Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 1585/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 45.000,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Aus dem gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO maßgeblichen Zulassungsvorbringen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) [I.] noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) [II.] oder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) [III].
41. Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bedarf es einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Dabei ist in substantiierter Weise an der Gedankenführung des Gerichts orientiert aufzuzeigen, dass und warum das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis ernstlich zweifelhaft sein soll. In der Sache liegen ernstliche Zweifel vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
5Derartige Zweifel ruft die Zulassungsbegründung nicht hervor.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
7die Beklagte unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide vom 10. Dezember 2019 zu verpflichten, den Klägern einen positiven Bauvorbescheid zur Bebauung des Grundstücks Gemarkung C. , Flur 25, Flurstück 886 in E. gemäß ihres am 11. März 2019 eingegangenen und unter dem 22. Mai 2019 angepassten Bauantrages zu erteilen,
8im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich des Merkmals der überbaubaren Grundstücksfläche nicht im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die insoweit maßgebliche nähere Umgebung sei dadurch gekennzeichnet, dass sich auf den Grundstücken entlang der Q.-----straße straßenrandnah Wohnhäuser befänden und die Bautiefe etwa 25 bis 26 m betrage: lediglich auf dem Grundstück Q.-----straße 36 belaufe sich die Bautiefe auf etwa 30 m. Das Vorhaben überschreite bei einer Betrachtung von der Q.-----straße aus mit einer Bautiefe von etwa 59 m diese Werte deutlich. Ansonsten seien in den rückwärtigen Grundstücksbereichen lediglich Nebenanlagen bzw. Garagen vorhanden. Selbst wenn man auf den M.-------------weg als Erschließungsstraße abstelle, ergebe sich jedenfalls deshalb nichts anderes, weil es insoweit an jeglicher Vorprägung durch entsprechende Hauptnutzungen fehle und sich die Nutzungen in jenem Bereich ebenfalls auf Nebenanlagen und Garagen beschränkten. Entgegen der Auffassung der Kläger folge aus der Lage ihres Grundstücks in einem Wohngebiet nicht die Zulässigkeit der beantragten Wohngebäude, da es sich hinsichtlich des genannten Merkmals nicht in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Das den Umgebungsrahmen überschreitende Vorhaben sei auch nicht etwa ausnahmsweise zulässig, weil es keine bodenrechtlichen Spannungen hervorzurufen in der Lage wäre. Denn es liege auf der Hand, dass bei Zulassung des Vorhabens die konkrete Gefahr eines weiteren Vordringens von Bebauung in die – von der Q.-----straße aus gesehen – rückwärtigen Ruhebereiche der Grundstücke bestünde. Dass die diesbezüglichen planungsrechtlichen Fragen durch eine Bauleitplanung geregelt werden könnten und dass der Vorentwurf des Flächennutzungsplans eine Ausweisung des Bereichs als "Siedlungsraum Wohnen" vorsehe, ändere an der (derzeitigen) bauplanungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens nichts.
9Das dagegen gerichtete Zulassungsvorbringen greift nicht durch.
10Ohne Erfolg tragen die Kläger vor, der M.-------------weg komme als wegemäßige Erschließungsanlage in Betracht. Von dort aus gesehen überschreite ihr Vorhaben die Bebauungstiefe von 26 m nicht. Hierbei spiele es auch keine Rolle, dass es entlang des M.-------------wegs bislang an Hauptnutzungen fehle und sich dort bislang ausschließlich Nebenanlagen und Garagen befänden. Denn in der maßgeblichen näheren Umgebung befänden sich straßenrandnah gebaute Wohnhäuser, wobei unerheblich sei, dass diese an der Q.-----straße lägen. Gegenteiliges lasse sich auch nicht dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. September 1988 (4 B 175.88) [vorhergehend OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Mai 1988 – 2 R 513/85] entnehmen, da es dort nicht – wie hier – um ein Grundstück "zwischen zwei die Erschließung ermöglichenden Straßen" gegangen sei.
11Damit werden die ohne Weiteres nachvollziehbaren Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht in Frage gestellt. Mit dem Merkmal "Grundstücksfläche, die überbaut werden soll", ist die konkrete Größe der Grundfläche der baulichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung gemeint; zur näheren Konkretisierung kann auf die Begriffsbestimmungen des § 23 BauNVO zurückgegriffen werden.
12Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13 Mai 2014 - 4 B 38.13 -, BRS 82 Nr. 99 = juris Rn. 8, und vom 16. Juni 2009 - 4 B 50.08 -, BRS 74 Nr. 95 = juris Rn. 4, beide m. w. N.
