Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 11 D 79/19.AK
Tenor
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Die Klage wird abgewiesen.
2Tatbestand:
3Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung A., Flur 82, Flurstück 1748 mit der postalischen Anschrift N.----straße 112-114 in A.. Das Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und ist mit einem Mehrfamilienhaus bebaut. Unmittelbar westlich des Grundstücks verläuft die zweigleisige Eisenbahnstrecke Aachen-Kassel; südwestlich des Grundstücks liegt der Haltepunkt Aachen-Schanz.
4An dem Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin wird der maßgebliche Immissionsgrenzwert für ein Mischgebiet nach der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) von 64 dB(A) tagsüber und 54 dB(A) nachts insbesondere durch den Eisenbahnbetrieb erheblich überschritten.
5Mit Antrag vom 22. September 2017 beantragte die Beigeladene die planungsrechtliche Zulassung für das Vorhaben „Verlängerung der beiden Außenbahnsteige am Haltepunkt Aachen-Schanz“. Als Kernmaßnahmen sollen die beiden vorhandenen Außenbahnsteige Gleis 1 und 2 von einer Baulänge von ca. 138 m auf eine Baulänge von 220 m (Nutzlänge 215 m) verlängert, Bahnsteigdächer mit einer Länge von je 44 m an den Bahnsteigen 1 und 2 sowie ein dritter Aufzug an der Station hergestellt werden. Im Zuge der geplanten Baumaßnahmen soll eine 94 qm große Teilfläche des Grundstücks der Klägerin vorübergehend als Zugang zum Bahngelände in Anspruch genommen werden.
6Die von der Beigeladenen eingereichten Unterlagen enthielten u. a. einen Erläuterungsbericht, mehrere Übersichts- und Lagepläne, ein Grunderwerbsverzeichnis, eine Schall- und erschütterungstechnische Untersuchung der Sachverständigenbüros Q. Deutschland GmbH und Baudynamik I. & N1. GmbH vom 28. März 2017 und einen landschaftspflegerischen Begleitplan.
7Nach Durchführung des Anhörungsverfahrens, an dem sich die Klägerin nicht beteiligte, genehmigte die Beklagte das Vorhaben mit Planfeststellungsbeschluss vom 29. Mai 2019. Der Planfeststellungsbeschluss enthält Nebenbestimmungen u. a. zu baubedingten Lärmimmissionen. Einen Anspruch auf Entschädigung für die bauzeitliche Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin sowie Beeinträchtigungen durch baubedingte Lärmimmissionen sah der Planfeststellungsbeschluss nicht ausdrücklich vor.
8Gegen den am 11. Juli 2019 öffentlich bekannt gemachten Planfeststellungsbeschluss hat die Klägerin am 15. August 2019 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass sie nicht nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG präkludiert sei, weil sie entgegen § 73 Abs. 5 Satz 3 VwVfG nicht benachrichtigt worden sei. Deswegen könne ihr auch nicht der Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen oder unredlichen Verhaltens i. S. d. § 5 UmwRG gemacht werden. Der Planfeststellungsbeschluss sei schon deshalb rechtswidrig, weil eine rechtlich gebotene Prüfung nach der Landesbauordnung nicht stattgefunden habe. Die Überprüfung des Vorhabens nach Maßgabe der Landesbauordnung sei in Bezug auf die geplanten jeweils zwei Bahnsteigdächer und Wetterschutzhäuser nicht wegen § 1 Abs. 2 Ziff. 1 BauO NRW obsolet gewesen. Insbesondere das Wetterschutzhaus, welches unmittelbar an der Grenze zu ihrem Grundstück errichtet werden solle, sei ein Gebäude nach § 2 Abs. 2 BauO NRW. Gleiches gelte für die beiden geplanten Bahnsteigdächer. Das vorgenannte Wetterschutzhaus halte die nach § 6 BauO NRW vorgegebenen Abstände nicht ein; es werde nicht einmal der Mindestabstand von 3 m gewahrt. Insofern liege eine materielle Rechtsverletzung zu ihren Lasten vor. Dass die Wetterschutzhäuser nur über die Bahnsteige erreichbar seien und deren Nutzung „immer nur in Verbindung mit der Benutzung der Verkehrsanlage erfolge“, stehe dem Merkmal der „selbständigen Benutzbarkeit“ nicht entgegen. Auch für die Überdachung eines U-Bahneingangs bzw. den Fahrgastunterstand an einer Bushaltestelle oder eine Raststätte an einer Bundesautobahn sei materiell das Bauordnungsrecht anzuwenden. Auf die Planfeststellungsrichtlinien der Beklagten komme es insofern nicht an. Der Planfeststellungsbeschluss setze sich nicht damit auseinander, ob die Umsetzung des Vorhabens bzw. die Erreichung des damit avisierten Ziels die Verlängerung der Bahnsteige bis unmittelbar auf Höhe ihres Grundstückes erfordere. Ein solches Erfordernis folge nicht schon daraus, dass Bahnsteige mit einer Baulänge von 220 m errichtet werden sollen. Es sei nicht belegt, dass es unvermeidlich sei, die Bahnsteige bis an das Grundstück der Klägerin heranzuführen. Die Intim-/Privatsphäre der Mieter der Wohnungen auf ihrem Grundstück werde empfindlich gestört, weil nach Realisierung des Vorhabens die auf den Zug wartenden Menschen ungehindert Einblick in die Wohnungen nehmen könnten. Dies sei nicht mit der gegenwärtigen Situation vergleichbar, in der in vorbeifahrenden Zügen befindliche Personen allenfalls flüchtig in die Wohnungen blicken könnten. Auch gebe es keine Vorbelastung aufgrund der Innenstadtlage, weil sich die Möglichkeit