Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 2634/18
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger steht als Polizeihauptkommissar beim Polizeipräsidium C. im Dienste des beklagten Landes. Er begehrt einen vollständigen (Freizeit)Ausgleich für von ihm verrichtete Bereitschaftsdienstzeiten.
3Der Kläger leistete in den Jahren 2011 und 2012 in seinem früheren Statusamt eines Polizeioberkommissars (Besoldungsgruppe A 11 LBesO A NRW) bei der Kreispolizeibehörde C. in der 1. Hundertschaft folgende Bereitschaftsdienste:
4- 29. und 30.04.2011 NPD-Versammlung in Bremen 6 Stunden
5- 30.04. bis 2.05.2011 Berlin, diverse Versammlungen 13 Stunden
6- 6.05. und 7.05.2011 Versammlung in Köln 2 Stunden
7- 12. bis 15.01.2012 Stuttgart, Hauptbahnhof 26 Stunden
8-
9
gesamt: 47 Stunden
Die hierbei angefallenen Bereitschaftsdienstzeiten rechnete der Dienstherr ihm im Umfang von insgesamt 23,5 Stunden auf die Arbeitszeit an.
11Mit drei Schreiben vom 12. Mai 2011 und einem Schreiben vom 26. Januar 2012 beantragte der Kläger beim Polizeipräsidium C. , auch die weiteren 23,5 Stunden „als Arbeitszeit anzuerkennen und zu vergüten“, und berief sich zur Begründung auf das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2011 (Az.: 5 LC 178/09), wonach es aufgrund europäischen Gemeinschaftsrechts geboten sei, den von einem Beamten geleisteten Bereitschaftsdienst in sogenannten „geschlossenen Einsätzen“ in die Arbeitszeit einzubeziehen. Außerdem bezog der Kläger sich auf den Erlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MIK) vom 10. März 2011 (Az.: 45.2-45.02.08). Mit Schreiben vom 13. Juli 2011, 18. Juli 2011 und 1. Juni 2012 erklärte sich das Polizeipräsidium C. auf entsprechende Bitten des Klägers damit einverstanden, die Anträge bis zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nicht zu bescheiden und auf die Einrede der Verjährung zu verzichten.
12Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 5. Februar 2014 nahm der Kläger Bezug auf seine Anträge aus Mai 2011 und Januar 2012 und beantragte bei dem Polizeipräsidium C. erneut, den von ihm in sogenannten geschlossenen Einsätzen geleisteten Bereitschaftsdienst für die Vergangenheit, rückwirkend für den nicht verjährten Zeitraum ab Antragstellung, „1:1 in die Arbeitszeit einzubeziehen und als Arbeitszeit anzuerkennen“ sowie die Erklärung abzugeben, dass zukünftige Bereitschaftsdienstzeiten in sogenannten geschlossenen Einsätzen stets als Arbeitszeit im Verhältnis 1:1 angesehen würden.
13Das Polizeipräsidium C. lehnte die Anträge mit am 11. April 2014 dem Kläger zugestelltem Bescheid vom 9. April 2014 ab. Zur Begründung führte es aus, dass der vom Kläger als Angehöriger der Bereitschaftspolizei geleistete Bereitschaftsdienst nach § 3 Abs. 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten des Landes NRW vom 15. August 1975 (GV. NRW. S. 532), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 20. September 2013 (GV. NRW. S. 557) - AZVOPol NRW a.F. - rechtsfehlerfrei angeordnet worden sei. Die hierbei angefallenen 47 Stunden Bereitschaftsdienst seien ihm mit der Hälfte der Zeit, also mit 23,5 Stunden, gemäß § 3 Abs. 3 AZVOPol NRW a.F. angerechnet worden. Diese Bestimmung der AZVOPol NRW a.F. räume kein Ermessen ein, so dass die erfolgte Gutschrift im Rahmen einer 1:2-Vergütung zutreffend sei. Der Sachverhalt, der dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2011 zugrunde liege, sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Eine Verletzung von Europarecht sei ebenfalls nicht festzustellen.
14Der Kläger hat am 30. April 2014 Klage erhoben mit den Anträgen, die streitigen Zeiten des Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit anzuerkennen (1.) und zukünftig geleistete Bereitschaftsdienstzeiten in geschlossenen Einsätzen als Arbeitszeit 1:1 anzuerkennen und diese als Volldienst seinem Arbeitszeitkonto gut zu schreiben (2.). Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei - was unstreitig sei - rechtmäßig zu den geschlossenen Einsätzen herangezogen worden. Soweit § 3 Abs. 3 AZVOPol NRW a.F. lediglich eine hälftige Zeitgutschrift vorsehe, sei diese Vorschrift europarechtswidrig. Bei geschlossenen Einsätzen stehe der Beamte - anders als bei einer Rufbereitschaft - dem Dienstherrn durchgehend am Arbeitsplatz zur Verfügung, um sofort seine Leistung erbringen zu können. Er habe daher einen Anspruch, dass die Bereitschaftsdienste hinsichtlich des Freizeitausgleichs wie Volldienst behandelt würden. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000 - Rs. C 303/98 -) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. Januar 2011 - 5 LC 178/09 -). Erst Recht sei Arbeitszeit im Sinne des Europarechts gegeben, ziehe man das Urteil des EuGH vom 21. Februar 2018 - C-518/15 - heran. In diesem vom EuGH entschiedenen Fall sei der Betroffene verpflichtet gewesen, dem Ruf seines Arbeitgebers zum Einsatzort innerhalb von acht Minuten Folge zu leisten und an seinem Wohnsitz anwesend zu sein. Er - der Kläger - habe sich hingegen nicht an seinem Wohnsitz aufhalten dürfen oder müssen, sondern sogar an dem vom Dienstherrn jeweils bestimmten Ort des geschlossenen Einsatzes. Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse anlässlich der streitgegenständlichen Einsätze seien auch identisch mit denen der Castor-Transporte, für die das MIK (jetzt: Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen) eine 1:1 Anrechnung als Arbeitszeit vorgenommen habe.
15Nachdem der Vertreter des beklagten Landes auf Anregung des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass er die vom Kläger in der Zeit von Februar 2012 bis Juni 2017 geleisteten weiteren Bereitschaftsdienste in sogenannten geschlossenen Einsätzen in gleicher Weise behandeln werde, wie es sich aus der rechtskräftigen Entscheidung ergebe, hat der Kläger seinen Antrag zu 2. nicht mehr aufrecht erhalten.
16Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
17den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2014 zu verpflichten, die von ihm in sogenannten geschlossenen Einsätzen geleisteten Zeiten des Bereitschaftsdienstes für die Vergangenheit entsprechend seinen Anträgen vom 12. Mai 2011 und 26. Januar 2012 1:1 in die Arbeitszeit einzubeziehen und als Arbeitszeit anzuerkennen.
