Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 15 B 1107/20
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag,
3den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller zu folgenden Fragen Auskunft zu geben:
41. Trifft es zu, dass INTERPOL sich geweigert hat, den gegen Herrn P. ausgestellten ukrainischen Haftbefehl zu exekutieren? Ist der Antragsgegnerin bekannt, aus welchen Gründen INTERPOL die Übernahme des ukrainischen Haftbefehls abgelehnt hat?
52. Welche direkten oder indirekten Kontakte gab es zu ukrainischen Behörden oder sonstigen Institutionen?,
6hat keinen Erfolg.
7I. Soweit der in der Beschwerdeschrift formulierte Antrag weiterhin auf eine Auskunftserteilung zu „anderen EU-Staaten“ (Frage 1, Teilfrage 1) zielt, geht der Senat davon aus, dass dies auf einem Versehen beruht und das Begehren des Antragstellers sich - wie oben formuliert - auf INTERPOL beschränkt. Denn hinsichtlich des auf „andere EU-Staaten“ bezogenen Auskunftsbegehrens des Antragstellers haben die Beteiligten das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes übereinstimmend vor dem Verwaltungsgericht für erledigt erklärt, nachdem die Antragsgegnerin mit ihrer Antragserwiderung vom 5. Juni 2020 erklärt hatte, dem Bundesamt für Justiz lägen „Erkenntnisse dazu, ob sich andere (EU-)Staaten geweigert haben, dem ukrainischen Fahndungsersuchen zu entsprechen, […] nicht vor“. Die Beschwerdebegründung verhält sich dementsprechend auch nicht zu diesem erledigten Teil des Streitgegenstands.
8II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Antragsteller erhobenen Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
91. Das Beschwerdevorbringen zu Frage 1 greift nicht durch hinsichtlich der entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil dem Informationsinteresse des Antragstellers das gewichtigere Interesse der Antragsgegnerin am Schutz ihrer internationalen Beziehungen entgegenstehe.
10Aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Auskunftsanspruchs können Pressevertreter konkrete behördliche Auskünfte verlangen, soweit die Informationen bei der Behörde vorhanden sind und berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch fordert eine Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall, wobei allerdings eine Bewertung des Informationsinteresses der Presse grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Informationsinteresse der Presse schutzwürdige Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, die den presserechtlichen Auskunftsanspruch ausschließen.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017- 6 VR 1.17 -, juris Rn. 18, und Urteil vom 16. März 2016 - 6 C 65.14 -, juris Rn. 16 ff.; OVG NRW, Urteil vom 10. September 2019 - 15 A 2751/15 -, juris Rn. 69.
12Das verfassungsunmittelbare Auskunftsrecht von Pressevertretern endet dort, wo berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen.
13Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. März 2016 - 6 C65.14 -, juris Rn. 16, vom 25. März 2015 - 6 C12.14 -, juris Rn. 24, und vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 -, juris Rn. 29; OVG NRW, Urteil vom 10. September 2019 - 15 A 2751/15 -, juris Rn. 73 f., m. w. N.
14Die Berechtigung von Vertraulichkeitsinteressen, die dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch entgegenstehen können, bestimmt sich in Abhängigkeit von dem Regelungsspielraum, über den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung behördlicher Auskunftspflichten verfügt. Der Auskunftsanspruch ist demnach durch Vertraulichkeitsinteressen ausgeschlossen, die der Gesetzgeber für die gegebene Sachkonstellation als Ausschlussgrund normieren dürfte. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber berechtigt wäre, dem betroffenen Vertraulichkeitsinteresse für die gegebene Sachkonstellation Vorrang vor dem Informationsinteresse der Presse einzuräumen.
15Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 -, juris Rn. 26 f.; OVG NRW, Urteil vom 10. September 2019 - 15 A 2751/15 -, juris Rn. 75 f., m. w. N.