13Die Bebauungstiefe ist von der tatsächlichen Straßengrenze zu ermitteln. "Tatsächliche Straßengrenze" in diesem Sinne ist die Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. August 2019 - 4 B 1.19 -, BauR 2019, 1889 = juris Rn. 6 m. w. N.
15Dass das Vorhaben wegen seiner Lage bei einer Betrachtung von der Q.-----straße (als Erschließungsstraße) aus die Bebauungstiefe (bzw. die faktische hintere Baugrenze) überschreitet, hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt; dies wird von der Zulassungsbegründung auch nicht in Frage gestellt. Stellt man eine Betrachtung vom M.-------------weg (als - aus Sicht der Kläger - in Betracht kommende Erschließungsstraße) aus an, so ist das Vorhaben an seinem Standort ebenfalls mangels Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung unzulässig, weil es von dieser Straße aus betrachtet straßennah kein - für die Prägung der näheren Umgebung allein maßgebliches - Gebäude der Hauptnutzung gibt und das Vorhaben damit im o. g. Sinne nach seiner räumlichen Lage,
16vgl. hierzu auch den vom Verwaltungsgericht genannten Beschluss des BVerwG vom 28. September 1988 - 4 B 175/88 -, BRS 48 Nr. 50 = juris Rn. 4 [vorhergehend OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. Mai 1988 - 2 R 513/85 -, juris, auf das sich die Zulassungsbegründung beruft],
17innerhalb der vorhandenen Bebauung den Rahmen überschreitet. Die Vorstellung, die straßennahe Bebauung an der Q.-----straße könne als Vorbild für eine entsprechende Bebauung am M.-------------weg dienen, weil diese Grundstücke zur näheren Umgebung gehörten, geht an den auch vom Verwaltungsgericht zutreffend bewerteten tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Die Lage des Vorhabengrundstücks zwischen zwei die Erschließung ermöglichenden Straßen reicht für die Annahme einer Vorbildwirkung der straßennahen Bebauung an der Straße, aus deren Sicht sich das Vorhaben eindeutig als - unzulässige - Hinterlandbebauung darstellt, für eine straßennahe Bebauung an der zweiten Erschließungsstraße nicht aus.
18Da das Merkmal der „rückwärtigen“ Bebauung einen bestimmten räumlichen Bezug zur Erschließungsstraße aufweist, kann es - je nach der konkreten Situation – für die Frage, ob sich ein Vorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche in die nähere Umgebung einfügt, auch darauf ankommen, ob ein Grundstück von mehreren Straßen erschlossen wird.
19Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 1997 ‑ 4 B 172.97 -, BRS 59 Nr. 79 = juris Rn. 7.
20Allerdings verbietet sich insofern eine schematische Betrachtung. Vielmehr ist die Frage nach der Vorbildwirkung einer Bebauung - wie dargelegt ‑ nach den konkreten Grundstücksverhältnissen zu beantworten. Die zeichnen sich hier aber gerade dadurch aus, dass straßennah eine prägende Bebauung nur an der Q.-----straße vorzufinden ist und diese Bebauung sich bandartig ohne jeglichen prägenden Bezug zu den Grundstücken bzw. Grundstücksbereiche am M.-------------weg fortsetzt. Ob und unter welchen anderen Verhältnissen, etwa innerhalb eines Straßengevierts, eine straßennahe Bebauung vorstellbar wäre, die Vorbild für eine straßennahe Bebauung an anderen Straßen des Gevierts sein könnte, bedarf deshalb hier auch keiner Vertiefung. Denn – wie gesagt - nach den gegebenen Grundstücksverhältnissen kann für die von den Klägern in den Vordergrund gestellte Erschließungsmöglichkeit vom M.-------------weg aus vorbildhaft auch nur auf diese Straße und nicht auf die Q.-----straße (und die dort befindliche straßennahe Wohnbebauung) abgestellt werden. Aus dem genannten Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. Mai 1988, - 2 R 513/85 -, auf das die Zulassungsbegründung abstellen will, lässt sich Gegenteiliges nicht herleiten, da es – wie vom Zulassungsantrag selbst herausgestellt – eine gänzlich andere Grundstückssituation betrifft, ohne abweichende allgemeinverbindliche Aussagen zu einer Konstellation, wie sie hier zur Entscheidung steht, zu treffen. Auch ist weder konkretisiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung Rechtssätze der nachfolgenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 28. September 1988 - 4 B 175/88 -, juris Rn. 4) fehlerhaft wiedergegeben oder fehlerhaft angewandt hätte. Dies gilt namentlich für den Umstand, dass eine Fläche, auf der sich ein Hauptgebäude – wie hier – nicht (mehr) in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, von vornherein durch die vorhandene Situation als nur beschränkt oder überhaupt nicht bebaubar geprägt ist.
