Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 612/14
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Der am 3. Oktober 1962 geborene Kläger stand bis zu seiner Zurruhesetzung– seit Juli 2002 als Posthauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8 BBesO) – im Dienst der Beklagten.
3Am 1. Oktober 1991 wurde der Kläger im Dienst Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls. Laut Dienstunfallanzeige vom 4. Oktober 1991 sei der Kläger von zwei maskierten Männern mit vorgehaltener Pistole daran gehindert worden, das Postamt M. zu verlassen. Im Postamt seien ihm die Hände auf dem Rücken mit Klebeband verschnürt worden. Gleichzeitig habe er mehrere Schläge mit der Pistole auf Kopf und Schulter erhalten. Der Kläger habe Platzwunden am Kopf und Prellungen an der Schulter erlitten. Als Nachwirkungen der Schläge habe er starke Kopfschmerzen und Schmerzen in Schulterbereich verspürt.
4Infolge des Überfalls war der Kläger vom 2. Oktober 1991 bis zum 14. Dezember 1991 sowie vom 28. Januar 1992 bis zum 9. März 1992 dienstunfähig.
5In der Folgezeit befand sich der Kläger wegen einer „Depressiven Neurose“ wiederholt in stationärer, zum Teil mehrmonatiger Behandlung in verschiedenen Kliniken. Zwischen den Behandlungen war er – mit Einschränkungen – im Dienst. Ferner litt der Kläger unter Alkoholsucht und entwickelte einen Hang zu pathologischem Spielen.
6Unter dem 20. März 2000 teilte die Betriebliche Sozialberatung E. der Deutschen Post AG der Unfallkasse Post und Telekom mit: Der Kläger habe angegeben, seit dem Ereignis aus Oktober 1991 mit seinem Leben "nicht mehr richtig fertig zu werden". Seine Ehe sei geschieden worden. Er habe sich auch mehrfach in stationärer psychotherapeutischer Behandlung befunden. Ferner sei er wegen Suchtmittelabusus in verschiedenen Fachkliniken gewesen, so seit dem 24. Februar 2000 in der Klinik M1. . Der Kläger befürchte, dienstunfähig zu werden, und bitte, die Erkrankungen als Folge des Dienstunfalles anzuerkennen.
7Auf den Antrag des Klägers bewilligte die Unfallkasse Post und Telekom mit Bescheid vom 16. August 2000 wegen des am 1. Oktober 1991 erlittenen Dienstunfalls für den Zeitraum vom 1. Oktober 1991 bis zum 11. Juni 1992 einen Unfall-ausgleich nach Maßgabe eines Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 vom Hundert Im Widerspruchsverfahren verlängerte die Beklagte den Unfall-ausgleich im Vergleichswege bis zum 14. November 1992.
8Ausweislich eines Formblatts zur Ermittlung eines persönlichen Zeitzuschlags hatte der Kläger im März 2008 einen Grad der Behinderung von 60 vom Hundert. Als Art der Leistungsminderung war angegeben: "Probleme mit dem Bewe-gungs-/Stützapparat, Knie-OP und Bandscheibenvorfall führen zu Einschränkungen beim Stehen und Gehen am Arbeitsplatz."
9Ab dem 10. April 2008 war der Kläger dienstunfähig erkrankt.
10Nach der Bescheinigung des Chefarztes Dr. med. T. , Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie, Rehabilitative und Physikalische Medizin, vom 7. August 2008 befand sich der Kläger vom 7. August 2008 bis zum 28. August 2008 zur stationären Anschlussheilbehandlung in der Klinik M2.-----platz GmbH (Orthopädische Rehabilitationsklinik) in Bad T1. .
11Vom 17. November 2008 bis zum 3. Januar 2009 nahm der Kläger – noch dienstunfähig erkrankt – auf eigenen Antrag an einer stufenweisen Wiedereingliederung für eine Schaltertätigkeit teil. In diesem Zusammenhang fand eine arbeitsmedizinische Untersuchung durch den damaligen Betriebsarzt der Deutschen Postbank AG, Arzt für Arbeitsmedizin und Sozialmedizin Dr. H. , statt.
12In der Zeit vom 2. Juni 2009 bis zum 5. Juli 2009 fand eine weitere von Dr. H. befürwortete Wiedereingliederungsmaßnahme statt.
13Ab Anfang Juni 2010 war der Kläger erneut dienstunfähig erkrankt. Vom 9. Juni 2010 bis 18. August 2010 befand er sich in stationärer psychotherapeutischer Behandlung in der LWL Klinik M1. , Abteilung Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin.
14Die ärztlich empfohlene weitere stufenweise Wiedereingliederung des Klägers sollte ab dem 1. September 2010 bis zum 10. Oktober 2010 stattfinden. Der Kläger brach diese Maßnahme am 13. September 2010 aus gesundheitlichen Gründen ab. Daraufhin wurde ein Zurruhesetzungsverfahren eingeleitet.