18Das beklagte Land hat beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Es ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf volle Anerkennung der Zeiten der geschlossenen Einsätze als Arbeitszeit. Maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung von Freizeitausgleich für in Form von Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit sei § 3 Abs. 3 AZVOPol NRW a.F. Diese Vorschrift sehe lediglich eine Stundengutschrift im Verhältnis 2:1 vor. Allein im Rahmen der Castor-Transporte sei durch die Erlasse des MIK vom 17. November 2010 (Az.: 41 - 60.09.02) und vom 17. Februar 2014 (Az.: 403 - 42.02.03) in vollem Umfang Freizeitausgleich für im Zeitraum 2005 bis 2011 als Bereitschaftsdienste geleistete Mehrarbeit gewährt worden. Der Kläger berufe sich auf nicht einschlägige Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitsschutz. So stütze sich das von ihm angeführte Urteil des EuGH vom 3. Oktober 2000 - Rs. C 303/98 - auf zwei EU-Richtlinien ("Grundrichtlinie" 89/391/EWG vom 12. Juni 1989 und die Richtlinie 93/104/EG), die in ihren jeweiligen Art. 1 Abs. 1 die „Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz“ zum Ziel erklärten. Zu Vergütungsfragen könne der EuGH gar keine Vorgaben gemacht haben, weshalb sie von den genannten Richtlinien auch nicht umfasst seien. Unabhängig davon seien die Vorgaben des EuGH-Urteils vom 21. Februar 2018 - C 518/15 -, das die Arbeitsbedingungen von Ärzten in Spanien betreffe, im Fall des Klägers nicht anwendbar, weil Art. 2 Abs. 2 der Grundrichtlinie eine Ausnahme vorsehe, wonach die Richtlinie nicht anwendbar sei, soweit dem Besonderheiten spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei - wie die bei Großereignissen von der Polizei zu bewahrende öffentliche Sicherheit - zwingend entgegenstünden.
21Mit Urteil vom 13. Juni 2018 hat das Verwaltungsgericht das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids vom 9. April 2014 verpflichtet, die vom Kläger geleisteten Bereitschaftsdienstzeiten 1:1 in die Arbeitszeit einzubeziehen und als Arbeitszeit anzuerkennen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid vom 9. April 2014 sei rechtswidrig, da der für den Kläger ungünstige § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol a.F. nicht anzuwenden sei, da er höherrangigem Recht widerspreche. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 10. Juni 2009 - 2 B 26.09 -, und vom 6. Juli 2010 - 2 B 67.09 -) folge, dass der Kläger die Anrechnung des in geschlossenen Einsätzen geleisteten Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im Umfang 1:1 verlangen könne. Das Bundesverwaltungsgericht leite aus dem auch im Beamtenrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (242 BGB) ab, dass bei der Anerkennung als Arbeitszeit und dem anschließenden Freizeitausgleich nicht nach den aktiven und inaktiven Dienstzeiten zu differenzieren sei. Diese vom Bundesverwaltungsgericht für Fälle einer rechtswidrigen Heranziehung zum Dienst entwickelten Grundsätze seien auch bei rechtmäßiger Heranziehung zum Bereitschaftsdienst anzuwenden. Denn ein sachgerechter Grund, zwischen beiden Konstellationen zu differenzieren, bestehe nicht. Auch stelle Bereitschaftszeit in geschlossenen Einsätzen Arbeitszeit im Sinne des Europarechts dar. Ob aus dem Europarecht auch eine 1:1-Gutschrei-bung auf das Arbeitszeitkonto und ein entsprechender Freizeitausgleich folge, könne dagegen aufgrund des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben dahinstehen. Aus dem gleichen Grunde könne dahinstehen, ob ein Anspruch aus Art. 3 GG bestehe.
22Gegen das ihm am 20. Juni 2018 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 9. Juli 2018 die von dem Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassene Berufung eingelegt.
23Es ist der Auffassung, dass dem Kläger für den geleisteten Bereitschaftsdienst entsprechend § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol a.F. eine Dienstbefreiung in einem Verhältnis von 2:1 zu gewähren war, da während der Bereitschaftszeit keine dienstliche Tätigkeit angefallen sei. Die Norm räume dem Dienstherrn kein Ermessen für eine andere Entscheidung ein. Das Europarecht stehe der Anwendung der Norm nicht entgegen. Es liege schon gar keine Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie (RL) 2003/88/EG vor, die Arbeitszeit in Art. 2 Nr. 1 als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer (…) arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“ definiere. Denn der Kläger habe während der Bereitschaftszeiten gerade keine Aufgaben wahrgenommen und auch keine Tätigkeiten ausgeübt. Jedenfalls beschränke sich der Schutzzweck der RL 2003/88/EG auf die Gesunderhaltung der Arbeitnehmer und verhalte sich nicht zum Ausgleich oder zur Vergütung. Sie könne daher nur zur Einhaltung der erforderlichen Ruhezeiten herangezogen werden. Die erforderlichen Ruhezeiten seien vorliegend gewahrt worden. Der vom Kläger verfolgte Ausgleichsanspruch lasse sich auch nicht mit der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschlüsse vom 10. Juni 2009 - 2 B 26.09 - und vom 6. Juli 2010- 2 B 67.09 -) begründen. Nach dieser bestehe ein entsprechender Ausgleichsanspruch nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nur für rechtswidrig geleistete Zuvielarbeit. Mit diesem Anspruch solle der Arbeitgeber für sein rechtswidriges Handeln sanktioniert werden, damit der Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos sei. Bei einer rechtmäßigen Heranziehung zum Bereitschaftsdienst - wie im Streitfall - sei keine Sanktionierung des Arbeitgebers erforderlich. Die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2011 (Az.: 5 LC 178/09) verhalte sich zu einem mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbaren Sachverhalt, weil sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage einer landesrechtlichen Vorschrift (§ 80 Abs. 2 Satz 2 NBG a.F.) mit überobligatorischer Mehrarbeit befasse. Vorliegend habe der Kläger aber keine Mehrarbeit geleistet, sondern im Rahmen der regulären Arbeitszeit rechtmäßig angeordneten Bereitschaftsdienst versehen, für den die entsprechende landesrechtliche Regelung einen hälftigen Zeitausgleich vorgesehen habe. Schließlich ergebe sich der vom Kläger verfolgte Anspruch auch nicht aus Art. 3 GG, da die sogenannten „Castor-Einsätze“ aufgrund der mit ihnen verbundenen außerordentlichen Belastung der Polizeibeamten nicht mit den meisten übrigen Einsätzen - so auch nicht mit den Einsätzen des Klägers - vergleichbar seien. Bei den „Castor-Einsätzen“ sei das Konfliktpotenzial ungleich höher und es bestehe aufgrund des beförderten Materials ein ungleich größeres Gefahrenpotential. Der Zugang zu Sanitär- und Versorgungseinrichtungen sei für die Polizeibeamten erschwert und der dortige Bereitschaftsdienst mit hoher Alarmierungswahrscheinlichkeit angeordnet worden. Der Einsatz sei auch in der Nachschau unter widrigen Umständen und nicht vorhersehbarer Lageentwicklung erfolgt (lange Dienstzeiten bis zu 32 Stunden, sehr kurze Pausenzeiten, überdurchschnittliche körperliche Belastung u.a.). Eine Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Sachverhalten liege daher nicht vor.
