Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 1877/20
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 16.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist unbegründet. Aus der Antragsbegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag zu Unrecht stattgegeben hat,
3die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Einweisung des Beigeladenen in die Stelle "Abteilungsleitung der Verwaltungsabteilung des Amtes für Kinder, Jugend und Familie - ausgewiesen nach A 13 E 1 des Landesbesoldungsgesetzes - (Kennziffer 51.10 [0345])" rückgängig zu machen und diesem den Dienstposten nicht erneut zu übertragen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden wurde und eine Frist von zwei Wochen abgelaufen ist, nachdem dem Antragsteller die erneute Entscheidung mitgeteilt worden ist.
4Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die dienstliche Beurteilung des Antragstellers vom 13. Mai 2021 (Datum der Erstbeurteilung bzw. "Beurteilungstag" laut Beurteilungsformular), die der verfahrensgegenständlichen Auswahlentscheidung zugrunde gelegt worden sei, sei rechtswidrig, weil mit dem Antragsteller vor ihrer Abfassung kein Beurteilungsgespräch geführt worden sei. Nach Nr. 5 Abs. 5 der maßgeblichen Beurteilungsrichtlinien der Antragsgegnerin vom 1. Februar 2020 sei vor Abfassung der Beurteilung mit dem Bediensteten
5- im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und weiblichen Sprachform verzichtet und gilt die männliche Sprachform für beide Geschlechter -
6ein Gespräch zu führen, um seine Selbsteinschätzung berücksichtigen zu können. Das sei nicht geschehen. Ein solches Beurteilungsgespräch könne zwar bei Vorliegen besonderer Umstände entbehrlich sein, etwa wenn das Beurteilungsgespräch nicht in gebotener Weise durchgeführt werden könne, weil der Beamte in dem Zeitpunkt, in dem es zu führen sei, langfristig dienstunfähig erkrankt sei, oder wenn dieser ein derartiges Gespräch eindeutig ablehne. Diese Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt gewesen. Obwohl der Antragsteller seit dem 28. April 2020 durchgehend dienstunfähig erkrankt gewesen sei, hätte die Antragsgegnerin ihm die Durchführung eines Gesprächs jedenfalls anbieten müssen. Es sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragsgegnerin vor Abfassung der dienstlichen Beurteilung bereits davon habe ausgehen müssen, dass der Antragsteller längerfristig dienstunfähig erkrankt sein werde. Spätestens jedoch, als die Antragsgegnerin sich entschlossen habe, das Beurteilungsverfahren trotz dauernder Dienstunfähigkeit des Antragstellers abzuschließen und die Beurteilung abzufassen, hätte sie dem Antragsteller Gelegenheit zur Durchführung eines - gegebenenfalls telefonischen - Gesprächs geben müssen. Dies gelte umso mehr, als dem Antragsteller mit E-Mail des kommissarischen Abteilungsleiters L. vom 13. April 2020 mitgeteilt worden sei, dass er eine dienstliche Beurteilung erwarten könne, die von diesem erstellt worden sei und auf ein Gesamturteil von 7,3 Punkten laute. Die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung sei jedoch vom Amtsleiter L1. (richtig: L2. ) erstellt worden und habe auf ein Gesamturteil von 6,8 Punkten gelautet.
7Die Antragsgegnerin habe auch nicht davon ausgehen können, dass der Antragsteller ein ihm angebotenes Beurteilungsgespräch mit Blick auf seine Erkrankung in jedem Fall ablehnen werde; sie habe im Gegenteil davon ausgehen müssen, dass ihm unbedingt daran gelegen gewesen sei, sich im Beurteilungsverfahren zu äußern. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Antragsteller die der verfahrensgegenständlichen dienstlichen Beurteilung vorangehende Beurteilung vom 4. November 2016 bereits gerichtlich angefochten und hierdurch ein besonderes Interesse an der Rechtmäßigkeit seiner dienstlichen Beurteilungen einschließlich der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben im Beurteilungsverfahren bekundet habe.
