Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 2041/18
Tenor
Die Berufung wird zugelassen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag hat Erfolg.
3Die Berufung ist zuzulassen. Der Kläger hat gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO einen der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegenden Verfahrensmangel geltend gemacht, der vorliegt (I.) und auf dem die Entscheidung beruhen kann (II.).
4I. Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch des – sich als Rechtsanwalt bereits im erstinstanzlichen Verfahren selbst vertretenden – Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO dadurch verletzt, dass es den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht, wie von ihm beantragt, verlegt hat, sondern in seiner Abwesenheit über die Klage verhandelt und diese abgewiesen hat. § 102 Abs. 2 VwGO gestattet die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Entscheidung des Gerichts zwar trotz Abwesenheit eines Beteiligten, wenn in der Ladung – wie im vorliegenden Fall geschehen – auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Etwas anderes gilt aber, wenn – wie hier – einem Terminsverlegungsantrag hätte stattgegeben werden müssen.
5Ein Termin kann nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus erheblichen Gründen verlegt werden. Erhebliche Gründe in diesem Sinne sind dabei (nur) solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des im Falle der Verlegung des Termins berührten Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern,
6vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 –, Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 8 = juris Rn. 7 ff.
7Der Vorsitzende hat bei seiner Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblicher Gründe ein Verhandlungstermin verlegt wird, nach pflichtgemäßem Ermessen sowohl das Gebot der Beschleunigung des Verfahrens als auch den Anspruch der Beteiligten auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu beachten. Sind demnach erhebliche Gründe im zuvor bezeichneten Sinne gegeben, verdichtet sich das Ermessen des Vorsitzenden in der Regel zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen, selbst wenn er die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird.
8Vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2019 – VII ZR 123/ 18 –, NJW-RR 2019, 695 = juris Rn. 22.
9Ein erheblicher Grund kann unter anderem darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter erkrankt ist. Jedoch ist eine Erkrankung nur dann ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann, mithin vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit vorliegt,
10vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1998 ‑ 8 B 162.98 –, juris Rn. 2; Beschluss vom 20. April 2017 – 2 B 69.16 –, a. a. O., Rn 9.
11Der Vorsitzende kann, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Angaben im Antrag bestehen, zur Glaubhaftmachung der Erkrankung bzw. der daraus folgenden Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit die Vorlage eines ärztlichen Attests aufgeben, § 227 Abs. 2 ZPO,
12vgl. Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 227 Rn. 24.
13Wird die Terminsverlegung indes erst unmittelbar, sozusagen „in letzter Minute“, vor der anberaumten mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf eine Erkrankung beantragt und bleibt dem Vorsitzenden daher keine Zeit, den Antragsteller zur Glaubhaftmachung der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit aufzufordern, obliegt es dem Antragsteller, den Verhinderungsgrund auch ohne besondere Aufforderung nach § 227 Abs. 2 ZPO derart schlüssig und substantiiert darzulegen und zu untermauern, dass der Vorsitzende ohne weitere Nachforschung in die Lage versetzt wird, selbst das Vorliegen der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit zu beurteilen. Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminsverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit,
14vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Dezember 2020 – 6 A 3032/20.A –, juris Rn. 8 mit weiteren Nachweisen, vom 1. Februar 2018 – 4 A 10/18.A –, juris Rn. 24, und vom 5. Juni 2012 – 17 E 196/12 –, juris Rn. 17 f.
15Unabhängig von einer gerichtlichen Aufforderung ist in solch eiligen Fällen demnach grundsätzlich die Vorlage eines ärztlichen Attestes notwendig, aus dem der Vorsitzende Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen kann,
16vgl. BSG, Beschluss vom 16. April 2018 – B 9 V 66/17 B –, juris Rn. 5.
17Bei alledem dürfen vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Ranges der prozessualen Gewährleistung des rechtlichen Gehörs jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden,
18vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 ‑ 6 B 32.09 –, juris Rn. 4.
19Nach diesen Maßgaben war nach den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen eine Terminsverlegung geboten.
20Der Kläger hat dem Verwaltungsgericht am 27. April 2018 rd. 1 1/2 Stunden vor Beginn der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, er habe sich mit einer akuten Krankheitssymptomatik in die Notfallambulanz des Evangelischen Klinikums O. begeben. Es müssten weitere Untersuchungen durchgeführt werden. Er könne nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen.