zur Einsichtnahme in der Regel auf Nachbarn, aber nicht auf ständig wechselnde Passanten erstrecke. Die vorgenannte Beeinträchtigung sei von der Planfeststellungsbehörde nicht in die Abwägung eingestellt worden, jedenfalls sei eine Abwägung anhand der Unterlagen nicht erkennbar. Es sei nicht ersichtlich, dass Überlegungen zu Sichtschutzmaßnahmen getroffen worden seien. Darin liege ein offensichtlicher Abwägungsmangel im Sinne des § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG. Es komme in Betracht, dass die Beklagte bei Berücksichtigung dieses Belanges zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Die schalltechnische Untersuchung der Q1. Deutschland GmbH bestätige ganz erhebliche Beeinträchtigungen ihres Grundstücks durch Baulärm, die - zumindest zeitweise - eine Nutzung der Wohnungen auf dem Grundstück ausschlössen. Der Untersuchung seien detaillierte Maßnahmen bzw. Vorgehensweisen zur Reduzierung der Lärmbelastung zu entnehmen. Die Vorgaben unter A.4.3 und B.4.5.1 des Planfeststellungsbeschlusses würden den Empfehlungen der Untersuchung nicht gerecht. Die Regelungen seien gegenüber dem Erläuterungsbericht und der schalltechnischen Untersuchung vorrangig und würden die dortigen Vorgaben aufweichen. Es hätten jedenfalls die ausführlichen Empfehlungen aus der Untersuchung in den Planfeststellungsbeschluss übernommen und zusätzlich Kontrollmechanismen installiert werden müssen, die verbindlich und verlässlich die Einhaltung der beschriebenen Schutzmaßnahmen gewährleisteten. Dies sei ohne erkennbaren Grund oder plausible Begründung nicht erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss benenne für die vorgesehene vorübergehende Inanspruchnahme ihres Grundstücks während der Bauphase keine Ermächtigungsgrundlage. Eine solche sei auch nicht ersichtlich. Insbesondere ermögliche § 22 Abs. 1 AEG lediglich eine Enteignung, könne aber nicht als Rechtsgrundlage für eine vorübergehende Inbesitznahme dienen.
9Die Klägerin beantragt,
10den Planfeststellungsbeschluss vom 29. Mai 2019 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Zur Begründung führt sie aus, dass die Klägerin hinsichtlich der mit der Klage dargelegten Bedenken nach § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG präkludiert sei. Der Planfeststellungsbeschluss sei rechtsfehlerfrei. Die BauO NRW gelte im vorliegenden Fall nicht, weil der Bahnsteig mit Zubehör und Nebenanlagen eine Anlage des öffentlichen Verkehrs und damit nach § 1 Abs. 2 BauO NRW von dessen Anwendungsbereich ausgeschlossen sei. Die Wetterschutzhäuser seien keine Gebäude, da diese - ausgehend von § 2 Abs. 2 BauO NRW - nicht als eigenständige und funktionale Einheit allein benutzbar seien, sondern deren Nutzung immer nur in Verbindung mit der Benutzung der Verkehrsanlage erfolge. Die von der Klägerin angeführte Einsicht in die vermieteten Wohnungen habe gegenüber den öffentlichen Belangen nur geringes Gewicht und sei im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums grundsätzlich hinzunehmen. Die Klägerin spreche insofern nur einen bislang bestehenden schlichten Lagevorteil an. Es sei ihr zumutbar, anfallende Kosten für einen Sichtschutz selbst zu tragen. Hinsichtlich der Baulärmproblematik werde die Klägerin durch Nebenbestimmung A.4.3 des Planfeststellungsbeschlusses geschützt.
14Die Beigeladene beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie schließt sich im Wesentlichen den Ausführungen der Beklagten an und trägt ergänzend vor: Die Klägerin sei aufgrund ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zum Vorhaben gefordert gewesen, sich am Anhörungsverfahren zu beteiligen. Durch die unterlassene Beteiligung habe sie deutlich gemacht, dass Einwendungen ihrerseits nicht bestünden. Mit der Erhebung der Klage handele sie diesem Anschein zuwider, so dass ihr Verhalten als missbräuchlich und unredlich im Sinne des § 5 UmwRG zu qualifizieren sei. Das Vorhaben besitze die erforderliche Planrechtfertigung. Dem Planfeststellungsbeschluss sei zu entnehmen, dass die Maßnahme Bestandteil der Modernisierungsoffensive 2 NRW (MOF 2) und des Projektes Rhein-Ruhr Express (RRX) und somit vernünftigerweise geboten sei. Ein attraktives Verkehrsangebot auf der Schiene gehöre zu den Zielen des AEG (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 AEG). Der RRX solle die Mobilität der Reisenden und Pendler im Ruhrgebiet, im Rheinland und in Westfalen sicherstellen und das Angebot auf der Schiene nach dem Ausbau der Gleise deutlich verbessern. Die für den RRX vorgesehenen Fahrzeuge erforderten Bahnsteige mit einer Baulänge von 220 m und einer Kantenhöhe von 76 cm über Schienenoberkante. Bereits im Rahmen der MOF 2 sei eine Verlängerung der Bahnsteige auf 210 m vorgesehen. Eine Verlängerung der Bahnsteige in Richtung Süden scheide schon deswegen aus, weil die Bahnstrecke dort die Straßenkreuzung „An der Schanz/Jakobstraße“ unterführe. Das Abstandsflächenrecht der BauO NRW finde keine Anwendung. Weder die Wetterschutzhäuser noch die Bahnsteigüberdachungen würden von der Rückausnahme für Gebäude erfasst. Diese seien