24Das beklagte Land beantragt,
25das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
26Der Kläger beantragt,
27die Berufung zurückzuweisen.
28Er vertritt die Auffassung, seine Bereitschaftsdienstzeiten seien Arbeitszeit im Sinne des Unionsrechts. Er habe schon allein deshalb dienstliche Aufgaben wahrgenommen, weil er sich während der geschlossenen Einsätze außerhalb seines privaten Aufenthaltsortes aufhalten und jederzeit mit einer Inanspruchnahme habe rechnen müssen. Auf die Intensität der Inanspruchnahme komme es nicht an. Zu Recht habe das Verwaltungsgericht dem Urteil des EuGH vom 21. Februar 2018 - C-518/15 -, bei dem der Arbeitnehmer die Bereitschaftszeit zu Hause verbracht habe, im Wege des Erst-Recht-Schlusses entnommen, dass der von ihm geleistete Bereitschaftsdienst volle Arbeitszeit darstelle. Des Weiteren sei auf die Urteile des 1. Senats des OVG NRW vom 13. Februar 2020 -1 A 1512/18, 1 A 1671/18, 1 A 1673/18, 1 A 1677/18 und 1 A 1678/18 - zu verweisen, wonach Ruhezeiten im Zusammenhang mit geschlossenem Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu qualifizieren seien.
29Auch folge aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Anrechnung des in geschlossenen Einsätzen geleisteten Bereitschaftsdienstes als Arbeitszeit im Umfang 1:1. Wenn dort schon bei rechtswidriger Zuvielarbeit ein entsprechender Anspruch gewährt würde, müsse dies erst recht bei rechtmäßiger Zuvielarbeit gelten, da der Dienstherr sonst jeweils rechtmäßig Zuvielarbeit ausgleichslos anordnen könne.
30Auf Bitte des Senats hat das Polizeipräsidium C. Ausdrucke des Arbeitszeitkontos des Klägers für die Jahre 2011 und 2012 vorgelegt.
31Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes.
32Entscheidungsgründe
33Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.
34Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Statthafte Klageart ist gemäß § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO die Verpflichtungsklage. Anders als bei der (Grund-)Besoldung, welche sich in der Höhe unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und daher mit der allgemeinen Leistungsklage erstritten werden kann, bedarf es bei der Gewährung eines Ausgleichs wegen geleisteter Bereitschaftsdienste einer vorherigen behördlichen Entscheidung über Grund und Umfang des Anspruchs durch Verwaltungsakt.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 2 C 40.17 -, BVerwGE 161, 377 = juris Rn. 25; OVG NRW, Urteil vom 7. Dezember 2018 - 6 A 2215/15 -, ZBR 2019, 315 = juris Rn. 30 m. w. N.
36Die Klage hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung des beklagten Landes, ihm weiteren Freizeitausgleich im Umfang von 23,5 Stunden für Bereitschaftsdienste zu gewähren, die er in dem Zeitraum April 2011 bis Januar 2012 anlässlich sogenannter geschlossener Einsätze in Bremen, Berlin, Köln und Stuttgart geleistet hat.
37Der wörtlich nur auf die „Einbeziehung in die Arbeitszeit“ und „Anerkennung als Arbeitszeit“ der Zeiten des geleisteten Bereitschaftsdienstes gerichtete Klageantrag ist entsprechend dem Rechtsschutzziel dahingehend auszulegen (vgl. § 88 VwGO), dass der Kläger für weitere 23,5 Stunden Dienstbefreiung erhalten möchte, weil er den vom Dienstherrn vorgenommenen Ausgleich seiner auf Bereitschaftsdienste entfallenden Arbeitszeit im Verhältnis von 2:1 für rechtswidrig erachtet und einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 beansprucht. Dieses Begehren kommt bereits im erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers zum Ausdruck, da er in der Klagebegründung aus der Anerkennung als Arbeitszeit einen Anspruch auf Freizeitausgleich des Bereitschaftsdienstes wie Volldienst gefolgert und geltend gemacht hat, dass Bereitschaftsdienstzeit als volle Arbeitszeit entsprechend auszugleichen sei. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat dieses Verständnis des Antrags in der mündlichen Verhandlung als zutreffend bestätigt.
38Ein Anspruch des Klägers darauf, das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids des Polizeipräsidiums C. vom 9. April 2014 zu verpflichten, ihm für die am 29./30. April 2011, vom 30. April bis 2. Mai 2011, am 6./7. Mai 2011 sowie vom 12. bis 15. Januar 2012 geleisteten Bereitschaftsdienste weitere Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) im Umfang von 23,5 Stunden zu gewähren, besteht nicht. Es liegen weder die Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs wegen rechtswidriger Zuvielarbeit vor (I.), noch gewährt das nationale Recht dem Kläger für den geleisteten Bereitschaftsdienst den begehrten Ausgleich (II.).
39Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der jeweiligen Bereitschaftsdiensteinsätze und nicht die dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegte Rechtslage im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung. Denn das einschlägige materielle Recht, insbesondere § 3 der Verordnung über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. August 1975 (GV. NRW. S. 532), in der vom 1. Dezember 2010 bis zum 18. Januar 2012 geltenden Fassung - AZVOPol NRW a.F. -, knüpft für den Anspruch auf Freizeitausgleich an die Dienstleistung des Polizeibeamten im Bereitschaftsdienst in einem bestimmten Zeitraum an.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 6 A 1219/14 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Urteil vom 5. November 2013 - 5 LB 64/13 -, juris Rn. 28.
41I. Ein Anspruch des Klägers gegen das beklagte Land, die geleisteten Bereitschaftsdienststunden ohne Abzüge durch Dienstbefreiung auszugleichen, ergibt sich nicht unter dem Gesichtspunkt unionsrechtswidrig geleisteter Zuvielarbeit .
42Nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) steht Geschädigten bei Verstößen gegen das Unionsrecht ein Entschädigungsanspruch zu, wenn die unionsrechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an den Geschädigten bezweckt, der Verstoß gegen die Norm hinreichend qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht.
43Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Januar 2010 - C-118/08, Transportes Urbanos y Servicios Generales - Slg. 2010, I-635 = juris Rn. 30, und vom 25. November 2010 - C 429/09, Fuß II - Slg. 2010, I-12167, NZA 2011, 53 = juris Rn. 47.
44Diese Voraussetzungen sind im Fall des Klägers nicht erfüllt. In Betracht kommt allein ein Verstoß gegen Art. 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 (ABl. EG Nr. L 299 vom 18. November 2003, S. 9) über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (RL 2003/88/EG, Arbeitszeitrichtlinie), die auf der Grundlage des Art. 137 EG ergangen ist.
45Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist allerdings in der Rechtsprechung seit langem geklärt, dass der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der RL 2003/88/EG für den vorliegenden Fall eines zu Bereitschaftsdiensten herangezogenen Polizeibeamten eröffnet ist. Polizeibeamte sind insoweit mit Feuerwehrleuten vergleichbar, für die der EuGH mehrfach ausgesprochen hat, dass sie der Arbeitszeitrichtlinie unterfallen.
46Vgl. EuGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - C-52/04 - (Personalrat der Feuerwehr Hamburg), Slg. 2005, I-7111 = juris Rn. 57 ff.; Urteil vom 3. Mai 2012 - C-337/10 - Neidel, ABl. EU 2012, Nr. C 174 S. 4 = NVwZ 2012, 688 = juris Rn. 22, Urteile vom 25. November 2010 - C-429/09 - Fuß II, a. a. O. juris Rn. 33, und vom 14. Oktober 2010 - C-243/09 – Fuß I, Slg. 2010, I-9849, ZBR 2011, 161 = juris Rn. 44.
47Das Bundesverwaltungsgericht ist dem gefolgt und hat auch für Polizisten bereits darauf hingewiesen, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der RL 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. Nr. L 183 S. 1; sogenannte Grundrichtlinie), auf den Art. 1 Abs. 3 RL 2003/88/EG zur Bestimmung ihres Anwendungsbereichs Bezug nimmt, nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen ist und nicht etwa Streitkräfte, Feuerwehr oder Polizei generell, sondern nur für bestimmte in diesen Sektoren wahrgenommene besondere Aufgaben wie etwa bei Natur- oder Technologiekatastrophen und schweren Unglücksfällen von der Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie ausnimmt.
48Vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 2 C 10.12 -, ZBR 2013, 200 = juris Rn. 11, und vom 26. Juli 2012 - 2 C 19.11 -, BVerwGE 143, 381 = juris Rn. 22.
49Um dergleichen geht es bei der Frage des Ausgleichs von Bereitschaftsdienst nicht.
50Die vom Kläger geleistete Bereitschaftsdienstzeit stellt Arbeitszeit im Sinne der RL 2003/88/EG dar. Nach Art. 6 Buchstabe b RL 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. Arbeitszeit ist in Art. 2 Nr. 1 RL 2003/88/EG definiert als „jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt“. Der Begriff der Arbeitszeit ist im Gegensatz zur Ruhezeit zu sehen; beide Begriffe schließen einander aus.
51Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2000 - C-303/98, SIMAP -, Slg 2000, I-7963 = juris Rn. 47, vom 9. September 2003 - C 151/02 - Jaeger, Slg. 2003, I 8389 = juris Rn. 48 und vom 10. September 2015 - C-266/14 - Vorel, Abl. EU 2015, Nr. C 363 = juris Rn. 25.
52Danach liegt in der streitgegenständlichen Bereitschaftsdienstzeit in geschlossenen Einsätzen Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH ist für die Einordnung als „Arbeitszeit“ im Sinne der RL 2003/88/EG ausreichend, dass sich der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen muss, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können. Allein schon diese Verpflichtungen sind als Bestandteil der Wahrnehmung der Aufgaben des Arbeitgebers anzusehen, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer darüber hinaus tatsächlich bestimmte Arbeitsleistung für seinen Arbeitgeber in dieser Zeit tätigt. Unerheblich ist für die Einordnung als Arbeitszeit, ob die in Rede stehenden Bereitschaftsdienste innerhalb der normalen Arbeitszeit oder darüber hinaus geleistet worden sind. Auch Überstunden fallen unter den Begriff der Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie.
53Vgl. EuGH, Urteile vom 21. Februar 2018 - C-518/15 - juris, Rn. 59, vom 3. Oktober 2000 - C-303/98 - SIMAP, a. a. O., juris Rn. 48 bis 52, und vom 9. September 2003 - C-151/02 - Jaeger, a. a. O., juris Rn. 48 ff., und vom 1. Dezember 2005 - C-14/04 - Dellas, Slg. 2005, I-10253 = juris Rn. 46; BVerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 2 C 40.17 -, a. a. O. Rn. 19.
54Der Kläger hat während der o.g. geschlossenen Einsätze seinem Dienstherrn zur Verfügung gestanden und dessen Aufgaben wahrgenommen, indem er sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort (Bremen, Berlin, Köln, Stuttgart) aufhielt und dort jederzeit zu einem Einsatz bereit sein musste. Letztlich geht auch das beklagte Land in der Sache von „Arbeitszeit“ im Rechtssinne aus, gewährt jedoch gestützt auf § 3 AZVOPol NRW a.F. nur einen hälftigen Freizeitausgleich.
55Zuvielarbeit, die auf einen unionsrechtlichen Haftungsanspruch führen könnte, ist im Fall des Klägers jedoch nicht gegeben. Insoweit kommt in Betracht, dass in einem Bezugszeitraum von vier Monaten die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden überschritten hat (Art. 6 Buchstabe b, 16 Buchstabe b RL 2003/88/EG). Das lässt sich für die hier in Streit stehenden Bereitschaftsdienste nicht feststellen. Soweit die Bereitschaftsdienstzeiten des Klägers ausweislich der vom Polizeipräsidium C. vorgelegten Unterlagen nur zur Hälfte dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben worden sind, gibt diese buchhalterische Erfassung nicht die maßgebliche Arbeitszeit im Sinne der Arbeitszeitrichtlinie wieder. Der Senat hat aufgrund der im Berufungsverfahren vorgelegten DMS-Auszüge eigene Berechnungen vorgenommen und sie den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert. Diese haben unter Berücksichtigung eines Bezugszeitraums von vier Monaten auch bei für das beklagte Land angenommener ungünstigster Parameter (Auswahl der aufeinanderfolgenden vier Monate, die die meisten Arbeitsstunden aufweisen) für den Zeitraum Januar 2011 bis Mai 2012 zu keiner Überschreitung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden geführt. Der höchste ermittelte Durchschnittswert beträgt vielmehr für die Monate Februar bis Mai 2011 47,24 Wochenstunden und für die Monate Januar bis April 2012 46,83 Wochenstunden
56II. Auch das nationale Recht gewährt dem Kläger nicht den begehrten Ausgleich.
571. Ein Anspruch auf Freizeitausgleich kann sich zwar auch aus dem auf den Grundsatz von Treu und Glauben gestützten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruch ergeben. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Ausgleichsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in § 242 BGB, der auch im öffentlichen Recht Anwendung findet. Der Grundsatz vermag in dem engen, auf Dauer angelegten Rechtsverhältnis, in dem Dienstherr und Beamter verbunden sind, die nach der jeweiligen Interessenlage gebotenen Nebenpflichten zu begründen.
58St. Rspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 -, ZBR 2003, 383 = juris Rn. 19, und vom 29. September 2011 - 2 C 32.10 -, BVerwGE 140, 351 = juris Rn. 8.