15Der Betriebsarzt Dr. H. untersuchte den Kläger im Auftrag des Vorstands der Deutschen Postbank AG am 11. Oktober 2010 auf seine Dienstfähigkeit. In dem – nach Auswertung und Würdigung ihm vorliegender Fremdbefunde erstellten – Zurruhesetzungsgutachten vom 13. Oktober 2010 befand Dr. H. den Kläger aus ärztlicher Sicht als dauernd dienstunfähig und teildienstunfähig im Sinne des § 42 Abs. 1 BBG. Als "Zurruhesetzungsdiagnose" gab Dr. H. an: "Verschleiß der Wirbelsäule und der große Gelenke, künstliches Kniegelenk rechts“. Als "Diagnosen" führte er auf: "Verschleißleiden LWS und HWS, Wirbelsäulensyndrom; Polyarthrose, künstliches Kniegelenk rechts; Depressive Störung".
16Unter dem 26. Oktober 2010 teilte der Vorstand der Deutschen Postbank AG dem Kläger die Absicht mit, ihn wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen, und gab ihm Gelegenheit, Einwendungen zu erheben. Wegen der Dienstunfähigkeit wurde auf die Untersuchung durch den Betriebsarzt Dr. H. und dessen Gutachten Bezug genommen.
17Weder der Kläger noch der beteiligte Betriebsrat oder die Schwerbehindertenvertretung erhoben hiergegen Einwendungen.
18Im November 2010 bat der Kläger Dr. H. um eine Nachbegutachtung, damit er unfallbedingt in den Ruhestand versetzt werden könne. Dr. H. leitete dies an den Vorstand der Deutschen Postbank AG weiter mit dem Bemerken, es bedürfe hierzu der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens.
19Mit Bescheid des Vorstandes der Deutschen Postbank AG – Zentrale – vom 10. Januar 2011 wurde der Kläger ohne Angabe weiterer Gründe mit Ablauf des 31. Januar 2011 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
20Mit Festsetzungsbescheid vom 19. Januar 2011 setzte die Deutsche Post AG (SNL HR Deutschland, Versorgungscenter) die Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 70,24 % und unter Berücksichtigung eines Versorgungsabschlags von 10,8 % sowie eines Unterschiedsbetrages für zwei Kinder auf eine Höhe von monatlich 1.807,30 Euro fest.
21Mit Bescheid vom 26. April 2011 lehnte es die Deutsche Post AG ab, dem Kläger Unfallruhegehalt zu gewähren. Zur Begründung führte sie an, nach Auswertung der bereits vorliegenden ärztlichen Gutachten und Unterlagen könnten die unfallbedingten Befunde nicht als wesentlich mitwirkende und damit rechtlich relevante Ursachen für die Dienstunfähigkeit angesehen werden.
22Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Bescheid vom 13. April 2012 zurückgewiesen. Es fehle an der erforderlichen Kausalität des Dienstunfalls für die Dienstunfähigkeit und Zurruhesetzung. Wesentlicher Grund für die vorzeitige Zurruhesetzung seien die körperlichen Beeinträchtigungen im Bewegungs- und Stützapparat des Klägers gewesen. Die im Zurruhesetzungsgutachten mitdiagnostizierten depressiven Störungen fänden nach den vorliegenden ärztlichen Berichten und Gutachten ihre Ursache im Übrigen nicht in dem Dienstunfall aus dem Jahre 1991, sondern in unfallfremden Umständen.
23Am 11. Mai 2012 hat der damals in M. wohnhafte Kläger Klage bei dem Verwaltungsgericht Münster erhoben, das in der Rechtsmittelbelehrung des Widerspruchsbescheides als zuständiges Gericht angegeben war.
24Das Verwaltungsgericht Münster hat sich mit Beschluss vom 27. Dezember 2012 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtstreit an das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.
25Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, während des Raubüberfalls vom 1. Oktober 1991 habe er gefesselt und geknebelt mit anhören müssen, wie einer der Täter den anderen aufgefordert habe, ihn zu ermorden. Unter den Folgen dieses Erlebnisses, das nicht normal zu bewältigen sei und sein ganzes späteres Leben negativ beeinflusst habe, leide er bis heute. So habe er bis heute Angstzustände, Schweißausbrüche und Albträume. Sowohl seine Scheidung als auch die Entwicklung seiner Alkoholsucht, die im Wege der Suchtverlagerung im Jahr 1997 durch eine Spielsucht abgelöst worden sei, seien Folgen des Raubüberfalls gewesen. Vor dem Raubüberfall habe er ein altersentsprechendes Trinkverhalten an den Tag gelegt und nicht geraucht. Denke man sich die als Zurruhesetzungsdiagnose angeführten orthopädischen Probleme hinweg, wäre er allein aufgrund der Folgen des Raubüberfalls dienstunfähig. Im Übrigen beruhe das Zurruhesetzungsgutachten auf falschen Voraussetzungen. In dem Gutachtenauftrag sei angegeben worden, Dienstunfälle seien nicht bekannt. Dr. H. habe ihn nur oberflächlich untersucht und seinen Hinweis auf den Raubüberfall und dessen Folgen nicht ausreichend berücksichtigt.