keine Gebäude i. S. d. § 2 Abs. 2 BauO NRW, da sie unselbständiger Teil der baulichen Anlage „Bahnsteig“ seien und hierzu einen funktionalen und engen baulichen Bezug besäßen. Dem folgend ordne auch die Planfeststellungsrichtlinie der Beklagten vom Februar 2019 Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenstände als Zubehör und damit als untergeordnete Bestandteile der Eisenbahnbetriebsanlage ein, die deren Betrieb unmittelbar dienten und Sicherheitsrelevanz besäßen oder besitzen könnten. Eine Verletzung des Abwägungsgebots durch eine mangelnde Berücksichtigung oder Gewichtung der Belange der Klägerin liege nicht vor. Bereits gegenwärtig besäßen vorbeifahrende Fahrgäste die Möglichkeit, Einblick in die Wohnungen auf dem Grundstück der Klägerin zu nehmen. Durch die Verlängerung der Bahnsteige würden die vorhandenen Sichtbeziehungen nicht relevant verschärft. Im Übrigen bedinge die innerstädtische Lage die Nähe zu Infrastrukturanlagen. Das Gewicht der Belange der Klägerin sei somit gering und von der Beklagten zutreffend bewertet worden. Selbst wenn man insofern einen Abwägungsmangel annehmen wolle, sei dieser unerheblich, da er nicht offensichtlich i. S. d. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG sei. Nicht jede Lücke im Planfeststellungsbeschluss lasse zwangsläufig auf Abwägungsausfälle schließen. Die Beklagte habe dargelegt, dass die Möglichkeit der Einsichtnahme gegenüber den öffentlichen Belangen nur geringes Gewicht habe. Damit sei ein erheblicher Abwägungsmangel ausgeschlossen. Die Beklagte habe die baubedingten Lärmimmissionen in ihre Abwägung eingestellt und eine rechtmäßige Entscheidung mit der Nebenbestimmung A.4.3 getroffen. Der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses sei ferner zu entnehmen, dass die Beklagte die Erkenntnisse aus der Schalltechnischen Untersuchung gewürdigt und eine daraus resultierende Entscheidung getroffen habe. Zudem sehe der planfestgestellte Erläuterungsbericht aufgrund der ermittelten Richtwertüberschreitungen weitergehende Vorkehrungen zur Minderung der Geräusche aus Baulärm vor. Die vorübergehende Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin finde ihre Rechtsgrundlage in § 22 Abs. 1 AEG. Sie sei eine Enteignung im Sinne dieser Norm durch Zugriff auf den Besitz des Eigentümers.
17Die Beklagte hat den Planfeststellungsbeschluss in der mündlichen Verhandlung durch Protokollerklärungen dahingehend ergänzt, dass die Vorhabenträgerin der Klägerin bezogen auf die Tage, an denen der Beurteilungspegel der Bauarbeiten die vorhandene Vorbelastung erhöht und einschließlich der Vorbelastung 70 dB(A) übersteigt, für diese Erhöhung sowie bezogen auf die Tage der bauzeitlichen Inanspruchnahme ihres Grundstücks Entschädigung dem Grunde nach zu gewähren hat.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der von der Beklagten vorgelegten planfestgestellten Unterlagen und Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Planfeststellungsbeschluss in Gestalt der in der mündlichen Verhandlung vom 3. September 2021 zu Protokoll erklärten Ergänzungen leidet an keinem zur Aufhebung des Beschlusses oder zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führenden Rechtsfehler.
21I. Rechtsgrundlage des Planfeststellungsbeschlusses vom 29. Mai 2019 ist § 18 AEG vom 27. Dezember 1993, im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. März 2019 (im Folgenden: AEG a. F.) i. V. m. den §§ 72 ff. VwVfG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2003, im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2018 (im Folgenden: VwVfG a. F.).
22Dabei ist „maßgeblicher Zeitpunkt“ in diesem Sinne das Erlassdatum des Planfeststellungsbeschlusses. Denn bei der Überprüfung eines Planfeststellungsbeschlusses ist grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage bei seinem Erlass abzustellen.
23Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2019- 7 C 22.17 -, Buchholz 406.403 § 64 BNatSchG 2010 Nr. 2 = juris, Rn. 14, vom 9. Februar 2017- 7 A 2.15 -, Buchholz 445.5 § 14 WaStrG Nr. 14 = juris, Rn. 21, und vom 14. April 2010- 9 A 5.08 -, Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 45 = juris, Rn. 29.
24Der Senat überprüft den streitigen Planfeststellungsbeschlusses unbeschadet der sich aus § 86 Abs. 1 VwGO ergebenden Aufklärungspflicht grundsätzlich nur im Rahmen der vorgetragenen Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Planfeststellungsverfahren sich ein Kläger beschwert fühlt. Dies folgt aus § 18e Abs. 5 AEG a. F. Diese Vorschrift setzt dem klagenden Beteiligten kraft Gesetzes eine Frist von zehn Wochen, innerhalb der er die zur Begründung seiner Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel anzugeben hat. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind grundsätzlich nur zuzulassen, wenn die Verspätung entschuldigt ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Klägers zu ermitteln. Die Frist kann auf Antrag verlängert werden, wenn der Kläger in dem Verfahren, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist, keine Möglichkeit der Beteiligung hatte.
