Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 1671/19.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 22.2.2019 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
31. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich in dem angestrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Für die Darlegung dieser Voraussetzungen ist neben der Formulierung einer Rechts- oder Tatsachenfrage erforderlich, dass der Zulassungsantrag konkret auf die Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit der Rechts- bzw. Tatsachenfrage sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht.
4Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.1.2016 – 4 A 2103/15.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.
5Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Insoweit ist es Aufgabe des Rechtsmittelführers, durch die Benennung von bestimmten begründeten Informationen, Auskünften, Presseberichten oder sonstigen Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern die gegenteiligen Bewertungen in der Zulassungsschrift zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.
6Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11.5.2020 – 4 A 1437/19.A ‒, juris, Rn. 4 f., m. w. N.
7Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Antragsbegründung nicht. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
8„ob vorverfolgt ausgereisten Christen in Pakistan überhaupt interner Schutz zur Verfügung steht",
9rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Abgesehen davon, dass für die aufgeworfene Frage angesichts der vom Verwaltungsgericht angenommenen allein in Lahore lebenden etwa zwei Millionen Christen (Urteilsabdruck, Seite 8, zweiter Absatz) in ihrer Allgemeinheit kein grundsätzlicher Klärungsbedarf ersichtlich ist, setzt sich der Kläger nicht ausreichend mit den Feststellungen der vom Verwaltungsgericht benannten Gerichtsurteile und Erkenntnisse auseinander. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass für den Kläger bei Rückkehr nach Pakistan die Möglichkeit bestehe, internen Schutz in Anspruch zu nehmen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung des Klägers in einem anderen Landesteil Pakistans sprechen. Hinsichtlich der Möglichkeit, sich eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen, hat es sich auf die Ausführungen in den Urteilen des Verwaltungsgerichts Aachen vom 21.6.2013 ‒ 6 K 1151/12.A ‒ und des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13.12.2007 ‒ AN 3 K 07.30689 ‒ (Urteilsabdruck, Seite 7, zweiter Absatz) gestützt. Dem Einwand des Klägers, er habe bereits vergeblich versucht, in verschiedenen Städten Pakistans Fuß zu fassen, ist es unter Bezugnahme auf die bereits benannte Auskunft des European Asylum Support Office mit dem Verweis auf die in Pakistan bestehenden großen Zentren von Christen in den Großstädten des Punjab entgegengetreten (Urteilsabdruck, Seite 8, zweiter Absatz). Insbesondere ist es unter Bezugnahme auf die nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes von Mai 2016 und August 2018 zu verneinende Macht terroristischer Gruppen in allen Landesteilen und die wenig exponierte Stellung des Klägers davon ausgegangen, dass dieser nicht in ganz Pakistan aufgespürt werden könne. Die Antragsschrift zeigt nicht auf, dass die hierauf beruhende Würdigung des Verwaltungsgerichts, es sei nicht ersichtlich, warum es dem Kläger in einer der zahlreichen großen christlichen Gemeinden nicht gelingen sollte unbehelligt zu leben, in Frage zu stellen oder aufgrund anderer, insbesondere aktuellerer Erkenntnisse neu vorzunehmen wäre. Hierfür reicht weder die allgemeine Beschreibung der vielgestaltigen Diskriminierungen von Christen in Pakistan noch die stichwortartige Aufzählung einzelner Beispiele christlicher Opfer. Mit der Schilderung dieser Einzelfälle ist nicht dargetan, dass die auf unabhängige Quellen gestützte Einschätzung des Verwaltungsgerichts durch die neueren Ereignisse überholt sein könnte. Hinzu kommt, dass nach den Angaben des Klägers sowohl seine Ehefrau und seine Kinder als auch seine Großfamilie in Pakistan verblieben sind, die ebenfalls dem christlichen Glauben angehören sollen.
102. Der Einwand des Klägers, die die Auffassung des Verwaltungsgerichts teilenden Gerichte übersähen einen wichtigen Aspekt in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum internen Schutz, führt nicht auf eine Zulassung der Berufung wegen Divergenz (Zulassungsgrund nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG).