26Der Kläger hat beantragt,
27die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2012 zu verpflichten, dem Kläger Unfallruhegehalt zu gewähren.
28Die Beklagte hat beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, die Klage sei bereits wegen des vergleichsweise festgestellten Abschlusses des Dienstunfalls unbegründet. Jedenfalls stehe dem Anspruch entgegen, dass in dem Zurruhesetzungsgutachten von Dr. H. als Zurruhesetzungsdiagnose allein orthopädische Erkrankungen genannt worden seien, nicht aber die in dem Gutachten ebenfalls angesprochene depressive Störung. Der Raubüberfall könne allenfalls eine Gelegenheitsursache für die aktuellen – 20 Jahre später – bestehenden psychischen Probleme des Klägers darstellen. Der Kläger habe bereits vor dem Überfall eine labile Persönlichkeitsstruktur aufgewiesen, aufgrund derer die latent vorliegende Alkohol‑ und Spielsucht so leicht ansprechbar gewesen sei, dass auch ein anderes Ereignis, wie zum Beispiel die Ehescheidung, letztlich zu diesem Erfolg geführt hätte.
31Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36 BeamtVG seien nicht erfüllt. Die Dienstunfähigkeit des Klägers, die zu seiner Zurruhesetzung geführt habe, sei nach dem für das Dienstunfallrecht geltenden Ursachenbegriff nicht – als wesentliche Ursache – auf den Dienstunfall vom 1. Oktober 1991 zurückzuführen. Diese Bewertung stütze sich insbesondere auf die von dem Betriebsarzt Dr. H. in seinem "Zurruhesetzungsgutachten" angegebene "Zurruhesetzungsdiagnose", die sich ausschließlich auf Krankheiten des orthopädischen Fachgebiets beziehe. Dass bei dem Kläger auch ein psychisches Leiden in Form einer depressiven Störung bestanden habe, habe Dr. H. in seinem Gutachten mit berücksichtigt, nämlich etwa bei den "Diagnosen" mit angeführt. Er habe dieses Leiden aber offenkundig nicht als Ursache für die Dienstunfähigkeit eingestuft. Den weiteren in dem Verfahren vorliegenden medizinischen Stellungnahmen sei eine ausdrückliche oder inhaltliche Aussage dahin, dass der Kläger als Folge des Raubüberfalls in der Postfiliale dienstunfähig geworden wäre, ebenfalls nicht zu entnehmen. Dass teilweise ein Zusammenhang zwischen dem Überfall und den psychischen Beschwerden des Klägers dargestellt werde, reiche hierfür nicht aus. Vor diesem Hintergrund habe auch kein Anlass bestanden, den Sachverhalt etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens weiter aufzuklären.
32Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 28. April 2016 zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend:
33Er sei dienstunfallbedingt in den Ruhestand versetzt worden. Die in dem Zurruhesetzungsgutachten dargestellten orthopädischen Diagnosen hätten im maßgeblichen Zeitpunkt der Zurruhesetzung nicht zu seiner Dienstunfähigkeit geführt. Dieses Gutachten sei nicht schlüssig und nachvollziehbar. Es werde an keiner Stelle erläutert, wie sich die Diagnosen im Einzelnen auf die Fähigkeit auswirkten, dienstliche Verrichtungen durchzuführen. Demzufolge hänge auch die Bewertung "dauernde Dienstunfähigkeit und Teildienstunfähigkeit" in der Luft. Die festgestellten orthopädischen Verschleißleiden, die so oder ähnlich bei vielen älteren Menschen vorlägen, führten üblicherweise nicht zu einem solchen Ergebnis. Hinzu komme, dass der Betriebsarzt kein Facharzt auf orthopädischem Gebiet sei und er ihn auch gar nicht näher untersucht habe. Er habe ihn lediglich gefragt, ob er zur Ruhe gesetzt werden "wolle". Das habe er bejaht, weil er sich aufgrund der psychischen Probleme nicht dienstfähig gefühlt habe. Eine plausible Erklärung für das Ergebnis des betriebsärztlichen Gutachtens ergebe sich ferner nicht aus der von Dr. H. mitberücksichtigten Bescheinigung seines damals behandelnden Orthopäden. Es fehle dort ebenfalls an einer näheren Begründung für die – im Übrigen von Dr. L. nur im Zusammenhang mit den neurologisch/psychiatrischen Erkrankungen – vorgenommene Bewertung zur Dienstunfähigkeit. Sein aktuell behandelnder Orthopäde habe ihn in der Stellungnahme vom 21. März 2014 trotz Diagnosen mit Krankheitswert mangels wesentlicher funktioneller Einschränkung im Bewegungsapparat mit geringfügigen Einschränkungen für voll arbeitsfähig gehalten. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass sich sein Zustand seit dem Zeitpunkt seiner Versetzung in den Ruhestand verbessert habe. Völlig unschlüssig sei die Einbeziehung seines künstlichen Kniegelenks rechts in die Zurruhesetzungsdiagnose des Betriebsarztes. Konkrete nachteilige Folgen, die Einfluss auf die Dienstfähigkeit hätten, würden insoweit nicht beschrieben. Er sei allerdings im Zeitpunkt seiner Versetzung in den Ruhestand tatsächlich dienstunfähig gewesen. Dies habe auf einem psychischen Leiden beruht, das durch den Dienstunfall vom 1. Oktober 1991, den bewaffneten Raubüberfall im Postamt M. , verursacht worden sei. Das Zurruhesetzungsgutachten sei hierzu völlig unergiebig. Der Dienstunfall werde zwar erwähnt, aber zeitlich falsch eingeordnet. Hinsichtlich der bei den Diagnosen erwähnten "depressive(n) Störung" werde nicht ausgeführt, inwiefern diese negative Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Dienstleistung habe. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, aus den weiter vorliegenden medizinischen Stellungnahmen ergebe sich nichts Genügendes für eine Kausalität des Raubüberfalls bzw. der dadurch ausgelösten psychischen Beschwerden für die Dienstunfähigkeit und die darauf beruhende Zurruhesetzung. Angesichts der Mängel des Zurruhesetzungsgutachtens sowie des Umstandes, dass auch Dr. H. eine mögliche Kausalität des Unfalls für die Zurruhesetzung im Nachhinein nicht ausgeschlossen habe, hätte das Gericht den sich stellenden Kausalitätsfragen selbst nachgehen müssen. Vom Kläger könne insoweit die Vorlage eines vollständigen Gutachtens im Prozess nicht verlangt werden. Es treffe im Übrigen auch in der Sache nicht zu, dass die in das Verfahren eingeführten medizinischen Stellungnahmen und Berichte für die Frage der Kausalität unergiebig seien.
34Der Kläger beantragt,
35das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
36Die Beklagte beantragt,
37die Berufung zurückzuweisen.
38Sie trägt vor: Der Dienstunfall aus 1991 sei nicht für die fast 20 Jahre danach erfolgte Zurruhesetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit ursächlich gewesen. Dr. H. sei als Facharzt für Arbeitsmedizin, befugt und befähigt gewesen, die Auswirkungen gesundheitlicher Störungen auf die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Aufgaben zu beurteilen. Er habe in seinem Gutachten zahlreiche orthopädische Erkrankungen des Klägers aufgelistet. Die Behauptung des Klägers, er sei von Dr. H. gar nicht untersucht worden, sei unrichtig. Dieser habe vielmehr – in dem Gutachten dokumentiert – eine umfangreiche Anamnese durchgeführt. Das Attest des Orthopäden C. –M3. sei erst ca. drei Jahre nach der Zurruhesetzung erstellt worden und spreche in Bezug auf den Kläger auch von "Einschränkungen". Unbeschadet der ungünstigeren Prognose des Dr. H. könne in der Zwischenzeit – etwa durch den Wegfall der belastenden Berufstätigkeit bedingt – durchaus auch eine Besserung eingetreten sein. Dass die Alkoholsucht und die Spielsucht des Klägers in einem erheblichen Umfang erst mit dem in Rede stehenden Dienstunfall begonnen hätten bzw. wesentlich durch diesen (mit) verursacht worden seien, sei bei einer umfassenden Auswertung einschlägiger Aussagen in den vorliegenden medizinischen Stellungnahmen zu verneinen, jedenfalls nicht eindeutig. Entsprechendes gelte für die psychischen Probleme des Klägers und deren Ursachen. Ferner sei der erweckte Eindruck unzutreffend, der Kläger sei bald nach dem Dienstunfall nicht mehr in der Lage gewesen, seinen Dienstpflichten nachzukommen. Bis kurz vor seiner Zurruhesetzung sei er vielmehr beruflich erfolgreich gewesen und etwa im Jahr 2002 noch befördert worden. Auch das spreche gegen die Annahme einer Kausalität des Dienstunfalls für die Zurruhesetzung. Jedenfalls mittelbar werde dies schließlich auch durch die überzeugende Bewertung des Prof. Dr. N. aus dem Jahre 2000 gestützt, derzufolge eine unfallbedingte Behandlung des Klägers schon im Jahre 1992 geendet habe.
39Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) Bezug genommen.
40Entscheidungsgründe
41Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
42Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Unfallruhegehalt nach § 36 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG). Der Bescheid der Deutschen Post AG – Service Niederlassung Human Resources Deutschland – vom 26. April 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 13. April 2012 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
43Nach § 36 Abs. 1 BeamtVG in der hier maßgeblichen Fassung vom 24. Februar 2010, BGBl. I S. 150, erhält ein Beamter des Bundes – als Bestandteil der Dienstunfallfürsorge (§ 30 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 BeamtVG) – Unfallruhegehalt, wenn er infolge eines Dienstunfalls dienstunfähig geworden und deswegen in den Ruhestand versetzt worden ist.