25Hiervon ausgehend legt der Senat seiner Prüfung die Einwendungen zugrunde, die die Klägerin in ihrem Klagebegründungsschriftsatz vom 23. Oktober 2019 formuliert und mit weiteren Schriftsätzen vom 11. Dezember 2019 und vom 17. August 2021 vertieft hat. Die Klagebegründung ist am 24. Oktober 2019 bei Gericht eingegangen und wahrt daher die geltende Zehnwochenfrist.
26II. Die Einwände der Klägerin gegen die Rechtmäßigkeit der Planfeststellung greifen nicht durch.
271. Die Klägerin ist mit ihren Einwendungen weder gemäß § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG a. F. ausgeschlossen noch bleiben diese nach § 5 UmwRG unberücksichtigt.
28a) Entgegen der Ansicht der Beklagten findet § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG a. F. hier nach § 7 Abs. 4 UmwRG schon keine Anwendung, da es sich bei dem Vorhaben um ein solches handelt, bei dem eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a) UmwRG bestehen kann, mithin eine UVP-Vorprüfung - hier gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 UVPG i. V. m. Nr. 14.8 der Anlage 1 zum UVPG in der bis zum 30. Dezember 2018 geltenden Fassung - durchzuführen ist. Eine solche ist von der Beklagten auch durchgeführt worden.
29Der Anwendungsausschluss nach § 7 Abs. 4 UmwRG bezieht sich auf alle Einwendungen, ungeachtet dessen, ob diese Umweltauswirkungen oder andere Aspekte des Vorhabens betreffen.
30Vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 43 f.; Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Mai 2021, § 7 UmwRG, Rn. 78.
31b) Ferner steht einer Berücksichtigung der Einwendungen der Klägerin auch § 5 UmwRG nicht entgegen. Nach dieser Norm bleiben Einwendungen, die eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 UmwRG erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, unberücksichtigt, wenn die erstmalige Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist.
32Dass die erstmalige Geltendmachung der Einwendungen durch die Klägerin im gerichtlichen Verfahren missbräuchlich oder unredlich ist, ist vorliegend nicht ersichtlich. Die Klägerin hat vor der Erhebung der Klage weder ausdrücklich erklärt, dass sie keine Einwendungen gegen das Vorhaben erhebe, noch hat sie dies auf anderem Wege konkludent zum Ausdruck gebracht. Vielmehr hat sie sich lediglich am Anhörungsverfahren - wohl auch mangels Kenntnis von dessen Durchführung - nicht beteiligt.
33Daraus alleine kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht auf ein missbräuchliches oder unredliches Verhalten geschlossen werden.
34Vgl. in diesem Sinne BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 3 A 1.16 -, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 77 = juris, Rn. 24; Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Mai 2021, § 5 UmwRG, Rn. 19 ff.
35Andernfalls liefe der Anwendungsausschluss des § 7 Abs. 4 UmwRG leer, den der Gesetzgeber zur vollständigen und europarechtskonformen Umsetzung des Urteils des EuGH vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 - als notwendig erachtet hat.
36Vgl. BT-Drs. 18/9526, S. 43.
372. Dem Vorhaben, insbesondere der Verlängerung der Außenbahnsteige, fehlt es nicht an einer Planrechtfertigung.
38Die Planrechtfertigung als ungeschriebenes Erfordernis jeder Fachplanung und Ausprägung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns, das mit Eingriffen in private Rechte verbunden ist, ist erfüllt, wenn für das Vorhaben gemessen an den Zielsetzungen des Fachplanungsgesetzes ein Bedarf besteht, die geplante Maßnahme unter diesem Blickwinkel also erforderlich ist. Das verlangt nicht die Unausweichlichkeit des Vorhabens; ausreichend ist, dass es vernünftigerweise geboten ist.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2007 - 4 C 12.05 -, Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 27 = juris, Rn. 45, m. w. N.
40Die Planrechtfertigung dient damit dem Zweck, Vorhaben, die nicht mit den Zielen des jeweiligen Fachrechts in Einklang stehen, bereits auf einer der Abwägung vorgelagerten und einer vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegenden Stufe auszuscheiden. Sie stellt eine praktisch nur bei groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen wirksame Schranke der Planungshoheit dar.
41Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2014- 9 B 29.14 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 237 = juris, Rn. 4, m. w. N.
42Ein solcher - die Zielkonformität des planfestgestellten Vorhabens ausschließender - Missgriff ist hier nicht festzustellen. Die Beigeladene bezweckt mit dem Vorhaben die Anpassung des Haltepunktes Aachen-Schanz an die Anforderungen der MOF 2 sowie des RRX. Insbesondere die Verlängerung der vorhandenen Bahnsteige auf eine Gesamtlänge von 220 m soll dem Verkehr des RRX auf dem RRX-Außenast RE4 West dienen. Damit verfolgt das Vorhaben insgesamt die Gewährleistung eines attraktiven Verkehrsangebotes, mithin die Zielsetzungen des Eisenbahnrechts (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F.). Dem steht nicht entgegen, dass der RRX-Außenast RE4 West nicht zum Zielkonzept RRX gehört und nur übergangsweise - jedenfalls bis zum Dezember 2033 - für den RRX-Verkehr genutzt werden soll, da die Erforderlichkeit der Maßnahme für diesen Zeitraum damit gerade nicht entfällt.
433. Soweit die Klägerin rügt, die Planfeststellungsbehörde habe bezüglich der geplanten jeweils zwei Bahnsteigdächer und Wetterschutzhäuser die rechtlich gebotene Prüfung nach der Landesbauordnung unterlassen, verfängt ihr Vorbringen nicht.
