Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 4327/19.A
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei X. aus N. wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
1
G r ü n d e
2I. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen des von dem Kläger gerügten Verfahrensmangels der Versagung rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
4Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können und mit ihren Ausführungen und Anträgen durch das Gericht gehört werden. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, den Ausführungen eines Beteiligten in der Sache zu folgen. Die Gehörsrüge ist daher nicht geeignet, eine – vermeintlich – fehlerhafte Feststellung oder Bewertung des Sachverhalts einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann vielmehr nur dann erfolgreich geltend gemacht werden, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht seiner Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nicht nachgekommen ist. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass die Gerichte von ihnen entgegengenommenes Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich hiermit auseinandersetzen. Aus einem Schweigen der Entscheidungsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann deshalb noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht beachtet und erwogen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten bei seiner Entscheidungsfindung nicht in Erwägung gezogen hat.
5Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. April 2020– 1 A 2023/19.A –, juris, Rn. 13, vom 25. Juli 2017– 1 A 1436/17.A –, juris, Rn. 3, und vom 16. Dezember 2016 – 1 A 2199/16.A –, juris, Rn. 14.
6Ferner muss der übergangene Vortrag nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich gewesen sein. Dies setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht zu einem anderen, für den Rechtsmittelführer günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es den übergangenen Vortrag berücksichtigt hätte.
7Vgl. Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 138, Rn. 116 f.
8Ausgehend von diesen Grundsätzen kann eine Gehörsverletzung nicht festgestellt werden.
9Der Kläger trägt – insoweit wortgleich zu seiner Klagebegründung – allgemein zur Versorgungs- und Sicherheitslage in Mali vor. Mali rangiere unter den unterentwickeltsten Ländern der Welt. Der malische Staat sei nicht in der Lage, der Bevölkerung Sicherheit und wesentliche Güter und Dienste zur Verfügung zu stellen. Das Land leide an Spannungen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen. Der Kläger führt eine Reihe von Vorfällen, Ereignissen und Anschlägen aus den Jahren 2015 und 2017 auf. Auch Human Rights Watch berichte, dass islamistische bewaffnete Gruppen in den letzten zwei Jahren ihre Präsenz in Zentral-Mali nach und nach ausgebaut habe. Ihre Anwesenheit und die Rekrutierung von Anwohnern habe die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen Peuhl, Bambara und Dogon entflammt und ausgenutzt, was das Wachstum von oft missbrauchenden Selbstverteidigungsmilizen hervorgebracht habe. Die Sicherheitslage in den nördlichen Regionen bleibe weiter angespannt. Die Konfliktherde im Norden blieben weiter bestehen. Die Situation sei gekennzeichnet durch eine geringe staatliche Autorität, separatistische Bestrebungen der Tuareg und das grenzüberschreitende Operieren bewaffneter dschihadistischer Gruppen in der Sahara. Unsicherheit und Gewalt hätten auch in den ehemals stabilen zentralen und südlichen Regionen von Mali zugenommen.
10Hiermit hat der Kläger einen Gehörsverstoß nicht aufgezeigt. Es ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht dieses Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt hätte. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Klägers zur Sicherheitslage in Mali im Gegenteil sowohl im Tatbestand des angegriffenen Urteils erwähnt als auch in den Entscheidungsgründen gewürdigt. Es hat im Tatbestand aufgeführt, der Kläger beziehe sich im Wesentlichen auf die angespannte Sicherheitslage in Mali (Urteilsabdruck, S. 3) und ist in den Gründen davon ausgegangen, dass der Staat Mali in der nördlich gelegenen Region Gao keinen ausreichenden Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bieten könne, dem Kläger jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Südmali für die Bedrohung in Gao zur Verfügung stehe (Urteilsabdruck, S. 5). Das Verwaltungsgericht hat auch berücksichtigt, dass sich die Sicherheitslage in den Krisengebieten Nord- und Zentralmali verschlechtert habe und die bewaffneten Konflikte sich nunmehr auch auf andere Regionen im Süden des Landes ausweiten würden. Dabei hat es im Vergleich zu dem Vorbringen des Klägers sogar aktuellere Erkenntnisse über die Anzahl der Anschläge in den südlichen Regionen Bamako, Kayes, Koulikouro, Ségou und Sikasso im Zeitraum vom 1. September 2017 bis 30. August 2018 zu Grunde gelegt (Urteilsabdruck, S. 5). Im Rahmen der Feststellung, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, hat das Verwaltungsgericht dargelegt, dass Mali zu den ärmsten Ländern der Erde zähle, der Kläger jedoch, jung, gesund und erwerbsfähig sei, bereits vor seiner Ausreise aus Mali als Maurer auf dem Bau gearbeitet und darüber hinaus in Deutschland weitere Arbeitserfahrung gewonnen habe (Urteilsabdruck, S. 8). Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt über dem Existenzminimum im formellen oder informellen Sektor nicht bestreiten könne.
11Warum es aus Gründen des rechtlichen Gehörs einer darüber hinausgehenden Befassung des Verwaltungsgerichts mit den von dem Kläger angeführten Erkenntnissen zur allgemeinen Sicherheitslage in Mali bedurfte hätte, ist dem Zulassungsvorbringen nicht zu entnehmen. Auch dass aus diesen Erkenntnissen eine rechtliche Bewertung folgen könnte, die von der des Verwaltungsgerichts abweicht, wird nicht aufgezeigt, zumal das Verwaltungsgericht gerade davon ausgegangen ist, dass der Staat Mali in der nördlich gelegenen Region Gao keinen ausreichenden Schutz vor Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bieten kann.
12Der Kläger wendet sich der Sache nach allein gegen die rechtliche Würdigung seines Vorbringens durch das Verwaltungsgericht. Dies zeigt einen Gehörsverstoß nicht auf. Ob das Verwaltungsgericht dem Vortrag des Klägers die richtige Bedeutung zugemessen und die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern der Tatsachen- und Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 VwGO.
13Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 1969– 2 BvR 320.69 –, juris, Rn. 9, m. w. N.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Juli 2017 – 1 A1436/17.A –, juris, Rn. 28 ff.
14Etwaige Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung gehören (grundsätzlich) nicht zu den in § 138 VwGO genannten und in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Bezug genommenen Verfahrensfehlern.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995– 9 B 710.94 –, juris, Rn. 4 ff.
16Ob ausnahmsweise etwas anderes zu gelten hat, wenn die die angegriffene Entscheidung tragenden Ausführungen des Gerichts handgreiflich von objektiver Willkür geprägt sind, kann hier offen bleiben.
17Zu der Frage, ob eine solche Ausnahme anerkannt werden kann, vgl. den Senatsbeschluss vom 16. Dezember 2016 – 1 A 2199/16. A –, juris, Rn. 33 bis 36, m. w. N. zum Meinungsstand.
18Für einen solchen Ausnahmefall hat der Kläger nichts dargelegt und ist auch sonst nichts ersichtlich. Dies gilt auch für die von dem Kläger am Ende seiner Antragsbegründung lediglich pauschal behauptete Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG). Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 1 A 2023/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 138 1x
- 1 A 2199/16 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 114 Voraussetzungen 1x
- 1 A 1436/17 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 166 1x