21Die Zulassungsbegründung lässt auch nicht hervortreten, warum das Vorhaben trotz seiner Rahmenüberschreitung (ausnahmsweise) keine bodenrechtlichen Spannungen erzeugen sollte. Solche Spannungen liegen vielmehr auf der Hand, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend auf S. 7 f. des Urteils im Einzelnen ausgeführt hat. Die Zulassungsbegründung zieht schon dessen Annahme, die Zulassung des Vorhabens werde vergleichbare Bauwünsche entlang des M1.-------------wegs nach sich ziehen, nicht in Zweifel. Dieser Umstand allein reicht regelmäßig – so auch hier – aus, um von bodenrechtlichen Spannungen auszugehen. Dass die Fläche als Wohnbaufläche bzw. "Nachverdichtungsfläche" im Flächennutzungsplan (als vorbereitendem Bauleitplan, vgl. § 1 Abs. 2, 1. Alt BauGB) dargestellt ist, ändert nichts daran, dass eine Zulassung des Vorhabens in der konkreten Situation das Bedürfnis gerade nach einer solchen verbindlichen Bauleitplanung in Form eines Bebauungsplans (vgl. § 1 Abs. 2, 2. Alt. BauGB) hervorriefe. Dass es sich bei den rückwärtigen Bereichen der Grundstücke in der maßgeblichen näheren Umgebung von der Q.-----straße aus gesehen um Ruhezonen handelt - was die Zulassungsbegründung in Abrede stellt -, liegt trotz einzelner größerer Garagenanlagen jedenfalls nicht fern; Entsprechendes dürfte auch für eine mögliche Konfliktlage mit der benachbarten Sportplatznutzung gelten; hierauf kommt es angesichts der vorstehenden Ausführungen aber auch nicht an.
222. Aus der Zulassungsbegründung ergeben sich auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache. Insoweit legen die Kläger nichts dar, was über die bereits unter 1. im Zusammenhang mit § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO behandelten Gesichtspunkte hinausginge.
233. Die Zulassungsbegründung zeigt eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht auf.
24Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitlich Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
25Die von den Klägern insoweit aufgeworfene Frage,
26"ob … der Parameter der überbaubaren Grundstücksfläche, insbesondere soweit auf Bebauungstiefen abgestellt wird, von der bislang nicht mit Wohngebäuden bebauten Straße ab gemessen bestimmt wird",
27hat keine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne. Denn auch wenn man – wie dies den Klägern vorschwebt – auf den M.-------------weg abstellt, hält das Vorhaben nach seiner räumlichen Lage den Umgebungsrahmen nicht ein, da – wie oben dargelegt – nur Gebäude der Hauptnutzung die Eigenart der näheren Umgebung zu prägen vermögen. Von daher kommt es nicht darauf an, von wo aus gemessen wird, sondern ob prägende Vorbilder für die Bebauung vorhanden sind. Ist dies nicht der Fall, führt das im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB grundsätzlich – und so auch hier – zur planungsrechtlichen Unzulässigkeit des Vorhabens.
28Die Frage,
29"ob ein Vorhaben, das eine im Flächennutzungsplan vorgesehene Nutzung verwirklicht, hierdurch bodenrechtliche Spannungen auszulösen vermag",
30stellt sich vorliegend nicht. Denn im Flächennutzungsplan können – soweit hier von Belang – lediglich die für die Bebauung vorgesehenen Flächen nach der (allgemeinen oder besonderen) Art ihrer baulichen Nutzung und nach dem allgemeinen Maß der baulichen Nutzung dargestellt werden (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1, 1. Hs. BauGB). Zu konkreten Details der überbaubaren Grundstücksfläche, um die es hier geht, verhält ein Flächennutzungsplan sich dagegen nicht; warum dies vorliegend anders zu sehen sein sollte, tragen die Kläger nicht substantiiert vor; dies ist auch sonst nicht erkennbar. Aus Vorstehendem folgt zugleich, dass diese Frage in dieser Form einer allgemeinverbindlichen Klärung nicht zugänglich ist.
31Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
32Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG und folgt – auch in der Begründung – der erstinstanzlichen Entscheidung.
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
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Referenzen
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- VwGO § 124 6x
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- 2 R 513/85 3x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 2, 2. Alt. BauGB 1x (nicht zugeordnet)
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- BauNVO § 23 Überbaubare Grundstücksfläche 1x
- 4 B 175/88 2x (nicht zugeordnet)
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- §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG 3x (nicht zugeordnet)
- § 34 Abs. 1 BauGB 2x (nicht zugeordnet)