59In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der beamtenrechtliche Ausgleichsanspruch jedoch bislang nur im Hinblick auf Fragen der Arbeitszeit in solchen Fällen anerkannt worden, in denen der Beamte rechtswidrig Zuvielarbeit geleistet hat. Nur für Zuvielarbeit leitet das Bundesverwaltungsgericht aus Treu und Glauben ab, dass die Zeiten des Bereitschaftsdienstes in demselben Umfang ausgeglichen werden müssen wie Vollarbeitszeit, also im Verhältnis 1:1. Zuvielarbeit im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegt vor, wenn der Dienstherr einen Beamten auf der Grundlage einer rechtswidrig zu hoch festgesetzten regelmäßigen Arbeitszeit zum Dienst heranzieht oder ihn über die rechtmäßig festgesetzte regelmäßige Arbeitszeit hinaus in Anspruch nimmt, ohne dass die Voraussetzungen für die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit erfüllt sind.
60St. Rspr, vgl. nur BVerwG, Urteile vom 20. September 2018 - 2 C 45.17 -, BVerwGE 163, 129 = juris Rn. 13 und vom 17. November 2016 - 2 C 22.15 -, juris Rn. 25, jeweils mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des 2. Senats.
61So lag den vom Verwaltungsgericht und vom Kläger zur Begründung ihrer gegenteiligen Rechtsansichten angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts auch jeweils ein Fall der Zuvielarbeit zugrunde, weil mit dem jeweils streitgegenständlichen Bereitschaftsdienst die unionsrechtlich zulässige Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden im Bezugszeitraum überschritten worden war.
62Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juni 2009
63- 2 B 26.09 - juris Rn. 2; vom 6. Juli 2010 - 2 B 67.09 - juris; Urteil vom 29. September 2011
64- 2 C 32/10 -, BVerwGE 140, 351 = juris Rn. 1.
65Von einer vergleichbaren Sachlage ist hier aber nicht auszugehen. Wie bereits ausgeführt, ist eine Überschreitung der unionsrechtlichen Höchstarbeitszeit nicht gegeben. Die durchschnittliche Arbeitszeit des Klägers pro Siebentageszeitraum betrug auch unter Berücksichtigung der Überstunden in den maßgeblichen Bezugszeiträumen weniger als 48 Stunden. Auch ansonsten ergeben sich keine Anhaltspunkte für rechtswidrig getroffene Anordnungen der Bereitschaftsdienste. Die Beteiligten gehen ebenfalls übereinstimmend davon aus, dass der Kläger rechtmäßig zu den in Rede stehenden Bereitschaftsdiensten herangezogen worden ist.
66Die vom Bundesverwaltungsgericht für Fälle einer rechtswidrigen Heranziehung zum Dienst entwickelten Grundsätze zu § 242 BGB können auf die vorliegende Konstellation, in der der Kläger rechtmäßig zum Bereitschaftsdienst in geschlossenen Einsätzen herangezogen worden ist, nicht übertragen werden. Soweit das Verwaltungsgericht eine gegenteilige Rechtsauffassung vertritt und sich im Kern auf die (geänderte) Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2011 stützt,
67vgl. Urteil vom 25. Januar 2011 - 5 LC 178/09 -, ZBR 2011, 260 = juris Rn. 42 f.,
68folgt der Senat dieser nicht. Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist nicht nur ein sachgerechter Grund ersichtlich, zwischen den Konstellationen zu differenzieren. Vielmehr liegt dem vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Anspruch aus Treu und Glauben die Rechtswidrigkeit der Inanspruchnahme konstituierend zu Grunde.
69Ebenso: Hess. VGH, Beschluss vom 20. März 2014 - 1 A 2408/13.Z -, n. v.
70Das Bundesverwaltungsgericht begründet den Anspruch aus Treu und Glauben regelmäßig mit dem Verstoß gegen die europarechtlich vorgegebene Höchstarbeitszeit von 48 Stunden. Den maßgeblichen Entscheidungen lässt sich stets entnehmen, dass Ziel des Anspruches vor allem der Ausgleich eines vom Dienstherrn begangenen Rechtsfehlers ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben verlangt aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts eine von Rücksicht und Redlichkeit geprägte gegenseitige Pflichterfüllung. Geschützt wird das Vertrauen darauf, dass sich der jeweils andere bei seiner Pflichterfüllung an diesen Maßstäben orientiert. Aus § 242 BGB können daher nur Ansprüche hergeleitet werden, soweit ein Pflichtenverstoß auch vorliegt. Nur dann ist das Vertrauen des Beamten schutzwürdig, der Dienstherr werde für die rechtswidrige Heranziehung zu Zuvielarbeit einen Ausgleich schaffen.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. September 2018
72- 2 C 45.17 -, a. a. O. juris Rn. 14 f.
73In Fällen der Zuvielarbeit scheidet nach dieser Rechtsprechung eine Ermäßigung des für die geleisteten Arbeitsstunden anzusetzenden zeitlichen Ausgleichs aus, da ein solcher als Anreiz für die Fortführung einer rechtswidrigen Praxis wirken kann. Dabei kann es nicht darauf ankommen, wie intensiv die Arbeitsleistung war, da die Inanspruchnahme als solche nicht rechtmäßig ist. Außerdem dürfen dem Dienstherrn aus einer unionsrechtswidrigen Praxis keine Vorteile erwachsen. Mögliche normative Anknüpfungspunkte für eine geringere Gewichtung des Bereitschaftsdienstes im innerstaatlichen Recht sind demgegenüber ohne Bedeutung, da sie der Verpflichtung zuwiderlaufen, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011
75- 2 C 32.10 -, a. a. O. = juris Rn. 16 f.
76Der Ausgleich im Verhältnis 1:1 wird daher wegen des Verstoßes gegen die Höchstarbeitszeit gewährt. Ist die Inanspruchnahme zum Bereitschaftsdienst hingegen europarechtskonform, bedarf es keines das treuwidrige Verhalten kompensierenden Ausgleichs und ist ein solcher auch nicht zum Zwecke effektiver Richtliniendurchsetzung („effet utile“) erforderlich. Die vom Kläger zur Begründung seiner gegenteiligen Auffassung angeführte Gefahr, dass dann „Zuvielarbeit“ rechtmäßig und ausgleichslos angeordnet werden könne, besteht nicht. Der regelmäßigen Arbeitszeit und Mehrarbeit sind Grenzen gesetzt, die beim Überschreiten zu Zuvielarbeit führen, die per Definition rechtswidrig ist und die genannten Haftungsansprüche auslösen können.
772. § 61 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW vom 21. April 2009 in der bis zum 28. September 2012 geltenden Fassung (GV. NRW S. 224) - LBG NRW 2009 - scheidet als Anspruchsgrundlage für die Gewährung des vom Kläger begehrten Freizeitausgleichs ebenfalls aus.
78Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 LBG NRW 2009 ist der Beamte verpflichtet, ohne Entschädigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse es erfordern. Wird er durch eine dienstliche angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb eines Jahres für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Mehrarbeit entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren (§ 61 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW 2009). Mehrarbeit ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus - d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs - verrichtet.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2018
80- 2 C 40.17 -, a. a. O., juris Rn. 13.
81"Entsprechende Dienstbefreiung" im Sinne von § 88 Satz 2 BBG, der mit § 61 Abs. 1 Satz 2 LBG NRW 2009 im Wesentlichen vergleichbar ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend auszulegen, dass für Bereitschaftsdienst - ebenso wie für Volldienst - ein Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 zu gewähren ist.
82BVerwG, Beschluss vom 28. November 2018 - 2 B 29.18 -, juris Rn. 8, und Urteile vom 17. November 2016 - 2 C 23.15 -, BVerwGE 156, 262 = juris Rn. 18 sowie vom 17. November 2016 - 2 C 3.16 -, LKV 2017, 174 = juris Rn. 10 zu § 53 Abs. 2 Satz 1 BG BE.
83§ 61 Abs. 1 LBG NRW 2009 findet jedoch vorliegend wegen des Vorrangs des auf der Grundlage des § 111 Abs. 3 LBG NRW 2009 erlassenen § 3 AZVOPol NRW a.F. keine Anwendung. Die Bestimmungen der AZVOPol NRW a.F. gehen als besondere Regelung im Sinne der §§ 110 Abs. 1, 111 Abs. 3 LBG NRW 2009 § 61 Abs. 1 LBG NRW 2009 in ihrem Anwendungsbereich vor.
84Vgl. Schrapper/Günther, LBG NRW, 2. Auflage 2017, § 110 Rn. 3 ff.; Brockhaus in: Schütz/ Maiwald, Beamtenrecht-Kommentar, 26 UPD September 2020, § 110 Rn. 3.
85Gemäß § 110 Abs. 1 LBG NRW 2009 gelten die Vorschriften des LBG NRW nur, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist. Gemäß § 111 Abs. 3 LBG NRW 2009 erlässt das Innenministerium durch Rechtsverordnung besondere Bestimmungen über die Arbeitszeit der Polizeivollzugsbeamten, insbesondere über - unter anderem - den Bereitschaftsdienst und die Rufbereitschaft (Nr. 3). Diese Vorschriften ermöglichen es, den spezifischen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes insoweit Rechnung zu tragen.
86Schrapper/Günther, LBG NRW, a. a. O. § 110 Rn. 5.
87In Bezug auf die Arbeitszeit der nordrhein-westfälischen Polizeivollzugsbeamten und insbesondere den polizeilichen Bereitschaftsdienst existieren solche die allgemeine, für jeden Landesbeamten geltende Vorschrift des § 61 Abs. 1 LBG NRW 2009 über die Mehrarbeit verdrängende Bestimmungen in Gestalt der auf Grundlage der Ermächtigung in § 111 Abs. 3 Nr. 3 LBG NRW 2009 bzw. der Vorgängernorm des § 187 Abs. 2 LBG NRW in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Mai 1970 (GV. NW. S. 344), erlassenen AZVOPol NRW a.F.
883. Auch § 3 AZVOPol NRW a.F. begründet keinen Anspruch des Klägers, die geleisteten Bereitschaftsdienststunden in vollem Umfange, d.h. im Verhältnis 1: 1 auszugleichen. Die Bestimmungen der § 3 AZVOPol NRW a.F. finden bezüglich der im April und Mai 2011 und im Januar 2012 vom Kläger geleisteten Bereitschaftsdienste in der bis zum 18. Januar 2012 geltenden Fassung Anwendung. Sie schließen einen weitergehenden als den vom Polizeipräsidium C. bereits gewährten Freizeitausgleich im Umfang von 23,5 Stunden aus.
89a) Die Voraussetzungen für einen Anspruchs auf die Gewährung von Freizeitausgleich für geleistete Bereitschaftsdienststunden im Verhältnis 1:1 aus § 3 Abs. 4 AZVOPol NRW a.F. liegen nicht vor. Gemäß dieser Bestimmung ist die Zeit der dienstlichen Tätigkeit in vollem Umfange auf die - vollwertige - Arbeitszeit anzurechnen, wenn Polizeivollzugsbeamte während des Bereitschaftsdienstes dienstlich tätig werden. Aus dem Wortlaut „während des Bereitschaftsdienstes“ ergibt sich, dass das dienstliche Tätigwerden eine zusätzliche Voraussetzung zum Bereitschaftsdienst darstellt. Es werden nur aktive Zeiten erfasst, in denen sich der Polizeibeamte nicht nur an dem vom Dienstherrn bestimmten Ort aufhält und diesem zur Verfügung steht, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können, sondern vielmehr solche geeigneten Leistungen tatsächlich erbringt, also aktiv dienstlich tätig wird. Der Kläger ist während der streitgegenständlichen Bereitschaftsdienste nicht aktiv dienstlich tätig geworden. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
90b) § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F. führt nicht auf die vom Kläger begehrte Rechtsfolge, weil diese Bestimmung einen Ausgleich von Bereitschaftsdienstzeiten im Verhältnis 2:1 regelt. Entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts durfte das Polizeipräsidium C. die Anträge des Klägers auf Gewährung weiterer 23,5 Stunden Freizeitausgleichs für 47 Stunden Bereitschaftsdienst unter Berufung auf diese Norm ablehnen. Der sich für den Kläger aus § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F. ergebende Ausgleichsanspruch war im Zeitpunkt des Bescheiderlasses bereits erfüllt.
91Nach § 3 Abs. 3 AZVOPol NRW a.F. kann für die Bereitschaftspolizei Bereitschaftsdienst über die in Absatz 2 bestimmte Zeit hinaus angeordnet werden, wenn die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung es zwingend erfordern. Für den über diese Zeit hinausgehenden Bereitschaftsdienst ist Dienstbefreiung in angemessener Zeit zu gewähren. Die Dienstbefreiung beträgt die Hälfte der die in Absatz 2 bestimmte Zeit übersteigenden Arbeitszeit (§ 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F.).
92§ 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F. unterliegt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts keinen zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führenden unionsrechtlichen Bedenken. Die nationalen Gerichte haben ebenso wie die Verwaltungsorgane nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs das Unionsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem sie entgegenstehende Vorschriften des innerstaatlichen Rechts gegebenenfalls unangewendet lassen.
93Vgl EuGH, Urteile vom 7. September 2017 - C-174/16 -, juris Rn. 70, vom 25. November 2010 - C 429/09 -, a. a. O., juris Rn. 40, und vom 14. Oktober 2010 - C 243/09 -, a. a. O. juris Rn. 63.