8Diese selbstständig entscheidungstragenden Erwägungen zieht die Antragsgegnerin nicht durchgreifend mit dem Beschwerdevorbringen in Zweifel, sie habe ein Gesprächsangebot für obsolet halten dürfen, weil der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erstellung der Beurteilung dienstunfähig erkrankt und für sie nicht ersichtlich gewesen sei, wann er wieder dienstfähig sein werde. Damit setzt sie sich mit den Besonderheiten des Einzelfalls, auf die das Verwaltungsgericht seine Annahme gestützt hat, die Antragsgegnerin habe dem Antragsteller trotz dessen Erkrankung ein Beurteilungsgespräch zumindest anbieten müssen, schon in keiner Weise auseinander. Im Übrigen schließt sich der Senat den Feststellungen des Verwaltungsgerichts an. Dabei mag fraglich sein, ob darauf abzustellen ist, dass der Antragsteller seine vorausgegangene Beurteilung angefochten hat. Dass er in besonderer Weise an der Durchführung eines Beurteilungsgesprächs interessiert war, ergibt sich jedenfalls daraus, dass er bereits zur ihm angekündigten - und besser ausgefallenen - Beurteilung ausdrücklich erklärt hat, ein Beurteilungsgespräch führen zu wollen; in seiner E-Mail an Herrn L. vom 1. Mai 2020 hat er ausgeführt, das Vorgespräch sei zu führen, dies müsse aber warten, bis er wieder im Dienst sei. Der Antragsteller verweist überdies zu Recht darauf, dass die Antragsgegnerin ihn - trotz seiner fortbestehenden Dienstunfähigkeit - aus anderem Anlass am 4. November 2020 durchaus um ein Gespräch gebeten hat, das in der Folge am 10. November 2020 dann auch geführt worden ist.
9Die von der Antragsgegnerin vertretene Rechtsauffassung, das Fehlen eines solchen vorbereitenden Beurteilungsgesprächs sei regelmäßig ohne Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Beurteilung, trifft nicht zu. Die Antragsgegnerin beruft sich hierfür ohne Erfolg auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2005 ‑ 2 C 35.05 -, BVerwGE 124, 356 = juris Rn. 10, und dessen Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 1 WB 51.10 -, juris Rn. 32. Die Entscheidungen geben für ihre Ansicht nichts her. Sie verhalten sich nicht zu Beurteilungsgesprächen, die zur Vorbereitung einer Beurteilung zu führen sind und dem Abgleich der Einschätzung des Beurteilers mit derjenigen des zu Beurteilenden dienen, sondern auf im Stadium der Leistungserbringung zu führende Mitarbeiter- bzw. Personalführungsgespräche, die anderen Zwecken dienen, etwa nämlich, Schwächen und Stärken des Beamten zu erörtern, ihn auf Defizite hinzuweisen oder seine weitere Verwendung bzw. Personalentwicklung zu besprechen. Für die Richtigkeit des Urteils über das Leistungsbild ist das Fehlen derartiger Gespräche ohne Bedeutung, weil lediglich die tatsächlich gezeigten Leistungen bewertet werden können.
10Ebenso wenig dringt die Antragsgegnerin mit dem Vorbringen durch, darüber hinaus wäre auch in Anbetracht eines solchen Gesprächs kein anderes Ergebnis in der Beurteilung zu erwarten gewesen, so dass keine Kausalität zwischen einem fiktiven Gespräch und der Beurteilung bestehe. Es trifft zwar im Ausgangspunkt zu, dass der Antragsteller in einem Konkurrentenstreitverfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung nur dann beanspruchen kann, wenn seine Aussichten, bei einer erneuten, den aufgezeigten Rechtsfehler vermeidenden Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, zumindest offen sind.
11Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 22. Juli 2019 ‑ 6 B 708/19 -, Schütz BeamtR ES/D I 2 Nr. 153 = juris Rn. 8 ff. m. w. N.
12Dies ist beim Unterbleiben des Beurteilungsgesprächs aber regelmäßig der Fall. Denn das Beurteilungsgespräch soll dem Beamten die Gelegenheit bieten, Umstände zur Sprache zu bringen, die für die Bewertung seines Leistungsbildes von Bedeutung sein können, aus seiner Sicht aber von dem Beurteiler unzureichend gewürdigt worden sind. Es erschöpft sich nicht in einem bloßen Gegenüberstellen von Einschätzungen, sondern schließt die Möglichkeit von Erläuterungen und Diskussionen einander widersprechender Wahrnehmungen ein. Anders als bei der nachträglichen Eröffnung der Beurteilung muss prinzipiell also noch eine Beeinflussung des Beurteilungsergebnisses möglich sein; dieses darf noch nicht unverrückbar feststehen.
13OVG NRW, Urteil vom 27. Januar 2021 - 6 A 2176/19 -, juris Rn. 60 m. w. N.
14Damit ist ein Beurteilungsgespräch prinzipiell geeignet, das Ergebnis einer dienstlichen Beurteilung zu beeinflussen bzw. zu verändern. Mit dem nicht näher begründeten Vortrag, es sei ausgeschlossen, dass das Gespräch zu einer anderen Beurteilung habe führen können, verkennt die Antragsgegnerin die dargestellte Funktion eines solchen Gesprächs grundlegend.