11Der Kläger benennt nicht – wie erforderlich – einen inhaltlich bestimmten, die angegriffene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz, mit dem die Vorinstanz einem in der übergeordneten Rechtsprechung in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz widersprochen hat. Die Gegenüberstellung der voneinander abweichenden Rechts- oder Tatsachensätze ist zur ordnungsgemäßen Erhebung der Divergenzrüge unverzichtbar.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8.6.2015 – 4 A 361/15.A –, juris, Rn. 2 f., m. w. N.
13Vielmehr behauptet der Kläger, das Verwaltungsgericht habe im Widerspruch zu den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.5.2009 ‒ 10 C 21.08 ‒, vom 27.4.2010 ‒ 10 C 5.09 ‒ und vom 18.2.1997 ‒ 9 C 9.96 ‒ den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU nicht beachtet, obwohl es das von ihm vorgetragene Verfolgungsschicksal als wahr unterstellt habe.
14Dieser Einwand greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat nicht einmal sinngemäß einen von den genannten Urteilen abweichenden Rechts- oder verallgemeinerungsfähigen Tatsachensatz aufgestellt. Ob das Verwaltungsgericht höchstrichterlich aufgezeigte Rechtssätze zutreffend angewandt hat, ist hingegen für das Vorliegen einer Divergenz unerheblich. Denn das bloße Aufzeigen einer vermeintlich fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die ein übergeordnetes Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, begründet keine Divergenz.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2020 ‒ 4 A 4654/19.A ‒, juris, Rn. 5 f., m. w. N.
163. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers zuzulassen, § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG in Verbindung mit § 138 Nr. 3 VwGO.
17Die ‒ hier allein in Rede stehende ‒ Ablehnung eines Beweisantrags führt nur dann zu einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach dem Rechtsstandpunkt des entscheidenden Gerichts erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet.
18Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.9.2017 ‒ 1 B 118.17 ‒, juris, Rn. 5, m. w. N.
19Gemessen daran ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Antrag des Klägers zum Beweis der Tatsachen,
20dass dem Kläger in Anknüpfung an seine christliche Religionszugehörigkeit landesweit Eingriffe in Leib bzw. Leben drohen bzw. keine stichhaltigen Gründe ersichtlich sind, dass in anderen Landesteilen solche Übergriffe nicht drohen (in Anknüpfung an Bundesverwaltungsgericht, 5.5.2009, Az.: 10 C 21.08),
21eine Auskunft des Auswärtigen Amtes bzw. der Deutschen Botschaft in Pakistan sowie amnesty international einzuholen, abgelehnt hat.
22Die Ablehnung findet eine Stütze im Prozessrecht. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag ausweislich des Sitzungsprotokolls in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen deswegen abgelehnt, weil ihm hinreichende Auskünfte zur Verfügung stünden, so dass es sich nicht in der Pflicht sehe, weitere Auskünfte einzuholen, zumal nicht ersichtlich sei, dass die vorliegenden Auskünfte zweifelhaft seien oder das Beweisergebnis ernsthaft erschütterten (Protokollabdruck, Seite 6, vierter Absatz). In den Urteilsgründen hat es die Ablehnung wegen eigener Sachkunde weiter vertiefend begründet (Urteilsabdruck, Seite 10, zweiter bis letzter Absatz).
23Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über einen Antrag auf Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 412 Abs. 1 ZPO. Das gerichtliche Ermessen kann sich unter anderem dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Reichen indes die in das Verfahren bereits eingeführten Erkenntnismittel zur Beurteilung der geltend gemachten Gefahren aus, kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen, wenn es seine Sachkunde ggf. im Rahmen der Beweiswürdigung darstellt und belegt. Das Ermessen findet seine Grenze dort, wo sich weitere Ermittlungen aufdrängen.
24Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27.3.2013 – 10 B 34.12 –, NVwZ-RR 2013, 620 = juris, Rn. 4, und vom 8.3.2006 – 1 B 84.05 –, Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 11 = juris, Rn. 7.