44a) Hinsichtlich der beiden Bahnsteigdächer sowie des Wetterschutzhauses auf dem westlich der Gleise gelegenen Bahnsteig 1 ist bereits unklar, welchen konkreten Verstoß die Klägerin insofern geltend machen will. Der bloße Einwand, ein Gesetz - hier die Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2019 (im Folgenden: BauO NRW 2018 a. F.) - sei von der Planfeststellungsbehörde zu berücksichtigen gewesen, ohne zugleich zu konkretisieren, welche Vorgaben des Gesetzes die Behörde nicht berücksichtigt haben soll, genügt mit Blick auf die - wie zuvor ausgeführt - im vorliegenden Verfahren nur eingeschränkte Aufklärungspflicht des Gerichts dem Darlegungserfordernis nicht.
45b) In Bezug auf das geplante Wetterschutzhaus auf dem östlich der Gleise gelegenen Bahnsteig 2 macht die Klägerin einen Verstoß gegen § 6 BauO NRW 2018 a. F. geltend, ohne damit durchzudringen.
46Die geplante Bahnsteigverlängerung unter Errichtung eines Wetterschutzhauses auf dem Bahnsteig 2 unterliegt nicht den Anforderungen der BauO NRW 2018 a. F., sie ist vielmehr gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 BauO NRW 2018 a. F. vom sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Nach dieser Vorschrift gilt die Bauordnung nicht für Anlagen des öffentlichen Verkehrs einschließlich Zubehör, Nebenanlagen und Nebenbetrieben, ausgenommen Gebäude. Gebäude sind nach der Begriffsbestimmung in § 2 Abs. 2 BauO NRW 2018 a. F. selbständig benutzbare, überdeckte bauliche Anlagen, die von Menschen betreten werden können und geeignet oder bestimmt sind, dem Schutz von Menschen, Tieren oder Sachen zu dienen.
47Bei dem (verlängerten) Bahnsteig mit einem Wetterschutzhaus handelt es sich um einen Bestandteil einer Anlage des öffentlichen Schienenverkehrs; dies wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Allerdings unterfällt das Wetterschutzhaus - anders als die Klägerin meint - nicht der Rückausnahme für Gebäude, da es das Begriffsmerkmal der selbständigen Benutzbarkeit nicht erfüllt.
48Selbständig benutzbar sind bauliche Anlagen, wenn sie für sich geeignet sind, den Verwendungszweck zu erfüllen. Die selbständige Benutzbarkeit hängt mit der Funktion der Anlage zusammen und erfordert eine bauliche Anlage, die über funktionsnotwendige Bauteile und eine selbständige Zugangsmöglichkeit verfügt, so dass sie unabhängig von anderen Anlagen betreten und genutzt werden kann.
49Vgl. Johlen, in: Gädtke/Johlen/Wenzel/Hanne/ Kaiser/Koch/Plum, BauO NRW, Kommentar, 13. Aufl. 2019, § 2 Rn. 126.
50Ob lediglich ein unselbständiger Teil einer baulichen Anlage gegeben ist, ist in bauordnungsrechtlicher Hinsicht anhand des Kriteriums der in funktionaler und bautechnischer Hinsicht selbständigen Benutzbarkeit zu bewerten. Entscheidend ist eine natürliche (wertende) Betrachtung nach den baukonstruktiven Merkmalen, dem Erscheinungsbild und der Funktion.
51Vgl. Buntenbroich/Voß, BauO NRW, Kommentar, Stand: Januar 2020; § 2 Rn. 34, unter Bezugnahme auf: BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 1995 - 4 B 245.95 -, NVwZ 1996, 322 = juris, Rn. 4, und OVG NRW, Urteil vom 16. Oktober 2008 - 7 A 3096/07 -, NVwZ-RR 2009, 277 f. = juris, Rn. 45 ff.
52Ausgehend davon handelt es sich bei dem Wetterschutzhaus um einen unselbständigen Bestandteil der baulichen Anlage „Bahnsteig“. Der Bahnsteig dient insgesamt dem Aufenthalt der wartenden Fahrgäste. Auch im Bereich des Wetterschutzhauses kommt dem Bahnsteig diese Funktion zu, wobei das Wetterschutzhaus den wartenden Fahrgästen zusätzlichen Schutz vor Witterung bietet. Eine von der Funktion des Bahnsteigs losgelöste, eigenständige Nutzung „nur“ des Wetterschutzhauses - als bloßer Witterungsschutz - ist indes nicht vorgesehen und kommt angesichts der konkreten örtlichen Gegebenheiten auch nicht in Betracht. Denn das Wetterschutzhaus soll unmittelbar auf dem Bahnsteig 2 errichtet werden, der im maßgeblichen Bereich ca. 5,5 m über dem anstehenden Gelände liegen wird, und ausschließlich über diesen erreichbar sein. Hinzu kommt, dass das Wetterschutzhaus gegenüber dem Bahnsteig keine Dominanz entfaltet; vielmehr wirkt es als Zubehör des Bahnsteigs.