15Auch der deutliche Vorsprung des Beigeladenen beim Vergleich der zugrunde gelegten dienstlichen Beurteilungen führt nicht dazu, dass die Auswahl des Antragstellers bei einer rechtmäßigen Auswahlentscheidung von Vornherein ausgeschlossen erscheint. Allerdings weist die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen nicht nur ein besseres Gesamturteil auf, sondern dieser befindet sich auch in einem höheren Statusamt, so dass seiner Beurteilung nochmals höheres Gewicht zukommt. Welchen Einfluss das Beurteilungsgespräch auf das Ergebnis der dienstlichen Beurteilung des Antragstellers haben wird, lässt sich aber nicht sagen.
16Dass der Antragsteller, der nunmehr - soweit dem Senat bekannt - seit dem 28. April 2020 durchgehend dienstunfähig erkrankt ist, mangels gesundheitlicher Eignung für die Stellenbesetzung nicht infrage kommt,
17s. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Dezember 2019 - 1 B 1522/19 -, juris Rn. 13, und vom 23. September 2019 - 6 B 720/19 -, NVwZ-RR 2020, 407 = juris Rn. 15 ff. ,
18macht die Beschwerde schon nicht geltend, so dass dem Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eine Befassung mit dieser Frage verwehrt ist.
19Vor dem Hintergrund des Vorstehenden kann auf sich beruhen, ob das Verwaltungsgericht daneben zu Recht angenommen hat, die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung des Antragstellers sei nicht vom zuständigen Erstbeurteiler erstellt worden. Hingewiesen sei allerdings zum einen darauf, dass es für das Verständnis von Beurteilungsrichtlinien maßgeblich auf die Auslegung bzw. die Praxis des Richtliniengebers ankommt. Zum anderen verweist die Antragsgegnerin zu Recht darauf, dass nach der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts dienstliche Beurteilungen nicht durch Bedienstete mit niedrigerem und regelmäßig auch gleichem Statusamt erfolgen dürfen.
20Urteil vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, BVerwGE 161, 240 = juris Rn. 16; s. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 B 1361/16 -, NWVBl 2017, 302 = juris Rn. 9 ff., sowie Bay. VGH, Beschluss vom 23. April 2019 - 6 CE 19.76 -, juris Rn. 16.
21Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten zwischen den Beteiligten sei darüber hinaus vorsorglich angemerkt: Sollte der Antragsteller bei der Neuerstellung der Beurteilung einem Gesprächsangebot in einem angemessenen, angesichts der obwaltenden Umstände eher knapp zu bemessenden Zeitraum nicht nachkommen können oder wollen, dürfte dies allein nach dem oben Ausgeführten nicht zur Rechtswidrigkeit einer dann gleichwohl erstellten Beurteilung führen. Im Übrigen mag manches dafür sprechen, dass die Beurteilung bis zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit auch zurückgestellt werden könnte,
22Schnellenbach/Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, 69. Aktualisierung 10/2020, 10.2 Zurückstellung,
23wenngleich die Beurteilungsrichtlinien dazu keine Regelung enthalten.
24Entgegen der erstinstanzlich vertretenen Auffassung des Antragstellers muss ferner ein Gespräch zur Vorbereitung oder zur Eröffnung der dienstlichen Beurteilung resp. eine Gegenäußerung des betroffenen Beamten nicht zwangsläufig zur Änderung der Beurteilung führen und ist es daher nicht fehlerhaft, dass die Beurteilungsrichtlinien dies nicht vorsehen. Es versteht sich vielmehr von selbst, dass die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Beurteilung nicht von dem Einverständnis des Beurteilten mit den Bewertungen abhängt. Ebenso wenig ist es geboten oder auch nur üblich, dass in Beurteilungsrichtlinien angegeben wird, welcher Rechtsweg gegen dienstliche Beurteilungen eröffnet und in welcher Form dieser zu beschreiten ist. Schließlich ist ausgeschlossen, die dienstliche Beurteilung des Antragstellers, wie dieser fordert, einer in einem höheren Statusamt erteilten Beurteilung gleichzustellen, weil - so die Auffassung des Antragstellers - er in der Vergangenheit bei Beförderungsverfahren zu Unrecht übergangen worden ist. Beurteilt werden können - wie erwähnt - nur die tatsächlich erbrachten Leistungen, die an den Anforderungen des tatsächlich innegehaltenen Statusamts zu messen sind.
25Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG.
26Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 154 1x
- 6 B 708/19 1x (nicht zugeordnet)
- 6 A 2176/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 3 1x
- VwGO § 146 2x
- 1 B 1522/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 162 1x
- 1 B 1361/16 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- 6 B 720/19 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 152 1x