25Inwiefern die so im Einzelnen begründete Ablehnung der beantragten Einholung von Auskünften durch das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft gewesen sein soll, ergibt sich aus der Zulassungsbegründung nicht. Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung, es bestünden stichhaltige Gründe gegen eine erneute Verfolgung des Klägers in einem anderen Landesteil Pakistans (Urteilsabdruck, Seite 6, letzter Absatz, bis Seite 10, erster Absatz), unter Auswertung der vorhandenen Erkenntnisse sowie der vom Kläger vorgelegten Informationen und der einschlägigen Rechtsprechung getroffen. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Erkenntnisse zweifelhaft oder das Beweisergebnis anderweitig erschüttert sein könnte. Der Kläger benennt als Beleg für seine gegenteilige Behauptung keine abweichende Rechtsprechung oder Auskünfte, die zu einer anderen Bewertung führen könnten, sondern belässt es bei der Schilderung einzelner religiös motivierter Übergriffe gegenüber Christen in Pakistan.
26Insbesondere lässt sich ein Fehlen der eigenen Sachkunde des Gerichts nicht damit belegen, dass es hinsichtlich der Gruppierung „Jamaat-ul-Dawa“ auf einen Eintrag in Wikipedia verwiesen hat. Dieser Verweis dient ausweislich des erstinstanzlichen Urteils ausschließlich der gerichtlichen Bestätigung einer erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgestellten Behauptung des Klägers (Urteilsabdruck, Seite 9, erster Absatz). Dieser hatte anstelle der in der Anhörung beim Bundesamt angeführten Organisation „Jamaat-e-Islami“ in der mündlichen Verhandlung die Gruppe „Jamaat-ul-Dawa“ (richtig: Jamaat-ud-Dawa) als Organisation benannt, die ihn attackiert habe. Dass es sich bei der Jamaat-ud-Dawa um eine terroristische Organisation handelt, hat das Verwaltungsgericht angesichts einer entsprechenden Erklärung durch die Vereinten Nationen, die sich aus dem im Urteil benannten Wikipedia-Eintrag ergibt, bestätigt gesehen. Seine Einschätzung, dass terroristische Organisationen keine sich auf sämtliche Landesteile Pakistans erstreckende Macht besitzen, hat es hingegen mit den mit der Ladung bekannt gegebenen und in die mündliche Verhandlung eingeführten Erkenntnisquellen belegt. Dass diese Erkenntnisquellen in Bezug auf die Terrorgefährdung in Pakistan zu überprüfen seien, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung weder (substantiiert) vorgetragen noch mit entsprechenden Dokumenten belegt.
27Im Übrigen ergibt sich auch aus dem vom Kläger im Zulassungsverfahren angeführten, erst im März 2019 ‒ damit nach der mündlichen Verhandlung und nach Abfassung des verwaltungsgerichtlichen Urteils ‒ veröffentlichten Artikel „Pakistan seals Jamaat-ud-Dawa headquarters, detains more than 120 suspected militants“ nicht, dass die Jamaat-ud-Dawa über ein zum Aufspüren des Klägers in anderen Landesteilen geeignetes Netzwerk verfügen könnte. Auch wenn in dem Artikel, wie vom Kläger hervorgehoben, die Anzahl von circa 50.000 freiwilligen und hunderten bezahlten Arbeitern der Jamaat-ud-Dawa und ihrer Wohltätigkeitsorganisation erwähnt ist, steht dem die vom Verwaltungsgericht benannte Bevölkerungszahl Pakistans von mehr als 200 Millionen Einwohnern gegenüber. Dessen ungeachtet referiert der Artikel im Wesentlichen das erfolgreiche und umfassende Vorgehen mehrerer Provinzregierungen gegen diese terroristische Vereinigung. Danach seien die Hauptquartiere der Jamaat-ud-Dawa und ihrer Wohltätigkeitsorganisation in Lahore und Muridkey versiegelt worden, die Regierung habe die Kontrolle über die Moscheen, Seminare und anderen Institutionen der Jamaat-ud-Dawa übernommen und 120 Aktivisten seien festgenommen worden. Ebenso habe die Regierung des Sindh entschieden, gegen die Organisation vorzugehen und dies auch ausgeführt.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
29Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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