53Vor diesem Hintergrund verfängt der von der Klägerin bemühte Vergleich des geplanten Wetterschutzhauses mit einem Fahrgastunterstand auf einem Gehweg an einer Bushaltestelle nicht. Dem Gehweg kommt - im Gegensatz zum Bahnsteig in Bezug auf den Schienenverkehr - nicht per se die Funktion zu, Fahrgästen ein Warten auf ihr Verkehrsmittel zu ermöglichen. Daher lässt sich die im Falle des vorliegenden Wetterschutzhauses auf den Personenkreis der auf dem Bahnsteig wartenden Fahrgäste beschränkte faktische Nutzungsmöglichkeit bei einem Fahrgastunterstand auf einem Gehweg gerade nicht feststellen. Ferner entfaltet ein auf einem Gehweg errichteter Fahrgastunterstand auf diesen eine andere Wirkung als das vorliegende Wetterschutzhaus auf den Bahnsteig. Insofern dürfte - im Gegensatz zu der vorliegenden Konstellation - das in Bezug auf den Gehweg dominierende Erscheinungsbild eines Fahrgastunterstandes regelmäßig die Annahme zulassen, dass der durch den Unterstand überdachte Gehweg nunmehr als Bestandteil der baulichen Anlage „Fahrgastunterstand“ erscheint.
544. Der Planfeststellungsbeschluss ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil es- wie die Klägerin meint - schon an einer Ermächtigungsgrundlage für die im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene baubedingte vorübergehende Inanspruchnahme einer 94 qm großen Teilfläche ihres Grundstücks fehle.
55Denn die bauzeitliche Inanspruchnahme eines Grundstücks bzw. einer Grundstücksteilfläche kann im Wege der Enteignung nach § 22 Abs. 1 AEG a. F. durch eine vorübergehende Entziehung des Besitzes i. S. d. § 854 BGB erfolgen.
56Vgl. Schütz, in: Hermes/Sellner, AEG, Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 33.
57Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F. ist für Zwecke des Baus und des Ausbaus von Betriebsanlagen der Eisenbahn die Enteignung zulässig, soweit sie zur Ausführung eines nach § 18 Abs. 1 AEG festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig ist. Einer weiteren Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung bedarf es nach Satz 2 der Vorschrift nicht.
58Als Grundlage der nachfolgenden Enteignung (vgl. § 22 Abs. 2 AEG a. F.), kommt dem Planfeststellungsbeschluss mithin enteignungsrechtliche Vorwirkung zu.
59Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 3. November 2020 - 9 A 12.19 -, juris, Rn. 25; Schütz, in: Hermes/Sellner, AEG, Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 21 Rn. 9.
60Für die Inanspruchnahme ihres Grundstücks steht der Klägerin jedoch eine Entschädigung zu. Demgemäß hat die Beklagte den Planfeststellungsbeschluss durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 2 der Sitzungsniederschrift) dahingehend ergänzt, dass die Vorhabenträgerin der Klägerin bezogen auf die Tage der bauzeitlichen Inanspruchnahme ihres Grundstücks dem Grunde nach Entschädigung zu gewähren hat.
615. Verstöße der Beklagten gegen das Abwägungsgebot des § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG a. F. sind ebenfalls nicht erkennbar.
62a) Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG a. F. sind bei der Planfeststellung die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.
63Das Abwägungsgebot verlangt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass - erstens - eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass- zweitens - in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass - drittens - weder die Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Die darin liegende Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange ist ein wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit und als solches der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Diese beschränkt sich im Rahmen des Abwägungsgebots daher auf die Frage, ob die Verwaltungsbehörde die abwägungserheblichen Gesichtspunkte rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie - auf der Grundlage des derart zutreffend ermittelten Abwägungsmaterials - die aufgezeigten Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat.
64Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1978 ‑ IV C 79.76 u. a. -, Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 2 = juris, Rn. 59; vgl. auch Urteile vom 15. Oktober 2020 - 7 A 9.19 -, juris, Rn. 103, und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 -, Buchholz 451.17 § 43 EnWG Nr. 8 = juris, Rn. 23.
65Nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AEG a. F. i. V. m. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG a. F. sind Mängel bei der Abwägung der von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange nur erheblich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind. Ergebnisrelevanz in diesem Sinne liegt vor, wenn nach den Umständen des Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Abwägungsmangel eine andere Entscheidung getroffen worden wäre; eine nur abstrakte Möglichkeit einer anderen Entscheidung genügt nicht.
66Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2015- 7 C 15.13 -, Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 16 = juris, Rn. 29.
67b) Hieran gemessen liegen die - allein in den Blick zu nehmenden - von der Klägerin geltend gemachten Abwägungsfehler nicht vor.
68aa) Die Einwendung der Klägerin, es sei nicht nachvollziehbar, weswegen die Verlängerung der Bahnsteige bis auf Höhe ihres Grundstückes erforderlich sei, mit der sie - sinngemäß - darauf abhebt, dass die Planfeststellungsbehörde hinsichtlich der Verlängerung der Bahnsteige keine andere Variante geprüft habe bzw. die getroffene Variantenentscheidung jedenfalls nicht begründet habe, greift nicht durch.
69Bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials müssen einerseits alle ernsthaft in Betracht kommenden Alternativlösungen berücksichtigt und mit der ihnen zukommenden Bedeutung in die vergleichende Prüfung der jeweils berührten öffentlichen und privaten Belange eingestellt werden. Eine Planfeststellungsbehörde handelt andererseits nicht schon dann abwägungsfehlerhaft, wenn eine von ihr verworfene Alternative ebenfalls mit guten Gründen vertretbar gewesen wäre. Vielmehr sind die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit erst dann überschritten, wenn sich eine andere als die gewählte Lösung unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere, hätte aufdrängen müssenoder wenn der Planfeststellungsbehörde in Folge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist. Die Planfeststellungsbehörde ist dabei nicht verpflichtet, die Variantenprüfung bis zuletzt offenzuhalten und alle von ihr zu einem bestimmten Zeitpunkt erwogenen oder von dritter Seite vorgeschlagenen Alternativen gleichermaßen detailliert und umfassend zu untersuchen. Sie braucht den Sachverhalt nur so weit zu klären, wie dies für eine sachgerechte Entscheidung und eine zweckmäßige Gestaltung des Verfahrens erforderlich ist; Alternativen, die ihr aufgrund einer Grobanalyse als weniger geeignet erscheinen, darf sie schon in einem frühen Verfahrensstadium ausscheiden.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020- 7 A 9.19 -, juris, Rn. 123 ff., m. w. N.