21Es gab keine objektiven Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit dieser Darstellung. Daran, dass sich der Kläger am Morgen des 27. April 2018 im Evangelischen Klinikum O. befunden hat, bestehen – vor dem Hintergrund, dass der Verlegungsantrag vom Fax-Anschluss des Klinikums versendet wurde – keine Zweifel. Weiterhin hatte der Kläger am Telefon um 8.40 Uhr plausibel gegenüber der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts erklärt, akute Blutdruckbeschwerden zu haben, weshalb im Krankenhaus nunmehr einige Tests durchgeführt würden, um den Grund dieser Beschwerden herauszufinden. Vor dem Hintergrund der erst noch anstehenden kardiologischen Untersuchungen konnte der Kläger zu diesem Zeitpunkt weder bereits konkrete Angaben zu den bei ihm vorliegenden Erkrankungen machen noch war es ihm möglich, bis zu Beginn bzw. bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung ein ärztliches Attest vorzulegen, aus dem sich Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung ergeben hätten.
22Allein aus dem Umstand, dass der Kläger selbst den Terminsverlegungsantrag – auf ausdrückliche Aufforderung der Geschäftsstelle hin – schriftlich abgefasst hat, lässt sich seine Verhandlungsfähigkeit nicht herleiten. Dass er aus dem Krankenhaus eine knappe schriftliche Mitteilung übermitteln konnte, lässt nicht darauf schließen, dass er auch in der Lage gewesen wäre, sich in einer mündlichen Verhandlung selbst zu vertreten.
23Hinreichende Anhaltspunkte, die auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers schließen lassen, liegen nicht vor. Insbesondere aus dem zuvor aus anderem Grund gestellten und abgelehnten Terminsverlegungsantrag lässt sich ein solches nicht herleiten. Auch der Umstand, dass – ausweislich des Arztberichtes vom 3. Mai 2018 – der Kläger bereits am Tag zuvor unter Bluthochdruck und Unwohlsein gelitten hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hätte er sich bereits zu diesem Zeitpunkt einem Arzt vorstellen können. Indes wäre dies unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Mitwirkungspflicht des Klägers nur dann geboten gewesen, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich schon für verhandlungsunfähig gehalten hätte. Dafür gibt der Arztbericht aber nichts her und ist auch sonst nichts ersichtlich.
24Dahinstehen kann aufgrund der vorstehenden Überlegungen, ob darüber hinaus die Behauptung des Klägers zutrifft, er habe in dem genannten Telefongespräch mit der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts mitgeteilt, es habe der Verdacht eines Herzinfarktes bestanden.
25II. Das angefochtene Urteil kann auf dem Verfahrensmangel beruhen, so dass von dessen Erheblichkeit auszugehen ist.
26Dem Kläger kann insoweit nicht entgegengehalten werden, das Zulassungsvorbringen genüge nicht den Darlegungsanforderungen.
27Die ordnungsgemäße Begründung der Gehörsrüge erfordert zwar grundsätzlich Ausführungen dazu, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre; nur auf der Grundlage eines solchen Vortrags kann geprüft und entschieden werden, ob auszuschließen ist, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer günstigeren Entscheidung geführt hätte.
28So Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 124 Rn. 223 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung.
29Diese Grundsätze gelten jedoch nur für Fälle, in denen sich die behauptete Versagung rechtlichen Gehörs auf einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte beziehen. Sie gelten nicht, wenn die Gehörsrüge – wie insbesondere im Falle der dem Rechtsmittelführer versagten Teilnahme an der mündlichen Verhandlung – den gesamten Verfahrensstoff erfasst.
30So Seibert, a. a. O., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung.
31Hat der Rechtsmittelführer an der mündlichen Verhandlung – wie hier – nicht teilnehmen können, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen, wie die mündliche Verhandlung im Falle seiner Anwesenheit verlaufen wäre. Das Vorbringen eines Beteiligten in der mündlichen Verhandlung, die wesentlich durch das Gespräch zwischen Gericht und Rechtssuchendem geprägt ist, wird weitgehend durch den konkreten Verlauf der mündlichen Verhandlung bestimmt. Der Rechtsmittelführer ist daher objektiv nicht in der Lage, Ausführungen darüber zu machen, was er im Falle einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen hätte. Dies rechtfertigt es, auf eine entsprechende Kausalitätsprüfung und Darlegungen hierzu zu verzichten.
32Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 ‑ 6 B 32.09 ‑, a. a. O., Rn. 2; Seibert, a. a. O.
33Aus denselben Gründen ist auch eine Prüfung, ob das verwaltungsgerichtliche Urteil jedenfalls im Ergebnis richtig ist, nicht möglich.
34Vgl. Seibert, a. a. O., mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung.
35III. Da die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen wird, erübrigt sich die Frage, ob weitere vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgründe in Betracht kommen.
36Rechtsmittelbelehrung
37Das Antragsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
38Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechts-verkehr-Verordnung – ERVV) einzureichen; sie muss einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
39Im Berufungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Begründung der Berufung. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –).
40Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
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