16Zur Bestimmung des Stellenwerts von Vertraulichkeitsinteressen können als Orientierungshilfe die gesetzlich geregelten allgemeinen und bereichsspezifischen Ausschlussgründe der Informationsfreiheitsgesetze herangezogen werden. Diese Gesetze begründen Informationszugangsansprüche, die nicht grundrechtlich fundiert sind. Die Entscheidung des Gesetzgebers, zugunsten bestimmter Vertraulichkeitsinteressen den informationsfreiheitsrechtlichen Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder nach bereichsspezifischen Gesetzen auszuschließen, besagt allerdings noch nicht, dass es verfassungskonform wäre, diesen Interessen auch Vorrang vor dem Informationsinteresse der Presse einzuräumen. Ob ein solcher Vorrang zulässig wäre, bedarf der eigenständigen Prüfung anhand der Maßgabe der Sicherung einer effektiven funktionsgemäßen Betätigung der Presse.
17Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C12.14 - , juris Rn. 29, und Beschluss vom 22. September 2015 - 6 VR 2.15 -, juris Rn. 15; OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2017 - 15 B 1112/15 -, juris Rn. 31.
18Die Möglichkeit der Entstehung nachteiliger Auswirkungen auf internationale Beziehungen (§ 3 Nr. 1 Buchst. a IFG) kann - je nachdem, wie gewichtig die zu befürchtende Nachteilslage und wie konkret ihr Eintritt zu erwarten ist - auch einem presserechtlichen Auskunftsanspruch entgegengehalten werden. Das Ziel, solche Auswirkungen zu vermeiden, kann ein schutzwürdiges öffentliches Interesse von hohem Gewicht verkörpern, das sich bei der gebotenen Abwägung auch gegenüber dem verfassungsrechtlich fundierten Auskunftsanspruch der Presse durchsetzt.
19Zur Heranziehung von § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG bei presserechtlichen Auskunftsansprüchen vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. Dezember 2016 - OVG 6 S 29.16 -, juris Rn. 32, und vom 21. August 2018 - OVG 6 S 28.18 -, juris Rn. 22.
20Dabei steht der Bundesregierung hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit und Sensibilität außenpolitischer Beziehungen zu einem anderen Staat eine Einschätzungs- und Bewertungsprärogative zu.
21Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017- 6 VR 1.17 -, juris Rn. 20.
22Der mögliche Eintritt von Nachteilen für die internationalen Beziehungen kann nur Gegenstand einer plausiblen und nachvollziehbaren Prognose sein, die ihrerseits lediglich in engen Grenzen verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist. Ob und wie sich das Bekanntwerden von Informationen auf die außenpolitischen Ziele auswirkt, hängt von auf die Zukunft bezogenen Beurteilungen ab, die notwendig mit einem gewissen Maß an Unsicherheit verbunden sind. Das Gericht kann insoweit nur nachprüfen, ob die Behörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ihre Prognose einleuchtend begründet hat und keine offensichtlich fehlerhafte, insbesondere in sich widersprüchliche Einschätzung getroffen hat.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 7 C 22.08 -, juris Rn. 20 (zu § 3 Nr. 1 Buchst. a IFG).
24Der Vortrag der Antragsgegnerin dazu, dass durch ein Bekanntwerden der begehrten Informationen der Grundsatz der wechselseitigen Vertraulichkeit als elementare Funktionsbedingung internationaler Rechtshilfe in Strafsachen verletzt würde und dies zu einer Beeinträchtigung der internationalen Beziehungen führte (zusammengefasst wiedergegeben auf S. 6 f. des angegriffenen Beschlusses), erfüllt diese Anforderungen. Das dagegen gerichtete Beschwerdevorbringen greift nicht durch.
25Der Einwand des Antragstellers, es gehe hier um eine „Information aus dem Machtbereich Interpols“ und nicht um die „Weitergabe von Informationen der Ukraine“, verfängt nicht; er stellt die von der Antragsgegnerin befürchtete Beeinträchtigung ihrer Beziehungen zur Ukraine und möglicherweise weiterer beteiligter Staaten nicht in Frage. Das Auskunftsbegehren des Antragstellers betrifft das Verhältnis zwischen INTERPOL und der Ukraine in einer - auch politisch - sensiblen Angelegenheit, an der die Antragsgegnerin nicht unmittelbar beteiligt ist. Gäbe sie sensible Informationen zu diesem Sachverhalt an die Presse weiter, erschiene die Einschätzung der Antragsgegnerin naheliegend, dass durch eine solche Indiskretion die zwischenstaatlichen Beziehungen zur Ukraine und zu etwaigen weiteren beteiligten Staaten in Mitleidenschaft gezogen würden.
26Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 27. Mai 2020 - 1 Ausl29/18 -, durch den die Beziehungen zur Ukraine bereits - so der Antragsteller - „schwer belastet sein (dürften)“, führt zu keinem anderen Ergebnis. Abgesehen davon, dass das Auskunftsbegehren des Antragstellers einen anderen Gegenstand hat als die in jener Entscheidung geprüfte Frage der Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Ukraine, besteht in Bezug auf Gerichtsentscheidungen, die zu publizieren sind, auch auf internationaler Ebene von vornherein keine berechtigte Vertraulichkeitserwartung.
27Ebenso wenig nimmt der Hinweis der Beschwerde auf den Regierungswechsel in der Ukraine der Befürchtung der Antragsgegnerin, die zwischenstaatlichen Beziehungen könnten beeinträchtigt werden, die notwendige Plausibilität. Die Annahme des Antragstellers, eine Offenlegung der begehrten Informationen könne „allenfalls Herrn Q. , nicht aber die heutige Regierung der Ukraine belasten“, beruht auf Spekulationen zum Geschehensablauf und berücksichtigt nicht, dass die im zwischenstaatlichen Verhältnis gehegte Erwartung eines vertraulichen Umgangs mit den hier in Rede stehenden Informationen grundsätzlich - über eintretende Veränderungen in der Staatsführung hinaus - fortbesteht.
28Die Abwägung des - wie dargelegt nicht zu bewertenden - Informationsinteresses der Presse mit den schutzwürdigen auswärtigen Belangen der Antragsgegnerin fällt hier zum Nachteil des Antragstellers aus. Sein Interesse am Erhalt der begehrten Auskünfte wiegt weniger schwer als die nicht unbeträchtliche Beeinträchtigung jener Belange, die im Fall der Auskunftserteilung droht. Diese Belange betreffen in erster Linie den Erhalt und die Pflege der zwischenstaatlichen Beziehungen der Antragsgegnerin zur Ukraine, erschöpfen sich aber nicht darin. Eine Enttäuschung der Vertraulichkeitserwartung, die in Angelegenheiten der internationalen Rechtshilfe zu erwarten ist, kann über dieses bilaterale Verhältnis hinaus negative Auswirkungen haben, wenn die Indiskretion von anderen Staaten registriert und bewertet wird. Die Gefahr einer Beeinträchtigung der genannten Belange stellt sich jedenfalls hinsichtlich der im Vordergrund stehenden Beziehungen zur Ukraine auch als so konkret dar, dass die Abwägung zu Lasten des Antragstellers ausfallen muss.
292. Die Frage 2 war von vornherein so zu verstehen, dass sie nur auf eine Benennung der Kontaktstellen bzw. -personen zielte. Dementsprechend hat die Antragsgegnerin die aufgeworfene Frage erstinstanzlich vollständig beantwortet, indem sie dem Antragsteller mitteilte, es habe in dem Auslieferungsvorgang Schriftverkehr zwischen dem Bundesamt für Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine gegeben (Schriftsatz vom 5. Juni 2020, S. 7), darüber hinaus habe der ukrainische High Anti-Corruption Court dem Bundesamt Informationen übermittelt (Schriftsatz vom 23. Juni 2020, S. 2) und weitere Kontakte zu anderen ukrainischen Stellen habe es nicht gegeben (Schriftsatz vom 30. Juni 2020, S. 3). Der Beschwerdevortrag des Antragstellers, eine Auflistung der Kontakte sei schon durch die Frage „Gab es in dem Fall direkte oder indirekte Kontakte zu ukrainischen Behörden oder sonstigen Institutionen?“ abgedeckt worden, lässt unberücksichtigt, dass diese Frage mit einem schlichten „ja“ oder „nein“ zu beantworten war und ihre Beantwortung gerade keine zusätzlichen Angaben zu den Kontakten erforderte. Sollte es dem Antragsteller tatsächlich um noch mehr Informationen gegangen sein, waren diese der Fragestellung jedenfalls nicht hinreichend bestimmt zu entnehmen.
30Vgl. zur Anforderung der Bestimmtheit von Auskunftsersuchen etwa OVG NRW, Urteil vom 20. September 2018 - 15 A 2752/15 -, juris Rn. 53 ff., m. w. N.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
32Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
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