44Der Kläger erfüllt diese tatbestandlichen Voraussetzungen nicht. Er ist nicht "infolge" seines Dienstunfalls vom 1. Oktober 1991 dienstunfähig geworden und „deswegen“ in den Ruhestand versetzt worden.
45Die Tatbestandsmerkmale "infolge" und „deswegen“ setzen einen doppelten Kausalzusammenhang voraus. Ein ursächlicher Zusammenhang muss danach zum einen zwischen dem Dienstunfall und der dauernden, auf dem körperlichen Zustand oder gesundheitlichen Gründen beruhenden Dienstunfähigkeit, vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG, und zum anderen zwischen dieser Dienstunfähigkeit und der Zurruhesetzung bestehen.
46Vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 30. November 2017 – 1 A 469/15 –, juris, Rn. 54 m.w.N.; Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblatt (Stand: August 2020), § 36 Rn. 9 und 11, m. w. N.;
47Die Ursächlichkeit ist bezogen auf den Zeitpunkt zu beurteilen, zu dem das aktive Beamtenverhältnis geendet hat. Eine etwaige nachträgliche Verbesserung oder Verschlimmerung des Gesundheitszustands des Beamten ist unerheblich.
48Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. Januar 2011– 1 A 2316/08 –, juris, Rn. 52; Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblatt (Stand: August 2020), § 36 Rn. 10.
49Die Frage, welche konkrete(n) Erkrankung(en) zur Dienstunfähigkeit geführt haben und damit Grund der Zurruhesetzung war(en), bestimmt sich danach, auf welche Erkrankung(en) der Dienstherr im Zurruhesetzungsverfahren seine Annahme gestützt hat, der Beamte sei wegen Dienstunfähigkeit vor dem Erreichen der für ihn geltenden Altersgrenze zur Ruhe zu setzen.
50Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. September 1994 – 2 C 24.92 –, juris, Rn. 14, 15, und vom 23. September 2004 – 2 C 27.03 –, juris, Rn. 10, 11; OVG NRW, Urteile vom 24. Januar 1997 – 12 A 5532/94 –, juris, Rn. 3 f., vom 30. November 2017 – 1 A 469/15 –, juris, Rn. 54 und 72 ff., sowie Urteil vom 24. Januar 2011 – 1 A 2316/08 –, juris, Rn. 33 ff., 59 ff., 63 ff.
51Darauf, ob noch weitere Erkrankungen vorgelegen haben, die ebenfalls die Annahme gerechtfertigt hätten, der Beamte sei wegen gesundheitlicher Störungen oder Beschwerden dauernd dienstunfähig und müsse deswegen zur Ruhe gesetzt werden, kommt es nicht an.
52Vgl. allgemein: Brockhaus, in Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblatt (Stand: August 2020), § 36 Rn. 11.
53Die Versorgungsbehörde kann nicht eigenständig prüfen, welche Erkrankungen des Klägers die Annahme rechtfertigen, der Beamte sei dienstunfähig. Es ist grundsätzlich nicht Sache der Versorgungsbehörde, den Grund der Versetzung in den Ruhestand festzustellen. Sie ist insoweit an die (bestands- oder rechtskräftige) Einschätzung der zuständigen Behörde im Zurruhesetzungsverfahren gebunden. Die Versorgungsbehörde muss die Versorgungsbezüge auf der Grundlage des rechtsverbindlich durch den Zurruhesetzungsbescheid bestimmten Grundes der vorzeitigen Zurruhesetzung festsetzen. Status- und Versorgungsgesetz sind systematisch darauf angelegt, ineinander zu greifen und nicht zu konträren Ergebnissen zu kommen. Dies wird durch die Bindungswirkung der Zurruhesetzungsverfügung im Versorgungsverfahren erreicht.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2007 – 2 C 22.06 –, juris, Rn. 12.; vgl. auch v. Roetteken in: v. Roetteken/Rothländer, BeamtStG, Stand: Juni 2020, § 26 Rn. 447; Koch, in: Plog/Wiedow, BBG 2009, Stand: April 2017, § 47 Rn. 60.
55Die Bindungswirkung des Zurruhesetzungsbescheides erstreckt sich inzident auch auf den Grund der Zurruhesetzung als dessen unselbständiger Teil. Zum Grund der Zurruhesetzung gehören im Fall der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit auch der konkrete körperliche Zustand oder die konkreten gesundheitlichen Gründe wegen dessen oder derer der Beamte – nach der Einschätzung der zuständigen Behörde – im Sinne des § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist. Der uneingeschränkt gerichtlich überprüfbare Begriff der Dienstunfähigkeit im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass das dauernde Unvermögen des Beamten, seine Dienstleistungspflicht zu erfüllen, auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung beruht.
56Vgl. zuletzt BVerwG, Urteil 16. April 2020 – 2 B 5.19 –, juris, Rn. 8.