94Das Unionsrecht gebietet jedoch keine Außerachtlassung von § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F. und keine Auslegung des § 3 Abs. 3 Satz 2 AZVOPol NRW a.F. dahin, dass als „Dienstbefreiung in angemessener Zeit“ nur ein Freizeitausgleich für rechtmäßig geleistete Bereitschaftsdienste im Verhältnis 1:1 in Betracht kommt. Denn das Gemeinschaftsrecht fordert eine Gleichsetzung des Bereitschaftsdienstes mit dem Volldienst nur im Interesse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes hinsichtlich der Arbeitszeit, nicht aber hinsichtlich der Gewährung von Freizeitausgleich. Eine Bestimmung dazu, dass der nationale Gesetzgeber in keinem Fall außerhalb arbeitsschutzrechtlicher Zusammenhänge zwischen Bereitschaftsdienst und Volldienst unterscheiden dürfe, er also Besonderheiten des Bereitschaftsdienstes auch in anderen rechtlichen Zusammenhängen ausblenden müsste, enthält die Arbeitszeitrichtlinie nicht.
95Ebenso: Nds. OVG, Urteil vom 18. Juni 2007 - 5 LC 225/04 -, juris Rn. 70 ff. OVG NRW, Urteil vom 7. Mai 2009 - 1 A 2652/07 -, juris Rn 124; OVG Bremen, Beschluss vom 29. Mai 2008 - 2 B 182/08 -, juris Rn. 23, jeweils zum Freizeitausgleich für Feuerwehrbeamte.
96Bereits aus dem Wortlaut von Art. 1 der RL 2003/88/EG geht hervor, dass die Richtlinie sich auf die Aufstellung von Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung im Hinblick auf tägliche Ruhezeiten, Ruhepausen, wöchentliche Ruhezeiten, wöchentliche Höchstarbeitszeit, Jahresurlaub sowie Aspekte der Nacht- und Schichtarbeit und des Arbeitsrhythmus beschränkt. Durch die Arbeitszeitrichtlinie werden Mindestvorschriften festgelegt, die dazu bestimmt sind, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Union durch Gewährung von - u. a. täglichen und wöchentlichen - Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie die Festlegung einer Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit soll einen besseren Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten.
97Vgl. EuGH, Urteile vom 25. November 2010 - C 429/09 -, a. a. O. juris Rn. 43; vom 14. Oktober 2010 - C 243/09 -, a. a. O. juris Rn. 32; vom 5. Oktober 2004 - C 397/01 u.a - Pfeiffer -, a. a. O. juris Rn. 76 und 91; vom 1. Dezember 2005, Dellas u. a., C‑14/04, a. a. O., juris Rn. 40 und 41, und vom 7. September 2006 - C‑484/04 – Kommission/Vereinigtes Königreich, Slg. 2006, I‑7471, juris Rn. 35 und 36.
98Zu diesen Schutzzwecken der RL 2003/88/EG steht § 3 Abs. 3 Satz 3 AZVOPol NRW a.F. in keinem Widerspruch. Die volle Wirksamkeit der Ziele des Unionsrechts ist nicht gefährdet.
99Vgl. EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2005
100- C 14/04, Dellas -, a.a.O. Rn. 53.
101Die Beachtung der europarechtlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden/Woche und damit die Freihaltung der Freizeit wird durch den unfaktorisierten Eingang des Bereitschaftsdienstes in die Berechnung der Gesamtwochenarbeitszeit gewährleistet. Soweit in § 3 Abs. 2 AZVOPol NRW a.F. noch eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 51 gestattet war, bedarf diese Bestimmung allerdings einer unionsrechtskonformen Auslegung. § 3 Abs. 2 AZVOPol NRW in der seit dem 29. Dezember 2012 geltenden Fassung (GV. NRW S. 557) schreibt die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Wochenstunden ausdrücklich fest.
102Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 1. Senats des erkennenden Gerichts davon aus, dass die unionsrechtliche Verpflichtung, Voll- und Bereitschaftsdienst bei der Berechnung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit gleich zu bewerten, darin begründet liegt, dass beide Arten von Dienst in Bezug auf den zu wahrenden Arbeits- und Gesundheitsschutz (vgl. Erwägungsgrund 1 der RL 93/104/EG sowie Erwägungsgrund 2 der RL 2003/88/EG) als gleich belastend zu betrachten sind. Davon zu trennen ist die Frage, mit welcher Wertigkeit unterhalb der 48-Stunden-Grenze geleistete Mehrarbeit auszugleichen ist.
103Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Mai 2009
104- 1 A 2652/07 -, a. a. O. Rn 124.
105Insoweit hat der EuGH klargestellt, dass der Anwendungsbereich der Arbeitszeitrichtlinie sich schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht auf Fragen der Vergütung oder des Schadensersatzes erstreckt (Art. 137 Abs. 6 EG bzw. Art. 153 Abs. 5 AEUV). .
106Vgl. EuGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 - C 437/05, Vorel, a. a. O., juris Rn. 32 und vom 25. November 2010 - C-429/09, Fuß, a. a. O. Rn. 44; BVerwG, Urteil vom 17. November 2016 - 2 C 23.15 -, juris Rn. 20., BAG, Urteil vom 5. Juni 2003 - 6 AZR 114/02 -, ZTR 2004, 137 = juris Rn. 60.
107Darüber hinaus hat der EuGH zur Begründung seiner Auffassung, die Richtlinie 93/104/EG - die Vorgängerrichtlinie zur Arbeitszeitrichtlinie - finde keine Anwendung auf die Frage der Vergütung der Arbeitsnehmer, auf Zielsetzung und Wortlaut ihrer Bestimmungen verwiesen.
108EuGH, Urteil vom 1. Dezember 2005 - C-14/04 - Dellas, a. a. O., juris Rn. 38.
109Hierbei ist von Bedeutung, dass die RL 93/104/EG ebenso wie die RL 2003/88/EG die Frage von Freizeitausgleich nicht etwa ausdrücklich regelt, sondern dazu - lediglich - schweigt. Diese Erwägungen lassen sich allgemein auf Kompensationsregelungen für rechtmäßige Mehrarbeit, insbesondere durch Freizeitausgleich, übertragen.
110Die Gewährung von Freizeitausgleich soll ebenso wie (Mehrarbeits-)Vergütung für zu viel geleistete Arbeit - alternativ - die über das in den Grenzen der 48 Stunden zulässige Maß hinaus erfolgte Inanspruchnahme durch den Dienstherrn kompensieren; beides ist insofern seiner Zweckrichtung nach vergleichbar. Erfordert das Gemeinschaftsrecht eine Gleichsetzung des Bereitschaftsdienstes mit dem Volldienst nur im Interesse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes hinsichtlich der Arbeitszeit, schließt es eine Differenzierung zwischen verschiedenen Formen von Arbeitszeit außerhalb der von ihm geregelten Zusammenhänge im nationalen Recht nicht aus. Der deutsche Gesetzgeber darf Bereitschaftsdienst und Volldienst danach unterschiedlich vergüten oder unterschiedlichen Freizeitausgleich gewähren.
111Vgl. hierzu auch: Nds. OVG, Urteil vom 18. Juni 2007 - 5 LC 225/04 -, a. a. O. Rn. 72; OVG NRW, Urteil vom 7. Mai 2009 - 1 A 2652/07 -, a. a. O. Rn 124.
