Nachbar über den Anspruch auf Würdigung nachbarlicher Interessen hinaus keinen umfassenden Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Baugenehmigungsbehörde hat. Ein Abwehranspruch des Nachbarn besteht nur dann, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die von dem Bauherrn beantragte Befreiung nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Nachbarn genommen hat. Alle übrigen denkbaren Fehler einer Befreiung machen diese und die auf ihr beruhende Baugenehmigung zwar möglicherweise objektiv rechtswidrig, vermitteln dem Nachbarn aber keinen Abwehranspruch, weil seine eigenen Rechte dadurch nicht berührt werden.
9Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.7.1998 - 4 B 64.98 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 10.9.2018 - 10 B 1227/18 -, juris, m. w. N.
10Ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 9.8.2018 - 4 C 7.17 -, BRS 86 Nr. 113 = BauR 2019, 70.
12Dass der Plangeber den im Bebauungsplan getroffenen Maßfestsetzungen nachbarschützende Wirkung zugedacht haben könnte, ist den Aufstellungsvorgängen nicht zu entnehmen. In der Begründung zum Bebauungsplan wird unter Nr. 2.1 lediglich ausgeführt, dass die festgesetzten Traufhöhen sowohl der Nutzung der Dachgeschosse als Vollgeschosse entgegenwirken als auch eine vertretbare Anpassung der Gebäude an die sehr unterschiedlichen Geländeverhältnisse gewährleisten sollen. Ein Wille des Plangebers, die Maßfestsetzungen (auch) zum Schutz der Nachbarn vor gegenseitiger Verschattung zu treffen, kann dem gerade nicht entnommen werden. Soweit die Antragsteller unter Berufung auf das oben zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geltend machen, die Bewertung, dass die benachbarten Grundstücke in einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft stünden, könne sogar nachträglich erfolgen und zu einer nachbarschützenden Wirkung von Maßfestsetzungen führen, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kommt eine nachbarschützende Wirkung von Planfestsetzungen unabhängig von konkreten subjektiven Vorstellungen des Planungsträger lediglich für Pläne in Betracht, die vor 1960, d. h. in einer Zeit aufgestellt wurden, in der man ganz allgemein an einen nachbarlichen Drittschutz im öffentlichen Baurecht noch nicht gedacht hatte.
13Vgl, dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 8.7.2020 - 10 A 3398/19 -, n. v.
14Das trifft hier nicht zu, der Bebauungsplan wurde nämlich erst am 29.3.1990 beschlossen.
15Ein danach nur in den Blick zu nehmender Verstoß des Vorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Antragsteller ist nicht erkennbar. Soweit die Antragsteller eine Verschlechterung der Lichtverhältnisse und eine größere Verschattung insbesondere der Südfassade ihres Hauses und der Terrasse geltend machen, ist damit eine Unzumutbarkeit dieser Auswirkungen der Nachbarbebauung nicht dargelegt. Grundstückseigentümer haben es innerhalb bebauter innerstädtischer Bereiche grundsätzlich hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des Rahmens baulich genutzt werden, den das Bauplanungsrecht und das Bauordnungsrecht vorgeben und dass es dadurch auch zu einer gewissen Verschattung von Grundstücken kommt, die in innerstädtischen bebauten Bereichen üblich ist.
16Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 14.6.2019 - 7 A 2386/17 -, BauR 2019, 1406.
17Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht der Billigkeit, dass den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht auferlegt werden, weil diese in beiden Instanzen keinen Sachantrag gestellt und sich damit selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
18Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
19Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
- VwGO § 154 2x
- §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 8 BauO 1x (nicht zugeordnet)
- 7 A 2386/17 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 3398/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- § 6 BauO 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 159 1x
- 10 B 1227/18 1x (nicht zugeordnet)
- 10 K 620/20 1x (nicht zugeordnet)