57Die Ursachen dieser Erkrankungen – also etwa die Frage, ob die gesundheitliche oder körperliche Beeinträchtigung dienstunfall- oder nicht dienstunfallbedingt ist – sind dagegen nicht Gegenstand des Zurruhesetzungsverfahrens, sondern des nachfolgenden Versorgungsverfahrens. Für die Annahme der Dienstunfähigkeit ist es unerheblich, auf welche Ursachen die gesundheitliche Beeinträchtigung des Beamten zurückzuführen ist.
58Vgl. zuletzt BVerwG, Urteil 16. April 2020 – 2 B5.19 –, juris, Rn. 9; auch Nds. OVG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 5 LA 139/10 –, juris, Rn. 6; Bay. VGH, Beschluss vom 26. September 2016 – 6 ZB 16.249 –, juris, Rn. 27.
59Der Grund für die Zurruhesetzung eines Beamten wegen Dienstunfähigkeit einschließlich der maßgeblichen Erkrankungen ergibt sich regelmäßig aus den Verwaltungsvorgängen, insbesondere dem Zurruhesetzungsbescheid, ggf. dem Widerspruchsbescheid, dem Schreiben über die Mitteilung der Zurruhesetzungsabsicht nach § 47 Abs. 1 BBG und/oder einem vom Dienstherrn eingeholten und in Bezug genommenen ärztlichen (Zurruhesetzungs-)Gutachten.
60Der Dienstherr ist allerdings nicht gehindert, im Zurruhesetzungsverfahren die Feststellung der Dienstunfähigkeit und die daran anknüpfende Entscheidung über die vorzeitige Zurruhesetzung auf eine allgemein schlechte physio-psychische Konstitution des Beamten oder die Gesamtheit der bei ihm vorhandenen Erkrankungen zu stützen, ohne zwischen einzelnen Erkrankungen und Beschwerden weiter zu differenzieren und/oder eine Gewichtung vorzunehmen.
61Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 5 LA 139/10 –, juris, Rn. 6 f.
62Für die – nach alledem im Versorgungsverfahren zu treffende – Feststellung, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Dienstunfall und der Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit besteht, gilt der Kausalitätsbegriff des Dienstunfallrechts der Beamten, wonach als Ursache im Rechtssinne nur solche für den eingetretenen Schaden ursächliche Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen sind, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt mitgewirkt haben, die also insofern als „wesentlich“ anzusehen sind (Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache).
63Die materielle Beweislast für den Nachweis des geforderten Kausalzusammenhangs trägt ausgehend von den auch im Dienstunfallrecht anwendbaren allgemeinen Beweisgrundsätzen der (anspruchstellende) Beamte. Grundsätzlich bedarf es insoweit des vollen Beweises im Sinne „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“.
64Vgl. etwa OVG NRW, Urteile vom 23. November 2015 – 1 A 857/12 –, juris, Rn. 70 f., vom 30. November 2017 – 1 A 469/15 –, juris, Rn. 57 f., und vom 2. Juli 2019 – 1 A 2356/15 –, juris, Rn. 32 f., jeweils m. w. N. auch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
65Nach diesem Maßstab fehlt es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und der Zurruhesetzung des Klägers. Auf eine Gewichtung („wesentliche Ursache“) mehrerer Ursachen kommt es nicht an.
66Der Kläger ist nicht (auch) wegen der – auch vom Betriebsarzt Dr. H. diagnostizierten – depressiven Störung oder eines anderen sich aus aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen ergebenden psychischen Leidens, die der Kläger auf den Dienstunfall zurückführt, in den Ruhestand versetzt worden, sondern allein und bestandskräftig wegen orthopädischer Verschleißleiden. Dass diese auf dem Dienstunfall vom 1. Oktober 1991 beruhen, ist ausgeschlossen; dies wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht.