112Die Arbeitszeitrichtlinie schließt es insbesondere nicht aus, den Freizeitausgleich für Bereitschaftsdienst in Abhängigkeit von Intensität und Effektivität zu regeln. Während des Bereitschaftsdienstes im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3 AZVOPol NRW a.F. wird der Polizeibeamte nicht ununterbrochen beschäftigt. Vielmehr hat er sich an dem vom Dienstherrn bestimmten Ort für einen jederzeitigen Einsatz bereitzuhalten. Danach ist der Bereitschaftsdienst durch überwiegende Phasen der Ruhe und Entspannung geprägt. Diese Unterschiede rechtfertigen eine ungleiche Behandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG im Vergleich zu Bereitschaftsdienst mit dienstlicher Inanspruchnahme.
113Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2004
114- 2 C 9.03 -, NVwZ 2004, 1255 = juris Rn. 14 f. zur Mehrarbeitsvergütung für Bereitschaftsdienst in Bezug auf die RL 93/104/EG.
115Soweit das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen zur Mehrarbeit, in denen es den Klägern aufgrund von § 88 Abs. 2 BBG oder vergleichbarer landesrechtlicher Bestimmungen einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 zuerkannt hat, sein Ergebnis als mit Unionsrecht in Einklang stehend gesehen hat,
116BVerwG, Urteil vom 17. November 2016
117- 2 C 23.15 -, a. a. O.,
118ergibt sich aus dieser Rechtsprechung nichts Abweichendes. Entscheidend ist, dass der von der Richtlinie verfolgte Mindestschutz auch bei hälftigem Ausgleich gewährleistet ist und insoweit kein Europarechtsverstoß feststellbar ist. Die vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang am Rande angesprochene Gefahr, dass die betroffenen Beamten bei nicht vollwertigem Ausgleich gegebenenfalls mehr als die in der Arbeitszeitrichtlinie festgelegten 48 Wochenstunden arbeiten müssen, besteht nicht. Wie bereits ausgeführt sind Bereitschaftsdienststunden stets in vollem Umfang auf die Wochenarbeitszeit anzurechnen. Im Übrigen kann die Gefahr eine Überschreitung der 48-Stunden-Grenze auch bei vollwertigem Ausgleich gegeben sein, wenn dieser nämlich nach Ablauf des maßgeblichen Bezugszeitraums von vier Monaten erfolgt.
1194. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1:1 aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer durch die Erlasse des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. März 2011 (Az.: 45.2 - 45.02.03) und vom 17. Februar 2014 (Az.: 403 - 42.02.03) geprägten Verwaltungspraxis. Insoweit kann offen bleiben, ob diese Erlasslage überhaupt mit der klaren Regelung in § 3 AZVOPol NRW a.F. in Einklang zu bringen ist und ob eine ggfs. anzunehmende Normabweichung zulässig wäre. Denn durch die benannten Erlasse wurde jedenfalls keine Verwaltungspraxis bezüglich Bereitschaftsdienste in geschlossenen Einsätzen im Allgemeinen begründet. Vielmehr heben diese ausdrücklich auf die Besonderheiten der Castor-Einsätze ab und wollen ersichtlich für andere geschlossene Einsätze keine Regelung treffen.
120Hiervon abgesehen könnte sich ein Anspruch auf Gleichbehandlung nur ergeben, wenn die Fallgestaltungen gleichgelagert wären.
121Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 - 8 C 18.16 –, BVerwGE 160, 193 = juris Rn. 21.
122Das ist nicht der Fall. Das beklagte Land hat dargelegt, warum die durch Erlasse abweichend geregelten Bereitschaftsdienste anlässlich der Castor-Einsätze sich wesentlich von gewöhnlichen Bereitschaftsdiensten (hier anlässlich von Versammlungen in Städten) bei geschlossenen Einsätzen unterscheiden. Die Bereitschaftsdienste bei Castor-Einsätzen waren auch, wenn es während diesen zu keinem Einsatz gekommen ist, in besonderem Maße davon geprägt, dass nur ein erschwerter Zugang zu Sanitär- und Versorgungseinrichtungen, lange Dienstzeiten von bis zu 32 Stunden und eine hohe Alarmierungswahrscheinlichkeit bestanden. Hinzu kam die auch während der inaktiven Dienstzeiten vorherrschende außerordentliche Gefahrensituation aufgrund des beförderten Materials. Intensität des Einsatzes und Belastung der Beamten auch während der inaktiven Dienstzeiten sind mit der Intensität und Belastung eines üblichen Bereitschaftsdienstes in geschlossenen Einsätzen nicht vergleichbar.
1235. Auf die Fürsorgepflicht des Dienstherrn (§ 45 BeamtStG) lässt sich ein Anspruch des Klägers auf Freizeitausgleich nicht stützen. Aus der Fürsorgepflicht ergeben sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann Leistungsansprüche, wenn andernfalls die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt wäre. Den Wesenskern der Fürsorgepflicht können allenfalls unzumutbare Belastungen des Beamten berühren. Von einer solchen unzumutbaren Belastung kann vorliegend keine Rede sein, weil die wöchentliche Arbeitszeit zwar überschritten wird, dabei aber immer noch unter der höchstzulässigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden bleibt.
124Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO.
125Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
126Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 BRRG nicht gegeben sind. Der Annahme der grundsätzlichen Bedeutung von Fragen der Auslegung der AZVOPol NRW a.F. gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO steht entgegen, dass sie sich auf ausgelaufenes Recht beziehen, das keiner Vereinheitlichung durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Gesichtspunkt der Fortentwicklung des Rechts bedarf. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass Rechtsfragen, die ausgelaufenes Recht betreffen, ungeachtet anhängiger Fälle regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zukommt. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn das ausgelaufene Recht noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in unabsehbarer Zukunft von Bedeutung ist.
127Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - 4 B 37/12 -, juris Rn. 5.
128So liegt es hier jedoch nicht. Nachdem am 1. Juli 2017 die AZVOPol NRW in ihrer Neufassung in Kraft getreten ist, die für den Freizeitausgleich von Bereitschaftsdienst in § 9 Abs. 3 eine abweichende Regelung trifft (GV. NRW. 2017 S. 576), kann die Frage des Ausgleichs von Bereitschaftsdienst nach der AZVOPol NRW a.F. nur noch für eine feststehende Zahl von Fällen von Bedeutung sein, die sich in der Vergangenheit ereignet haben.
129Da die Revision wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 127 Nr. 1 BRRG ein Unterfall der Grundsatzrevision ist, ist die Revision aus den gleichen Gründen auch nicht wegen der Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2011 - 5 LC 178/09 -, a. a. O., zuzulassen. Abgesehen davon ist dieses Urteil vom Bundesverwaltungsgericht wegen des Abschlusses eines Vergleichs zwischen den Beteiligten durch Beschluss vom 19. September 2013 - 2 C 10.11 - für wirkungslos erklärt worden.
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