71Ausgehend davon sind mit dem pauschalen Vorbringen der Klägerin, das auf eine Bahnsteigverlängerung (auch) in südlicher Richtung abzielt, binnen der Frist des § 18e Abs. 5 Satz 1 AEG a. F. bereits keine Tatsachen vorgetragen worden, die einen Abwägungsfehler begründen könnten. Dass sich neben der Planfeststellungsvariante unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eine andere Lösung - und zwar die von der Klägerin erwogene - eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere, hätte aufdrängen müssen, legt die Klägerin schon nicht dar. Ungeachtet dessen steht der von der Klägerin - ohne Auseinandersetzung mit den konkreten örtlichen Gegebenheiten - angeführten Variante einer Verlängerung der Bahnsteige (auch) in südlicher Richtung nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beigeladenen entgegen, dass eine Verlängerung in Richtung Süden schon deswegen ausscheide, weil die Bahnstrecke dort die Straßenkreuzung „An der Schanz/Jakobstraße“ unterführe. Es ist nichts dagegen zu erinnern, dass die mit einer substantiellen Änderung bzw. Neuerrichtung des vorhandenen Brückenbauwerks einhergehende Variante der Bahnsteigverlängerung von der Planfeststellungsbehörde nicht ernsthaft in Betracht gezogen worden ist.
72bb) Die zu erwartende baubedingte Lärmbelastung des Grundstücks der Klägerin ist durch die Planfeststellungsbehörde abwägungsfehlerfrei bewältigt worden.
73Den nach der Prognose der Schall- und erschütterungstechnischen Untersuchung der Sachverständigenbüros Q. Deutschland GmbH und Baudynamik I. & N1. GmbH vom 28. März 2017 (im Folgenden: Baulärm- und -erschütterungsgutachten) zu besorgenden Überschreitungen des hier maßgeblichen Immissionsrichtwerts nach Nr. 3.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm vom 19. August 1970 (im Folgenden: AVV Baulärm) für ein Allgemeines Wohngebiet von 55 dB(A) tagsüber und 40 dB(A) nachts ist die Beklagte dadurch begegnet, dass sie den Planfeststellungsbeschluss durch Protokollerklärung in der mündlichen Verhandlung (vgl. Seite 2 der Sitzungsniederschrift) dahingehend ergänzt hat, dass die Vorhabenträgerin der Klägerin bezogen auf die Tage, an denen der Beurteilungspegel der Bauarbeiten die vorhandene Vorbelastung erhöht und einschließlich der Vorbelastung 70 dB(A) übersteigt, für diese Erhöhung Entschädigung dem Grunde nach zu gewähren hat.
74Hierdurch ist gewährleistet, dass die besonders gravierenden Überschreitungen der Richtwerte für den Baulärm kompensiert werden, die vorliegend dadurch entstehen, dass die an dem Grundstück der Klägerin bereits jenseits der Schwelle der Gesundheitsgefährdung liegende Vorbelastung insbesondere durch Schienenverkehrslärm durch baulärmbedingte Zusatzbelastungen weiter erhöht wird.
75In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die Richtwerte der AVV Baulärm jedenfalls nicht als bindend zu betrachten sind, wenn - wie hier - eine den maßgeblichen Richtwert der AVV Baulärm bereits überschreitende tatsächliche Lärmvorbelastung gegeben ist.
76Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 7 A 11.11 -, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 84 = juris, Rn. 32.
77Im Übrigen ist die Lärmvorsorge durch die Nebenbestimmung A.4.3 (Seite 8 des Planfeststellungsbeschlusses) abwägungsfehlerfrei bewältigt worden. Insoweit ist vorgesehen, dass bei der Durchführung der Bauarbeiten die AVV Baulärm zu beachten sind. Sollten die Immissionsrichtwerte um mehr als 5 dB(A) bzw. der den Immissionsrichtwert bereits überschreitende tatsächliche akustische Lärmvorbelastungspegel um mehr als 3 dB(A) überschritten werden, sind durch die Vorhabenträgerin dem Stand der Technik entsprechende konkrete Schutz- und Lärmminderungsmaßnahmen zu ergreifen.
78Der für konkret durchgeführte Messungen vorgesehene Messabschlag von 5 dB(A) bezogen auf den Immissionsrichtwert bzw. von 3 dB(A) auf den Lärmvorbelastungspegel ist wegen der noch immer vorhandenen Messunsicherheiten nicht zu beanstanden.
79Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 2016- 3 VR 2.15 -, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 74 = juris, Rn. 32, und Urteil vom 10. Juli 2012 - 7 A 11.11 -, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 84 = juris, Rn. 45.
80Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang rügt, dass sich dem Planfeststellungsbeschluss Schutzmaßnahmen gegen den zu erwartenden Baulärm nicht entnehmen ließen, übersieht sie, dass dem planfestgestellten Erläuterungsbericht der Vorhabenträgerin konkrete Beispiele für die von ihr beabsichtigten Lärmminderungsmaßnahmen zu entnehmen sind. So hat diese sich u. a. dazu verpflichtet, dem Stand der Technik entsprechende geräuscharme Baumaschinen und Bauverfahren anzuwenden, mobile Abschirmungen aufzustellen und organisatorische Maßnahmen wie Betriebszeitenbeschränkungen zu treffen sowie ein ständiges Monitoring durchzuführen und einen Bauüberwacher Bahn - BÜB - zu beauftragen.
81Unabhängig davon hat die Planfeststellungsbehörde - wie bereits ausgeführt - die Vorhabenträgerin zur Beachtung der AVV Baulärm, die langjährig gebräuchlich und erprobt und von der Rechtsprechung daher als Grundlage für Schutzmaßnahmen gebilligt wird,
82vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2018- 3 A 17.15 -, Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 87 = juris, Rn. 51 m. w. N.,
83sowie der Ergreifung dem Stand der Technik entsprechender Schutz- und Lärmminderungsmaßnahme verpflichtet. Eine weitere Konkretisierung der von der Vorhabenträgerin auf Grundlage dessen zu treffenden Schutzmaßnahmen ist im Planfeststellungsbeschluss nicht erforderlich gewesen. Diese setzte eine Ausführungsplanung voraus. Eine solche muss ein Vorhabenträger indes ohne gesicherte Rechtsposition, die er erst mit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses erlangt, grundsätzlich nicht erstellen.
84Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 - 7 A 9.19 -, juris, Rn. 97, m. w. N.
85Etwaige, von der Klägerin (wohl) befürchtete Defizite bei der Beachtung der Vorgaben der AVV Baulärm bei der Baudurchführung sind eine Frage des Vollzugs und können die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht in Zweifel ziehen.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 2020 - 7 A 9.19 -, juris, Rn. 100
87Insofern hat die Planfeststellungsbehörde schon in der Begründung des Planfeststellungsbeschlusses unter B.4.3 zutreffend darauf hingewiesen, es sei Gegenstand des bauaufsichtlichen Verfahrens, dass das Vorhaben in jeder Hinsicht- mithin auch im Hinblick auf die Einhaltung der AVV Baulärm - den Regelwerken der Technik entspreche.
88cc) Soweit die Klägerin darauf verweist, dass die Planfeststellungbehörde nicht berücksichtigt habe, dass den sich künftig auf den verlängerten Bahnsteigen aufhaltenden Personen ein ungehinderter Blick in die Wohnungen auf dem Grundstück der Klägerin möglich sein werde, verfängt ihr Vorbringen nicht. Von der Anordnung der von der Klägerin vermissten Schutzauflagen im Planfeststellungsbeschluss, namentlich Sichtschutzmaßnahmen, um die Sichtbeziehungen zwischen Fahrgästen auf dem verlängerten Bahnsteig und den auf dem klägerischen Grundstück vorhandenen Wohnungen zu unterbrechen, hat die Planfeststellungsbehörde abwägungsfehlerfrei abgesehen.
89In Fällen, in denen durch die Errichtung oder Änderung von Betriebsanlagen einer Eisenbahn Sichtschutzmaßnahmen erforderlich werden, ist es den Anliegern zumutbar, diese selbst zu ergreifen und die Kosten dafür selbst zu tragen, wenn sie solche normalerweise ohnehin hätten ergreifen müssen, darauf aber wegen besonderer Umstände verzichtet haben. Auf den Fortbestand derartig günstiger Umstände hat ein Grundeigentümer grundsätzlich keinen Anspruch; er genießt insofern keinen Vertrauensschutz.
90Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1999- 11 A 31.98 -, Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 53 = juris, Rn. 29.
91So liegt der Fall auch hier. Die Klägerin hat bisher auf Sichtschutzmaßnahmen verzichtet, weil diese - aus ihrer Sicht - bislang nicht erforderlich gewesen sind. Damit beruft sie sich aber lediglich auf einen Lagevorteil, der daraus resultiert, dass die unmittelbar westlich des klägerischen Grundstücks gelegenen Flurstücke im für das Grundstück der Klägerin maßgeblichen Bereich bislang „nur“ mit einer Eisenbahntrasse bebaut gewesen sind, nicht aber - wie ihr eigenes Grundstück und zahlreiche weitere Grundstücke in der unmittelbaren Umgebung - mit mehrgeschossiger Wohnbebauung oder aber mit dem nunmehr geplanten verlängerten Bahnsteig. Dass dies bislang nicht der Fall gewesen ist, rechtfertigt aber keinen Vertrauensschutz. Wenn die Klägerin angesichts geänderter örtlicher Gegebenheiten nunmehr Wert auf Sichtschutz legt, ist dies ihre Angelegenheit. Es ist ihr somit zumutbar, die insofern anfallenden Kosten selbst zu tragen.
92III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, weil diese einen eigenen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko unterworfen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
93Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Sätze 1 und 2, 711 ZPO.
94Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Referenzen
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- § 22 Abs. 1 AEG 2x (nicht zugeordnet)
- § 5 UmwRG 1x (nicht zugeordnet)
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- § 2 Abs. 1 Satz 1 AEG 1x (nicht zugeordnet)
- § 18 AEG 2x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 2 BauO 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 854 Erwerb des Besitzes 1x
- § 18e Abs. 5 Satz 1 AEG 1x (nicht zugeordnet)
- VwVfG § 75 Rechtswirkungen der Planfeststellung 1x