67In der Verfügung über die Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit vom 10. Januar 2011 werden die Gründe dafür, warum die Beklagte den Kläger als dienstunfähig angesehen und deswegen in den Ruhestand versetzt hat, zwar nicht näher angeführt. Es wird dort aber ausdrücklich an die Ankündigung der Versetzung in den Ruhestand vom 26. Oktober 2010 angeknüpft und den Umstand, dass der Kläger dagegen keine Einwendungen nach § 47 Abs. 2 BBG erhoben habe. In der gesetzlich vorgeschriebenen Ankündigung der Zurruhesetzung müssen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BBG die Gründe für die Versetzung in den Ruhestand angegeben werden, was auch geschehen ist. Dieses Schreiben beschränkt sich nicht auf die Mitteilung der Zurruhesetzungsabsicht, sondern nimmt darüber hinaus die Dienstunfähigkeitsuntersuchung vom 11. Oktober 2010 durch den Betriebsarzt Dr. H. und dessen darüber erstattetes Gutachten in Bezug. Damit hat sich die Beklagte die medizinische Bewertung durch Dr. H. als Grundlage für die beabsichtigte Zurruhesetzung erkennbar zu Eigen gemacht hat. Dass aus Sicht der Beklagten für die Zurruhesetzung noch andere Gründe von Bedeutung gewesen sind oder dass sie in bestimmten Punkten von dem Gutachten des Betriebsarztes abweichen wollte, ist nicht festzustellen. Das gilt auch, wenn die schriftliche Erklärung ("Memo") des Vorstands der Postbank – Abteilung Personalservice – vom 26. Oktober 2010 mit einbezogen wird. Diese folgt in der Bewertung der Frage der Dienst(un)fähigkeit und davon ausgehend der Entscheidung über die Zurruhesetzung des Klägers ebenfalls dem betriebsärztlichen Gutachten des Dr. H. , ohne weitere Gesichtspunkte anzuführen. Schließlich lassen auch die Ausführungen auf Seite 2 Mitte des im Verfahren auf Gewährung von Unfallruhegehalt ergangenen Widerspruchsbescheides vom 13. April 2013 keinen Zweifel daran aufkommen, dass Grundlage der dienstrechtlichen Entscheidung, den Kläger wegen dauernder Dienstunfähigkeit mit Ablauf des 31. Januar 2011 in den Ruhestand zu versetzen, die in dem Zurruhesetzungsgutachten des Dr. H. als relevant angegebene (Zurruhesetzungs-)Diagnose war.
68Das danach für die Bestimmung, welche medizinischen Gründe die Beklagte ihrer Entscheidung, den Kläger wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand zu versetzen, zugrunde gelegt hat, ausschließlich bedeutsame "Zurruhesetzungsgutachten" des damaligen Betriebsarztes Dr. H. vom 13. Oktober 2013 nennt als "Zurruhesetzungsdiagnose" allein die Gesundheitsbeeinträchtigungen "Verschleiß der Wirbelsäule und der großen Gelenke, künstliches Kniegelenk rechts". Die "depressive Störung" des Klägers ist dagegen ausdrücklich nicht bei der "Zurruhesetzungsdiagnose", sondern – unter anderem – nur in der weiteren Rubrik "Diagnosen" aufgeführt. Bereits dieser klar differenzierten Zuordnung der jeweiligen Leiden des Klägers ist eindeutig zu entnehmen, dass diesen eine qualitativ unterschiedliche Bedeutung für die Annahme der Dienstunfähigkeit zukommen sollte. Etwas anderes folgt nicht aus der gegenüber dem Senat abgegebenen schriftlichen Stellungnahme von Dr. H. vom 3. Oktober 2019. Dr. H. hat hier erklärt, er habe seine Zurruhesetzungsdiagnose (nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BBG) entsprechend den Befunden und dem vom Kläger bei der Untersuchung vorgelegten Attest des Dr. L. vom 8. Oktober 2010 in der geschehenen Weise gestellt. Die "andere Diagnose" – gemeint: psychische Störung – habe er aufgeführt, er habe allerdings die Skelettschäden nach dem Attest zum Zeitpunkt der Begutachtung als vorrangig angesehen. Diese Angabe bestätigt, dass Dr. H. der psychischen Störung kein maßgebliches Gewicht für die Feststellung der Dienstunfähigkeit des Klägers zugemessen hat. Damit hat es sich bei der gestellten "Zurruhesetzungsdiagnose" auch nicht um ein rein zufälliges Herausgreifen einer von mehreren bestehenden Diagnosen gehandelt.
69Von der insoweit getroffenen Bewertung war Dr. H. auch nicht zwischenzeitlich abgerückt. Soweit Dr. H. – angestoßen durch den Kläger – unter dem 12. November 2010 die Einholung eines (psychiatrischen) Zusammenhanggutachtens angeregt hat, bezog sich dies nur darauf, ob die vor der Zurruhesetzung ebenfalls vorhanden gewesenen psychischen Störungen des Klägers auf den Dienstunfall aus dem Jahre 1991 zurückzuführen sind. Das betrifft einen anderen – und nach den obigen Ausführungen im Zurruhesetzungsverfahren von vornerein nicht relevanten – Ursachenzusammenhang und nicht die Frage, wie die verschiedenen (körperlichen und psychischen) Leiden des Klägers bei der Beantwortung der Frage, was der wesentliche Grund für die Annahme seiner Dienstunfähigkeit und zugleich für seine Zurruhesetzung (gewesen) ist, wertend zueinander zu gewichten sind.
70Darauf, ob die Zurruhesetzungsdiagnose sachlich richtig ist und ob sie formal ausreichend und inhaltlich nachvollziehbar begründet wurde, kommt es vorliegend ebenso wenig an wie darauf, ob – wie der Kläger geltend macht – die unfallfremden orthopädischen Gründe schon im Zeitpunkt der Zurruhesetzung nicht ausgereicht haben, die Annahme seiner Dienstunfähigkeit zu begründen. Der Senat ist – letztlich aus denselben systematischen Gründen wie die Versorgungsbehörde – im versorgungsrechtlichen Verfahren gehindert, den vom Dienstherrn im Zurruhesetzungsbescheid bestandskräftig für maßgebend erachteten Grund der Zurruhesetzung nachträglich zu ändern oder auszutauschen. Die entsprechenden Einwendungen hätte der Kläger – wie dargelegt – allein in einem gegen die Zurruhesetzungsverfügung gerichteten gerichtlichen Verfahren geltend machen müssen.
