Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 2476/19.A
Tenor
1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt T. aus W. wird abgelehnt.
2. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.4.2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
11. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung der Kläger aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
22. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Aus der Antragsbegründung ergibt sich nicht, dass ein Verfahrensmangel im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG vorliegt.
4Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht verletzt (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO). Das in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist indes grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht diesen Anforderungen genügt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
5Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.11.2019 – 4 A 1995/19.A –, juris, Rn. 3 f., m. w. N.
6Solche besonderen Umstände liegen hier nicht vor. Dem Urteil lässt sich im Gegenteil entnehmen, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Kläger, sie seien bei Rückkehr nach Pakistan wegen der Doppelverheiratung der Klägerin zu 2. strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt, zur Kenntnis genommen und bei seiner Entscheidung berücksichtigt hat. Das Verwaltungsgericht hat diesen Vortrag im tatbestandlichen Teil seines Urteils wiedergegeben (Urteilsabdruck, Seite 3, erster Absatz). In den Entscheidungsgründen hat es im Rahmen der für möglich erachteten Inanspruchnahme internen Schutzes angenommen, potentiell verfolgte Personen könnten vor allem in pakistanischen Großstädten wegen der dort vorherrschenden Anonymität in aller Regel unbehelligt leben, selbst wenn sie von der Polizei wegen Mordes (ein gleichfalls strafbarer und gegenüber der Doppelverheiratung gravierenderer Vorwurf) gesucht werden und es sei nicht davon auszugehen, man habe in anderen Landesteilen in Pakistan Kenntnis davon, dass die Klägerin zu 2. noch nicht geschieden sei (Urteilsabdruck, Seite 4, zweiter bis vierter Absatz). Hinsichtlich des subsidiären Schutzes hat es darauf abgestellt, dass stichhaltige Gründe für die Annahme, dass den Klägern in ihrem Herkunftsland die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen könnten, weder vorgetragen noch ersichtlich seien, und sich die Kläger im Übrigen insoweit auf die bestehende Möglichkeit der Inanspruchnahme internen Schutzes verweisen lassen müssten (Urteilsabdruck, S. 4, fünfter Absatz). Dass es mithin den Vortrag der Kläger anders als diese gewertet hat, begründet keinen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör. Gleiches gilt für den Vorhalt, das Verwaltungsgericht habe das vorgelegte Schreiben in englischer Sprache vom 15.1.2018 zwar im Tatbestand erwähnt, jedoch nicht gewürdigt. Auf eine etwaige Verfolgung durch den ersten Ehemann der Klägerin zu 2. als einem der Kriminellen des Stadtteils Shad Bagh in Lahore kommt es nach der hier maßgeblichen Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts nicht an, weil den Klägern danach eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht (Urteilsabdruck, Seite 3, letzter Absatz, bis Seite 4, dritter Absatz).
7Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
8Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
9Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.1.2020 – 4 A 3788/19.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.
10Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die von den Klägern aufgeworfenen Grundsatzfragen,
11„1. Ist eine zu erwartende Bestrafung aufgrund eines sogenannten Grenzverstoßes nach Scharia-Recht im Heimatland (hier Pakistan), die mit Peitschenhieben, Verbannung und möglicherweise Todesstrafe geahndet wird, wegen Doppelverheiratung einer Frau als Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG anzusehen oder/und rechtfertigt dies die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote?
122. Ist das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungsverpflichtung gehalten, die Strafbestimmungen des Herkunftslandes zu ermitteln, sofern der Asylbewerber sich auf drohende Verfolgung durch zu erwartende Bestrafung beruft, um die Voraussetzungen nach § 4 AsylG sowie das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote prüfen zu können?"
13rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung. Sie würden sich in einem Berufungsverfahren nicht entscheidungserheblich stellen.
14Die Kläger halten die erste Frage für klärungsbedürftig, weil sie davon ausgehen, dass ihnen bei Rückkehr eine Bestrafung droht. Das Verwaltungsgericht hat hingegen angenommen, es bestehe auch insoweit eine interne Schutzmöglichkeit, weil in anderen Landesteilen Pakistans nicht bekannt sei, dass die Klägerin zu 2. noch nicht geschieden sei (Urteilsabdruck, Seite 4, zweiter bis fünfter Absatz). Gegen diese tatsächliche Annahme haben die Kläger keine durchgreifenden Zulassungsgründe benannt.
15Die zweite Frage nach der Reichweite der Aufklärungspflicht des Verwaltungsgerichts müsste in einem Berufungsverfahren nicht allgemein, sondern nur anhand geklärter allgemeiner Grundsätze für den Einzelfall beantwortet werden.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16.10.2018 – 4 A 12/18.A –, juris, Rn. 9 ff.
17Es ist höchstrichterlich nämlich bereits grundsätzlich geklärt, wie weit die Aufklärungspflicht reicht. In welchem Umfang das Tatsachengericht Sachaufklärung zu betreiben hat, richtet sich nach dem maßgeblichen materiellen Recht in der Auslegung durch das Tatsachengericht.
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.4.2014 ‒ 2 B 80.13 ‒, NVwZ 2014, 892 = juris, Rn. 7.
19Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht setzt voraus, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf eine Sachverhaltsermittlung hingewirkt worden ist und die gleichwohl erfolgte Ablehnung einer Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen.
20Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.1.2013 ‒ 7 B 21.12 ‒, juris, Rn. 7.
21Einen darüber hinausgehenden allgemeinen Klärungsbedarf im Zusammenhang mit Strafbestimmungen des Herkunftslandes haben die Kläger nicht aufgezeigt.
22Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO und § 83b AsylG.
23Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 3788/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 108 1x
- 4 A 12/18 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 100 Kosten bei Streitgenossen 1x
- § 4 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 4 A 1995/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x