71Zwar weist der Kläger darauf hin, dass für ihn kein Anlass bestanden habe, die Zurruhesetzungsverfügung anzugreifen, weil er sich – allerdings ausschließlich wegen seiner psychischen Einschränkungen – selbst für dienstunfähig gehalten habe. Weiter trifft zu, dass er mit einer Anfechtungsklage gegen die Zurruhesetzungsverfügung unterlegen wäre, wenn sich im gerichtlichen Verfahren herausgestellt hätte, dass er zwar nicht auf der Grundlage der Zurruhesetzungsdiagnose, wohl aber wegen einer anderen Erkrankung dienstunfähig gewesen wäre.
72Vgl. dazu, dass die Frage der Dienstunfähigkeit im gerichtlichen Verfahren zu klären ist BVerwG, Beschluss vom 5. November 2013 – 2 B 60.13 –, juris, Rn.7.
73Dieses durch das systematische Verhältnis zwischen Status- und Versorgungsrecht vorgeprägte Ergebnis verstößt nicht gegen die Rechtsschutzgewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 GG. Eine beachtliche Rechtsschutzlücke entsteht insofern nicht. Hält ein Beamter die Gründe, aus denen er als dienstunfähig vorzeitig zur Ruhe gesetzt werden soll, für falsch oder unzureichend, so kann er dies (nur) im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Zurruhesetzungsbescheid gerichtlich überprüfen lassen. Jedenfalls mit Blick auf seine versorgungsrechtliche Besserstellung hat der Beamte hierfür auch dann ein Rechtsschutzinteresse, wenn er selbst subjektiv andere (dienstunfallbedingte) Gründe für durchgreifend hält. Nur in diesem Verfahren kann auch geklärt werden, ob der vom Dienstherrn zugrunde gelegte Grund der Zurruhesetzung auf einer hinreichend begründeten und fundierten medizinischen Grundlage beruht und ob er die Annahme der Dienstunfähigkeit in der Sache trägt. Sollte dies nicht der Fall sein, muss das Gericht weiter prüfen, ob andere (u. U. dienstunfallbezogene) gesundheitliche Einschränkungen die festgestellte Dienstunfähigkeit im Ergebnis stützen. Der Beamte würde dann zwar in dem Klageverfahren unterliegen, aber immerhin erreichen, dass seine Dienstunfähigkeit und die daran anknüpfende Zurruhesetzung auf einen anderen Grund gestützt wird. Dieser andere Grund ist dann auch im Rahmen des § 36 Abs. 1 BeamtVG maßgeblich. Die im klageabweisenden Urteil inzident getroffene Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Zurruhesetzungsverfügung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten, beruht entscheidungstragend darauf, dass der Grund der Dienstunfähigkeit ausgetauscht wurde. Diese tragenden Erwägungen sind von der Rechtskraftwirkung des Urteils erfasst und damit im Versorgungsverfahren bindend.
74Vgl. zur Erstreckung der Rechtskraft eines Anfechtungsurteils auf die vom Gericht geprüften und die Entscheidung tragenden Aufhebungsgründe: Kilian/Hissnauer, in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 121 Rn. 71.
75Dass der Beamte wegen seines (formalen) Unterliegens in dem Klageverfahren bzw. eines Rechtsmittelverfahrens gemäß § 154 Abs. 1 bzw. 2 VwGO mit den Verfahrenskosten zu belasten ist, ist nicht zwingend. Läge auf Seiten des Dienstherrn ein schuldhaftes vorprozessuales Verhalten vor – hier im Zusammenhang etwa mit fehlender Sorgfalt bei der Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen für die Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit –, kann eine direkte oder entsprechende Anwendung des § 155 Abs. 4 VwGO in Betracht zu ziehen sein. Ungeachtet dessen ist dem Beamten dieses Risiko ebenso zuzumuten wie das "Risiko", dass er – entgegen seiner subjektiven Einschätzung – mit der Klage gegen die Zurruhesetzungsverfügung Erfolg hat, wenn er wegen keiner der in Betracht kommenden gesundheitlichen Einschränkungen dienstunfähig ist.
76Nach alledem musste der Senat den Sachverhalt auch nicht (von Amts wegen) weiter aufklären.
77Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
78Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil der Fall grundsätzliche Fragen betreffend die Reichweite der Bindungswirkung der Zurruhesetzungsverfügung für das nachfolgende Versorgungsverfahren aufwirft.
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- 12 A 5532/94 1x (nicht zugeordnet)
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